Johannes – Evangelium

Das Johannes-Evangelium ist geschrieben vom Standpunkte eines Eingeweihten, der drinnen stand in den Geheimnissen der Welt bis zur Intuition hinauf, der also das Christusereignis für die Anschauung der übersinnlichen Welt bis zur Intuition hinauf schildert. Alles das, was uns in diesem Evangelium besonders deutlich entgegentritt, ist vom Standpunkte der Inspiration und der Intuition gesagt, und alles, was (nur) aus Bildern der Imagination sich ergibt, verblaßt dagegen und ist undeutlich. Deshalb spricht der Schreiber des Johannes-Evangeliums im wesentlichen so, daß er uns die Geheimnisse des Christusreiches charakterisiert als beeigenschaftet durch das innere Wort oder den Logos. [1]

Was man als Grundton der Gestirnbewegungen im Weltenall vernehmen kann, nennt man die pythagoreische Sphärenmusik. Diesen Grundakkord der Sternenbahnen und des Weltenalls, diesen Ton bezeichnet und meint der Schreiber des Johannes-Evangeliums, wenn er vom Weltenwort spricht. [2] Die Sphärenharmonie, oder das, was im Klangäther lebt, das kann der Mensch nur erleben, wenn er sich durch die Initiation hinaufarbeitet, oder wenn ein Sonnenwesen heruntersteigt, um es irgendeinem Menschen, der ausersehen wird zu einem Instrument der Entwickelung für die anderen Menschen, mitzuteilen. Für einen solchen Menschen beginnt die Sonne zu tönen, beginnen die Sphärenharmonien hörbar zu werden. – Und über dem Klangäther liegt noch der Lebensäther. Und wie dem bloßen Ton als höherer Inhalt, als Inneres, Seelenhafteres noch zugrunde liegt das Wort, der Klang oder Sinn, so ist auch mit dem Lebensäther verbunden Sinn, Wort, dasselbe, was man im späteren Persischen «Honover» genannt hat, und was der Johannes-Evangelist den «Logos» nennt, als sinnvollen Ton, der dem Sonnenwesen eigen ist. Es ist nicht ein bloßer Mythos, sondern eine buchstäbliche Wahrheit, daß auch Zarathustra seinen Unterricht empfangen hat durch das Sonnenwort. [3]

Jenes allgemeine Erklingen, das aus dem Zusammenfluß dessen entsteht, wenn sich die einzelnen Wesenheiten (der Hierarchien) aussprechen, das ist der Logos. Aber der Logos, er ist auch zunächst nur ein Schein gewesen. Nur dadurch, daß ihn der Christus zusammengefaßt hat, diesen Schein gewissermaßen in seiner eigenen Wesenheit verdichtet hat, ist durch das Mysterium von Golgatha der Scheinlogos als wirklicher Logos auf der Erde geboren worden. [4]

Abstrakte Gedanken ohne Sprache gab es in alten Zeiten nicht, sondern, wenn der Mensch etwas dachte, wurde es in ihm zum Worte und zum Satze. Er sprach innerlich. Daher ist es selbstverständlich, daß man im Beginne des Johannes-Evangeliums nicht sagte: Im Urbeginne war der Gedanke –, sondern: Im Urbeginne war das Wort – das Verbum. – Das Wort, weil man innerlich redete, und nicht abstrakt dachte wie heute. Man redete innerlich. Und es war die Ursprache so, daß sie Gefühle und Gedanken enthielt. Sie war gewissermaßen das Schatzkästlein in der menschlichen Wesenheit für Gefühl und Gedanke. Nun ist der Gedanke mehr in das Ich hinaufgerutscht, die Sprache im astralischen Leib verblieben, und das Gefühl in den Ätherleib hinuntergerutscht. [5]

An diese ursprüngliche Sprache, die man spricht mit der ganzen Welt, erinnert der Ausdruck, der heute so wenig verstanden wird, der Ausdruck von dem «verlorengegangenen Wort». Aber an diesen ursprünglichen Geist, wo der Mensch nicht nur Augen hatte zu sehen, sondern Augen hatte, den Geist wahrzunehmen, und wo er im Innern seines Atmungsprozesses auf die Wahrnehmung des Auges antwortete mit der tönenden Geste – an dieses lebendige Mit-dem-Geiste-Zusammensein erinnert das Wort: «Im Urbeginne war das Wort, und das Wort war bei Gott, und ein Gott war das Wort.» Von diesem Leben in dem Göttlichen spricht der Beginn des Johannes-Evangeliums. [6]

(Am Anfang der Erdentwickelung) tritt eine Wiederholung dessen ein, was früher schon geschehen war: es spaltet sich die Sonne wieder ab. Wiederum gehen mit der Sonne heraus jene höheren Wesenheiten, die diesen höheren Schauplatz der Entwickelung brauchen. Alle diese Wesenheiten, welche während der alten Mondenzeit die richtige Reife erlangt hatten, die schritten vorwärts und konnten infolgedessen nicht mehr in den gröberen Substanzen und Wesenheiten wohnen, welche die Erde plus Mond in sich hatte. Sie mußten sich loslösen, mußten sich auf der neuen Sonne, der heutigen Sonne, ein neues Dasein begründen. Was waren das für Wesenheiten? Es waren die Nachkommen derjenigen Wesenheiten, die schon auf der Sonne während des alten Mondenzustandes sich entwickelt hatten als Stier-Geist, Löwen-Geist und Adler-Geist. Und die höchsten, die vorgeschrittensten von ihnen, das waren solche, die die Natur von Adler, Löwe und Stier in sich vereinigt hatten zu einer harmonischen Einheit. Es sind diejenigen Wesenheiten, welche man bezeichnen kann als «Menschen-Urbilder», als «Geistes-Menschen» im eigentlichen Sinne. Also denken Sie sich, daß unter jenen geistigen Wesenheiten, die während der alten Mondenzeit auf der Sonne als Stier-Geist, Adler-Geist, Löwen-Geist zu finden waren, es solche gegeben hat, die eine höhere Stufe der Entwickelung erlangt hatten. Sie sind die eigentlichen Geistes-Menschen, die jetzt auf der Sonne vorzugsweise ihren Wohnplatz einnehmen. Sie sind sozusagen geistige Gegenbilder dessen, was sich da unten auf der abgetrennten Erde plus Mond entwickelt. Da unten entwickeln sich aber die Nachkommen derjenigen Gestalten, die auf dem alten Monde waren. Nun können Sie sich denken: Da schon auf dem alten Monde in einer gewissen Beziehung eine Verdichtung, eine Verhärtung dieser Wesenheiten eingetreten war, so mußten jetzt die Nachkommen dieser Wesenheiten des alten Mondes erst recht mit der Anlage zur Verdichtung, zur Verhärtung, zur Vertrocknung erscheinen. [7] Und von der Sonne schienen die Wesenheiten, welche die fortgeschrittenen Stier-, Löwen-, Adler- und Menschen-Geister waren, als Licht herunter auf die Erde in die sich bildenden Gestalten der Menschen. Die waren aber die Finsternis und konnten das Licht, das da herunterschien, nicht begreifen. – Nur dürfen wir uns darunter nicht das physische Licht vorstellen, sondern das Licht, das die Summe der Ausstrahlungen der geistigen Wesenheiten war, der Stier-, Löwen-, Adler- und Menschen-Geister, welche die Fortsetzung der geistigen Entwickelung des Mondes waren. – Was herunterströmte, war das geistige Licht. Die Menschen konnten es nicht aufnehmen, verstanden es nicht. Sie wurden in ihrer ganzen Entwickelung dadurch gefördert, aber ohne daß sie ein Bewußtsein dafür hatten: «Das Licht schien in die Finsternis, aber die Finsternis konnte das Licht nicht begreifen.» [8]

Für den siebenten nachatlantischen Kulturzeitraum bis zur nächsten großen Katastrophe (siehe: Krieg aller gegen alle) hin, wird das Johannes-Evangelium ein Inspirationsbuch sein, während es heute für das geistige Leben des Menschen eine Richtschnur sein kann. Da werden allerdings die Menschen noch manches nötig haben, was sie während des 6. Zeitraumes als geistige Wesen gut begreifen lernen müssen. Vieles aber werden die Menschen verlernen müssen von dem, was sie heute glauben. Das wird zwar nicht schwer sein, denn die wissenschaftlichen Tatsachen werden es beweisen, daß manches wird überwunden werden müssen. [9] Im 7. Kulturzeitraum werden dann die Menschen bis in das Blut hinein sich durchsetzt fühlen können vom Logos. Erst dann wird das Johannes-Evangelium erkannt werden können in seiner Wissenschaftlichkeit. [10]

Die gegenwärtige Theologie unterscheidet streng zwischen den drei ersten Evangelien und dem Johannes-Evangelium. Die drei ersten werden die synoptischen genannt, dagegen wird das letzte häufig als Lehrgedicht hingestellt, welches einen historischen Wert nicht habe. Das Entscheidende ist aber, daß wir es bei allem, was sich in den Evangelien auf den Christus bezieht, mit einem tiefen Symbol zu tun haben, und daß das Symbol zugleich eine historisch wichtige Tatsache ist. Es unterscheiden sich die drei ersten Evangelien vom Johannes-Evangelium in Wirklichkeit dadurch, daß sie von weniger tief eingeweihten Jüngern herrühren, das Johannes-Evangelium jedoch von dem am tiefsten eingeweihten Schüler.

Der Name des Johannes ist im Johannes-Evangelium unmittelbar gar nicht erwähnt, sondern er wird bezeichnet als der Jünger, den der Herr lieb hatte. Diese Bezeichnung ist ein Schlüsselwort für den am tiefsten Eingeweihten. Daß bestimmte Jünger die intimsten Eingeweihten sind, bezeichnete man damit, daß man sagte, der Meister habe sie lieb. Der Jünger, der das Johannes-Evangelium niederschrieb, schildert zunächst ein eigenes Erlebnis. Kapitel eins bis zwölf sind Erlebnisse in der astralen Welt (siehe: Astralplan), Kapitel dreizehn und die folgenden schildern Ereignisse auf dem Devachanplan. Das ist sehr bedeutsam und bezeichnend für die Sache. Johannes schildert die Erlebnisse auf dem astralen Plan, weil er der Anschauung ist, daß man das, was ChristusJesus hier auf der Erde vollbracht hat, nur verstehen kann, wenn man es im Lichte des Geistigen betrachtet. Was der Christus Jesus auf der Erde tat, konnte nur in der richtigen Weise beurteilt werden, wenn man sich in eine höhere Welt versetzte. Wollte man erleben, was der Christus Jesus getan hatte, so mußte man durch das geeignete christliche Meditieren sich in einen solchen Zustand versetzen, durch den man zum Seelenverständnis des Christus kam. Das spricht Johannes in seinem Evangelium zuerst in der Einleitung aus. Es ist ein meditatives Gebet, vom Anfang bis zu dem Satze «die Finsternisse begriffen nicht das Licht». Wenn die Seele erlebt, was in diesen Sätzen liegt, dann werden die Kräfte erweckt, um den Inhalt von Kapitel eins bis zwölf zu verstehen.

«Im Anfang war das Wort, und das Wort war bei Gott, und ein Gott war das Wort». Diese alte Wahrheit wurde in allen alten Mysterien, besonders in denen mit ägyptischer Färbung, anschaulich dargestellt. Die Worte durchtönen den Luftraum, wir würden sonst die Worte nicht hören. Im Luftraum sind die Gestalten der Worte, die wir aussprechen. Wenn die Luft, während ich spreche, plötzlich zum Erstarren gebracht werden könnte, so würden die in der Luft schwirrenden Wellen als feste, starre Körper herunterfallen. Der Mysterienlehrer machte dem Schüler klar: So wie der Mensch spricht und sein Inneres losringt in der Luft, so sprach auch die Weltenseele in eine viel feinere Materie hinein, in die Akasha-Materie, und diese wurde darauf fest. Alles um uns herum ist verdichtetes Gotteswort, ein gefrorener Logos. «Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott.» Es war noch in seinem Inneren, es war selbst ein Gott. Dann erfüllte es den Raum und erstarrte. Dieser Logos ist jetzt überall enthalten. Überall um uns her haben wir die Kristalle des Logos. Aber indem das Leben entsteht, steht der Logos aus dem Schlummerzustand gleichsam auf. Im Menschen wird er zum Lichte der Erkenntnis. Wenn wir erkennen, tritt uns Gott, der zuerst heruntergestiegen ist in die Welt, aus dieser Welt entgegen. Sich ganz hineinleben muß man, um so tief in die Welt hineinzudringen, daß man gewahr wird: Der Logos lebt in der Welt.Das, was ursprünglich geschah, war die Heranbildung des physischen Menschen. In diesen physischen Menschen kam der geistige Mensch hinein. Da schien das Licht in der Finsternis, aber die Finsternisse begriffen es zunächst nicht. Dann kommt bei seiner Fortentwickelung dem Menschen der Inhalt der astralen Wahrvision. Da wird ihm klar, was der Christus Jesus war, und was seine Lehre bedeutete: daß die Zeit damals reif war, einen umgekehrten Adam hervorzubringen. [11]

Astrale Erlebnisse sind die ersten Ereignisse im Johannes-Evangelium. Ist es da nicht natürlich, daß Johannes selbst nicht dabei ist, weil er alles im Bilderbewußtsein erlebt? In den ersten zwölf Kapitel kommt Johannes nicht vor. Da ist er noch nicht der Jünger, weil er dies alles auf dem Astralplan erlebt. Nun schläft er den Einweihungsschlaf. Jetzt soll er zu einem höheren Grade heraufbefördert werden. Das geschieht, indem er sich aus den Erlebnissen der drei Tage hinüberlebt in den vierten Tag. Dreieinhalb Tage dauerte die Einweihung. Da erscheint ihm die eigene Initiation, die Auferweckung seiner selbst. Das ist die Auferweckung des Lazarus. Lazarus ist der Schreiber des Johannes-Evangeliums. Martha und Maria sind die Bewußtseinszustände seiner Seele, die göttliche und die dem Erdenleben zugewandte Seele. Die Schilderung des Lazarus-Wunders ist die Schilderung einer höheren Einweihung. Im zwölften Kapitel wird vorbereitet die eigentliche Erkenntnis der Persönlichkeit des Jesus. Das sagt Johannes selbst: Nun erkenne ich ihn, der mich auferweckt hat.

Mit dem 13. Kapitel beginnt die höhere Entwickelung des Johannes. Jedes Wort des Johannes-Evangeliums wird uns verständlich, wenn wir es als ein Erlebnis des Johannes auffassen. Er wird jetzt bewußt in seinem Ich, ohne Bilderbewußtsein. Nun wird er bewußt der Jünger, den der Herr lieb hatte. Die Erlebnisse des Johannes vom Kapitel dreizehn an beziehen sich auf den Devachan. Johannes macht nun in der geistigen Welt die Erlebnisse mit dem Christus durch. [12]

Es kommt bei dieser religiösen Urkunde in der Tat darauf an, daß der wirkliche, echte Wortlaut absolut verstanden wird. Denn alles ist in dieser Urkunde, wie wir noch an verschiedenen Fällen sehen werden, von der denkbar tiefsten Bedeutung. Aber nicht nur der Wortlaut dieses oder jenes Satzes kommt in Betracht, sondern es kommt auch noch etwas anderes in Betracht. Das ist die Gliederung, die Komposition, die Zusammensetzung der Urkunde. Für solche Dinge hat eigentlich der heutige Mensch nicht mehr die richtige Empfindung. Viel mehr von architektonischem Aufbau, von innerer Gliederung haben die alten – wenn wir sie so nennen dürfen – Schriftsteller in ihre Werke hineingelegt, als man gewöhnlich glaubt. Sie brauchen sich nur an einen verhältnismäßig späten Dichter zu erinnern, um das bekräftigt zu finden: an Dante. Wie ist in der «Göttlichen Komödie» alles architektonisch aufgebaut in Gliedern, denen die Dreizahl zugrunde liegt. Und nicht umsonst schließt ein jeder Teil von Dantes Komödie mit den Worten «Sterne». Das nur, um anzuführen, wie architektonisch die alten Schriftsteller ihre Sache aufgebaut haben. Und insbesondere dürfen wir bei den großen religiösen Urkunden diesen architektonischen Aufbau niemals aus den Augen verlieren, denn er bedeutet unter Umständen sehr viel. Man muß diese Bedeutung allerdings erst herausfinden. Solche Kongruenzen und Harmonien, daß da oder dort mit einem Wort etwas besonderes gesagt wird, sind niemals ohne Bedeutung in den alten Schriften. [13]

Der Schreiber des Johannes-Evangeliums unterscheidet wohl, was vor der Auferweckung des Lazarus, und das, was nach der Auferweckung des Lazarus geschieht. Vor der Auferweckung des Lazarus wird ein alter Eingeweihter (Johannes der Täufer) angeführt, ein solcher, der gekommen ist zu der Erkenntnis des Geistes, und es wird betont, daß sein Zeugnis wahr ist. – Was aber über die tiefsten Dinge zu sagen ist, über das Mysterium von Palästina, darüber spreche ich selbst, ich, der Auferweckte. [14]

In den alten Mysterien war der Christus Jesus, das heißt der Christus, der in Zukunft erscheinen sollte in der Welt, nicht etwa eine unbekannte Wesenheit. Und alle Mysterien wiesen hin auf Einen, der da kommen sollte. Daher nennt man die alten Eingeweihten «Propheten», weil sie über ein Künftiges zu prophezeien hatten. Darum hatten gerade die Einweihungen den Zweck, klar erkennen zu lassen, daß sich in der Zukunft der Menschheit der Christus enthüllen werde. So ging aus dem, was er damals schon wissen konnte, für den Täufer die Wahrheit hervor, die ihn prophezeien lassen konnte, daß derjenige, von dem gesprochen worden ist in den Mysterien, vor ihm stehe in dem Christus Jesus. Johannes der Täufer ist einer, der – ebenso wie die anderen, die etwas in den Einweihungen gehört haben – den Hinweis erhalten hat auf den kommenden Christus, der aber als der Einzige hingestellt wird, dem gegenüber dem Christus Jesus das rechte Geheimnis aufgeht: daß der Erschienene eben der Christus ist.

Nun sahen die, welche mit Pharisäer oder mit anderen Namen bezeichnet werden, in dem Christus Jesus einen solchen, der eigentlich ihrem alten Einweihungsprinzip widerstrebte. Daher mußten sie, als der Christus Jesus den Lazarus (vor der Öffentlichkeit) einweihte, es als einen Bruch mit der alten Mysterien-Tradition (der Abgeschlossenheit) ansehen. «Der Mensch tut viele Zeichen!» Mit dem können wir keine Gemeinschaft haben! – Er hat nach ihrer Auffassung die Mysterien verraten, dasjenige zu einem Öffentlichen gemacht, was in den Tiefen der Mysterien-Geheimnisse eingeschlossen sein sollte. Und jetzt begreifen wir, daß dies ihnen wie ein Verrat war und als der Grund erschien, daß sie gegen ihn auftreten müßten. Daher beginnt damit der Umschlag, die Verfolgung des Christus Jesus. [15]

Das, was als Leben, als Licht und Logos in dem Christus Jesus erschienen ist, es hat schon immer in der Welt geleuchtet; nicht aber haben die es erkannt, die erst im Reifwerden begriffen waren. Immer war das Licht da. Denn wäre das Licht nicht dagewesen, so hätte überhaupt nicht die Anlage zu dem Ich entstehen können. Noch auf dem (alten) Monde war von dem heutigen Menschen nur vorhanden physischer Leib, Ätherleib und astralischer Leib; kein Ich war darinnen. Nur weil sich das Licht so umgewandelt hat, wie es auf der Erde scheint, hatte es die Kraft, die einzelnen Iche zu entzünden und langsam zum Heranreifen zu bringen: «Das Licht schien in die Finsternis; aber die Finsternis konnte es noch nicht begreifen». «In die einzelnen Menschen kam es», bis zu den Ich-Menschen kam es; denn die Ich-Menschen hätten gar nicht entstehen können, wenn es nicht in sie durch den Logos gegossen worden wäre. «Aber die Ich-Menschen nahmen es nicht auf.» Nur einzelne nahmen es auf, die Eingeweihten; die erhoben sich zu den geistigen Welten; die trugen immer den Namen «Kinder Gottes», weil sie eine Erkenntnis hatten von dem Logos, von dem Licht und Leben, und immer davon Zeugnis ablegen konnten. Einzelne waren es, die immer schon durch die alten Mysterien wußten von den geistigen Welten. Es lebte in ihnen dasjenige, was im Menschen ewig ist. Sie fühlten schon vor das große Wort: «Ich und der Vater sind Eins», nämlich Ich und der große Urgrund sind Eins! Und das Tiefste, was sie im Bewußtsein trugen, ihr eigenes Ich, das hatten sie nicht von Vater und Mutter, sondern sie hatten es durch die Initiation in die geistige Welt. Nicht aus dem Blute und nicht aus dem Fleische und nicht aus eines Vaters oder einer Mutter Willen, sondern aus «Gott», das heißt aus der geistigen Welt hatten sie es. – Da haben Sie die Erklärung der Worte, daß die große Anzahl der Menschen, trotzdem sie schon die Anlage zum Ich-Menschen hatten, das Licht nicht aufnahmen, daß es wohl herabkam bis zu dem Gruppen-Ich, daß aber die einzelnen es nicht aufnahmen. Diejenigen, die es aber aufnahmen das waren nur wenige –, die konnten sich durch es zu Gottes Kinder machen; die ihm aber vertrauten, sind es aus Gott geworden durch die Einweihung.

Damit aber alle Menschen mit Erdensinnen den daseienden Gott erkennen konnten, mußte er in einer Art auf der Erde erscheinen, daß man ihn mit leiblichen Augen sieht, das heißt er mußte eine fleischliche Gestalt annehmen, weil eine solche Gestalt nur mit den leiblichen Augen gesehen werden kann: «Das Wort oder der Logos war Fleisch geworden.» So knüpft der Schreiber des Johannes-Evangeliums die historische Erscheinung des Christus Jesus an die ganze Evolution an. «Wir haben seine Lehre gehört, die Lehre von dem eingeborenen Sohne des Vaters.» Was ist das für eine Lehre? Was sind denn die anderen Menschen für geborene? Man nannte in den alten Zeiten, in denen die Evangelien geschrieben wurden, «zweigeboren» diejenigen, die vom Fleische geboren sind. Was nicht aus dem Fleische geboren ist und nicht durch die Menschenwirkung und nicht durch die Vermischung des Blutes entstanden ist, das ist «aus Gott geboren»; das ist «eingeboren». [16]

Das Wort deutet darauf hin, daß der Mensch außer der physischen Geburt auch eine geistige Geburt durchmachen kann, nämlich die Vereinigung mit dem Geiste, durch die er eingeboren, ein Kind oder Sohn der Gottheit wird. [17] Die menschenbildende und menschenentwickelnde Kraft: das war für die Griechen der Gott, und auch bei allen Völkern der damaligen Zeit. Einen bloß «äußeren» Gott, (also) einen Gott im Jenseits, kannten solche Zeiten noch gar nicht. Deshalb bezeichnete man vor allen Dingen das, was im Menschen lebt, als den Gott im Menschen. Wenn man also von dem Gotte Abrahams, Isaaks und Jakobs spricht, dann ist das höhere Selbst (im weitesten Sinne) gemeint. [18]

Und eine solche Lehre – gehört werden konnte sie erst durch den, der das Fleisch gewordene Wort darstellte. Durch ihn wurde die Lehre allgemein, «die Lehre von dem eingeborenen Sohne des Vaters, erfüllt von Hingabe und Wahrheit». «Hingabe» müßte hier besser übersetzt werden, weil man es zu tun hat zwar mit einem Herausgeborenwerden aus der Gottheit, aber mit einem Zusammenbleiben und zu gleicher Zeit mit der Hinwegnahme aller Illusion. Diese letztere kommt nur aus dem Zweigeboren-sein und umschließt den Menschen mit Sinnestäuschungen, im Gegensatz zu dieser einen Lehre, die die Wahrheit bringt in dem Christus Jesus, wie er stand und wohnte unter den Menschen als der verkörperte Logos. Johannes (der Täufer) aber nannte sich der Vorläufer, Vorgänger, der, der vorangeht zur Verkündigung des Ich. Er sagte deutlich: Der, der da kommen wird, ist das «Ich bin», das ewig ist, das wirklich von sich sagen kann: Bevor Abraham war, war «Ich bin». Johannes konnte sagen: Das Ich, von dem hier die Rede ist, es ist vor mir gewesen; es ist zu gleicher Zeit, trotzdem ich sein Vorgänger bin, mein Vorgänger; ich lege Zeugnis ab von dem, was vorher in jedem Menschen war; «nach mir wird der kommen, der vor mir gewesen ist.»

Und nun werden bedeutsame Worte gesagt: «Denn aus dessen Fülle haben wir alle entnommen Gnade über Gnade.» Viele Menschen gibt es, die sich Christen nennen und die über das Wort «Fülle» hinweglesen, die sich bei diesem Wort nichts besonders Genaues denken. «Pleroma» heißt nach dem Griechischen «die Fülle». Das steht auch im Johannes-Evangelium: «Denn aus dem Pleroma haben wir alle entnommen Gnade über Gnade!» Nur der kann das Wort verstehen, der da weiß, daß man in den alten Mysterien von dem Pleroma oder der Fülle als von etwas ganz Bestimmtem gesprochen hat. Denn man hat damals schon die Lehre vertreten, daß, als sich zuerst offenbarten diejenigen Wesenheiten, die bis zur Göttlichkeit aufgestiegen waren während des alten Mondes, die Elohim, einer sich von ihnen trennte: Einer blieb auf dem Mond und strahlte von dort zurück die Kraft der Liebe, bis die Menschen genügend reif waren für das Licht der übrigen sechs Elohim. So unterschied man Jahve den Einzelgott, den Rückstrahler und die aus sechs bestehende Fülle der Gottheit, «Pleroma». Da aber mit dem Gesamtbewußtsein des Sonnenlogos der Christus gemeint ist, mußte man, wenn man auf ihn hindeutete, sprechen von der Fülle der Götter. [19] Der Christus ist der Impulsbringer der Freiheit vom Gesetz, so daß das Gute nicht wegen des Gesetzes, sondern als Impuls der im Innern lebenden Liebe getan wird. Dieser Impuls wird aber noch den ganzen Rest der Erdenzeit zu seiner Entwickelung brauchen. Der Anfang dazu ist durch den Christus Jesus gemacht worden, und immer wird die Christusgestalt die Kraft sein, welche die Menschen dazu erziehen wird. Solange die Menschen nicht reif waren, ein selbständiges Ich zu empfangen, solange sie als Glieder einer Gruppe existierten, mußten sie durch ein äußerlich geoffenbartes Gesetz sozial geregelt werden. In wie vielen Dingen ist der Mensch heute durchaus nicht individueller Mensch, sondern ein Gruppenwesen! Der Mensch, der heute schon ein freies Wesen wäre – man nennt ihn den «Heimatlosen» auf einer gewissen Stufe der esoterischen Schülerschaft –, der ist doch noch ein Ideal! Wer sich freiwillig hineinstellt in das Weltenwirken, der ist individuell, der wird nicht durch das Gesetz geregelt. Im Christus-Prinzip liegt die Überwindung des Gesetzes: «Denn das Gesetz ist durch Moses gegeben; die Gnade aber durch den Christus.» Als Gnade bezeichnete man im christlichen Sinne die Fähigkeit der Seele, aus dem Inneren heraus das Gute zu tun. Die Gnade und die im Inneren erkannte Wahrheit ist durch Christus entstanden. [20]

In Jesaias (6,1) lesen wir: «Des Jahres, da der König Usia starb, sahe ich den Herrn sitzen auf einem hohen und erhabenen Stuhl, und sein Saum füllete den Tempel.» Wen sah Jesaias? Das wird uns hier im Johannes-Evangelium (12,37ff) klar gesagt: Christus sah er! Im Geistigen war er immer zu sehen, und Sie werden es nicht mehr unbegreiflich finden, wenn die Geisteswissenschaft darauf hinweist, daß derjenige, den Moses sah, als er ihm das Wort des «Ich bin» als seinen Namen ankündigte, dieselbe Wesenheit war, die dann als Christus auf der Erde erschien. Der eigentliche «Geist Gottes» des Altertums ist kein anderer als der Christus. [21] Man bezeichnet in der okkulten Sprache dasjenige, worin zunächst dieses Ich wohnt, den physischen Körper, den es sich aufgebaut hat, um darin zu wohnen, als den Tempel. So daß man sagt: Die Seele wohnt in dem Tempel. [22]

Mit den Worten «Vater», «Sohn» und «Heiliger Geist» sind die sonderbarsten Verwechslungen vorgekommen. Es ist ja immer so gewesen, daß äußerlich im Exoterischen diese Worte in der mannigfaltigsten Weise gerade deshalb gebraucht worden sind, um den eigentlichen esoterischen Sinn nicht gleich hervorleuchten zu lassen. Hat man im Sinne des alten Judentums von dem «Vater» gesprochen, so sprach man zunächst von jenem Vater, der durch das Blut der Generationen hinunterrann, materiell. Sprach man so, wie hier Jesaias von dem Herrn gesprochen hat, von dem, der sich geistig offenbarte, so sprach man ebenso von dem Logos wie im Johannes-Evangelium. [23]

Nach der christlichen Terminologie entsprechen sich die Bezeichnungen: Vater = Atma; Sohn-Wort = Buddhi; Geist, Heiliger Geist = Manas. Aus welchem Grunde wird Buddhi das «Wort» genannt? Wir haben gesehen, daß der Mensch (durch esoterische Entwickelung) seinen Lebensleib durchgeistigt mit der Buddhi. Was bewirkt der Lebensleib im Menschen? Wachstum und Fortpflanzung, als höchste Äußerung, das Wachstum über sich selbst hinaus. Was wird nun daraus, wenn der Mensch den Weg zurück zur Vergeistigung bewußt zurücklegt? Worin verwandelt sich diese Fortpflanzungskraft, was wird aus ihr, wenn sie geläutert, durchgeistigt ist? – Im menschlichen Kehlkopf haben Sie die Läuterung, die Umwandlung der Fortpflanzungskraft, und in dem artikulierten Vokallaut, im menschlichen Wort das umgewandelte Fortpflanzungsvermögen. Der Mensch erreicht im Worte eine vergeistigte Schöpferkraft. Heute beherrscht der Mensch die Luft mit dem Wort, indem er sie rhythmisch-organisch gestaltet, erregt, belebt. Auf höherer Stufe vermag er das in dem flüssigen und zuletzt in dem festen Element. Dann haben Sie das Wort umgestaltet zum Schöpferworte. Der Mensch wird in seiner Entwickelung das erreichen, denn es war ursprünglich so da. Der Lebensleib (siehe: Ätherleib) hervorgeströmt aus dem Worte des Urgeistes, – das ist wörtlich zu nehmen. Die Buddhi wird das Wort genannt, weil sie nichts anderes heißt als: Ich bin. [24] Wir müssen in der Welt, in der wir leben, ein Dreifaches unterscheiden: unser bewußtes Geistesleben, das heißt, das was eintritt in das Bewußtsein; dann das, was unter der Schwelle des Bewußtseins als unser unterbewußtes Seelenleben liegt, und dasjenige, was als unerkanntes Naturleben und zu gleicher Zeit unerkanntes Menschenleben selber als ein Stück der großen unerkannten Natur in uns lebt. Diese Dreiheit ergibt sich unmittelbar aus einer sinnvollen Beobachtung der Welt. Und wenn man absieht von allen philosophischen oder theosophischen Überlieferungen, insofern sich diese in Begriffsdefinitionen kleiden oder in Schemen ausgedrückt werden, wenn man sagt: Wie drückte es der Menschengeist immer aus, daß die eben charakterisierte Dreiheit nicht bloß in seiner Umgebung, sondern in aller Welt vorhanden ist, zu der er selbst gehört, dann muß man sagen: der Mensch drückte es aus, indem er das, was sich auf dem Horizont des Bewußten zu erkennen gibt, den Geist nannte; das aber, was im unterbewußten Seelenleben wirkt und nur seine Wellen heraufwirft aus diesem unterbewußten Seelenleben, als den Sohn oder den Logos bezeichnete. Und das, was sowohl der Natur, insofern sie zunächst unerkannt ist, und dem Stück unseres Eigenwesens, das mit der Natur gleichartig ist, angehört, das bezeichnete der Menschengeist immer, weil er fühlte, daß damit das Dritte gegenüber den zwei anderen gegeben ist, als das Vater-Prinzip. Neben dem, was jetzt gesagt ist mit dem Geist-, Sohn- und Vaterprinzip, gelten auch selbstverständlich die anderen Unterscheidungen, die wir von jeher gemacht haben, und ebenso haben die Unterscheidungen, die in dieser oder jener Weltanschauung gemacht worden sind, ihre Berechtigung. Aber man könnte sagen, der populärste Begriff dieser Unterscheidung ergibt sich, wenn wir das vor uns hinstellen, was jetzt charakterisiert worden ist. [25] Diejenige hohe Kraft, welche aus dem Weltenchaos heraus während der Saturnentwickelung den geistigen Keim zur physischen Menschengestalt liefert, nennt der Schreiber des Johannes-Evangeliums den Logos. Was auf der Sonne hinzukam und sich dem eingliederte, was auf dem Saturn entstanden war, nennt er das «Leben», – was wir in der entsprechenden Weise den Ätherleib nennen. Was auf dem Monde hinzukam, nennt er das «Licht», denn es ist das geistige Licht, das astralische Licht (siehe: Astrallicht). Dieses astralische Licht bewirkt auf dem abgespaltenen Monde eine Verhärtung, auf der Sonne selber eine Vergeistigung. Was als ein Vergeistigtes entstanden war, das konnte sich weiterentwickeln. Und als die Sonne sich auf der Erde neuerdings abspaltete, da schien das, was sich auf der dritten Stufe entwickelt hatte, in den Menschen hinein. Aber der Mensch war da noch nicht fähig, das zu schauen, was da von der Sonne hineinschien. Es gestaltete am Menschen, wirkte als Kraft, schauen aber konnte der Mensch es nicht. So lesen wir, wenn wir das Johannes-Evangelium beleuchten aus der Akasha-Chronik heraus, in folgender Weise über die Weltenentwickelung: Im Urbeginne während der Saturnentwickelung war alles entstanden aus dem Logos. Während der Sonnenentwickelung war in dem Logos das Leben. Und aus dem belebten Logos entstand während der Mondentwickelung das Licht. Und aus dem leuchtend-belebten Logos entstand während der Erdentwickelung auf der Sonne das Licht in einer erhöhten Gestalt, die Menschen aber in einem Zustande der Finsternis. [26] Die Menschen waren aber die Finsternis und konnten das Licht, das da herunterschien nicht begreifen. – Nur dürfen wir uns darunter nicht das physische Licht vorstellen, sondern das Licht, das die Summe der Ausstrahlungen der geistigen Wesenheiten war, der Stier-, Löwen-, Adler- und Menschengeister, welche die Fortsetzung der geistigen Entwickelung des (alten) Mondes waren. – Was herunterströmte, war das geistige Licht. Die Menschen konnten es (bewußt) nicht aufnehmen, verstanden es nicht. Sie wurden in ihrer ganzen Entwickelung dadurch gefördert, aber ohne daß sie ein Bewußtsein dafür hatten: «Das Licht schien in die Finsternis, aber die Finsternis konnte das Licht nicht begreifen.» [27] Wir sehen eine Verödung der Erde bis zum Mondaustritt, dann ein Wiederaufblühen der Erdenverhältnisse nach dem Mondaustritt, und von da ab wieder ein Herabsteigen derjenigen Wesenheiten, die von der Erde fortgegangen waren, weil ihnen die Erde zu schlecht wurde. Diejenige Wesenheit aber, welche die höchste war unter den Sonnenwesenheiten, wartete noch immer. Von auswärts her schickte sie ihre Kräfte zu den heiligen Rishis hinunter, diese schauten hinauf zu demjenigen, den sie Vishvakarman nannten und von dem sie sagten: Vishvakarman ist außer unserer Sphäre. – Er wartete, denn er sagte sich: Noch nicht ist das menschliche Innere so weit vorbereitet, daß ich darin Platz haben kann. – Dann kam die persische Kultur. Da sah Zarathustra zur Sonne hinauf und sah Ahura Mazdao in der Sonne. Aber immer noch stieg diese hohe Wesenheit nicht in die irdische Sphäre hinunter. Dann kam die ägyptische Kultur und die Kultur desjenigen Volkes, das am längsten gewartet hatte. Und es kam derjenige Mensch, der am längsten wartete, der sein Inneres durch viele Inkarnationen bereits entwickelt hatte. Da schaute das Sonnenwesen herunter, sah das Innere dieses Menschen, der in dem Jesus von Nazareth wohnte und der sein Inneres bereit gemacht hatte. Der Christus war seit der Johannestaufe in dem Leibe des Jesus von Nazareth, weil die den Jesus von Nazareth durchwirkende Individualität durch wiederholte Inkarnationen die Reife erlangt hatte, in dem so durchgeistigten Leibe diesen hohen Geist aufzunehmen. Da tönt es aus dem Jesus von Nazareth, als der Christus in ihm ist, mit Recht: «Ich bin das Licht der Welt!» [28]

Wenn wir das Wort Bewußtseinsseele auf den Christus anwenden, so können wir sagen: sie wird uns ahnend zum Verständnis gebracht im Johannes-Evangelium; (die) Gemütsseele des Christus: sie wird uns zum Verständnis gebracht durch das Lukas-Evangelium; Empfindungsseele mit all ihren Kräften des Wollens: durch das Markus-Evangelium. Im Johannes-Evangelium haben wir uns in die Gedanken, im Lukas-Evangelium in die Gefühle dieser Wesenheit vertieft. [29]

Bei Johannes ist die Wahrheit – αληθεια aletheia = Manas, Hingabe – χαριξ charis = Buddhi und die Weisheit – σοφια sophia = Atma. [30]

Der Blick des Johannes ging über die physische Wirklichkeit hinaus. Das, was der Herr getan hat, seine Mission, erschien dem Jünger Johannes in dem Bilde der Hochzeit zu Kana in Galiläa. Solcherart sind die 12 ersten Kapitel des Johannes-Evangeliums aufzufassen. Es steht nicht da, daß Maria ihn aufforderte (das Wasser in Wein zu verwandeln), sondern die Mutter Jesu. Wir haben es hier mit einer mystischen Ausdrucksweise zu tun. Unter Mutter versteht man in aller Mystik das, was befruchtet werden muß, wenn der Mensch hinaufsteigt zu einer höheren Stufe. Jesus (Christus) hatte das ganze bisherige Menschheitsbewußtsein auf eine höhere Stufe zu bringen. Das ganze Menschheitsbewußtsein fordert ihn auf, es eine Stufe weiterzubringen.

Am dritten Tage war eine Hochzeit. Das bedeutet, daß Johannes drei Tage lang im Einweihungsschlaf lag. Da geschah die Vision der Hochzeit zu Kana in Galiläa. Während des dreitägigen Schlafes machte er das durch, was in der geistigen Welt vor sich ging. Am dritten Tage erlebte er die Vision der Hochzeit zu Kana. Alles Folgende sind Ereignisse, die er in der astralen Vision schaut. Im dritten Kapitel folgt das Gespräch mit Nikodemus. In der astralen Vision erscheint dem Johannes immer der Herr selbst. Was mit Johannes geschehen soll, das tritt ihm in dem Gespräch mit Nikodemus entgegen. Deutlich spricht sich der Herr aus. Nikodemus versteht ihn zunächst nicht. Es soll dem Johannes selbst klarwerden, es wird ihm in der Vision erklärt, daß es sich um eine Abtötung des niederen Menschen und um ein Aufleben des höheren Menschen handelt. Ihm wird allmählich klar, wer eigentlich der Jesus ist; daß in dem Jesus sich die ursprünglichen Kräfte der Welt ausleben, der Vater der Welt. Daher folgen hier die Reden des Christus über den Vater. Die Gewalt der okkulten Kräfte, die Jesus hat, tritt dem Johannes als astrales Spiegelbild der wirklichen Ereignisse entgegen. Alles ist wirklich geschehen, aber Johannes erlebt es in der astralen Vision. So lernt Johannes durch den Herrn selbst die tiefsten Wahrheiten kennen. Im vierten Kapitel folgt die Begegnung mit der Samariterin. Der Herr sagt ihr: «Fünf Männer hast du gehabt, und den du nun hast, der ist nicht dein Mann.» Sie soll hinaufgehoben werden zu dem höheren Selbst. Dazu mußte sie durch die niederen Leiber hindurchgehen. Das sind die alten Gatten. Jetzt muß sie mit dem höheren Selbst verbunden werden, das ist der neue Gatte. Astrale Erlebnisse sind die ersten Ereignisse im Johannes-Evangelium. Ist es da nicht natürlich, daß Johannes nicht dabei ist, weil er alles im Bilderbewußtsein erlebt? In den ersten 12 Kapitel kommt Johannes nicht vor. Da ist er noch nicht der Jünger. Nun schläft er den Einweihungsschlaf. Jetzt soll er zu einem höheren Grade heraufbefördert werden. Das geschieht, indem er sich aus den Erlebnissen der drei Tage hinüberlebt in den vierten Tag. Dreieinhalb Tage dauerte die Einweihung. Da erscheint ihm die eigene Initiation, die Auferweckung seiner selbst, die Auferweckung des Lazarus. Lazarus ist der Schreiber des Johannes-Evangeliums. [31]

Was nun folgt ist die Hochzeit zu Kana in Galiläa, was man auch nennt «das Erste der Wunder», besser würde man sagen «das erste der Zeichen», die der Christus Jesus tut. Wir werden verstehen, warum es eine Hochzeit in Galiläa ist, wenn wir uns die ganze Mission des Christus vor die Seele rufen. Seine Mission besteht darin, dem Menschen die volle Kraft des Ich, die innere Selbständigkeit in der Seele zu bringen. Das einzelne Ich sollte sich in völliger Selbständigkeit und Abgeschlossenheit, in völligem Stehen-in-sich-selber fühlen, und durch die Liebe, die als eine freie Gabe gegeben wird, soll Mensch mit Mensch zusammengeführt werden. Eine Liebe also soll durch das Christusprinzip in die Erdenmission hineinkommen, die immer mehr und mehr über das Materielle erhaben ist und immer mehr und mehr in Geistiges aufsteigt. Der Christus war gekommen, um auf der einen Seite die Liebe loszureissen von den Banden, in die sie durch die Blutsverwandtschaft hineinverschlungen wird, und auf der anderen Seite die Kraft, den Impuls zu der geistigen Liebe zu geben. Ganz im Anfange der Menschheitsentwickelung auf der Erde wurde überhaupt nur geheiratet in ganz engen Kreisen, in ganz blutsverwandten Familien. Immer mehr erweiterten sich die engen Blutskreise. [32]

Das Volk des Alten Testamentes hielt ganz fest daran, daß die Volksbluts-verwandtschaft aufrechterhalten wurde. Der ist ein Jude, der dem Blute nach ein Jude ist. An dieses Prinzip wendet sich der Christus Jesus nicht; er wendet sich an diejenigen, die dieses Prinzip der bloßen Blutsverwandtschaft durchbrechen, und zeigt das Wichtige, was er zu zeigen hat, daher nicht zuerst innerhalb Judäas, sondern draußen in Galiläa. Dies war das Gebiet, wo Völker aus allen möglichen Stämmen und Völkern gemischt waren. Der «Galiläer» bedeutet der «Mischling». Zu den Galiläern geht der Christus Jesus, zu denen, die am meisten gemischt sind. Und aus dem, was solcher durch Mischung bewirkten Fortpflanzung der Menschheit zugrunde liegt, soll das hervorgehen, was eben nicht mehr an die materielle Grundlage der Liebe gebunden ist. Daher wird das, was er zu sagen hat, auf einer Hochzeit gesagt, und zwar bei einer Hochzeit in Galiläa. [33]

Wir können die Prozesse verfolgen, durch welche der physische Leib vorbereitet wurde, ein Träger des selbstbewußten, des «Ich bin»begabten Menschen zu werden. Sogar in der Bibel wird uns das angedeutet: daß derjenige, der Stammvater wird in einer gewissen Beziehung in der nachatlantischen Zeit, daß Noah der erste Weintrinker ist, als erster die Wirkung des Alkohols erlebt. Der Alkohol hat nämlich die Wirkung, daß er den Menschen abschneidet von dem Zusammenhang mit der geistigen Welt, in der der Mensch früher war. Diese Wirkung hat der Alkohol noch heute. Der Alkohol ist nicht umsonst in der Menschheit gewesen. Man wird in einer zukünftigen Menschheit im vollsten Sinne des Wortes sagen können, daß der Alkohol die Aufgabe hatte, den Menschen so weit in die Materie herunterzuziehen, damit der Mensch egoistisch wurde, und daß der Alkohol ihn dahin brachte, das Ich für sich zu beanspruchen und es nicht mehr in den Dienst des ganzen Volkes zu stellen. Also den entgegengesetzten Dienst, den die Gruppenseele der Menschheit geleistet hat, hat der Alkohol geleistet. Er hat den Menschen die Fähigkeit genommen, in höheren Welten sich mit einem Ganzen eins zu fühlen. Daher der Dionysoskult, der das Zusammenleben in einer Art äußeren Rausches pflegt. Ein Aufgehen in einem Ganzen, ohne zu schauen dieses Ganze. Die Entwickelung in der nachatlantischen Zeit ist deshalb mit dem Dionysoskult verbunden worden, weil dieser Kult ein Symbolum war für die Funktion und Mission des Alkohols. [34]

In demselben Maße, als sich die Erde (während ihrer Entwickelung) verfestigte, vermaterialisierte sich auch der Mensch. Daher fühlte man das Sichverfestigen des Menschen so, daß man sagte: Aus der Erde, die noch Wasser war, wird der Mensch herausgeboren, aber da ist er noch ganz mit der Gottheit verbunden. Alles, was ihn in die Materie hineingebracht hat, hat ihn verunreinigt. Diejenigen, die sich dieses alten Zusammenhanges mit dem Göttlichen erinnern sollten, wurden mit der Wassertaufe getauft. – So taufte auch der Täufer (Johannes), um auf diese Weise den Menschen den Zusammenhang mit der Gottheit nahezubringen. Und so war alle Taufe in den alten Zeiten gemeint. Der Christus sollte mit etwas anderem taufen. Er sollte die Menschen nicht auf die Vergangenheit weisen, sondern durch die Entwickelung der Geistigkeit in ihrem Innern auf die Zukunft. Die Wassertaufe, war eine Erinnerungstaufe. Die Taufe aber mit dem «heiligen Geist» ist eine prophetische Taufe, die hinweist in die Zukunft. Jener Zusammenhang, der ganz verlorengegangen ist auch in dem, was ausgedrückt wurde im Symbolum des Opferweines. Dionysos ist der zerstückelte Gott, der in die einzelnen Seelen eingezogen ist, so daß die einzelnen Teile nichts mehr voneinander wußten. [35]

Durch eine Art Dionysosopfer mußte Christus vorbereiten das, was kommen sollte. Halten wir fest, was der Christus (mit diesem Zeichen) eigentlich sagen will: Ich will auch diejenigen Menschen zu einem geistigen Zusammenhange führen, die herabgestiegen sind bis zu der Stufe von Materialität, welche durch das Weintrinken symbolisiert wird. Und er will nicht nur für solche da sein, die durch das Symbol der Wassertaufe sich erheben können. Es ist sehr bedeutsam, daß wir geradezu darauf hingewiesen werden, daß hier sechs Reinigungskrüge stehen. «Reinigung» ist das, was durch die Taufe bewirkt wird. Man sagte taufen, und das was bewirkt wurde durch die Taufe, nannte man die Reinigung. Die Mutter ist es daher, die ihn auffordert und sagt: «Sie haben nicht Wein.» Er aber sagt: Das, was ich jetzt zu vollbringen habe, hängt noch mit den alten Zeiten zusammen, mit «mir und dir» (der Blutsverwandtschaft); denn meine eigentliche Zeit ist noch nicht gekommen. [36]

Im Johannes-Evangelium wird nicht bloß gegen ein kleines Volk wie die Juden, oder ein großes wie die Römer, oder die ganze Menschheit, so wie sie mit ihren Eigenschaften seit der Erbsünde lebt, gesprochen, sondern im Johannes-Evangelium wird auch gesprochen gegen die hinter der physischen Welt lebenden Geister, insofern diese abgefallen sind vom richtigen Wege. Und das Johannes-Evangelium versteht man nur richtig , wenn man weiß: So wie im Matthäus-Evangelium mit den Juden, im Markus-Evangelium mit den Römern, im Lukas-Evangelium mit den unter dem Sündenfall stehenden Menschen, so wird mit den Geistern der Menschen und noch mit den der Menschheit angrenzenden Geistern, die mit der Menschheit zusammen gefallen sind, im Johannes-Evangelium gesprochen. Auch mit der Geisteswelt selbst rechnet der Christus Jesus ab. [37]

Johannes schildert das, was zwar von der Erde genommen ist, was sich aber von dem Menschen in der Erdenordnung verwirklicht werden soll: der Sinn der Erdenordnung, der im Sonnenwort liegt. Er hat daher sein Hauptaugenmerk auf das gerichtet, was sich auf Golgatha vom Kreuz herab vollzieht als das Ordnende. Er beschreibt uns, wie in diesem Moment der Christus eine höhere Bruderschaft anordnet als die ist, die sich auf die Blutsverwandtschaft gründet. Die früheren Bruderschaften bestanden durch das Blut. Dem Schüler, den er lieb hatte, gibt er nicht die Blut-Mutter, sondern er gibt ihm im Geiste die eigene Mutter. So alte Bande erneuernd, was der Menschheit ursprünglich verloren gegangen war, klingt es herunter vom Kreuz im neuen Sinne: «Das ist dein Sohn!» und «Das ist deine Mutter!» Was so als ordnender Sinn neue Gemeinschaften stiftete, das ist das, was als der Sinn des Lebensäthers, der das Leben ordnet, durch die Christus-Tat in die Erde einströmt. [38]

Zitate:

[1]  GA 114, Seite 25   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[2]  GA 94, Seite 235   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[3]  GA 123, Seite 237f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[4]  GA 224, Seite 46   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[5]  GA 282, Seite 64   (Ausgabe 1926, 414 Seiten)
[6]  GA 175, Seite 244   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[7]  GA 112, Seite 61   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[8]  GA 112, Seite 65f   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[9]  GA 124, Seite 162   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[10]  GA 124, Seite 164   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[11]  GA 97, Seite 37ff   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[12]  GA 97, Seite 42ff   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[13]  GA 103, Seite 68f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[14]  GA 103, Seite 73   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[15]  GA 103, Seite 74f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[16]  GA 103, Seite 82f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[17]  GA 103, Seite 84   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[18]  GA 94, Seite 214   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[19]  GA 103, Seite 84f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[20]  GA 103, Seite 86   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[21]  GA 103, Seite 164   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[22]  GA 94, Seite 197   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[23]  GA 103, Seite 165   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[24]  GA 94, Seite 244   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[25]  GA 131, Seite 43f   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[26]  GA 112, Seite 64f   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[27]  GA 112, Seite 66   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[28]  GA 112, Seite 83ff   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[29]  GA 117, Seite 32   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[30]  GA 100, Seite 200   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[31]  GA 97, Seite 41f   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[32]  GA 103, Seite 94f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[33]  GA 103, Seite 96   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[34]  GA 103, Seite 98   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[35]  GA 103, Seite 100f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[36]  GA 103, Seite 102f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[37]  GA 175, Seite 214f   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[38]  GA 123, Seite 248f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)

Quellen:

GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)
GA 103:  Das Johannes-Evangelium (1908)
GA 112:  Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evangelium (1909)
GA 114:  Das Lukas-Evangelium (1909)
GA 117:  Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien (1909)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 131:  Von Jesus zu Christus (1911)
GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)
GA 224:  Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten.. Die Verinnerlichung der Jahresfeste (1923)
GA 282:  Sprachgestaltung und Dramatische Kunst. Dramatischer Kurs (1924)