Ahura Mazdao

Dasjenige, was man in der Sprache der heiligen Rishis als Vishvakarman bezeichnet, in der Sprache des Zarathustra als Ahura Mazdao, in der ägyptischen Kultur als Osiris, und was man bezeichnet in der Sprache des 4. Kulturzeitraumes als Christus, das hat hereingeleuchtet durch das Tor des Sonnengeistes der Weisheit, Kyriotetes. Der Einlaß für die Geister der höheren Hierarchien war der Geist der Weisheit. [1]

Zarathustra hat seine Schüler folgendes gelehrt: Wenn ihr hinaufschaut zur Sonne, so nehmt ihr die wohltätige Wärme wahr und das wohltätige Licht, das der Erde zustrahlt; wenn ihr aber höhere Organe entwickelt, wenn ihr geistiges Wahrnehmen entwickelt, so könnt ihr das Sonnenwesen wahrnehmen, das hinter dem physischen Sonnenleben ist; und dann nehmt ihr wahr Klangeswirkungen und in den Klangeswirkungen Lebenssinn. Was so als Geistiges hinter den physischen Sonnenwirkungen als Nächstes wahrzunehmen war, das bezeichnete Zarathustra für seine Schüler als Ormuzd, als Ahura Mazdao, als die große Aura der Sonne. [2] Das astrale Anschauen des Hellsehers sieht die Erde entstehen, der Mond trennt sich ab (siehe: Erdentwickelung), die Erde ist umgeben von dem sogenannten Feuernebel, von der gemeinschaftlichen Wärme, in die wunderbar hereinstrahlt, sie innerlich durchleuchtend, die Weltenweisheit, die von der Sonne kommt. Diese macht die sonnendurchstrahlte Erde zur Erdenaura. Und der alte persische astrale Hellseher nannte das «Ahura Mazda», die große Aura, Ahura Mazdao, die große Weisheitsaura, aus der die einzelnen Auren der Menschen hervorgegangen sind. [3] Wenn die Erde sich zum Vulkanzustande entwickelt haben wird, dann werden die Menschen auf der Stufe sein, auf welcher die jetzigen Sonnenbewohner in ihrem Entwickelungsgang heute sind. So finden wir auch, wo die Amshaspands heute wohnen. Ihre eigentliche Heimat haben sie in der Sonne, und von dort aus senden sie uns durch das Sonnenlicht ihre Taten zu. Dadurch konnte gerade das im Menschen entstehen, daß die Amshaspands ihre 12 Ströme in das menschliche Haupt hinein schickten und bewirkten dadurch, daß der Mensch das Denken entwickeln konnte, daß er seine Geistigkeit entwickelte. Auf dem (alten) Monde hatten erst die Izardsan dem Menschen gearbeitet und die 28 Rückenmarksnerven ausgebildet. Dann kam dazu die Begabung des Menschen mit den 12 Kopfnerven, die von den Amshaspands, den Heerscharen des Ahura Mazdao herrührten. Zurückgebliebenen Geistern war es nicht beschieden in den Sonnenstrahlen zu wirken, von außen herein zu wirken. Sie mußten vielmehr in ihrer Weiterentwickelung das, was sie noch nicht auf dem Mond durchgemacht hatten, in einem niedrigeren Dasein suchen, das mit der Erde selbst, mit dem Erdenschauplatz verbunden war. Der neue Zustand, zeigte sich darin, daß die Wärmeatmosphäre, die Wärmeumgebung nun hineinging in das Blut. Es entstand das warme Blut. In diesem Zustand suchten die zurückgebliebenen Geisterscharen in ihrer Entwickelung das nachzuholen, was sie vorher nicht haben erreichen können. Sie suchten die Taten, die sie nicht in die Sonnenstrahlen hineinlegen konnten, nun in die Wärme, die zum Innenleben sich umformte, hineinzutragen. Stellen wir uns das einmal plastisch vor – wir sehen, daß in des Menschen Haupt und Rückgrat einströmen die Taten der Amshaspands und der Izards, die von Ahura Mazdao ausgehen, während sich das Innere des Menschen füllt mit dem warmen Blute. Der Menschenleib saugt gleichsam das warme Blut ein, es wird von allen Seiten von außen in das Innere des Leibes hineingeleitet. Und es begleitete, wenn wir die okkulte Anatomie des Menschen untersuchen, einen jeden solchen Strom, der von den Gegenden des Ahura Mazdao, des Ormuzd, hergesandt wurde, ein anderer Strom, der mit der von außen einströmenden Wärme den Nervenstrom begleitete; den Nervenstrom begleitete die Blutbewegung. Mit diesem einströmenden warmen Blut gingen in den Menschen die Kräfte derjenigen Geister hinein, die zurückgeblieben waren – die Scharen des Ahriman, die jetzt mit der Wärme ebenso ihre Kräfte in den Menschen hineinsandten, wie die Amshaspands ihre Lichtkraft. Das also, was der Hellseher auf dem astralischen Plan einströmen sehen kann in den physischen Leib, finden wir tief und geistvoll wiedergegeben in der persischen Mythe. Wir sehen das Zusammenwirken des großen Lichtes Ahura Mazdao mit der einströmenden Wärme, die das Blut zu der Kraft im Menschen macht, die es ist – der Ausdruck des Ich. Und so sehen wir, wie alles dasjenige, was aus der großen Weisheit, aus Ahura Mazdao herausströmt dadurch, daß ihm entgegenstehen im Blute die Strömungen des Ahriman –, von dem Egoismus begleitet wird. [4] Solange sie auf dem Monde waren, waren die Geister des Ahura Mazdao und die Geister des Ahriman auf derselben Stufe, von gleicher Art, sie waren Ich-artiger Natur. Dieses Ich, das ursprüngliche Ich, Zervan akaranan, ist das göttliche Ich, das noch nicht eingezogen ist in den Leib, das noch im Schoße der Gottheit ruht. Da, wo dieses Ich sich soweit entwickelt hatte, daß es ein Sonnendasein hat erhalten können, da bildete es einen solchen astralischen Leib, der unter der Herrschaft des Ormuzd steht. Aber diesem ist eine niedrigere Kraft eingegliedert, die Kraft der zurückgebliebenen Scharen des Ahriman. So haben Sie jetzt entstehen sehen dieses vierte Glied der menschlichen Natur, das Ich, und das dritte Glied des Menschen, den Astralleib, der durchgeistigt ist von zwei Wesenheiten. In ihm sind eingegliedert die guten Kräfte des Ormuzd und die Kräfte der egoistischen Natur, des Ahriman. Das Ich ist hineingestellt in den Kampf, der im eigenen Astralleib wütet, zwischen den guten Kräften und den bösen Kräften; es ist die ursprüngliche Wesenheit Zervan akaranan, die sich spaltet in die guten, die wahren Kräfte des Astralleibes, und in die entgegengesetzten, die die Kräfte Ahrimans sind. So verstehen wir, wie tatsächlich eine solche Mythe nichts anderes ist als die Wiedererzählung dessen, was die alten atavistischen Hellseher gesehen haben. [5]

Wir leben eigentlich heute in einem Bewußtsein, das eine Art von Fortsetzung des alten urpersischen Welten Bewußtseins ist, das ja lebte in Ahriman und Ormuzd. Es sieht in Ahriman den bösen Gott, der widerstrebt dem Ormuzd, und in dem Ormuzd den guten Gott, der die Werke des Ahriman zunichte macht. Man weiß nicht, daß der Urperser das Bewußtsein hatte, daß man weder dem Ahriman noch dem Ormuzd [allein] folgen darf, sondern ihrem Zusammenwirken. Und ihr Zusammenwirken äußert sich in einer solchen Gestalt, wie es der Mithras war. Ormuzd ist eine luziferartige Gestalt, die uns welt-los macht, wenn wir uns ihr hingeben, die uns der Schwere entreißen und uns im Lichte verbrennen lassen möchte. Der Mensch muß den Weg finden zwischen dem Lichte und der Schwere, zwischen Luzifer und Ahriman, und deshalb müssen wir die Möglichkeit haben, nicht in irgendeinem Dualismus zu denken, sondern in der Trinität zu denken. Wir müssen die Möglichkeit haben zu sagen: Die persische Dualität Ormuzd und Ahriman ist heute Luzifer und Ahriman, und der Christus steht in der Mitte drinnen, der Christus ist derjenige, der das Gleichgewicht bewirkt. – Nun hat alle religiöse Entwickelung bisher, insbesondere die theologische, eine sehr verderbliche Gleichung aufgestellt, sie hat die Christus-Figur so nahe als möglich an die Luzifers herangebracht. Es ist fast ein Wiederauferstehen des altpersischen Ormuzd, wenn man erlebt, wie heute von Christus gesprochen wird. Man denkt nur immer die Dualität, also das Böse im Gegensatz zum Guten. Durch keine Dualität wird das Weltproblem gelöst, sondern einzig und allein durch die Trinität. Denn sobald man die Zweiheit hat, hat man nicht nur das Gute und das Böse, sondern man hat den Kampf zwischen dem Licht und der Finsternis, den Kampf, der nicht enden darf mit dem Sieg des einen über das andere, sondern der enden muß mit der Harmonisierung der beiden. Das ist eigentlich dasjenige, was man in den Christus-Begriff hineinbringen muß. Christus setzt sich nicht umsonst zu den Zöllnern und Sündern. [6] (Siehe auch: das Böse; das Wahre)

Zitate:

[1]  GA 136, Seite 179f   (Ausgabe 1984, 246 Seiten)
[2]  GA 123, Seite 67   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[3]  GA 101, Seite 90f   (Ausgabe 1987, 288 Seiten)
[4]  GA 101, Seite 92ff   (Ausgabe 1987, 288 Seiten)
[5]  GA 101, Seite 94f   (Ausgabe 1987, 288 Seiten)
[6]  GA 342, Seite 160f   (Ausgabe 1993, 164 Seiten)

Quellen:

GA 101:  Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole (1907)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 136:  Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen (1912)
GA 342:  Vorträge und Kurse über christlich-religiöses Wirken, I. Anthroposophische Grundlagen für ein erneuertes christlich-religiöses Wirken (1921)