Böse

Ebenso wahr wie Wärme eine Illusion ist, und dahinter das Opfer ist, wie Gas oder Luft eine Illusion ist, und dahinter die schenkende Tugend ist, so ist das Wasser als Substanz, als äußere Wirklichkeit nur eine sinnliche Illusion, ein Spiegelbild, und was im Wahrhaftigen davon existiert, ist Resignation irgendwelcher Wesenheiten auf das, was sie von anderen Wesenheiten erhalten. Wenn nämlich diese Resignation nicht eingetreten wäre, wenn die betreffenden verzichtenden Cherubim das ihnen gebrachte Opfer angenommen hätten, so hätten sie – jetzt bildlich gesprochen – den Opferrauch in ihrer eigenen Substanz drinnen gehabt; was sie selber getan hätten, das hätte sich in dem Opferrauch zum Ausdruck gebracht. Nun aber haben sie diese Opfersubstanz zurückgewiesen und sind dadurch allerdings aus der Sterblichkeit in die Unsterblichkeit, aus der Vergänglichkeit in die Dauer übergegangen. Aber die Opfersubstanz ist zunächst da, sie ist sozusagen entlassen aus den Kräften, die sie sonst aufgenommen hätten, und braucht jetzt nicht zu folgen den Antrieben, den Impulsen der Cherubim, denn diese haben sie entlassen, haben sie zurückgewiesen. Was geschieht nun mit dieser Opfersubstanz? – Es geschieht das, daß andere Wesen sich ihrer bemächtigen, die dadurch, daß sie jetzt diese Opfersubstanz nicht in den Cherubim haben, von den Cherubim unabhängig werden, selbständige Wesen werden, die neben den Cherubim da sind, während sie sonst dirigiert werden von den Cherubim, wenn diese die Opfersubstanz aufgenommen hätten. Die Cherubim liefern durch das, worauf sie resignieren, den zurückbleibenden Wesenheiten selbst erst die Möglichkeit zum Zurückbleiben. Dadurch, daß ein Opfer abgewiesen wird, können andere Wesenheiten, die nicht resignieren, die den Wünschen und Begierden sich hingeben und ihre Wünsche zum Ausdruck bringen, sich der Opfersubstanz bemächtigen und sind damit in der Möglichkeit, als selbständige Wesenheiten neben die anderen Wesen hinzutreten. Wir sehen also, indem wir jetzt den tieferen Grund des Zurückbleibens kennen lernen, daß eigentlich die Urschuld, wenn wir von einer solchen Urschuld sprechen wollen, an diesem Zurückbleiben gar nicht diejenigen haben, welche zurückgeblieben sind. Hätten die Cherubim die Opfer angenommen, so hätten die luziferischen Wesenheiten nicht zurückbleiben können, denn sie hätten keine Gelegenheit gehabt, sich in dieser Substanz zu verkörpern. Damit die Möglichkeit vorhanden war, daß Wesenheiten in dieser Weise selbständig werden, trat vorher der Verzicht ein. Es ist also von der weisen Weltenlenkung so eingerichtet, daß die Götter sich ihre Gegner selbst hervorgerufen haben. So sehen wir, daß wir nicht bei den sogenannten bösen Wesenheiten den Grund des Bösen zu suchen haben, sondern bei den sogenannten guten Wesenheiten, die erst durch ihre Resignation bewirkt haben, daß durch die Wesenheiten, welche das Böse in die Welt bringen konnten, das Böse entstanden ist. [1]

Es erscheint für Jakob Böhme ein vorirdisches Ereignis so, daß er sich sagt: Die Gottheit hat sich einstmals andere geistige Wesenheiten gegenübergestellt. Diese waren, wie unsere jetzige Natur auf einer späteren Stufe ein Gegenwurf der Gottheit, wodurch sich die Gottheit zum Bewußtsein brachte. Aber sie verhielten sich zu der Gottheit wie die Glieder, die sich gegen den eigenen Leib wenden. Dadurch entstand für Jakob Böhme die Wesenheit Luzifer. [2]

Wenn wir Menschen nur dem Sonneneinfluß überlassen wären, würden wir eine Art Engel (siehe: Angeloi) sein, aber dumm. Wir wären nur Glieder in der Organisation des Kosmos. Daß wir selbständig sind, das verdanken wir dem Erdendasein. Wenn wir aber nur unter dem Einfluß des Erdendaseins wären, wenn die Sonne nicht auf uns wirkte, dann wären wir Bestien, Raubtiere, Wesen, welche die wildesten Instinkte entwickeln. Wir müssen die Möglichkeit haben wilde Tiere zu sein, damit wir selbständige Wesen werden können. Damit wir aber nicht wilde Tiere werden, muß entgegenwirken dem Erdeneinfluß der Sonneneinfluß, muß ihn paralysieren. Und indem es so geschieht, blicken Sie durch auf den Ursprung des Bösen. Er ist einfach damit gegeben, daß wir ins Erdendasein eingespannt sind. [3]

Das Gute ist nicht hier in dieser Welt zu finden, sondern nur außerhalb der Erde. Plato sagte schon: «Gott ist das Gute», - auch der ChristusJesus wies darauf hin, indem er sagte: «Niemand ist gut denn Gott allein.» Durch die guten Götter ist das Böse in die Materie hineingelegt, damit der Mensch lernen wird, sich freiwillig von ihm abzuwenden. Das ist etwas, was nur in einer besonderen Stimmung ausgesprochen werden darf. Nur in einer besonderen Seelenverfassung darf gesagt werden, daß Stoff, Materie nichts anderes ist als konzentriertes Unrecht. Konzentrierte Sünde ist die Materie! [4]

Dieselben Kräfte, welche unseren bösen Gedanken zugrunde liegen, wurden auf dem alten Mond ausgestrahlt von den Wesen der Hierarchien, von den Engeln (Angeloi) bis hinauf zu den Geistern der Form (Exusiai). Sie brachten dadurch das Mondendasein hervor. Luzifer und Ahriman aber blieben zurück und strahlen diese Kräfte erst jetzt aus. Jetzt aber wirken sie bis in das unterdessen weiter verdichtete Physische, bis in das physische Blut des Menschen, und dadurch entsteht das Böse. An sich sind sie nicht böse. Der Esoteriker muß sie auf sich wirken lassen, sie aber nicht bis zur physischen Verdichtung kommen lassen. Dann bleiben sie wertvoll für die guten Gedanken der Zukunft. [5]

Das Zusammenklingen des Fortschreitens mit seiner eigenen Hemmung, das ist auch die Lehre des Manichäismus über das Böse. [6] Wie müssen wir uns das Zusammenwirken des Guten und des Bösen vorstellen? Wir müssen es uns aus dem Zusammenklingen von Leben und Form erklären. Dadurch wird das Leben zur Form, daß es einen Widerstand findet; daß es sich nicht auf einmal – in einer Gestalt – zum Ausdruck bringt. Wenn eine Form ausgestaltet ist, überwindet das Leben die Form, geht in den Keim über, um später als dasselbe Leben in einer neuen Form wiedergeboren zu werden. Und so schreitet das Leben von Form zu Form. Das Leben selbst ist gestaltlos und würde sich nicht in sich selbst wahrnehmbar ausleben können. Daß das Leben in begrenzter Form erscheint, das ist eine Hemmung dieses allgemein flutenden Lebens. Gerade von dem, was zurückgeblieben ist, was ihm auf höherer Stufe stehend wie eine Fessel erscheint, gerade aus dem erwächst im großen Kosmos die Form. Immer wird das, was Leben ist, umfaßt als Form von dem, was als Leben in einer früheren Zeit vorhanden war. (Ein gutes) Beispiel: die katholische Kirche. Das Leben, das in der katholischen Kirche lebt von Augustinus bis ins 15. Jahrhundert, ist christliches Leben. Woher ist die Form? Die ist nichts anderes als das Leben des alten römischen Reiches. Das, was in diesem alten römischen Reich noch Leben war, ist erstarrt zur Form. Was früher Leben war, wird später Form für eine höhere Stufe des Lebens. Ist es nicht mit dem Menschen genauso? Die Form ist das, was samenartig herübergekommen ist aus der lunarischen Epoche (fühere Erdverkörperung). Damals in der Mondenzeit, war kamische (siehe: Kama) Entwickelung das Leben des Menschen; jetzt ist sie die Hülle, die Form. Immer ist das Leben einer vorhergehenden Epoche die Form einer späteren Epoche. Darin ist zugleich das andere Problem gegeben: das des Guten und des Bösen; dadurch, daß das Gute einer früheren Zeit vereinigt ist mit dem Guten einer neueren Zeit. Und das ist im Grunde genommen nichts anderes als eben das Zusammenklingen des Fortschreitens mit seiner eigenen Hemmung. Das ist zugleich die Möglichkeit des materiellen Erscheinens, die Möglichkeit zum offenbaren Dasein zu kommen. Das ist unser Menschendasein innerhalb der mineralisch-festen Erde: Innenleben und das zurückgebliebene Leben der früheren Zeit zur hemmenden Form verhärtet. Das ist auch die Lehre des Manichäismus über das Böse. [7] (Siehe auch: Apokalypse; Manichäer).

Zitate:

[1]  GA 132, Seite 50uf   (Ausgabe 1979, 102 Seiten)
[2]  GA 62, Seite 241   (Ausgabe 1960, 499 Seiten)
[3]  GA 196, Seite 33f   (Ausgabe 1966, 305 Seiten)
[4]  GA 266/3, Seite 114   (Ausgabe 1998, 545 Seiten)
[5]  GA 266/3, Seite 294   (Ausgabe 1998, 545 Seiten)
[6]  GA 93, Seite 75   (Ausgabe 1979, 370 Seiten)
[7]  GA 93, Seite 74f   (Ausgabe 1979, 370 Seiten)

Quellen:

GA 62:  Ergebnisse der Geistesforschung (1912/1913)
GA 93:  Die Tempellegende und die Goldene Legende als symbolischer Ausdruck vergangener und zukünftiger Entwickelungsgeheimnisse des Menschen (1904/1906)
GA 132:  Die Evolution vom Gesichtspunkte des Wahrhaftigen (1911)
GA 196:  Geistige und soziale Wandlungen in der Menschheitsentwickelung (1920)
GA 266/3:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band III (1913-1923)