Apokalypse

Zur Mysterieneinweihung gehörte nicht bloß die Einweihung in die Wahrheiten der Gegenwart, sondern auch in die der Vergangenheit und Zukunft. Immer gehörte (also) dazu die Apokalypse. Die Siegfried-Sage ist lange Zeit die Apokalypse des nordischen Volkes gewesen. [1] Könnten Sie zurückgehen in die Mysterien des alten Griechenlands, in die Orphischen, die Eleusinischen Mysterien, zurückgehen in die Mysterien der alten Ägypter, Chaldäer, Perser und Inder, allüberall würden Sie die Apokalypse finden. Sie war nicht geschrieben, aber sie lebte von Priestergeneration zu Priestergeneration, durch die Generationen der Initiatoren hindurch, wo das Gedächtnis so lebendig war, daß man so reiche Stoffe bewältigen konnte. Was hatte sie für eine Aufgabe, die Apokalypse? Sie hatte die Aufgabe, eine Instruktion zu sein für denjenigen, der die Schüler zur Weihe brachte. Damals war es so, daß der Mensch, an dem die Einweihung vollzogen werden sollte, herausgeführt wurde aus seinem physischen Leibe und wie tot blieb. Aber wenn er herausgeführt war, dann ließ ihn der Initiator in seinem ätherischen Leibe sehen, was nachher durch den Christus-Impuls im physischen Leib hellseherisch hat gesehen werden können. Die Möglichkeit, das zu begreifen, was sich auf Golgatha vollzog, war nur dort, wo man den Inhalt der Mysterien kannte. So war die Apokalypse nichts Neues, aber die Anwendung auf das einzige Ereignis von Golgatha, das war etwas Neues. Das war das Wesentliche, daß für diejenigen, die Ohren hatten zu hören, es eine Möglichkeit gab, mit Hilfe dessen, was in der Apokalypse des Johannes steht, nach und nach zum wirklichen Verständnis des Ereignisses von Golgatha vorzudringen. Das war die Absicht des Apokalyptikers. Die Apokalypse ist nur äußerlich der Menschheit geschenkt worden durch den Jünger, den der Herr lieb hatte und dem er testamentarisch vermacht hatte, seine wahre Gestalt zu verkünden. Die ersten Worte sind so zu übersetzen, wenn sie richtig sein sollen: «Dies ist die Offenbarung Jesu Christi, die Gott dargeboten hat seinem Diener, zu veranschaulichen in Kürze, wie sich das Notwendige vollziehen soll. Dies ist in Zeichen gesetzt und gesandt durch seinen Engel seinem Diener Johannes, und dieser hat es zum Ausdrucke gebracht.» [2]

Zitate:

[1]  GA 92, Seite 91   (Ausgabe 1999, 198 Seiten)
[2]  GA 104, Seite 254f   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)

Quellen:

GA 92:  Die okkulten Wahrheiten alter Mythen und Sagen. Griechische und germanische Mythologie. Über Richard Wagners Musikdramen (1904-1907)
GA 104:  Die Apokalypse des Johannes (1908)