Kosmos

Was der Grieche empfand bei dem Worte Kosmos, hängt nicht zusammen mit irgendeiner Abstraktion eines heutigen Naturwissenschafters, mit einer gewissen Beschreibung des Weltenalls, sondern mit der Schönheit des Weltenalls, mit dem Zusammenstimmen in Harmonien desjenigen im Kosmos, was eigentlich mit Schönheit des Weltenalls zusammenhängt. [1] Kosmos ist nichts anderes, als was aus vorhergehenden Ursachen und Gestaltungskräften sich gebildet hat. Es käme kein Fortschritt zustande, wenn die äußeren Ursachen sich nicht wieder in das Chaos mischten (daraus sich dann ein nächster Kosmos bilden wird). [2]

Im räumlichen Kosmos stehen einander gegenüber: Weltenweite und Erdenzentrum. In der Weltenweite sind die Sterne gewissermaßen «ausgestreut». Vom Erdenzentrum strahlen Kräfte nach allen Richtungen der Weltenweite. So wie der Mensch in der gegenwärtigen kosmischen Epoche in der Welt darinnen steht, kann ihm das Sternenscheinen und Erdenkräftewirken nur als das Gesamtwerk der göttlich-geistigen Wesen, mit denen er in seinem Innern verbunden ist, erscheinen. Aber es gab eine kosmische Zeit-Epoche, da waren dieses Scheinen und diese Erdenkräfte noch unmittelbare geistige Offenbarung der göttlich-geistigen Wesen. Der Mensch in seinem dumpfen Bewußtsein fühlte die göttlich-geistigen Wesen wirksam in seiner Wesenheit. Dann kam eine andere Zeit-Epoche. Der Sternenhimmel löste sich als körperliches Wesen aus dem göttlich-geistigen Wirken heraus. Es entstand das, was man Weltengeist und Weltenleib nennen kann. Der Weltengeist ist eine Vielheit göttlich-geistiger Wesenheiten. Sie wirken in der älteren Epoche aus den Sternen-Orten auf die Erde herein. Was da von den Weltenweiten erglänzte, was vom Erdenzentrum als Kräfte erstrahlte, das war in Wirklichkeit Intelligenz und Wille der göttlich-geistigen Wesenheiten, die an der Erde und ihrer Menschheit schufen. In der späteren kosmischen Epoche – nach der Saturn- und Sonnenentwickelung – wurde das Wirken von Intelligenz und Wille der göttlich-geistigen Wesen immer geistig-innerlicher. Worinnen sie ursprünglich wirksam anwesend waren, das wurde «Weltenleib», harmonische Anordnung der Sterne im Weltenraume. Und der Weltenleib zeigt in Sternen-Anordnung und Sternenbewegung, wie einst das intelligente und willensgemäße Götterwirken war. Aber für die kosmische Gegenwart ist, was einst frei bewegliche Götterintelligenz und Götterwille in den Sternen war, in diesen gesetzmäßig-fest geworden. Was also heute aus den Sternenwelten zu dem Menschen auf der Erde hereinscheint, ist nicht unmittelbarer Ausdruck von Götterwillen und Götterintelligenz, sondern stehengebliebenes Zeichen für das, was diese in den Sternen einst waren. Aber dasjenige, was so im Sternenschein «vergangen» ist, in der Geist-Welt ist es «gegenwärtig». Und der Mensch lebt mit seinem Wesen in diesem «gegenwärtigen» Weltengeist. [3]

Für die alte Epoche wären Sternenkonstellation und Sternenlauf nicht zu berechnen gewesen, denn sie waren Ausdruck der freien Intelligenz und des freien Willens von göttlich-geistigen Wesen. In der Zukunft werden sie wieder nicht zu berechnen sein. In der Zukunft, in der der Weltengeist den Weltenleib wieder in seine Wirksamkeit übernehmen wird. Berechnung hat nur eine Bedeutung für eine mittlere kosmische Epoche. Nur in dieser mittleren Epoche sind die Bedingungen gegeben, in denen die Menschheit von einem dumpfen Bewußtsein zu einem hellen, freien Selbstbewußtsein, zu eigener freier Intelligenz und eigenem freien Willen fortschreiten kann. [4]

Auf der Erde spielt sich die «Geschichte» ab. Die wäre nie gekommen, wenn die Weltenweite nicht zu «festen» Sternkonstellationen und Sternenläufen geworden wäre. In dem «geschichtlichen Werden» auf Erden ist ein Abbild – aber ein durchaus gewandeltes – dessen vorhanden, was einst «Himmelsgeschichte» war. Ältere Völker haben in ihrem Bewußtsein noch diese «Himmelsgeschichte», und sie blicken viel mehr auf diese als auf die «Erdengeschichte». Blickt man zurück auf das geistige Leben der Völker, so ist in urferner Vergangenheit ein Bewußtsein des Zusammenseins und Zusammenwollens mit den göttlich-geistigen Wesenheiten so bei den Menschen vorhanden, daß deren Geschichte Himmelsgeschichte ist. Der Mensch erzählt, indem er über «Ursprünge» spricht, nicht irdische, sondern kosmische Vorgänge. Ja auch für seine Gegenwart erscheint ihm das, was in seiner Erden-Umgebung vorgeht, so unbedeutend gegenüber den kosmischen Vorgängen, daß er nur diese, nicht jenes beachtet. Es gab eine Epoche, in der die Menschheit das Bewußtsein hatte, die Himmelsgeschichte in mächtigen Eindrücken zu schauen, in denen die göttlich-geistigen Wesen selbst vor der Seele des Menschen standen. Sie sprachen; und der Mensch vernahm die Sprache in Traum-Inspiration; sie offenbarten ihre Gestalten; und der Mensch schaute sie in Traum-Imagination. [5]

Diese «Himmelsgeschichte», die eine lange Zeit die Menschenseelen erfüllte, wurde gefolgt von der mythischen Geschichte, die man heute vielfach für alte Dichtung hält. Sie verbindet Himmelsgeschehen mit Erdgeschehen. Es treten zum Beispiel «Heroen» auf, übermenschliche Wesen. Der Heros hat bereits entwickelt, was im Menschen als Geistselbst, Manas einmal auftreten wird. Der «Heros» kann nicht innerhalb der Erdenverhältnisse unmittelbar sich verkörpern; aber er kann es dadurch, daß er in den Körper eines Menschen untertaucht und so sich fähig macht, als Mensch unter Menschen zu wirken. In «Eingeweihten» der älteren Zeit hat man solche Wesen zu sehen. [6]

Dasjenige, was uns als Sonne, Mond und Sterne umgibt, gehört zu dem Ganzen, was einmal nach der Mondenentwickelung entstanden ist. Nach der Mondenentwickelung ist nicht nur der Mond zugrunde gegangen, sondern alles, was sichtbares Weltall ist, ist damals in die (Welten-)Nacht (siehe: Pralaya) hineingegangen. Und alles, was da ist im Weltenall, gehört zur Erde eigentlich hinzu, so daß, wenn einmal die Erde untergehen wird, nicht nur Pflanzen- und Tierreich mit der Erde untergehen wird, sondern alles, was da draußen im Kosmos ist, wird mit untergehen; die gegenwärtige Form der Sterne wird untergehen in die Nacht hinein. Und dann baut sich auf, was der Jupiter sein wird. Seine Atome werden die Saturnteile der Menschen sein. Seine Umgebung wird ganz anders aussehen als unsere Erdenumgebung. Was bleibt also von der ganzen gegenwärtigen Welt, wenn die Erdentwickelung zu Ende sein wird? Was der Mensch heute als Mensch gewinnt, was er heute aus der äußeren Urteilskraft bildet, das geht über in das «Mineralreich» des Jupiter, was er als Geisteswissenschaft gewinnt, geht hinüber als Sonnenmensch und begründet die Vegetation; was wir sprechen – die Worte – geht hinüber; was an Moralischem vorgeht, geht hinüber. Beginnen wir jetzt nicht zu begreifen den ganzen ungeheuer tiefen Sinn der Christus-Worte: «Himmel und Erde werden vergehen, aber meine Worte werden nicht vergehen»? Ist das nicht wörtlich wahr? Worte, die aus der äußeren Wissenschaft fließen und auf den Saturnmenschen wirken, die gehen hinüber und bilden die Atome des Jupiter. Worte, die der Geisteswissenschaft entspringen und auf den Sonnenmenschen wirken, die gehen hinüber und bilden die Vegetation des Jupiter; was dann auf den Träumer (den Mondenmenschen) wirkt, das geht hinüber und bildet das Tierreich des Jupiter; und was der Mensch an Moralischem und durch Worte der Geisteswissenschaft der Zukunft (die magisch wirken) gewinnt, das wird zum Menschen des Jupiter. Worte werden es sein, Gedankenweisheit wird es sein. Das wird bestehen. Was rings herum ist im Kosmos, das vergeht. [7]

Zitate:

[1]  GA 283, Seite 63   (Ausgabe 1975, 186 Seiten)
[2]  GA 284, Seite 85   (Ausgabe 1993, 208 Seiten)
[3]  GA 26, Seite 167f   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[4]  GA 26, Seite 168f   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[5]  GA 26, Seite 169f   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[6]  GA 26, Seite 170f   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[7]  GA 157, Seite 287f   (Ausgabe 1981, 320 Seiten)

Quellen:

GA 26:  Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie – Das Michael-Mysterium (1924/1925)
GA 157:  Menschenschicksale und Völkerschicksale (1914/1915)
GA 283:  Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Menschen (1906/1920)
GA 284:  Bilder okkulter Siegel und Säulen. Der Münchner Kongreß Pfingsten 1907 und seine Auswirkungen (1907)