Esoteriker

Wenn es uns gelingt, das, was äußerlich an uns herangebracht wird, zu verinnerlichen, so sind wir Esoteriker. Die Verinnerlichung des Exoterischen ist Esoterik. Wir sind Esoteriker, wenn wir das, was uns äußerlich mitgeteilt wird, in unserem Innern wirklich erleben, nicht nur denkerisch, sondern mit allen Sinnen und Seelenkräften. [1] Alles, alles muß anders werden beim Esoteriker, Begriffe, Gefühle und Erkenntnisse müssen sich wandeln beim Esoteriker. Gier nach Erkenntnis und nach Fortschritt ist nicht das Richtige für den Esoteriker, sondern das ernste Gefühl der Pflicht der Entwickelung, denn der göttliche Geist hat Kräfte in uns gelegt, die er ausbildet ohne unser Zutun; das sind passive Kräfte. Die Gottheit hat aber auch aktive Kräfte in uns gelegt, die der Mensch selbst ausbilden muß durch die Tat. Und es ist die größte Sünde wider den göttlichen Geist, diese Kräfte nicht auszubilden, die die Gottheit zum Heile der Menschheitsentwickelung und des Menschheitsfortschrittes in uns gelegt hat. Und diese Kräfte in uns sind so stark, daß sie uns, wenn auch erst nach Jahren, doch in die geistige Welt hinaufführen, und darum dürfen wir nicht ungeduldig werden, sondern sollen uns sagen: Ich will warten, denn ich weiß, daß diese Kräfte das tun – wenn wir nur in der richtigen Weise hingegeben sind an die geistige Welt. Der esoterische Weg ist nicht nur voll Kämpfe und Dornen, sondern der Esoteriker soll und darf sich durchdringen mit dem Grundgefühl der Beseligung darüber, daß er aufgenommen ist von den höheren Mächten in jene Regionen, aus denen er urständet. [2]

Aus dem, was in den esoterischen Stunden gegeben wird, und durch unser meditatives Leben soll sich der Esoteriker ein anderes Empfinden, als es der Exoteriker hat, angewöhnen; sein ganzes Leben und Tun muß er durchleuchten lassen vom Geistigen, so daß es zur Unmöglichkeit wird, daß Zank und Streit in unseren Reihen herrscht. Es geht das, wirklich, es geht das! Im exoterischen Leben muß sich der Esoteriker benehmen wie der Exoteriker. Nur muß er sich dem Exoteriker gegenüber fühlen wie ein Erwachsener Kindern gegenüber, aber ohne allen Hochmut und ohne Überhebung, rein objektiv. Aber es ist oft recht schmerzlich zu sehen, wie auch unter den Esoterikern Zank, Streit, Ehrsucht und Eifersüchteleien herrschen.

Manche unserer lieben Freunde sagten mir, mein Buch «Theosophie» sei so schwer verständlich, ob das nicht in leichterer Weise dargestellt werden könnte. Manchmal habe ich die Feder dazu angesetzt. Doch muß man ja nicht glauben, daß es leichter, weniger anstrengend sei, die Theosophie sozusagen populärer zu schreiben. Aber immer habe ich die Feder wieder fortgelegt. Wollte man Theosophie ohne Gedankenschwierigkeiten in sich aufnehmen wollen, so böte man dadurch Luzifer Angriffspunkte. Es ist schon richtig, sich etwas zu quälen dabei. [3]

Zitate:

[1]  GA 266/3, Seite 154   (Ausgabe 1998, 545 Seiten)
[2]  GA 266/2, Seite 343ff   (Ausgabe 1996, 517 Seiten)
[3]  GA 266/3, Seite 152f   (Ausgabe 1998, 545 Seiten)

Quellen:

GA 266/2:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band II (1910-1912)
GA 266/3:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band III (1913-1923)