Plato

Sogar noch bei Plato kann man in seinem Ideenschwung wahrnehmen, wie etwas Überirdisches fortlebte in ihm. Das wird immer weniger und weniger. Die Menschen behalten die Kunde über das Überirdische als Offenbarung. Aber der Mensch hätte ja sonst nicht frei werden können, er hätte die Freiheit nicht entwickeln können. Der Mensch kommt immer mehr dazu, in seinem Denken nichts anderes zu haben als den Leichnam seines vorgeburtlichen inneren Lebens. [1] Plato war im höchsten Grade eine Art Eingeweihter, hat sich aber philosophisch ausgesprochen. [2] Eine solche Weisheit, wie die Weisheit Platos, die macht auf uns eben einen so großen Eindruck aus dem Grunde, weil bei Plato schon vorhanden war das subjektive Erarbeiten der Begriffs- oder Vorstellungswelt, zugleich aber herein strahlte in dieses Erarbeiten die alte instinktive Weisheit. Daher die platonischen Schriften in einer so wunderbaren Weise höchste Weisheit verbinden mit dem, was doch schon im Element des Menschlich-Persönlichen lebt. Und man kann sich, wenn man die ganze Seelenverfassung Platos ins Auge faßt, gar nicht denken, daß er in einer anderen Form als in der Dialogform seine Weisheitsbücher abgefaßt haben könnte, aus dem einfachen Grunde, weil er deutlich spürte, was der ältere Mensch unbestimmt empfand. Der ältere Mensch sagte sich: Die Weisheit ist einfach da, sie erfaßt mich, sie strahlt in mich herein. Plato fand sich selbst in einer Art von Wechselgespräch mit dem Wesen, das in ihn herein die Weisheit brachte. Wie im Dialog erlebte er selber die Weisheit, daher er sie auch am liebsten im Dialog zum Ausdruck brachte. [3] In vieler Beziehung konnte dasjenige Wissen, das von Plato oder Aristoteles erreicht worden ist, in der späteren Zeit gar nicht überholt werden, denn es war für die Intellektualität der Menschheit damit in gewisser Beziehung ein Höchstes herangekommen. [4]

Der jüngere Dionysos, der wie ich Ihnen sagte (siehe: Dionysos), im wesentlichen seine Seele ausfließen ließ in die äußere Kultur, sie aber doch in einer bestimmen Zeit wieder zusammenfassen konnte als Seele in einem einzelnen menschlichen physischen Leibe, wurde wiedergeboren, inkarniert unter den Menschen, aber so, daß er nicht seine alte Gestalt behielt, sondern hinzufügte zu seiner äußeren physischen Gestalt etwas von dem, was seine Geistgestalt ausmachte in den Dionysischen Mysterien (siehe: Mysterien dionysische). Der jüngere Dionysos wurde wiedergeboren in geschichtlicher Zeit in einem menschlichen Leib, und auch sein Lehrer, der weise Silen, wurde wiedergeboren. Und daß diese Gestalten wiedergeboren worden sind, davon hatte die Mystik des alten Griechenlands ihr deutliches Bewußtsein. Davon hatten auch die Künstler des alten Griechenlands, die angeregt und inspiriert wurden von den Mysten, ihr deutliches Bewußtsein. Der alte weise Lehrer des Dionysos, Silen, wurde wiedergeboren als Sokrates. Und der wiederverkörperte Dionysos selber, jene Wesenheit, in welcher in Wahrheit die Seele des alten Dionysos lebte, das war Plato. Gerade in derjenigen Zeit, in welcher in den Mysterien selber der Verfall eintrat, in welcher keine Mysten mehr da waren, die in den heiligen Mysterien hellseherisch noch schauen konnten den jüngeren Dionysos, trat dieser selbe jüngere Dionysos als der Schüler des weisen Silen, des Sokrates, in der Gestalt des Plato als der zweite große Lehrer Griechenlands, als der wahre Nachfolger des Dionysos auf. [5]

Plato stammt aus einem altadeligen Geschlecht in Athen. Aus Berichten wissen wir, daß er ein zur Schwärmerei geneigter Kopf war. Er wurde der treueste und verständnisvollste Schüler des Sokrates, der an dem Meister mit unbedingter Verehrung hing. Nach der Hinrichtung seines Lehrers begab er sich nach Megara zu Euklides. Später unternimmt er große Reisen nach Zyrene, Ägypten, Großgriechenland – d.i. Süditalien – und Sizilien. Im Jahre 389 v.Chr. kehrte er nach Athen zurück. Doch unternahm er noch eine zweite und dritte Reise nach Sizilien. Nach der Rückkehr von seiner ersten sizilischen Reise gründete er in Athen seine Schule, aus der viele der bedeutenden Männer jener Zeit hervorgingen. In Platos Schriften kann man eine allmähliche Wandlung der Anschauungen beobachten. Er nimmt Vorstellungen an, die er bei anderen findet. In seinen ersten Schriften steht er ganz auf dem Standpunkte, den er sich als Schüler des Sokrates ausgebildet hat. Später erlangt Euklides starken Einfluß auf ihn, und bei seinem Aufenthalte in Sizilien lernt er die Pythagoräer kennen. In Ägypten eignet er sich verschiedene morgenländische Gedanken an. So kommt es, daß seine Weltanschauung in seinen Schriften nicht so erscheint, daß sie wie aus einem Gusse ist. Er verleibt später Vorstellungen, die er findet, seinen ursprünglichen Anschauungen ein. Wir dürfen zu diesen seine Seelenwanderungslehre rechnen. Die Seele ist schon vor dem Körper vorhanden. Ja, ihre Verkörperung, das heißt ihre Verbindung mit der Materie, wird als eine Art Strafe angesehen, die sie für eine im vorweltlichen Sein zugezogene Schuld zu erleiden hat. Aber die Seele verkörpert sich nicht nur einmal, sondern wiederholt. [6]

Die Philosophie Platos ist eines der erhabensten Gedankengebäude, die je aus dem Geiste der Menschheit entsprungen sind. Es gehört zu den traurigsten Erscheinungen unserer Zeit, daß platonische Anschauungsweise in der Philosophie geradezu für das Gegenteil von gesunder Vernunft gilt. Platonismus ist die Überzeugung, daß das Ziel alles Erkenntnisstrebens die Aneignung der die Welt tragenden und deren Grund bildenden Ideen sein müsse. Plato strebte stets darnach, aus den schwankenden Erscheinungen der Sinneswelt die sie durchsetzende ideelle Substanz bloßzulegen. Nicht die Erscheinungen begreifen wollte Plato, sondern über dieselben hindurch zu deren geistigen Grundlagen dringen.1d.26.Anm

Philosophie wird für Plato die Wissenschaft von den Ideen als dem wahren Seienden. Und die Idee ist die Offenbarung des Weltengeistes durch die Gedanken-Offenbarung. Das Licht des Weltengeistes scheint in die Menschenseele, offenbart sich da als Ideen; und die Menschenseele vereinigt sich, indem sie die Idee ergreift, mit der Kraft des Weltgeistes. Die im Raum und in der Zeit ausgebreitete Welt ist wie die Meereswassermasse, in der sich die Sterne spiegeln; doch ist wirklich nur, was sich als Idee spiegelt. So verwandelt sich für Plato die ganze Welt in die aufeinander wirkenden Ideen. Deren Wirken in der Welt kommt zustande dadurch, daß die Ideen sich in der Hyle, der Urmaterie, spiegeln. Durch diese Spiegelung ersteht das, was als viele Einzeldinge und Einzelvorgänge der Mensch sieht. Aber man braucht das Erkennen nicht auf die Hyle, den Urstoff, auszudehnen, denn in ihm ist nicht die Wahrheit. Zu dieser kommt man erst, wenn man von dem Weltbilde alles abstreift, was nicht Idee ist. [7]

Als man noch hineinschaute in den Sprachwerdeprozeß, da fühlte man im Erklingen des Wortes etwas, was ein Ausdruck war für ein objektives Geschehen draußen in der Natur. [8] Wenn wir die seelisch-geistige Verfassung der vorderasiatischen und europäischen Bevölkerung in ihren repräsentativen Weisheitsvertretern ins Auge fassen, so finden wir eben, daß da ein Umschwung eintritt. Was als ein einheitlicher Prozeß da war in der Anschauung, das Erklingen des Wortes, und im Worte das Wesen der Welt, das wird differenziert in ein Hinschauen auf die abstrakten Begriffe und Ideen und in ein Fühlen, ein dumpfes Fühlen desjenigen, was mehr in das Unterbewußtsein hinuntergedrückt wird: des Wortes als solchem. Dadurch ergab sich für das menschliche Seelenleben eine ganz bestimmte Tatsache: undifferenziert empfand der ältere Mensch Wortinhalt und Ideen-Begriffsinhalt des Bewußtseins. Nun sonderte sich der Begriffsinhalt ab. Aber er behielt in den ersten Zeiten noch etwas von dem, was man einst im Undifferenzierten von Wort, Begriff, Vorstellung gehabt hatte. Man sprach von «Begriffen» und man sprach von den «Ideen», aber man kann es, ich möchte sagen, mit Händen greifen noch bei Plato, daß man die Idee noch voll inhaltlich, geistig fühlte. Indem man von der Idee sprach, war in ihr noch etwas enthalten von dem, was man früher bei dem undifferenzierten Wortbegriff innerlich erschaute. Man näherte sich also schon der Idee, die als bloßer Begriff erfaßt wird, aber es hing dieser Erfassung noch etwas an von dem, was im alten Worterklingen verstanden worden ist. Und indem dieser Fortgang sich bildete, wurde dem Menschen der Inhalt der Welt, den er geistig erfaßte, zu dem, was dann im Logosbegriff sich ausdrückte. Den Logosbegriff hat man nur, wenn man weiß, in ihm liegt dieses Hingehen zur Idee, aber ohne ein Anhaften vom alten Wortbegriff im Erfassen dieser Idee. Und indem man von dem Logos als dem Weltschöpferischen sprach, war man sich nicht mehr deutlich, aber undeutlich bewußt, daß dieses weltschöpferische Geistige etwas in seinem Inhalt hat, was eben in älteren Zeiten durch die Wortanschauung erfaßt worden ist. Diese ganz besondere Nuance des seelischen Erlebens der Außenwelt im Logos muß man ins Auge fassen. Aristoteles hat dann sich herausgearbeitet, sich näher zur Abstraktion hingearbeitet und die subjektive Logik daraus gewonnen. Bei Plato aber ist die Idee das weltschöpferische Prinzip, und bei Plato ist sie noch von konkreter Geistigkeit durchzogen, weil sie noch die Reste des alten Wortbegriffes in sich hat, weil sie im Grunde genommen der Logos, wenn auch in Abschattierung ist. [9]

Platos Ideen sind nicht die abstrakten Ideen, von denen der heutige Mensch faselt, das sind Geistwesen selber, zu denen Plato aufschaut, indem er von Ideen spricht. [10] Die Ideen bei Plato waren Nachkommen der alten, persischen Erzengelwesen, die als Amshaspands wirkten und lebten im Universum. Das waren sehr reale Wesenheiten. Bei Plato waren sie schon vernebelt und bei den mittelalterlichen Scholastikern verabstrahiert. [11]

Als das 4. Jahrhundert herankam in der griechischen Kulturentwickelung, da spielte sich der erste Umschwung zu dem Abstraktwerden hin ab. Und er spielte sich so ab, daß zwischen Plato und Aristoteles, als Plato schon im höchsten Alter war, als Plato eigentlich am Ende seiner Laufbahn war, daß zwischen Plato und Aristoteles folgende Szene stattfand. Plato sagte – ich muß das in Worte kleiden, was natürlich in viel komplizierterer Weise sich abgespielt hat – etwa das Folgende zu Aristoteles: Dir hat manches nicht so richtig geschienen, wie es von mir dir und den anderen Schülern vorgetragen worden ist. Dies ist aber schließlich der Extrakt uralt heiliger Mysterienweisheit. Aber die Menschen werden im Laufe ihrer Entwickelung eine Form, eine Gestalt, eine innere Organisation annehmen, die sie nach und nach zu etwas allerdings Höherem führen wird, als wir jetzt haben im Menschen, die aber unmöglich macht, daß der Mensch entgegennimmt dasjenige, was Naturwissenschaft in der Art (der Mysterien, siehe: Mysterien – Eleusinien) war. – Das machte Plato dem Aristoteles klar. – Und deshalb will ich mich eine Zeitlang zurückziehen, sagte Plato, und dich dir selbst überlassen. Versuche in der Gedankenwelt, für die du besonders veranlagt bist, und die die Gedankenwelt der Menschen durch viele Jahrhunderte werden soll, versuche in Gedanken auszubilden, was du hier in meiner Schule aufgenommen hast. Sie blieben getrennt, und Plato führte damit einen hohen geistigen Auftrag gerade durch Aristoteles aus. [12] (Siehe auch: karmische Reihen).

Zitate:

[1]  GA 213, Seite 125   (Ausgabe 1969, 251 Seiten)
[2]  GA 164, Seite 16   (Ausgabe 1984, 286 Seiten)
[3]  GA 208, Seite 50f   (Ausgabe 1981, 220 Seiten)
[4]  GA 148, Seite 28   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[5]  GA 129, Seite 156f   (Ausgabe 1960, 254 Seiten)
[6]  GA 51, Seite 34f   (Ausgabe 1983, 360 Seiten)
[7]  GA 18, Seite 70f   (Ausgabe 1955, 688 Seiten)
[8]  GA 204, Seite 51   (Ausgabe 1979, 328 Seiten)
[9]  GA 204, Seite 54f   (Ausgabe 1979, 328 Seiten)
[10]  GA 188, Seite 117   (Ausgabe 1982, 262 Seiten)
[11]  GA 220, Seite 164   (Ausgabe 1966, 214 Seiten)
[12]  GA 232, Seite 159   (Ausgabe 1974, 222 Seiten)

Quellen:

GA 18:  Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt (1914)
GA 51:  Über Philosophie, Geschichte und Literatur. Darstellungen an der «Arbeiterbildungsschule» und der «Freien Hochschule» in Berlin (1901/1905)
GA 129:  Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffenbarungen (1911)
GA 148:  Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium (1913/1914)
GA 164:  Der Wert des Denkens für eine den Menschen befriedigende Erkenntnis. Das Verhältnis der Geisteswissenschaft zur Naturwissenschaft (1915)
GA 188:  Der Goetheanismus, ein Umwandlungsimpuls und Auferstehungsgedanke. Menschenwissenschaft und Sozialwissenschaft (1919)
GA 204:  Perspektiven der Menschheitsentwickelung. Der materialistische Erkenntnisimpuls und die Aufgabe der Anthroposophie (1921)
GA 208:  Anthroposophie als Kosmosophie – Zweiter Teil:. Die Gestaltung des Menschen als Ergebnis kosmischer Wirkungen (1921)
GA 213:  Menschenfragen und Weltenantworten (1922)
GA 220:  Lebendiges Naturerkennen. Intellektueller Sündenfall und spirituelle Sündenerhebung (1923)
GA 232:  Mysteriengestaltungen (1923)