Zervan Akarana

Das persische Denken wird beherrscht vom Gedanken der Zeit. Zervan Akarana ist eine Hauptgottheit bei den Persern, und das ist eigentlich die Zeit. [1] Es führt die Zarathustra-Lehre zuletzt zurück auf das Urprinzip, in dem wir zu sehen haben die ruhige, im Weltenlaufe dahinfließende Zeit. [2]

Es ist nun sehr schwierig, einen Begriff davon hervorzurufen, was Zarathustra als das Einheitliche hinter Ormuzd und Ahriman ansah, von dem uns schon die griechischen Schriftsteller sagten, daß die alten Perser es als das in Einheitlichkeit Lebende verehrten, und was Zarathustra nannte «Zeruane akarene», das ist, was hinter dem Licht steht. Wodurch können wir uns einen Begriff für das schaffen, was Zarathustra und die Zarathustra-Lehre unter Zeruana akarene oder Zaruana akanana versteht? Denken wir uns einmal den Verlauf der Entwickelung. Wir müssen uns vorstellen, daß die Entwickelung gegen die Zukunft hin so verläuft, daß die Wesen immer vollkommener und vollkommener werden, so daß wir, wenn wir in die Zukunft blicken, immer mehr und mehr den Schein des Lichtreiches, des Ormuzd, sehen. Wenn wir in die Vergangenheit den Blick richten, sehen wir, wie da die Kräfte liegen, welche mit der Zeit völlig aufhören müssen, die besiegt werden müssen, so daß wir da in die dem Ormuzd gegnerischen Kräfte, in die ahrimanischen Kräfte hereinblicken. Nun hat man sich vorzustellen, daß dieser Blick sowohl in die Zukunft wie in die Vergangenheit zu demselben Punkte führt. Und dieser sich selbst findenden Schlange der Ewigkeit – die dargestellt werden kann durch die Schlange, die sich selbst in ihren Schwanz beißt – ist sowohl die Kraft des Lichtes einverwoben, die uns immer heller und heller leuchtet, wenn wir nach der einen Seite blicken, wie auch die Kraft der Finsternis, die uns nach der andern Seite immer dunkler und dunkler scheint. Und wenn wir selbst mitten drinnen stehen, haben wir selbst Licht und Schatten Ormuzd und Ahriman durcheinandergemischt. Alles ist einverwoben dem sich selbst findenden, unendlichen Strome der Zeit: Zeruane akarene. [3]

Da war es wichtig, daß Zarathustra darauf hinweisen konnte: Es ist der Tierkreis, der Zodiakus, eine in sich selbst zurückkehrende Linie, ein Ausdruck für die in sich selbst zurückkehrende Zeit. Im Grunde genommen sind «Zeruana akarene» und «Zodiakus» dasselbe. Derjenige Teil des Tierkreises also, den Ormuzd während des Tages oder während des Sommers durchläuft, zeigt uns, wie Ormuzd unbehindert von Ahriman wirkt; diejenigen Tierkreisbilder dagegen, die unter dem Horizont liegen, symbolisieren das Reich des Schattens, das sozusagen Ahriman durchläuft. Während Ormuzd die ganze Tätigkeit des Lichtreiches hat, haben die Amshaspands die Spezialtätigkeiten, die ausgedrückt werden durch das Herleuchten der Sonne aus dem Widder, aus dem Stier, dem Krebs und so weiter. Ahriman wirkt gleichsam wie durch die Erde hindurch aus dem Finsteren und hat da seine Diener, seine Amshaspands. [4]

Daher sahen die Schüler des Zarathustra den äußeren Ausdruck, das Bild für Zervan Akarana, für dasjenige, was durch alle Zeiten als Urwesen ewig webt und lebt, in dem Tierkreis, und das Wort «Zodiakus» erinnert noch an das Wort Zervan Akarana. [5]

Zitate:

[1]  GA 93a, Seite 253   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[2]  GA 123, Seite 37   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[3]  GA 60, Seite 268ff   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[4]  GA 60, Seite 271f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[5]  GA 126, Seite 91   (Ausgabe 1956, 120 Seiten)

Quellen:

GA 60:  Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins (1910/1911)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 126:  Okkulte Geschichte. Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge von Persönlichkeiten und Ereignissen der Weltgeschichte (1910/1911)