Logos

Was man als Grundton der Gestirnbewegungen im Weltenall vernehmen kann, nennt man die Pythagoreische Sphärenmusik. Diesen Grundakkord der Sternenbahnen und des Weltenalls, diesen Ton bezeichnet und meint der Schreiber des Johannes-Evangeliums, wenn er vom Weltenwort (giechisch: logos) spricht. [1]

Wie dem bloßen Ton als höherer Inhalt, als Inneres, Seelenhafteres noch zugrunde liegt das Wort, der Klang oder Sinn, so ist auch mit dem Lebensäther verbunden Sinn, Wort, dasselbe, was man im späteren Persischen Honover genannt hat, und was der Johannes-Evangelist den Logos nennt, als sinnvollen Ton, der dem Sonnenwesen eigen ist. Auch Zarathustra hat seinen Unterricht empfangen durch das Sonnenwort. [2] Bis in das letzte Jahrtausend der vorchristlichen Zeit hinein war ein lebendiges Bewußtsein davon vorhanden, daß die Welt von Gedanken regiert wird, daß Gedanken überall in der Welt leben. Man erlebte mit die Weltgedanken, den Logos, im ätherischen Leibe. [3]

Jenes allgemeine Erklingen, das aus dem Zusammenfluß dessen entsteht, wenn sich die einzelnen Wesenheiten (der verschiedenen Hierarchien) aussprechen, das ist der Logos. Aber der Logos, er ist auch zunächst nur ein Schein gewesen. Nur dadurch, daß ihn der Christus zusammengefaßt hat, diesen Schein gewissermaßen in seiner eigenen Wesenheit verdichtet hat, ist durch das Mysterium von Golgatha der Scheinlogos als wirklicher Logos auf der Erde geboren worden. [4] Die historische Erscheinung des Christus Jesus bedeutet nichts anderes, als daß die Kräfte der sechs Elohim oder des Logos sich verkörpert haben in dem Jesus von Nazareth. Das, was in der Sonne an innerer Kraft liegt, die Kraft der Logosliebe, nahm physische Gestalt an in dem Leibe des Jesus von Nazareth. Sie ist nichts anderes als die Verkörperung des Logos, der sechs anderen Elohim, denen vorbereitend der eine, der Jahve-Gott vorangegangen ist. Und diese eine Gestalt des Jesus von Nazareth, in welcher der Christus oder der Logos inkarniert war, bringt daher das, was früher immer nur von der Sonne auf die Erde herniederströmte, was nur im Sonnenlichte enthalten ist, sie bringt es in das Menschenleben, in die Menschheitsgeschichte selbst hinein: «Der Logos ward Fleisch». [5]

Nun sehen wir einmal zurück auf den physischen Menschenleib, wie er schon auf dem Saturn war, und fragen uns: Woher kommt dieser physische Menschenleib? Was ist sein letzter Urgrund? Er kommt von dem Logos oder von dem Wort. Denn damals auf dem Saturn schon wurde er so gelenkt, dieser physische Menschenleib, daß er später ein sprechender wurde, ein Zeuge für den Logos. Daß Sie heute so geformt sind, daß dieser Menschenleib die heutige Form hat, rührt davon her, daß dem ganzen Plan unserer Schöpfung das «Wort» zugrunde lag. Auf das Wort hin ist der ganze Menschenleib hingeordnet, und von Anfang an ist er so veranlagt, daß zuletzt das Wort aus ihm herausspringen konnte. Dieser physische Menschenleib hat sein Urbild in dem Worte oder dem Logos; der von Anfang an darin wirkte. Und der Logos wirkt noch heute: Wenn der physische Menschenleib im Bette liegt und verlassen ist vom Ich, dann wirkt der göttliche Logos in den vom Menschen verlassenen Wesensgliedern. Fragen wir nach dem ersten Ursprung des physischen Leibes, so sagen wir: Das erste ist der Logos oder das Wort. Der Logos ward Leben auf der Sonne, indem er den Menschen auf eine höhere Stufe brachte. – Auf dem Monde gliederte sich dem Menschen ein der Astralleib. Er ist ein Lichtleib. Er ist, wenn er im hellseherischen Bewußtsein gesehen wird, Licht, geistiges Licht; und unser physisches Licht ist nur umgestaltetes geistiges Licht. Das Leben ward Licht. [6]

Am reinsten erscheint dieser äußere physische Leib des Logos zunächst im äußeren Sonnenlicht. Das Sonnenlicht ist nicht bloß materielles Licht. Für die geistige Anschauung ist es ebenso das Kleid des Logos, wie Ihr äußerer physischer Leib das Kleid für Ihre Seele ist. [7] Die Sonne ist nichts anderes als das Symbolum für den Logos. [8]

Gerade wie der Ton in einer gewissen Beziehung in eine höhere Sphäre heraufkommt, wenn er aus dem musikalischen Ton zum menschlichen Wort wird, so ist es auch im Weltenzusammenhange: die Sphärenharmonie wird etwas Höheres, wenn sie zum Weltenwort, zum Logos wird. Nun haben wir in der physischen Organisation des Menschen als das nächst Höhere (als die Nerven) – physiologisch – das Blut. Gerade so nun, wie der Muskel eingespannt ist in die Sphärenharmonien, so ist das Blut eingespannt in den Logos, und kann immer mehr und mehr Ausdruck des Logos werden, wie es dies unbewußt (schon) seit der Menschwerdung ist. Das heißt es besteht auf dem physischen Plan die Tendenz, daß in seinem Blut, das der Ausdruck des Ich ist, vom Menschen bewußt der Ausdruck des Logos empfunden wird. [9]

Nun, was ist denn damit aber gesagt, daß der Logos der Schöpfer von allem ist? Die Menschen sagten sich: Durch das Blut, durch den Leib wirkt die Gottheit, und sie hatten damit die Vorstellung verbunden, daß wenn das Blut durch die Adern des Menschen oder der Tiere rinnt, dieses Blut dann eigentlich den Göttern weggenommen ist. Daher die Blutopfer in jener alten Zeit. Nun kam der Christus und sagte: Das ist nicht dasjenige, um was es sich handelt. Sehet nicht in dem Blute dasjenige, was dem Gotte entspricht, sehet es in dem Brote, bevor das Brot zu Blut wird, und sehet es in dem Wein, bevor der Wein in das Blut hineingeht. Da ist das Göttliche, da ist die Verkörperung des Logos. Sehet nicht auf dasjenige, was im Blute rinnt, denn das ist bei den Menschen altes Erbstück der Mondenzeit, der vorirdischen Zeit. Dasjenige, was im Menschen irdisch ist, mit dem hat das Nahrungsmittel zu tun, bevor es Blut wird. Also hingelenkt die Vorstellung auf dasjenige, was auf der Erde draußen bereitet wird, was irdisch ist, ohne daß der Mond einen Einfluß dabei hat, das heißt auf das, was vom Sonneneinfluß herkommt. Denn wir sehen die Dinge durch das Licht der Sonne, und wir essen das Brot und trinken den Wein, indem wir in ihnen die Sonnenkraft essen und trinken. Die sichtbaren Dinge sind nicht durch den Vatergott, die sichtbaren Dinge sind durch den Logos. [10]

Es war auf etwas rein Geistiges hingewiesen. Man soll nicht heraussaugen aus den physischen Dingen der Erde dasjenige, was das Göttliche ist, man soll dieses Göttliche sehen in dem reinen Geistigen, in dem Logos. Es wurde der Logos entgegengesetzt den alten Gottvatervorstellungen, das heißt, es wurde der Menschen Sinn auf etwas rein Geistiges hingelenkt. Niemals hat in vorchristlichen Zeiten der Mensch durch etwas anderes als durch dasjenige, was in ihm gewissermaßen organisch gekocht worden ist, und in ihm dann innerlich als eine Vision oder dergleichen aufgegangen ist, das Göttliche gesehen. Damit, wenn wir so denken, kommen wir den Vorstellungen der ersten christlichen Jahrhunderte eigentlich erst nahe. Aber damit war ja den Menschen zunächst etwas gegeben wie ein Hinweis, daß sie nicht irgendwelcher anderen Kraft, als der Kraft ihres Bewußtseins entnehmen sollen die Vorstellungen, um zum Göttlichen zu kommen. Die Menschen waren hingelenkt auf das Geistige. Man konnte ihnen sagen: Ehedem war die Erde so mächtig, daß sie euch die Vorstellung gegeben hat vom Göttlichen. Das hat aufgehört. Die Erde gibt nichts mehr her. Ihr müßt durch euch selbst zum Logos und zum schöpferischen Prinzip kommen. Und das drückte sich aus in dem, daß die ersten Christen sagten: der Weltuntergang ist nahe. Sie meinten, der Untergang derjenigen Erde, die dem Menschen die Erkenntnis gibt, ohne daß er mit seinem Bewußtsein an diesen Erkenntnissen arbeitet. Und es ist in der Tat eine tiefe Wahrheit ausgesprochen mit diesem Weltuntergange, denn der Mensch war vorher ein Sohn der Erde. Der Mensch überließ sich den Erdenkräften. Er verließ sich darauf, daß sein Blut ihm seine Erkenntnisse gab. Damit war es aus. Die Reiche der Himmel sind nahe herangekommen, die Reiche der Erde haben aufgehört. Der Mensch kann fortan nicht mehr ein Sohn der Erde sein. Der Mensch muß sich zum Genossen eines geistigen Wesens machen, das von der geistigen Welt auf die Erde heruntergekommen ist, des Logos, des Christus. [11]

Zitate:

[1]  GA 94, Seite 235   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[2]  GA 123, Seite 238   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[3]  GA 276, Seite 18   (Ausgabe 1961, 160 Seiten)
[4]  GA 224, Seite 46   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[5]  GA 103, Seite 62   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[6]  GA 103, Seite 44ff   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[7]  GA 103, Seite 57   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[8]  GA 103, Seite 61   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[9]  GA 124, Seite 163   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[10]  GA 204, Seite 285f   (Ausgabe 1979, 328 Seiten)
[11]  GA 204, Seite 287f   (Ausgabe 1979, 328 Seiten)

Quellen:

GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 103:  Das Johannes-Evangelium (1908)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 204:  Perspektiven der Menschheitsentwickelung. Der materialistische Erkenntnisimpuls und die Aufgabe der Anthroposophie (1921)
GA 224:  Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten.. Die Verinnerlichung der Jahresfeste (1923)
GA 276:  Das Künstlerische in seiner Weltmission. Der Genius der Sprache. Die Welt des sich offenbarenden strahlenden Scheins – Anthroposophie und Kunst. Anthroposophie und Dichtung (1923)