Denken

Das Denken als solches ist schon etwas Spirituelles, wir stehen bereits in der geistigen Welt drinnen, wenn wir denken. [1] Die gegebene Welt mit Begriffen und Ideen durchdringen, ist aber denkende Betrachtung der Dinge. Das Denken ist somit tatsächlich der Akt, wodurch die Erkenntnis vermittelt wird. Nur wenn das Denken von sich aus den Inhalt des Weltbildes ordnet, kann Erkenntnis zustande kommen. Das Denken selbst ist ein Tun, das einen eigenen Inhalt im Momente des Erkennens hervorbringt. Soweit also der erkannte Inhalt aus dem Denken allein fließt, bietet er für das Erkennen keine Schwierigkeit. Hier brauchen wir bloß zu beobachten; und wir haben das Wesen unmittelbar gegeben. Die Beschreibung des Denkens ist zugleich die Wissenschaft des Denkens. In der Tat war auch die Logik nie etwas anderes als eine Beschreibung der Denkformen, nie eine beweisende Wissenschaft. Der Beweis tritt erst ein, wenn eine Synthesis des Gedachten mit anderweitigem Weltinhalte stattfindet. [2]

Wie zwei entgegengesetzte Pole hat sich entwickelt die Erde und das, was darüber ist, das, was sich erst vereinigt hat mit der Erde durch das Mysterium von Golgatha. Christus und die Erde gehören zusammen. Sie mußten sich, damit sie sich vereinigen konnten, zuerst getrennt voneinander als Polaritäten entwickeln. So sehen wir, daß es notwendig ist damit überhaupt in der Wirklichkeit die Dinge sich ausleben, daß sie sich in Polaritäten differenzieren, und die Polaritäten vereinigen sich dann wieder zum Fortschritte des Lebens. Jetzt sehen wir auch den Sinn des Christus-Erlebens ein: Miterleben soll die Erde die Weltgeheimnisse, wie miterleben soll der einzelne Mensch die göttlichen Geheimnisse. Dadurch wurde die Polarität in den Menschen gelegt, so wie in die Erde. Was in der Welt ist, stellt sich eines dem andern entgegen, wie Polaritäten, die nicht zusammenkommen können, wenn der Mensch hinweggedacht wird. Der Mensch steht mitten dazwischen und gehört dazu. Wenn der Mensch denkt, denkt die Welt in ihm. Er ist der Schauplatz, er bringt nur die Gedanken zusammen. Wenn der Mensch fühlt und will, so ist es ebenso. [3]

Wir unterscheiden zwar diese drei Seelenfähigkeiten, Denken, Fühlen und Wollen, aber in dem einheitlichen Leben der Seele sind sie durchaus nicht in strenger Weise von einander geschieden. Man müßte eigentlich sagen: Wenn wir vom Denken, vom Vorstellen reden, so reden wir von einer Seelenfähigkeit, in der durchaus zum Beispiel der Wille und auch das Gefühl drinnen ist, aber es ist hauptsächlich das Denken drinnen. Im Willen wiederum sind durchaus Gedanken drinnen, aber es ist hauptsächlich Wille drinnen. So ist es nur das Hervorstechendste, das in den einzelnen Seelenfähigkeiten bezeichnet wird, während überall unter der Oberfläche, kann man sagen, auch die anderen Seelenfähigkeiten liegen. [4]

Das menschliche Denken ist für das wache Tagesbewußtsein wie eine Insel inmitten der Fluten des in Eindrücken, Empfindungen, Gefühlen usw. verlaufenden Seelenlebens. Man ist bis zu einem gewissen Grade mit einem Eindruck, mit einer Empfindung fertig geworden, wenn man sie begriffen, das heißt, wenn man einen Gedanken gefaßt hat, der den Eindruck, die Empfindung beleuchtet. Selbst im Sturme der Leidenschaften und Affekte kann eine gewisse Ruhe eintreten, wenn sich das Seelenschiff bis zu der Insel des Denkens hingearbeitet hat. Diejenigen Denker, welche an der Gültigkeit und Kraft des Denkens selbst zweifeln, täuschen sich über die Grundstimmung ihrer Seele. Denn es ist doch eigentlich ihre Denkschärfe oft, welche durch eine gewisse Überspannung ihnen die Zweifel und Rätsel bildet. Vertrauten sie dem Denken wirklich nicht, so zerquälten sie sich nicht mit diesen Zweifeln und Rätseln, welche doch nur die Ergebnisse des Denkens sind. [5]

Es ist die eigentümliche Natur des Denkens, daß der Denkende das Denken vergißt, während er es ausübt. Nicht das Denken beschäftigt ihn, sondern der Gegenstand des Denkens, den er beobachtet. Die erste Beobachtung, die wir über das Denken machen, ist also die, daß es das unbeobachtete Element unseres gewöhnlichen Geisteslebens ist. Ich kann mein gegenwärtiges Denken nie beobachten; sondern nur die Erfahrungen, die ich über meinen Denkprozeß gemacht habe, kann ich nachher zum Objekt des Denkens machen. Ich müßte mich in zwei Persönlichkeiten spalten: in eine, die denkt, und in die andere, welche sich bei diesem Denken selbst zusieht, wenn ich mein gegenwärtiges Denken beobachten wollte. Das kann ich nicht. Ich kann das nur in zwei getrennten Akten ausführen. Das Denken, das beobachtet werden soll, ist nie das dabei in Tätigkeit befindliche, sondern ein anderes. Ob ich zu diesem Zwecke meine Beobachtungen an meinem eigenen früheren Denken mache, oder ob ich den Gedankenprozeß einer anderen Person verfolge, oder ob ich einen fingierten Gedankenprozeß voraussetze, darauf kommt es nicht an. [6]

Wer der Vorstellung, die ich hier vom Denken entwickelt habe, sogleich den Satz des Pierre Cabanis (1757–1808) entgegensetzt: «Das Gehirn sondert Gedanken ab wie die Leber Galle, die Speicheldrüse Speichel usw», der weiß einfach nicht wovon ich rede. Er sucht das Denken durch einen bloßen Beobachtungsprozeß zu finden in derselben Art, wie wir bei anderen Gegenständen des Weltinhaltes verfahren. Er kann es aber auf diesem Wege nicht finden, weil es sich, wie ich nachgewiesen habe, gerade da der normalen Beobachtung entzieht. Wer den Materialismus nicht überwinden kann, dem fehlt die Fähigkeit, bei sich den geschilderten Ausnahmezustand herbeizuführen, der ihm zum Bewußtsein bringt, was bei aller andern Geistestätigkeit unbewußt bleibt. Wer den guten Willen nicht hat, sich in diesen Standpunkt zu versetzen, mit dem könnte man über das Denken so wenig wie mit dem Blinden über die Farbe sprechen. Er möge nur aber nicht glauben, daß wir physiologische Prozesse für Denken halten. Er erklärt das Denken nicht, weil er es überhaupt nicht sieht. Für jeden aber, der die Fähigkeit hat das Denken zu beobachten – und bei gutem Willen hat sie jeder normal organisierte Mensch –, ist diese Beobachtung die allerwichtigste, die er machen kann. [7] Es ist also zweifellos: in dem Denken halten wir das Weltgeschehen an einem Zipfel, wo wir dabei sein müssen, wenn etwas zustande kommen soll. [8]

Es gibt Leute, die sagen: ob unser Denken an sich richtig sei oder nicht, können wir aber doch nicht mit Sicherheit feststellen. Insoferne bleibt also der Ausgangspunkt (der Erkenntnis) jedenfalls ein zweifelhafter. Das ist gerade so vernünftig gesprochen, wie wenn man Zweifel hegt, ob ein Baum an sich richtig sei oder nicht. Das Denken ist eine Tatsache; und über die Richtigkeit oder Falschheit einer solchen zu sprechen, ist sinnlos. Ich kann höchstens darüber Zweifel haben, ob das Denken richtig verwendet wird, wie ich zweifeln kann, ob ein gewisser Baum ein entsprechendes Holz zu einem zweckmäßigen Gerät gibt. [9]

Die Objekte des Denkens sind aber die Ideen. Indem sich das Denken der Idee bemächtigt, verschmilzt es mit dem Urgrunde des Weltendaseins; das, was außen wirkt, tritt in den Geist des Menschen ein: er wird mit der objektiven Wirklichkeit auf ihrer höchsten Potenz eins. Das Gewahrwerden der Idee in der Wirklichkeit ist die wahre Kommunion des Menschen. Das Denken hat den Ideen gegenüber dieselbe Bedeutung wie das Auge dem Lichte, das Ohr dem Ton gegenüber. Es ist Organ der Auffassung. [10]

Unser Geist ist nicht wie ein Behälter der Ideenwelt anzusehen, der die Gedanken in sich enthält, sondern wie ein Organ, das dieselben wahrnimmt. Der Gedanke verhält sich zu unserem Geiste nicht anders wie das Licht zum Auge, der Ton zum Ohr. Es fällt gewiß niemandem ein, die Farben als etwas anzusehen, das sich dem Auge als Bleibendes einprägt, das gleichsam haften bleibt an demselben. Beim Geiste ist diese Ansicht (aber) sogar die vorherrschende. Im Bewußtsein soll sich von jedem Dinge ein Gedanke bilden, der dann in demselben verbleibt, um aus demselben je nach Bedarf hervorgeholt werden (siehe dazu: Gedächtnis).

Diese abenteuerlichen Ansichten zerfließen sofort in nichts, wenn man bedenkt, daß die Ideenwelt doch eine aus sich heraus bestimmte ist. Was hat dieser durch sich selbst bestimmte Inhalt mit der Vielheit der Bewußtseine zu tun? Der Gedankeninhalt ist ein solcher, daß nur überhaupt ein geistiges Organ notwendig ist zu seiner Erscheinung, daß aber die Zahl der mit diesem Organe begabten Wesen gleichgültig ist. Es können also unbestimmt viele geistbegabte Individuen dem einen Gedankeninhalte gegenüberstehen. Der Geist nimmt also den Gedankengehalt der Welt wahr, wie ein Auffassungsorgan. Es gibt nur einen Gedankeninhalt der Welt. Unser Bewußtsein ist nicht die Fähigkeit, Gedanken zu erzeugen und aufzubewahren, wie man so vielfach glaubt, sondern die Gedanken (Ideen) wahrzunehmen. Bürger zweier Welten, der Sinnen- und der Gedankenwelt, die eine von unten an ihn herandringend, die andere von oben leuchtend, bemächtigt sich der Mensch der Wissenschaft, durch die er beide in eine ungetrennte Einheit verbindet. [11] Das Denken ist eine Totalität in sich, das sich selbst genug ist, das sich nicht überschreiten darf, ohne ins Leere zu kommen. Mit anderen Worten: es darf nicht, um irgend etwas zu erklären, zu Dingen seine Zuflucht nehmen, die es nicht in sich selbst findet. Ein Ding, das nicht mit dem Denken zu umspannen wäre, wäre ein Unding. Alles geht zuletzt im Denken auf, alles findet innerhalb desselben seine Stelle. In bezug auf unser individuelles Bewußtsein ausgedrückt, heißt das: Wir müssen behufs wissenschaftlicher Feststellungen streng innerhalb des uns im Bewußtsein Gegebenen stehen bleiben, wir können dies nicht überschreiten. Wenn man nun wohl einsieht, daß wir unser Bewußtsein nicht überspringen können, ohne ins Wesenlose zu kommen, nicht aber zugleich, daß das Wesen der Dinge innerhalb unseres Bewußtseins in der Ideenwahrnehmung anzutreffen ist, so entstehen jene Irrtümer, die von einer Grenze unserer Erkenntnis (siehe: Erkenntnisgrenzen) sprechen. Können wir über das Bewußtsein nicht hinaus und ist das Wesen der Wirklichkeit nicht innerhalb desselben, dann können wir zum Wesen überhaupt nicht vordringen. [12]

Ein anderer Irrtum muß hier noch seine Berichtigung erfahren. Es ist der, als ob das Denken nicht hinreichend wäre, die Welt zu konstituieren, als ob zum Gedankeninhalt noch etwas (Kraft, Wille usw.) hinzukommen müsse, um die Welt zu ermöglichen. Bei genauer Erwägung sieht man aber sofort, daß sich alle solche Faktoren als nichts weiter ergeben, denn als Abstraktionen aus der Wahrnehmungswelt, die selbst erst der Erklärung durch das Denken harren. Jeder andere Bestandteil des Weltwesens als das Denken machte sofort auch eine andere Art von Auffassung, von Erkennen, nötig als die gedankliche. Wir müßten jenen anderen Bestandteil anders als durch das Denken erreichen. Denn das Denken liefert denn doch nur Gedanken. Schon dadurch aber, daß man den Anteil, den jener zweite Bestandteil am Weltgetriebe hat, erklären will und sich dabei der Begriffe bedient, widerspricht man sich. Außerdem aber ist uns außer der Sinneswahrnehmung und dem Denken kein Drittes gegeben. Und wir können keinen Teil von jener als Kern der Welt gelten lassen, weil alle ihre Glieder bei näherer Betrachtung zeigen, daß sie als solche ihr Wesen nicht enthalten. Das letztere kann daher einzig und allein im Denken gesucht werden. [13]

Im Denken sind uns nicht Behauptungen gegeben über irgendeinen jenseitigen Weltengrund, sondern derselbe ist substantiell in dasselbe eingeflossen. Wir haben eine unmittelbare Einsicht in die sachlichen Gründe, warum sich ein Urteil vollzieht. Nicht über irgend etwas Fremdes, sondern über seinen eigenen Inhalt bestimmt das Urteil. Unsere Ansicht begründet daher ein wahrhaftes Wissen. Unsere Erkenntnistheorie ist wirklich wahrhaft kritisch. [14]

Wer nötig findet, zur Erklärung des Denkens als solchem etwas anderes herbeizuziehen, wie etwa physische Gehirnvorgänge, oder hinter dem beobachteten bewußten Denken liegende unbewußte geistige Vorgänge, der verkennt, was ihm die unbefangene Beobachtung des Denkens gibt. Wer das Denken beobachtet, lebt während der Beobachtung unmittelbar in einem geistigen, sich selbst tragenden Wesensweben darinnen. – Ja, man kann sagen, wer die Wesenheit des Geistigen in der Gestalt, in der sie sich dem Menschen zunächst darbietet, erfassen will, kann dies in dem auf sich selbst beruhenden Denken. [15]

Im Betrachten des Denkens selbst fallen in eines zusammen, was sonst immer getrennt auftreten muß: Begriff und Wahrnehmung. Wer dies nicht durchschaut, der wird in an Wahrnehmungen erarbeiteten Begriffen nur schattenhafte Nachbildungen dieser Wahrnehmungen sehen können, und die Wahrnehmungen werden ihm die wahre Wirklichkeit vergegenwärtigen. Er wird sich eine metaphysische Welt nach dem Muster der wahrgenommenen Welt auferbauen; er wird diese Welt Atomenwelt, Willenswelt, unbewußte Geistwelt und so weiter nennen, je nach seiner Vorstellungsart. Und es wird ihm entgehen, daß er sich mit alledem nur eine metaphysische Welt hypothetisch nach dem Muster seiner Wahrnehmungswelt auferbaut hat.

Wer aber durchschaut, was bezüglich des Denkens vorliegt, der wird erkennen, daß in der Wahrnehmung nur ein Teil der Wirklichkeit vorliegt und daß der andere zu ihr gehörige Teil, der sie erst als volle Wirklichkeit erscheinen läßt, in der denkenden Durchsetzung der Wahrnehmung erlebt wird. Er wird in demjenigen, das als Denken im Bewußtsein auftritt, nicht ein schattenhaftes Nachbild einer Wirklichkeit sehen, sondern eine auf sich ruhende geistige Wesenhaftigkeit. Und von dieser kann er sagen, daß sie ihm durch Intuition im Bewußtsein gegenwärtig wird. Intuition ist das im rein Geistigen verlaufende bewußte Erleben eines rein geistigen Inhaltes. Nur durch eine Intuition kann die Wesenheit des Denkens erfaßt werden. Nur wenn man sich zu der in der unbefangenen Beobachtung gewonnenen Anerkennung dieser Wahrheit über die intuitive Wesenheit des Denkens hindurchgerungen hat, gelingt es den Weg freizubekommen für eine Anschauung der menschlichen leiblich-seelischen Organisation. Man erkennt, daß diese Organisation an dem Wesen des Denkens nichts bewirken kann. Sondern sie weicht, wenn die Tätigkeit des Denkens auftritt, zurück; sie hebt ihre eigene Tätigkeit auf, sie macht einen Platz frei, und an dem freigewordenen Platz tritt das Denken auf. Dem Wesenhaften, das im Denken wirkt, obliegt ein Doppeltes: Erstens drängt es die menschliche Organisation in deren eigener Tätigkeit zurück, und zweitens setzt es sich selbst an deren Stelle. Denn auch das erste, die Zurückdrängung der Leibesorganisation, ist Folge der Denktätigkeit. [16]

Aber eine bedeutsame Frage taucht hier auf. Wenn an dem Wesen des Denkens der menschlichen Organisation kein Anteil zukommt, welche Bedeutung hat diese Organisation innerhalb der Gesamtwesenheit des Menschen? Nun, was in dieser Organisation durch das Denken geschieht, hat wohl mit der Wesenheit des Denkens nichts zu tun, wohl aber mit der Entstehung des Ich-Bewußtseins aus diesem Denken heraus. Innerhalb des Eigenwesens des Denkens liegt wohl das wirkliche «Ich», nicht aber das Ich-Bewußtsein. Dies durchschaut derjenige, der eben unbefangen das Denken beobachtet. Das «Ich» ist innerhalb des Denkens zu finden; das «Ich-Bewußtsein» tritt dadurch auf, daß im allgemeinen Bewußtsein sich die Spuren der Denktätigkeit eingraben. Durch die Leibesorganisation entsteht also das Ich-Bewußtsein. Einmal entstanden, wird es in das Denken aufgenommen und teilt fortan dessen geistige Wesenheit. [17]

Die Leute sind heute im allgemeinen auf Gedanken wirklich nicht eingeschult, weil sie das Sich-Bewegen in den Projektionen der Sprache lieber für Gedanken halten. Aber gerade dann, wenn man sich auf das Denken einläßt, merkt man, daß man in unserem heutigen fünften nachatlantischen Zeitraum, indem man wirklich denkt, das heißt in Gedanken lebt, Schattenbilder von etwas hat, man merkt, wenn man den Charakter des Gedankenlebens richtig auffaßt, da bewegt sich die Seele gewissermaßen auf der Fläche der Gedanken, und dahinter ist etwas, was im Unbewußten bleibt. Da ist die Seele. Aber sie sieht etwas, was sie gewissermaßen vorausschickt als die Schattenbilder dessen, in dem sie lebt. Da muß aber die Seele hinein in das, worin sie wirklich lebt. Sie muß die Schattenbilder, Gedanken, Ideen auffassen und muß sie hineintragen in etwas, was dem Menschen heute noch vielfach unbewußt bleibt. Sie kann das nur dadurch, daß aufgenommen wird in das Gedankenleben dasjenige, worüber wir uns, wenn wir es aufnehmen, keinerlei Täuschung hingeben können: das ist der Denkwille, die Empfindung des Wollens, indem wir denken – die Empfindung, daß wir dabei sind, indem wir denken –, daß wir wirklich mit dem einen Gedanken zu dem anderen überleiten, daß wir immer ein anschauliches Bild unterliegend haben, indem wir denken. Das lieben die Menschen heute nicht. Die Menschen sitzen, gehen, stehen heute und ihre Gedanken spielen durch den Kopf, die Menschen überlassen sich diesen sogenannten Gedanken, sie geben sich passiv hin, nehmen auch jeden sogenannten Gedanken an, der ihnen durch den Kopf rollt. Und die Folge davon ist, daß der Gedankenwille, das Willkürliche, das aktiv Arbeitende im Gedanken, daß das heute in den Menschenseelen zu dem Allerseltensten gehört. Mit Bezug auf dieses aktive Denken lebt die heutige Menschheit in einer – man kann es nicht anders nennen – sozialen Faulheit. [18]

Das reine Denken ist selbst schon eine übersinnliche Betätigung. Es kann als Sinnliches nicht zu übersinnlichen Vorgängen durch sich selbst führen. Wenn man aber dieses Denken auf die übersinnlichen, durch die übersinnliche Anschauung erzählten Vorgänge anwendet, dann wächst es durch sich selbst in die übersinnliche Welt hinein. Und es ist sogar einer der allerbesten Wege, zu eigener Wahrnehmung auf übersinnlichem Gebiete dadurch zu gelangen, daß man durch das Denken über das von der übersinnlichen Erkenntnis Mitgeteilte in die höheren Welten hinein wächst. [19]

Jedes wahre Denken ist inspiriert. Woher es die Seele hat, daß sie die Logik entfaltet, dahinter kommt man erst, wenn man erkennt, daß die Seele in der geistigen Welt war und sich von dort her die Richtschnur für das Denken mitgebracht hat, und daß das, was wir als Logik entwickeln, gar nicht in der Gegenwart entwickelt wird. Das ist alles Inhalt aus dem Dasein vor der Empfängnis. Wir sind nicht herausgekommen aus dem ewigen Leben. Das inspiriert uns, wenn wir uns aufschwingen zu dem über das bloße Vorstellen hinübergehende Denken. [20]

Wer die astrale oder die devachanische Welt betritt, weiß, wie grundverschieden diese Welten sind von dem, was er hier mit Augen zu sehen, mit Ohren zu hören gewohnt ist. Aber eines ist gleich durch alle drei Welten und das ist das logische Denken. Weil das logische Denken in allen drei Welten dasselbe ist, deshalb kann es hier in dieser physischen Welt schon gelernt werden, so daß wir durch dasselbe eine feste Stütze in den anderen Welten haben werden. Nun handelt es sich allerdings nicht um das, was man im gewöhnlichen Sinne Denken nennt. Das gewöhnliche Denken ist nur ein Kombinieren sinnlicher Wirklichkeiten. Hier handelt es sich aber um ein Denken, das sinnlichkeitsfrei geworden ist. [21]

Erst auf dem Buddhiplan hat das Denken nicht mehr die gleiche Geltung wie auf dem physischen Plan. Da muß ein anderes Denken eintreten. Aber für die drei Welten unterhalb des Buddhiplanes gilt überall das gleiche Denken. Wer in diese Welten hinaufgelangt, lernt zwar Wahrnehmungsweisen kennen, die es auf dem physischen Plan nicht gibt, aber er wird sie mit seinem Denken beherrschen können. [22] Dieses Denken, das also jede Seele heute in sich als eine Kraft haben kann, hat gewissermaßen zwei Gesichter, ist ein Januskopf. Dieses Denken ist entweder vom Gehirn abhängig, bringt nur dasjenige als Gedanken zum Bewußtsein, was sich im Gehirn, im Nervensystem spiegelt. Dann ist dieses Denken mehr passiv, ist ein solches Denken, das sich anlehnen will an das Instrument des Gehirns. Oder aber dieses Denken kann sich schon einfach – ohne irgendwelche Meditation– durch inneres Aufraffen, dadurch daß es seiner selbst in seiner wahren Wesenheit sich selbst bewußt wird, daß es sich losreißen will von der Anlehnung an das Gehirn, freimachen: dann ist es ein mehr aktives Denken. [23]

Nach und nach erst haben sich die heutigen Fähigkeiten entwickelt und erst wir haben mit der eigentlichen Entwickelung der Bewußtseinsseele das menschliche Denken in den Kreis der Erdentwickelung hereinbekommen. Deshalb muß es auch heute geschehen, daß die Geisteswissenschaft heruntergeholt wird aus der übersinnlichen Welt und daß sie appelliert an das vernünftige Denken des Menschen. [24]

Wenn jemand einem ein Dreieck aufzeichnet, dann ist es fertig, und man weiß, wie es aussieht; jetzt kann man hübsch ruhen in seinen Gedanken. Man kann aber auch das andere machen: Das Dreieck gleichsam als einen Ausgangspunkt betrachten und jeder Seite erlauben, daß sie sich mit verschiedenen Geschwindigkeiten und nach verschiedenen Richtungen dreht. In diesem Fall hat man es nicht so bequem, sondern man muß in seinen Gedanken Bewegungen ausführen. Aber dafür hat man auch wirklich den allgemeinen Gedanken Dreieck darinnen; er ist ja nur nicht zu erreichen, wenn man bei einem Dreieck abschließen will. Der allgemeine Gedanke Dreieck ist da, wenn man den Gedanken in fortwährender Bewegung hat, wenn er versatil ist.

Weil die Philosophen das, was ich eben jetzt ausgesprochen habe, den Gedanken in Bewegung zu bringen, nicht gemacht haben, deshalb stehen sie notwendigerweise an einer Grenzscheide und begründen den Nominalismus. Gefordert wird von uns, wenn wir von dem speziellen Gedanken zu dem allgemeinen Gedanken aufsteigen sollen, daß wir den speziellen Gedanken in Bewegung bringen, so daß der bewegte Gedanke der allgemeine Gedanke ist, der von einer Form in die andere hineinschlüpft. Der allgemeine Gedanke ist in Bewegung und erzeugt die einzelnen Formen durch sein Stillestehen. Da sehen wir, die Philosophen des Nominalismus bewegen sich in dem Reiche der Geister der Form, Exusiai. In diesem Reich sind streng in sich abgeschlossene Einzeldinge. Daraus sehen Sie, daß die Philosophen, die ich meine, niemals den Entschluß gefaßt haben, aus dem Reiche der Formen herauszugehen, und daher in den allgemeinen Gedanken nichts anderes haben können als bloße Worte. Würden sie herausgehen aus dem Reiche der speziellen Dinge, das heißt der Formen, so würden sie in ein Vorstellen hineinkommen, das in fortwährender Bewegung ist, das heißt, sie würden in ihrem Denken eine Vergegenwärtigung des Reiches der Geister der Bewegung, der Dynamis haben, der nächst höheren Hierarchie. Mit diesen Begriffen «Urpflanze», «Urtier» (von Goethe) kommt man nur zurecht, wenn man sie sich beweglich denkt. [25]

Zum Kennenlernen der offenbaren Welt braucht man aber keine Gedanken; da braucht man nur die Erinnerung an das, was man gesehen hat im Reiche der Form. Und das ist das, was die meisten Menschen überhaupt nur wissen. Es erfordert das wirkliche Denken immer ein ganz enges, in gewisser Beziehung unbewußtes Berührtsein von einem Hauch aus dem Reiche der Geister der Bewegung. Würde das Denken so ganz leicht sein, so würden nicht so kolossale Schnitzer auf dem Gebiete des Denkens gemacht werden, und man plagte sich nicht so lange mit allerlei Problemen und Irrtümern herum. [26]

Den ersten Schritt (zur höheren Erkenntnis) muß man machen, das eigene Denken durch Aktivierung zu einem seelischen Tastorgan zu machen, so daß man sich darinnen fühlt, wie wenn man so dächte – wie wenn man sonst schreitet, wie wenn man sonst greift, tastet –, daß man weiß: Man lebt in einem Wesen, nicht bloß in dem gewöhnlichen Denken, das ja nur abbildet, sondern man lebt in einer Realität, in einem seelischen Tastorgan, zu dem man selber als Mensch ganz geworden ist. Das, was durch Aktivität des Denkens entwickelt wird, ist das erste übersinnliche Glied des Menschen. Diesem übersinnlichen Tasten wird der Ätherleib des Menschen erfaßbar, erschaubar im höheren Sinne. Das ist sozusagen der erste wirkliche Schritt in die übersinnliche Welt hinein. [27]

Wenn Sie immer wieder und wiederum – die Übungen dauern manchmal jahrelang, es kann auch kürzere Zeit dauern, je nach der Veranlagung des Menschen – auf Vorstellungen sich konzentrieren, die Sie in den Mittelpunkt Ihres Bewußtseins rücken, (so) wird die Denkkraft immer stärker und stärker, und sie erreicht endlich einen Punkt, an dem Sie sagen können: jetzt bin ich in der Lage, meine Vorstellungen so lebendig zu haben, wie ich sonst nur äußere Sinneseindrücke habe. Hat man das Denken erkraftet, dann hat man die erste Stufe übersinnlicher Erkenntnis erreicht: die Imagination. [28]

Das Denken kann erst ablaufen, wenn es innerlich organmäßig vorbereitet ist. So daß jedesmal, wenn man denkt, zweierlei verläuft: ein Prozeß, von dem man nichts weiß, der erst den Organismus, den äußeren Leib zubereitet, so daß da jene Vorgänge stattfinden, die dann als Gedanke, als Vorstellung zum Bewußtsein kommen. Dadurch daß man meditiert, daß man gleichsam alle Seelenkräfte konzentriert auf eine bestimmte Vorstellung, sie so zusammendrängt, im Denken stille hält, nicht den Ablauf des Denkens so verfließen läßt wie im gewöhnlichen Leben, sondern im Denken stille hält, das heißt, den Gedanken anhält, und nun denkt, nicht um etwas Äußerliches abzubilden, sondern um das innerliche Denken zu erspüren, den Prozeß des Denkens zu erspüren, – indem man dies vollbringt, merkt man innerlich: Was man eigentlich bisher getrieben hat als Denken, wie man sich im Denken betätigt hat, das hört auf. Man kommt nicht aus einer klaren Auffassung des Bewußtseins heraus, man kommt nicht in ein Nebuloses hinein; aber dieses Denken, das an dem Prozeß der äußeren Welt in seinem Flusse fortgeführt wird, das hört als solches auf. Man kommt in ein innerliches Erlebnis, das einen zunächst viel mehr mit einem selbst zusammenführt, das einen hineinführt in denjenigen Vorgang, der vorgedanklich ist, der erst unseren Leib zubereitet, damit wir das Denken entfalten können. Man kommt unter das Denken hinunter. Das läßt sich nicht auf eine andere Weise beweisen, als nur im unmittelbaren Erleben. Dasjenige Denken, das man im gewöhnlichen Leben hat, das erscheint einem wie ein hinlaufender Fluß. Jetzt weiß man: jetzt ist man in einer tieferen Schichte des Seins, jetzt ist man in dem Prozeß drinnen, den man im gewöhnlichen Leben nicht erleben kann, weil er dem Denken vorangehen muß. Das ist der Prozeß, der aber, wenn er in Geduld, mit Ausdauer und Energie fortgesetzt wird, weit führt; es dauert für einen Menschen kürzer, für manchen Menschen jahrelang, obwohl die einzelne Übung nicht übertrieben werden soll. Dieses innerliche Erlebnis führt dahin, dasjenige, was im Denken liegt, jetzt nicht bloß zu erdenken, sondern zu erleben. Das heißt: das Denken nicht so zu erleben, wie es ein Äußeres abbildet, sondern wie es im Menschen gestaltet, wie es erst den Organismus ergreift und im Menschen gestaltet. Zunächst weiß man nicht, was dieses innere Erlebnis eigentlich bedeutet. Man fühlt sozusagen, wie wenn man an der oder jener Stelle unter das gewöhnliche Seelenleben herunterkäme in eine Welt hinein, die man bisher nicht gekannt hat. Dann aber lernt man als erstes bedeutsames Ergebnis kennen dasjenige, was als Lebendiges im Denken liegt und was vorangegangen ist unserer physischen Leibesgestaltung, vorangegangen ist vor allen Dingen demjenigen Punkte des menschlichen Erlebens, bis zu dem man sich im späteren Leben zurückerinnert, bis zur Geburt, bis zur Empfängnis und weiter hinauf. Das heißt, man lernt sich erkennen als Geistesmensch, der nun nicht in uns lebt, um den Organismus als Organ zur Wahrnehmung der äußeren Welt zu benutzen, sondern als Geistesmensch, der gestaltet hat vor unserer Geburt, oder, sagen wir, vor der Empfängnis dasjenige, was von dem Menschengeist, von der Menschenseele aus am menschlichen Leibe gestaltet werden muß. [29]

Die neuere Zeit ist stolz, hochmütig auf ihr Denken, aber sie kann ja eigentlich nur das Räumliche denken. Sie lebt in jedem Gedanken nur so, daß sie den Raum mitdenkt. Aber man muß sich bemühen, um das Geistige zu denken, den Raum selber in seinem Denken zu überwinden. Sonst werden wir niemals in das wirklich Geistige hineinkommen und werden vor allen Dingen niemals auch nur zu einer annähernd richtigen Naturwissenschaft kommen, geschweige denn zu einer Geisteswissenschaft. Worauf es ankommt, das ist, daß wir in der Lage sind, unsere ganze Seelenverfassung umzuwandeln, daß wir uns anstrengen müssen, anders zu denken für das Geistige, als wir gewohnt sind, für die äußere Sinneswelt zu denken. Nicht, wenn wir etwas anderes als die Sinneswelt als geistig denken, treten wir in die Geisteswissenschaft ein, sondern wenn wir anders denken über das Geistige, als wir über die Sinneswelt denken. Über die Sinneswelt denken wir räumlich. Über das Geistige können wir höchstens innerhalb gewisser Grenzen zeitlich denken, weil wir uns selber in dieser geistigen Welt denken müssen. Und wir sind ja in der Zeit in einer gewissen Weise bedingt auch geistig, indem wir eben in einem bestimmten Zeitpunkte aus dem Leben zwischen Tod und Geburt in das Leben zwischen Geburt und Tod hineinversetzt werden. [30]

Man wird ein anderer Mensch, wenn man zuerst das Denken auf dem physischen Plan als Schulung, als Übung durchgemacht hat. Nicht um mit diesem Denken die höheren Welten zu begreifen, macht man es durch, sondern um aus sich selber erst einen anderen Menschen zu machen. Man erlebt ja auch an dem logischen Denken etwas. Man erlebt an dem logischen Denken vor allen Dingen eine Art von Gewissen. Es gibt eine Art logischen Gewissens, und wenn man dieses logische Gewissen ausbildet, dann bekommt man überhaupt in seiner Seele ein gewisses Verantwortungsgefühl gegenüber Wahrheit und Unwahrheit, und ohne dieses Verantwortungsgefühl gegenüber Wahrheit und Unwahrheit ist nicht viel anzufangen in den höheren Welten. [31]

Für die höhere Entwickelung hat die Intelligenz etwa diejenige Bedeutung, die das Schreibenlernen in der Jugend hat. Das Schreibenlernen hat erst dann eine Bedeutung, wenn man es überwunden hat. Wenn man darüber hinaus ist, dann blickt man darauf zurück als auf die Voraussetzung des Schreibenkönnens. [32]

Die Materie hat dem Menschen in alten Zeiten und bis in unser Zeitalter die Stütze für das Denken gegeben, indem sie ihm das Denken real gemacht hat. Das Denken aber ist, weil es die Grundlage werden mußte für die Entwickelung der menschlichen Freiheit, in den Bildcharakter übergegangen. So schwebt es zwischen der Außenerfahrung und dem Innenerlebnis. Es muß untertauchen in dieses Innenerlebnis. Es muß wiederum Realität bekommen. [33]

Die Gedanken sind die in den Dingen waltenden Kräfte. Und unser Denkorgan ist eben nur etwas, was aus dem kosmischen Reservoir der Gedankenkräfte schöpft, was die Gedanken in sich hereinnimmt. Wir müssen also von Gedanken nicht so sprechen, als ob sie etwas wären, das nur dem Menschen angehört. Wir müssen von Gedanken so sprechen, daß wir uns bewußt sind: Gedanken sind die weltbeherrschenden Kräfte, die überall im Kosmos ausgebreitet sind. Aber diese Gedanken fliegen deshalb doch nicht frei herum, sondern sie sind immer getragen, bearbeitet von irgendwelchen Wesenheiten. Und, was das Wichtigste ist, sie sind nicht immer von den gleichen Wesenheiten getragen. [34]

Das 4. Jahrhundert brachte für die übersinnliche Welt das außerordentlich bedeutsame Ereignis, daß die Exusiai – die Kräfte, die Wesenheiten der Form – ihre Gedankenkräfte abgaben an die Archai. Es traten damals die Urbeginne, die Archai, in den Beruf ein, den früher die Exusiai ausgeübt haben. Die Exusiai behielten sich von jener Zeit an lediglich die Aufgabe zurück, die äußeren Sinneswahrnehmungen zu regeln, also mit besonderen kosmischen Kräften alles das zu beherrschen, was in der Welt der Farben, der Töne und so weiter vorhanden ist. Und diese Tatsache der übersinnlichen Welt spiegelt sich hier unten in der sinnlichen Welt so, daß eben in jener älteren Zeit, in welcher zum Beispiel die Griechen lebten, die Gedanken objektiv in den Dingen wahrgenommen worden sind. So wie wir heute glauben, das Rot oder das Blau an den Dingen wahrzunehmen, so fand der Grieche einen Gedanken nicht bloß mit seinem Kopfe erfaßt, sondern hervorstrahlend, herausstrahlend aus den Dingen, wie eben das Rot oder das Blau herausstrahlt. [35]

In dem Augenblicke, wo Sie Gedanken haben, die mit irgendeinem bestimmten Organ zusammenhängen, tritt eine gewisse Tätigkeit dieses Organs auf. Was heißt das? Das, was in Ihren Gedanken auftritt, das ist ganz in den Organen darinnen. Wenn Sie also einen Gedanken haben und irgendeine parallelgehende Drüsenabsonderung, so haben Sie die Tätigkeit, die dem Gedanken zugrunde liegt, die dem Denken zugrunde liegt, herausgeholt aus der Drüse. Sie verrichten sie abgesondert von der Drüse, Sie überlassen die Drüse ihrem eigenen Schicksal, und die Drüse widmet sich ihrer eigenen Tätigkeit, sie sondert ab. Dieses Absondern ist verhindert, das heißt dasjenige, was sonst von der Drüse entlassen wird, bleibt mit der Drüse vereinigt dadurch, daß der Gedanke es vereinigt hat. Sie haben also hier, ich möchte sagen handgreiflich das Heraustreten der Bildetätigkeit aus dem Organ in den Gedanken hinein. Das heißt, ich habe die Kraft der Drüse entzogen, habe sie in mein Seelenleben versetzt, diese Kraft, und die Drüse sondert ab. – Da haben Sie im menschlichen Organismus selbst den offenkundigsten Beweis für das, daß dasjenige, was wir im Geistig-Seelischen erleben, eigentlich nichts anderes ist als die abgesonderten Bildungskräfte für dasjenige, was wir in der übrigen Naturordnung vor uns haben. [36]

Wie die Wärme die drei unteren Gebiete bei uns durchzieht (festes, flüssiges, gasförmiges), so durchzieht auch ein gemeinschaftliches Element die drei (ersten) Regionen des Devachan. Und das, was dort alles durchzieht, das ist die Substanz unserer Gedanken, die dort als Formen und Wesen leben. (Aber) das, was hier der Mensch an Gedanken erlebt, das ist nur ein Schattenbild der wirklichen Gedanken. [37] Die Gedankenbilder, die Sie haben, sind die Schattenbilder, die aus der devachanischen Welt geworfen werden; den Gedanken sieht der Seher im Zusammenhang mit einer Wesenheit. Wenn der Mensch von diesen höheren Welten nichts weiß, so ist er ihnen wie ein Sklave hingegeben, der gegenüber demjenigen, der an den Ketten zieht, machtlos ist. [38]

Dasjenige, was der Mensch im gewöhnlichen sinnenfälligen Dasein Denken nennt, das ist nur ein Maya-Gebilde, das ist nur eine Illusion. Indem Sie sich im Sinnen denken, müssen Sie sich denken, daß Ihr – wenn ich jetzt so sagen darf – geistiger Raum, in den Sie sich dann versetzen, drinnen steht in einer Region, wo ein zur Ruhe gekommener Kampf stattfindet. Doch die Ruhe bedeutet, daß gewisse zur ahrimanischen Wesenheit hinneigende Wesen die Oberhand haben, so wie wenn ein Waagebalken in schiefer Lage zur Ruhe kommt, nicht mehr schwankt, weil etwas hinunterzerrt. Das würde die Wirklichkeit sein, die dem Sinnen, der denkenden Betätigung entspricht. [39]

Wir können niemals in unserer Seele etwas wollen oder denken, ohne daß wir uns in Regionen versetzen, in denen geistige Kämpfe stattfinden oder geistige Kämpfe zur Ruhe kommen, oder geistige Kämpfe schon ausgefochten worden sind und wir uns in das Ergebnis des Ausfechtens versetzen und so weiter. [40]

Wer einen Seins-Charakter in der Vorstellung sucht, wer eine wirkliche Existenz in der Vorstellung sucht, der gibt sich einer großen Illusion hin. Was sollte für uns aber auch Vorstellung sein, wenn sie ein Sein wäre? Wir haben zweifellos auch Seins-Elemente in uns. Nehmen Sie nur unsere leiblichen Seins-Elemente zum Beispiel Ihre Augen, die Seins-Elemente sind, Ihre Nase, die ein Seins-Element ist oder auch Ihren Magen, der ein Seins-Element ist. Sie werden sich sagen, in diesen Seins-Elementen leben Sie zwar, aber Sie können mit ihnen nicht vorstellen. Sie fließen mit Ihrem eigenen Wesen in die Seins-Elemente aus, Sie identifizieren sich mit den Seins-Elementen. Gerade das ergibt die Möglichkeit, daß wir mit den Vorstellungen etwas ergreifen, etwas erfassen können, daß sie Bildcharakter haben, daß sie nicht so mit uns zusammenfließen, daß wir in ihnen sind. Sie sind also eigentlich nicht, sie sind bloße Bilder. Es ist der große Fehler gerade (durch Descartes) gemacht worden, das Sein mit dem Denken als solchem zu identifizieren. [41]

Seit dem Jahre 1879 mußten ahrimanische Mächte heruntersteigen von der geistigen Welt in das Reich der Menschen (siehe: Sturz der Geister der Finsternis), daß sie durchsetzen mußten die menschliche Intellektualität, das menschliche Denken und Empfinden und Anschauen. Man muß vor allen Dingen wissen, daß man jetzt, nachdem diese Mächte einmal auf die Erde heruntergegangen (geworfen) sind, mit ihnen leben muß, daß sie da sind, daß man nicht die Augen vor ihnen verschließen darf, und daß sie am mächtigsten werden, wenn man die Augen vor ihnen verschließt. Die naturwissenschaftliche Weltanschauung ist (zum Beispiel) eine rein ahrimanische Sache. [42] Das ist ja das Wesen jener Intelligenz, die sich seit der Mitte des 15. Jahrhunderts ganz besonders entwickelt hat, daß der Verstand nur ein Spiegelungsapparat ist. Aber solches, wie es sich da spiegelt, das hat im Grunde genommen im Menschen keine Kraft. Das ist im Grunde genommen passiv. Das ist ja das eigentümliche desjenigen Verstandes, auf den die gegenwärtige Menschheit so stolz ist, daß dieser Verstand passiv ist. Wir lassen ihn auf uns wirken, wir geben uns ihm hin. Wir entwickeln wenig Willenskraft in diesem Verstande. Das ist das hervorragendste Kennzeichen der Menschen, daß sie eigentlich den tätigen Verstand hassen. Wenn sie irgendwo sein sollen, wo ihnen zugemutet wird, mit dem, was vorgebracht wird, mitzudenken, so ist das langweilig, sehr langweilig. Da beginnt das allgemeine Einschlafen sehr bald, wenigstens das seelische Einschlafen: sobald gedacht werden soll. Dagegen wenn es ein Kinematograph ist, wenn man nicht zu denken braucht, sondern wenn das Denken eher eingeschläfert wird, wenn man bloß zu sehen braucht und nur sich passiv hinzugeben dem, was sich abspielt, und wenn die Gedanken so wie selbständige Räder ablaufen, da fühlt sich der Mensch heute befriedigt. Es ist der passive Verstand, an den sich die Menschen gewöhnt haben. Diese passive Verstand hat keine Kraft. [43]

Der äußeren (erfolgreichen) Forschung steht gegenüber eine philosophische Unbildung gerade derjenigen, die da Forscher sind, so daß es zwar mit Hilfe der heutigen Werkzeuge möglich ist, auf dem äußeren Tatsachengebiet große, gewaltige Errungenschaften zu erzielen, daß es aber denjenigen, denen gerade die Mission zukommt, diese Errungenschaften zu machen, nicht möglich ist, Schlüsse zu ziehen aus diesen äußeren Ergebnissen für die Erkenntnis des Geistes, eben einfach aus dem Grunde, weil die mit der äußeren Mission der Wissenschaften Betrauten auf gar keiner bedeutenden Bildungshöhe in bezug auf philosophisches Denken stehen. Es ist etwas ganz anderes, in der Forschung mit dem Werkzeuge und der äußeren Methode im Laboratorium, im Kabinett zu arbeiten, und etwas anderes, sein Denken so gebildet, so geschult zu haben, daß man aus dem, was man also erforschen kann, gültige Schlüsse zu ziehen vermag, die dann ein Licht zu verbreiten in der Lage sind über die Urgründe des Daseins. [44]

Zitate:

[1]  GA 176, Seite 195   (Ausgabe 1982, 392 Seiten)
[2]  GA 3, Seite 59   (Ausgabe 1958, 88 Seiten)
[3]  GA 155, Seite 57f   (Ausgabe 1982, 252 Seiten)
[4]  GA 82, Seite 120   (Ausgabe 1994, 264 Seiten)
[5]  GA 17, Seite 9f   (Ausgabe 1956, 102 Seiten)
[6]  GA 4, Seite 42ff   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[7]  GA 4, Seite 45   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[8]  GA 4, Seite 49   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[9]  GA 4, Seite 53   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[10]  GA 1, Seite 126   (Ausgabe 1987, 350 Seiten)
[11]  GA 2, Seite 77ff   (Ausgabe 1960, 150 Seiten)
[12]  GA 2, Seite 80   (Ausgabe 1960, 150 Seiten)
[13]  GA 2, Seite 81f   (Ausgabe 1960, 150 Seiten)
[14]  GA 2, Seite 84   (Ausgabe 1960, 150 Seiten)
[15]  GA 4, Seite 145   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[16]  GA 4, Seite 146   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[17]  GA 4, Seite 149   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[18]  GA 190, Seite 158f   (Ausgabe 1980, 238 Seiten)
[19]  GA 13, Seite 144   (Ausgabe 1962, 444 Seiten)
[20]  GA 67, Seite 348f   (Ausgabe 1962, 367 Seiten)
[21]  GA 55, Seite 185f   (Ausgabe 1959, 278 Seiten)
[22]  GA 96, Seite 143   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[23]  GA 152, Seite 51f   (Ausgabe 1980, 176 Seiten)
[24]  GA 117, Seite 78   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[25]  GA 151, Seite 16f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[26]  GA 151, Seite 18f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[27]  GA 227, Seite 41f   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[28]  GA 82, Seite 81   (Ausgabe 1994, 264 Seiten)
[29]  GA 65, Seite 150ff   (Ausgabe 1962, 704 Seiten)
[30]  GA 199, Seite 100f   (Ausgabe 1985, 318 Seiten)
[31]  GA 119, Seite 208   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[32]  GA 119, Seite 211   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[33]  GA 76, Seite 45   (Ausgabe 1977, 264 Seiten)
[34]  GA 283, Seite 151f   (Ausgabe 1975, 186 Seiten)
[35]  GA 283, Seite 153f   (Ausgabe 1975, 186 Seiten)
[36]  GA 312, Seite 84   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[37]  GA 109, Seite 191f   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[38]  GA 96, Seite 79f   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[39]  GA 184, Seite 126   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[40]  GA 184, Seite 128   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[41]  GA 293, Seite 31   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[42]  GA 177, Seite 168   (Ausgabe 1977, 262 Seiten)
[43]  GA 198, Seite 27   (Ausgabe 1984, 320 Seiten)
[44]  GA 108, Seite 219   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)

Quellen:

GA 1:  Einleitungen zu Goethes Naturwissenschaftlichen Schriften. Zugleich eine Grundlegung der Geisteswissenschaft (Anthroposophie) (1884-1897)
GA 2:  Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, mit besonderer Rücksicht auf Schiller (1886)
GA 3:  Wahrheit und Wissenschaft. Vorspiel einer «Philosophie der Freiheit» (1892)
GA 4:  Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung – Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode (1894)
GA 13:  Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910)
GA 17:  Die Schwelle der geistigen Welt (1913)
GA 55:  Die Erkenntnis des Übersinnlichen in unserer Zeit und deren Bedeutung für das heutige Leben (1906/1907)
GA 65:  Aus dem mitteleuropäischen Geistesleben (1915/1916)
GA 67:  Das Ewige in der Menschenseele. Unsterblichkeit und Freiheit (1918)
GA 76:  Die befruchtende Wirkung der Anthroposophie auf die Fachwissenschaften (1921)
GA 82:  Damit der Mensch ganz Mensch werde. Die Bedeutung der Anthroposophie im Geistesleben der Gegenwart (1922)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 108:  Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie (1908/1909)
GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)
GA 117:  Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien (1909)
GA 119:  Makrokosmos und Mikrokosmos.. Die große und die kleine Welt. Seelenfragen, Lebensfragen, Geistesfragen (1910)
GA 151:  Der menschliche und der kosmische Gedanke (1914)
GA 152:  Vorstufen zum Mysterium von Golgatha (1913/1914)
GA 155:  Christus und die menschliche Seele. Über den Sinn des Lebens. Theosophische Moral. Anthroposophie und Christentum (1912/1914)
GA 176:  Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus (1917)
GA 177:  Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis (1917)
GA 184:  Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit (1918)
GA 190:  Vergangenheits- und Zukunftsimpulse im sozialen Geschehen (1919)
GA 198:  Heilfaktoren für den sozialen Organismus (1920)
GA 199:  Geisteswissenschaft als Erkenntnis der Grundimpulse sozialer Gestaltung (1920)
GA 227:  Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwickelung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie (1923)
GA 283:  Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Menschen (1906/1920)
GA 293:  Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)