Logik

Das reine Denken ist nämlich bloß eine Betätigung der Persönlichkeit, nicht der Individualität, welche in immer wiederkehrenden Reinkarnationen durch die verschiedenen Persönlichkeiten hindurchgeht. Die Gesetze auch der höchsten Logik werden niemals anders, auch wenn in der Stufenfolge der Wiederverkörperungen die menschliche Individualität bis zur Etappe des höchsten Weisen hinaufsteigt. Die geistige Anschauung steigert sich, das Wahrnehmungs-vermögen erweitert sich, wenn eine Individualität, die in einer Inkarnation hoch stand, wiederverkörpert wird, die Logik des Denkens aber bleibt dieselbe auch für eine höhere Bewußtseinsstufe. Daher kann dasjenige, was über die einzelne Inkarnation hinausgeht, auch niemals durch ein noch so feines Gedanken-Erlebnis erfaßt werden, selbst wenn sich dieses zu den höchsten Stufen erhebt. [1]

Wenn wir alle gleich denken, so kommt es nur davon, daß wir alle gleich individuell organisiert sind und daß der Verstand geknüpft ist an dies in allen Menschen gleich organisierte Individuelle. Sie denken schon, insoferne Sie differenziert sind, auch verschieden. Das sind aber Nuancen, die mit der eigentlichen Logik nichts zu tun haben. Das eigentliche logische und dialektische Denken ist aber ein Ausfluß der allgemeinen menschheitlichen, aber individuell differenzierten Organisation. [2] Die Gedanken und Gesetze der Logik sind für alle drei Welten dieselben. Was richtig gedacht ist, ist auch richtig im Devachan, ist richtig auf dem Astralplan wie auf dem physischen Plan. Lernen Sie richtig denken auf dem physischen Plan, so haben Sie in diesem richtigen Denken einen sicheren Führer durch alle Welten. Aber es handelt sich darum, bedeutungsvoll, sinnvoll, tief denken zu lernen. Daher sollte es sich niemand ersparen, in diese sinnliche Welt mit den Gedanken einzudringen und sie zu betrachten als Schriftzeichen, die Kunde bringen von einer höheren, geistigen Welt. [3]

Die Logik ist zwar für alle Welten anwendbar, aber unmittelbar angewendet kann sie nur in bezug auf die physische Welt werden. Also an ihr Instrument, an das physische Gehirn ist die Logik unbedingt gebunden, wenn sie als menschliche Logik auftritt; nie hätte das rein begriffsmäßige Denken in die Welt kommen können ohne das Weiter-Heruntersteigen in die sinnliche Welt. Sie sehen, die Ausbildung des logischen Denkens ist verknüpft mit dem Verlust der alten hellseherischen Anschauung; wirklich hat der Mensch das logische Denken erkaufen müssen mit diesem Verlust. Er muß sich die hellseherische Anschauung wiederum hinzuerwerben zu dem logischen Denken. In späteren Zeiten wird der Mensch die Imagination dazu erhalten, aber das logische Denken wird ihm bleiben. [4]

Die Logik ist im Grunde genommen nicht eigentlich eine Denklehre, sondern die Logik ist eine Lehre davon, wie der Wille die Gedankenbilder ordnet und bändigt und sie in eine gewisse äußere Ordnung bringt, die dann dem äußeren Weltenverlauf entspricht. Wenn wir aufwachen mit einem Traum, da nehmen wir besonders stark dieses Gewoge da unten von chaotischen, unlogischen Bilderwirbeln wahr, und wir können es bemerken, wie wir einschlagen sehen in dieses chaotische Bilderwirbeln den Willen, der dann das, was da in uns lebt, so anordnet, daß es eben logisch geordnet ist. Wie kommt es denn, daß dieser Wille nun doch in uns logisch wirkt? Sehen Sie, hier liegt ein wichtiges Menschengeheimnis, etwas außerordentlich Bedeutsames. Es ist dieses: Wenn wir untertauchen in unsere für das gewöhnliche Bewußtsein nicht vorhandene kosmische Existenz, wenn wir untertauchen in unsere ganze Organisation, dann spüren wir in unserem Willen, der sich da ausbreitet, die kosmische Logik unserer Organe. Wenn wir des Morgens aufwachen, also eintauchen in unseren Leib, werden wir durch dieses Eintauchen gezwungen, den Willen in einer gewissen Weise zu formen. Wäre unser Leib nicht schon in einer gewissen Weise geformt, der Wille, der würde nach allen Seiten quallenhaft wirbeln beim Aufwachen. Das tut er nicht, weil er in die bestehende Menschenform eintaucht. Da taucht er unter, nimmt alle diese Formen an; das gibt ihm die logische Gliederung. Das macht es, daß er aus dem Menschenleib heraus den sonst chaotisch durcheinanderwirbelnden Gedanken die Logik gibt. In der Nacht, wenn der Mensch schläft, ist der Mensch eingespannt in die Überlogik des Kosmos. Die kann er nicht festhalten. [5]

Die Logik ist die Lehre von Begriff, Urteil und Schluß. Zuerst müssen wir darauf ein wenig kommen, wie sich Begriff zu Urteil und zu Schluß verhält. Der Mensch kommt zunächst auf dem physischen Plan zu seinen Erkenntnissen durch die Wahrnehmung. Das erste ist die Empfindung, aber die Empfindung als solche würde zum Beispiel ein Eindruck sein, ein einzelner Farbeneindruck. Es erscheinen uns aber die Gegenstände nicht als solche einzelne, sondern als kombinierte Eindrücke, so daß wir immer nicht bloß einzelne Empfindungen vor uns haben, sondern kombinierte, und das sind die Wahrnehmungen. Das Nachbild davon nennen wir die Vorstellung. Es ist ungeheuer wichtig, daß man unterscheidet zwischen Wahrnehmung und Vorstellung. Wir müssen also unterscheiden zwischen Wahrnehmung, bei der wir ein Objekt vor uns haben, und der Vorstellung, bei der dies nicht der Fall ist. In der Vorstellungswelt unterscheiden wir wieder zwischen Vorstellung im engeren Sinn und Begriff. Den Begriff des Begriffes können Sie sich machen am mathematischen Begriff. Denken Sie sich, Sie zeichnen sich einen Kreis auf. Das ist kein Kreis im mathematischen Sinn. Sie können sich, wenn Sie das Aufgezeichnete anschauen, die Vorstellung von einem Kreis bilden, den Begriff aber nicht. Da müssen Sie sich einen Punkt denken und darum herum viele Punkte, die alle gleich weit von dem einen, dem Mittelpunkt, entfernt sind. Dann haben sie den Begriff Kreis. [6] Sie haben also, wenn Sie von Begriff und Vorstellung reden, den Unterschied zu machen, daß die Vorstellung gewonnen wird an äußeren Gegenständen, daß der Begriff aber durch innerliche Geistes-konstruktion entsteht. Sie können aber heute lesen, daß der Begriff nur dadurch entstehe, daß wir abstrahieren von diesem oder jenem, was in der Außenwelt uns entgegentritt. Man glaubt in der Außenwelt treten uns nur weiße, schwarze, braune, gelbe Pferde entgegen und daraus soll man den Begriff des Pferdes bilden. Wie, das schildert die Logik so: Man läßt, was verschieden ist weg; zunächst die weiße, schwarze und so weiter Farbe, dann, was sonst verschieden ist und wiederum verschieden ist und schließlich bleibt etwas Verschwommenes; das nennt man den Begriff «Pferd». Man hat abstrahiert. So, meint man, bilden sich Begriffe. Diejenigen, welche die Sache so schildern, vergessen, daß die eigentliche Natur des Begriffes für die heutige Menschheit nur am mathematischen Begriff wirklich erfaßt werden kann, weil dieser zunächst das zeigt, was innerlich konstruiert ist und dann in der Außenwelt wiederum gefunden wird. Der Begriff des Kreises kann nicht so gebildet werden, daß man verschiedene Kreise grüne, blaue, große, kleine, durchläuft und dann alles das wegläßt, was nicht gemeinsam ist, und sich dann ein Abstraktum bildet. Der Begriff wird von innen heraus gebildet. Man muß sich die Gedankenkonstruktion bilden. Die Menschen sind nur heute nicht so weit, daß sie sich so den Begriff auch des Pferdes bilden können. Goethe hat sich bemüht, solche innerlichen Konstruktionen auch für höhere Gebiete des Naturdaseins zu bilden. Das ist bedeutungsvoll, daß er aufzusteigen sucht von der Vorstellung zum Begriff. Wer etwas versteht von der Sache, weiß, daß man auch zum Begriff des Pferdes nicht dadurch kommt, daß man die Verschiedenheiten wegläßt und das Übrigbleibende behält. So wird der Begriff nicht gebildet, sondern durch innerliche Konstruktion, wie der Begriff des Kreises, nur nicht so einfach. Ein Wolf, der sein ganzes Leben lang Lämmer frißt, wird doch kein Lamm. Wenn man den Begriff des Wolfes so hat, so hat man, was Aristoteles die Form des Wolfes nennt. Auf die Materie des Wolfes kommt es nicht an. Wenn er auch lauter Lämmer frißt, wird er doch kein Lamm. Wenn man bloß auf die Materie sieht, müßte man wohl sagen, daß, wenn er lauter Lämmer verzehrt, er eigentlich ein Lamm werden müßte. Er wird kein Lamm, weil es auf das ankommt, wie er die Materie organisiert, und das ist dasjenige, was in ihm als die «Form» lebt und was man im reinen Begriff konstruieren kann. [7]

Der Begriff ist also nichts anderes als ein Gedankenbild, er hat seine Genesis, seinen Ursprung im Gedanken. Eine äußere Illustration ist nur eine Krücke, ein Hilfsmittel, um den Begriff anschaulich (oder konstruktiv nachvollziehbar) zu machen. Nicht durch äußere Wahrnehmung wird der Begriff gewonnen, er lebt zunächst nur in der reinen Innerlichkeit.

Unsere heutige Geisteskultur ist in ihrem Denken eigentlich – außer in der Mathematik noch nicht über das bloße Vorstellen hinausgekommen. Die Menschen glauben meistens, der Begriff stamme aus der Vorstellung und sei nur blasser, weniger inhaltsvoll als diese. Man kommt nicht zu einem Begriff des Dreiecks, wenn man alle Arten von Dreiecken nimmt, das Gemeinsame nimmt und das Trennende wegläßt. Zu einem Begriff des Dreiecks kommt man nur, wenn man sich innerlich konstruiert die Figur dreier sich schneidender Linien. Mit diesem innerlich konstruierten Begriff treten wir an das äußere Dreieck heran und finden es dann mit dem innerlich konstruierten Bilde harmonisierend. Nur in bezug auf mathematische Dinge können die Menschen unserer heutigen Kultur sich aufschwingen zum Begriff. Zum Beispiel beweist man durch innerliche Konstruktion, daß die Winkelsumme im Dreieck gleich 180 Grad ist. Wenn aber einmal jemand anfängt, Begriffe auch anderer Dinge innerlich zu konstruieren, so erkennt ein großer Teil unserer Philosophen das gar nicht an. Goethe hat die Begriffe «Urpflanze», «Urtier» durch inneres Konstruieren geschaffen. Aber wie wenige erkennen das heute an. Die meisten Menschen wissen heute kaum mehr, worum es sich handelt, wenn man von begrifflichem Denken spricht. [8] Wenn nun die Menschen wirklich im strengen logischen Sinne denken, so tun sie etwas anderes als äußerlich wahrnehmen und das Wahrgenommene sich wieder vergegenwärtigen; dies ist nur eine Vorstellung. Beim logischen Denken aber muß jeder Gedanke innerlich konstruiert sein, er muß ähnlich geschaffen sein, wie ich es oben am Beispiele des Kreises erklärt habe. Mit diesem inneren Gedankenbilde geht der Mensch dann erst an die äußere Wirklichkeit heran und findet Harmonie zwischen dem Bilde und der äußeren Wirklichkeit. Immer haben die Menschen so innerlich konstruiert, die wirklich logisch dachten. So hat Kepler, als er seine Gesetze aufstellte, diese innerlich konstruiert, und er fand sie dann in Harmonie mit der äußeren Wirklichkeit. [9]

Indem wir den Begriff des Begriffs vor uns hinstellen, bringen wir uns fort von allem Willkürlichen des Vorstellens. Dazu müssen wir einmal ins Auge fassen den reinen Vorstellungsverlauf und den reinen Begriffsverlauf. Ich brauche nicht zu sagen, daß der Mensch bei einer Vorstellung von einem Dreieck immer nur dieses oder jenes Dreieck sich vorzustellen vermag. Wir müssen jetzt Rücksicht nehmen auf die Art der Verbindung bloßer Vorstellungen und die Art der Verbindung reiner Begriffe.

Was regelt denn unser Vorstellungsleben? Wenn wir die Vorstellung einer Rose haben, so kann ganz von selbst die Vorstellung einer Person auftreten, die uns die Rose geschenkt hat. Daran schließt sich vielleicht die Vorstellung von einem blauen Kleide, das die betreffende Person trug und so weiter. Solche Zusammenhänge nennt man: Assoziation der Vorstellungen. Diese ist aber nur die eine Art, wie die Menschen Vorstellungen miteinander verknüpfen. Sie tritt am reinsten da auf, wo der Mensch sich dem Vorstellungsleben ganz und gar überläßt. Aber auch noch nach anderen Gesetzen ist ein Aneinanderreihen von Vorstellungen möglich. Das kommt daher, daß der Mensch nach seinem inneren Elemente, seinem Seelengefüge, diese oder jene äußere Vorstellung mit einer anderen verbinden, nicht sich nur äußerlich den Vorstellungen überläßt. Der Mensch läßt hier die Kraft wirken, die aus seinem Inneren aufsteigt. Man nennt das: es arbeitet in ihm die Apperzeption. – Apperzeption und Assoziation sind die Kräfte, die die bloßen Vorstellungen aneinandergliedern durch äußerliche oder durch subjektive innere Beweggründe. Beide, Apperzeption und Assoziation wirken im bloßen Vorstellungsleben. [10]

Ganz anders ist es im Begriffsleben. Es gibt ein inneres Zusammengehören der Begriffe, und wir finden die Gesetzmäßigkeit hierfür in der formalen Logik. [11]

Wenn man nun Begriffe oder Vorstellungen verbindet, dann entstehen Urteile. Verbindet man die Vorstellung «Pferd» mit der Vorstellung «schwarz» zu das «Pferd ist schwarz», so hat man ein Urteil. [12]

Wenn wir durch ihren Inhalt zwei Begriffe aneinanderfügen, so bilden wir ein Urteil. Wir verbinden den Begriff des Pferdes und den des Laufens, wenn wir sagen: Das Pferd läuft. Die Verbindung von Begriffen kann aber auch noch auf kompliziertere Weise geschehen. Wir können Urteil an Urteil fügen und kommen so zu einem «Schluß». [13]

Es gibt innere Gesetze des Denkens wie die Gesetze der Mathematik; man könnte sagen eine Arithmetik des Denkens. Jetzt können Sie sich das Idealbild des richtigen Denkens vorstellen: alle Begriffe müssen nach den Gesetzen der formalen Logik gebildet werden. Die formale Logik aber hat gewisse Grenzen. So gibt es unzählige Trugschlüsse, die formal ganz richtig sind. Die Sache liegt darin, daß die Logik auf alles anwendbar ist, nur nicht auf sich selber. In dem Augenblicke, wo auf das Subjekt selber zurückgegriffen wird, löst sich die formale Logik auf. Es ist das ein Spiegelbild für etwas anderes: Wenn wir übergehen von den drei Leibern des Menschen zum Ich, werden alle Dinge anders. Das Ich ist der Schauplatz der Logik, die aber nur auf anderes angewendet werden darf, nicht auf sich selbst. Es kann nie irgendeine Erfahrung durch die Logik gemacht, sondern durch die Logik kann nur Ordnung in die Erfahrung gebracht werden. [14]

Ein logisch richtiger Begriff braucht noch nicht wirklichkeitsgemäß zu sein. Darauf beruht so unendlich viel Jammervolles in unserem Geistesleben, daß die Leute glauben, wenn sie irgend etwas logisch denken können, so sei das auch schon wirklichkeitsgemäß. Aber wirklichkeitsgemäßes Denken ist etwas anderes, als bloß richtiges Denken. Es bestehen die meisten der heutigen Wissenschaften aus Gedanken über Unwirklichkeiten. [15]

Indem wir uns logisch, das heißt, denkend-erkennend betätigen, haben wir in dieser Betätigung immer drei Glieder. Erstens haben wir immerfort dasjenige in unserem denkenden Erkennen drinnen, was wir Schlüsse nennen. Für das gewöhnliche Leben äußert sich ja das Denken in der Sprache. Wenn Sie das Gefüge der Sprache überblicken, werden Sie finden: indem Sie sprechen, bilden Sie fortwährend Schlüsse aus. Diese Tätigkeit des Schließens ist die allerbewußteste im Menschen, Der Mensch würde sich durch die Sprache nicht äußern können, wenn er nicht fortwährend Schlüsse sprechen würde; er würde nicht das, was der andere zu ihm sagt, verstehen können, wenn er nicht fortwährend Schlüsse in sich aufnehmen könnte. Die Schullogik zergliedert gewöhnlich die Schlüsse; dadurch verfälscht sie sie schon, insofern die Schlüsse im gewöhnlichen Leben vorkommen. Die Schullogik bedenkt nicht, daß wir schon einen Schluß ziehen, wenn wir ein einzelnes Ding ins Auge fassen. Denken Sie sich, Sie gehen in eine Menagerie und sehen dort einen Löwen. Was sie aus dem Leben (über Tiere) gelernt haben, bringen Sie schon mit in die Menagerie. Dann schauen Sie den Löwen an und finden: der Löwe tut eben auch das, was Sie bei den Tieren kennengelernt haben. Dies verbinden Sie mit dem, was Sie aus der Lebenserkenntnis mitgebracht haben, und bilden sich dann das Urteil: Der Löwe ist ein Tier. – Erst wenn Sie dieses Urteil sich gebildet haben, verstehen Sie den einzelnen Begriff «Löwe». Das erste, was sie ausführen, ist ein Schluß; das zweite, was Sie ausführen ist ein Urteil; und das letzte, wozu Sie im Leben kommen, ist ein Begriff. Sie wissen natürlich nicht, daß Sie diese Betätigung fortwährend vollziehen, aber würden Sie sie nicht vollziehen, so würden Sie kein bewußtes Leben führen, das Sie geeignet macht, sich durch die Sprache mit anderen Menschenwesen zu verständigen. Man glaubt gewöhnlich, der Mensch komme zuerst zu den Begriffen. Das ist nicht wahr. Das erste im Leben sind die Schlüsse. [16]

Um nun ein Bild zu bekommen von der Natur des Begriffes und des Begriffssystemes, des Organismus unserer Begriffe, stellen wir uns einmal vor, welches Verhältnis diese Begriffswelt einnimmt auf der einen Seite zu der um uns ausgebreiteten Welt des sinnlich Wahrgenommenen, und auf der anderen Seite zu der Wirklichkeit, die durch übersinnliche Beobachtung uns in der Anthroposophie zukommt. Sie können sich das Gefüge, das Netz von Begriffen, das der Mensch hat – von den mathematischen Größen und Zahlenbegriffen angefangen bis zu den komplizierten Begriffen, mit denen Goethe in seiner «Metamorphose» einen Anfang gemacht hat, die aber in unserer abendländischen Kultur noch ganz in den Anfängen ruhen –, Sie können sich dieses ganze Begriffsnetz wie eine Tafel vorstellen, die die Grenze bildet zwischen der sinnlichen Welt auf der einen und der geistigen Welt auf der anderen Seite. So also können wir uns gerade durch das Begriffsnetz begrenzt denken: auf der einen Seite die Sphäre der übersinnlichen und auf der anderen Seite die Sphäre der sinnlichen Wirklichkeit. Wenn der Mensch als sinnlicher Beobachter der Dinge sein Auge oder seine anderen Wahrnehmungsorgane bloß richten würde auf die äußere Umwelt, so würde er bloß Vorstellungen erleben. Wenn der Mensch so an die sinnliche Wirklichkeit herantritt, wird er finden, daß diese sinnliche Wirklichkeit übereinstimmt mit dem, was er sich als Begriff konstruiert hat. Er fängt an zu verstehen, was sich ihm in der Wahrnehmung darbietet im Vergleich zu dem, was er sich selbst als Begriff gebildet hat. Begriffe werden also nicht durch Wahrnehmung gewonnen. Das ist ein Vorurteil, das heute sehr verbreitet ist. Begriffe werden gewonnen durch innerliche Konstruktion. Der Begriff ist sozusagen dasjenige, wozu der Mensch kommt, gerade wenn er absieht von aller äußeren, sinnlichen Wirklichkeit. Und nun kann er zusammenwirken lassen, was er innerlich konstruiert hat, mit dem, was sich ihm äußerlich als sinnliche Wirklichkeit darstellt. [17] Damit hätten wir fixiert die Stellung des Begriffsnetzes zu der äußeren, sinnlichen Wirklichkeit. Jetzt müssen wir uns auch fragen: Wie ist die Stellung unseres Begriffsnetzes zu der übersinnlichen Wirklichkeit? – Zunächst ist es nicht anders als bei der sinnlichen Wirklichkeit. Wenn jemand sich die übersinnliche Wirklichkeit eröffnet und nun mit seinen Begriffen an diese Wirklichkeit herantritt, so wird er ebenso dieses Begriffsnetz zusammenfallend finden mit der übersinnlichen Wirklichkeit. Am Begriffsnetz treffen sich sinnliche und übersinnliche Wirklichkeit. Woher kommt dieses Begriffsnetz selber?

Wir können es uns am besten dadurch klarmachen, wenn wir uns das Bild eines Schattens, der an die Wand geworfen wird, vorstellen. Wenn die Hand nicht da wäre, so würde auch das Schattenbild nicht entstehen. Das Schattenbild ist seinem Urbilde ähnlich, aber es hat eine besondere Eigentümlichkeit, es ist eigentlich nichts! Denn gerade weil die Hand das Licht abhält, dadurch, daß an die Stelle des Lichtes das Nicht-Licht tritt, dadurch entsteht das Schattenbild. Genau ebenso entstehen unsere Begriffe in Wirklichkeit. Wir meinen nur, daß wir sie aus uns herausspinnen. Sie entstehen dadurch, daß hinter unserer denkenden Seele die übersinnliche Wirklichkeit steht und auf diese Seele ihre Schattenbilder wirft. Und der Begriff ist eigentlich nichts anderes als das Auslöschen der übersinnlichen Wirklichkeit auf der Wand unserer Seele. Und weil unsere Begriffe den Urbildern der übersinnlichen Welt ähnlich sind – wie das Schattenbild der Hand seinem Urbilde ähnlich ist –, darum sind die Begriffe etwas, was im Menschen eine Ahnung hervorrufen kann von den übersinnlichen Wirklichkeiten. Daß der Mensch meint das Begriffsnetz aus sich herauszuspinnen, kommt daher, weil er zunächst keine Anschauung hat von dieser übersinnlichen Welt. Aber sie ist da und wirkt, sie wirft ihre Schattenbilder. Wo sie auftrifft auf die Wahrnehmung des Sinnlichen, da entstehen diese Schattenbilder, und die Begriffe sind nichts anderes als diese Schattenbilder. Wir haben also in den Begriffen keine übersinnliche Wirklichkeit, ebensowenig, wie wir im Schattenbilde der Hand die Hand selbst haben, aber wir haben sozusagen Schattenbilder davon. Damit haben wir das Begriffsnetz sozusagen als die Grenze zwischen sinnlicher und übersinnlicher Wirklichkeit definiert, dabei aber erkannt, daß die Begriffe nicht aus der sinnlichen, sondern aus der übersinnlichen Welt in die Seele einströmen. Der Seher, der in die übersinnliche Wirklichkeit hinaufsteigen kann, kann leichter zu einer vollständigen Begriffswelt kommen, weil er die Kräfte kennenlernt, die hereinströmen und die Begriffe hervorrufen. [18] Der Mensch kommt zu dem Begriffsnetz dadurch, daß er die Begriffe förmlich auf sich herunterströmen läßt. Für den Seher ist es so, daß er zu den Urbildern (im Devachan) hinaufschauen kann, da wo die Realität ist. [19]

Wir müssen uns darüber klar werden, daß unsere Seele imstande sein muß, auch dann das Begriffsnetz zu gewinnen, wenn sie nicht in der Lage ist, es aus der unmittelbaren Anschauung der Welt vor sich zu haben. Die Methoden, auch wenn sie die wissenschaftlichsten Methoden sind, die man anwendet, um durch äußere Erfahrung sich Vorstellungen zu bilden über die Welt, diese Methoden alle können nicht dazu dienen, um in der Menschenseele das Begriffsnetz innerlich selber zu konstruieren. Es muß also eine Methode geben, die auf der einen Seite unabhängig ist von der äußeren Beobachtung und auf der anderen Seite auch unabhängig ist von der hellseherischen Beobachtung, denn die Menschenseele soll ja, wie wir voraussetzen, schon Begriffe sich bilden können, bevor sie zum Hellsehen aufsteigt. Sie bewegt sich also (denkerisch) von einem Begriff zum anderen, sie bleibt im Felde der Begriffe. Daß das stattfinden kann, macht notwendig, daß wir eine Methode voraussetzen, die nichts zu tun hat mit der äußeren sinnlichen Beobachtung und die nichts zu tun hat mit der hellseherischen Beobachtung, die nur zur Verifizierung dienen soll. Dieses Bewegen in reinen Begriffen nennt man nun im Sinne des großen Philosophen Hegel die «dialektische Methode», wobei der Mensch nur in Begriffen lebt und sich fähig macht, einen Begriff aus dem anderen hervorgehen, gleichsam hervorwachsen zu lassen. Alle solche Begriffe, die durch Sich-selbst-Bewegen, durch Selbsthervorgehen eines Begriffes aus einem anderen gebildet werden und uns darstellen dabei, was sowohl der sinnlichen Welt angepaßt ist wie auch der übersinnlichen Welt, alle solche Begriffe nennt man Kategorien. So ist also im Grunde genommen das ganze Begriffsnetz zusammengesetzt aus Kategorien. [20] (Weiteres siehe: Kategorien).

Die Dinge sind auch ohne mich da. Sie haben ihr Sein in sich. Was soll es für eine Bedeutung haben, daß ich mit ihrem Sein, das sie draußen ohne mich haben, auch noch ein geistiges Sein verknüpfe, das in mir die Dinge wiederholte? Handelte es sich um eine bloße Wiederholung der Dinge: es wäre sinnlos, diese zu vollführen. – Aber es handelt sich nur so lange um eine bloße Wiederholung, als ich nicht mit meinem eigenen Selbst den in mich aufgenommenen geistigen Inhalt der Dinge zu einem höheren Dasein erwecke. Geschieht dies, dann habe ich das Wesen der Dinge in mir nicht wiederholt, sondern ich habe es auf einer höheren Stufe wiedergeboren. Was die Dinge in dieser Wiedergeburt zeigen, das ist ihnen vorher nicht eigen. Da draußen steht der Baum. Ich fasse ihn in meinen Geist auf. Ich werfe mein inneres Licht auf das, was ich erfaßt habe. Der Baum wird in mir zu mehr, als er draußen ist. Was von ihm durch das Tor der Sinne einzieht, wird in einen geistigen Inhalt aufgenommen. Ein ideelles Gegenstück zu dem Baume ist in mir. Das sagt über den Baum unendlich viel aus, was mir der Baum draußen nicht sagen kann. Aus mir heraus leuchtet dem Baume erst entgegen, was er ist. Der Baum ist nun nicht mehr das einzelne Wesen, das er draußen im Raume ist. Er wird ein Glied der ganzen geistigen Welt, die in mir lebt. [21]

Ein logisches Denken würde es für die Menschheitsentwickelung überhaupt nicht geben, wenn die Menschen nicht in den physischen Leib hineingeboren würden und dort sich entwickelten. Für die Logik, gerade wenn sie auf der höchsten Stufe entwickelt ist, ist der sinnliche Leib das entsprechende Instrument. Wer daher übersinnliche Erkenntnis entwickelt, wer wirklich sich hineinlebt in die übersinnliche Erkenntnis, der muß schon die Erfahrung machen, daß es außerordentlich schwierig ist, nun überhaupt diese übersinnlichen Erkenntnisse in Worte zu kleiden, daß aber, wenn er diese übersinnlichen Erkenntnisse mit der gewöhnlichen Logik auffassen will, das heißt mit dem, was nur an das Instrument des äußeren physischen Leibes gebunden ist, daß ihm dann diese übersinnliche Erkenntnis ertötet wird. Auf dem Boden der Logik erstirbt die übersinnliche Erkenntnis. [22]

Das Vorstellen ist ja tatsächlich an den Kopf gebunden, nicht aber das Urteilen. Dieses ist an den mittleren Organismus und namentlich an die Arme und Hände gebunden. Wenn wir also den Inhalt eines Urteils vorstellen, so geht das Urteilen selbst in dem Mechanismus der Arme und Hände vor sich, und nur das vorstellungsgemäße Spiegelbild geht im Kopfe vor sich. Das Schließen, das Schlüsse bilden, hängt nun zusammen mit Beinen und Füßen. Die Sache ist so: Vorstellen tun wir mit dem Ätherleib, und der hat seinen Rückhalt an der Hauptesorganisation, aber urteilen tun wir – also in ursprünglicher elementarer Weise – mit dem astralischen Leib, und der hat seinen Rückhalt an Armen und Händen für das Urteilen. Schließen mit den Beinen und Füßen, denn schließen tun wir mit dem Ich, das hat dabei den Rückhalt an den Beinen und Füßen. Es ist der ganze Mensch beteiligt an der Logik. [23]

Zitate:

[1]  GA 35, Seite 58   (Ausgabe 1965, 484 Seiten)
[2]  GA 74, Seite 56   (Ausgabe 1967, 117 Seiten)
[3]  GA 96, Seite 101   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)
[4]  GA 105, Seite 193   (Ausgabe 1983, 208 Seiten)
[5]  GA 205, Seite 146   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[6]  GA 108, Seite 226ff   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[7]  GA 108, Seite 228f   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[8]  GA 108, Seite 200ff   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[9]  GA 108, Seite 200   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[10]  GA 108, Seite 202   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[11]  GA 108, Seite 204   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[12]  GA 108, Seite 229   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[13]  GA 108, Seite 204   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[14]  GA 108, Seite 206f   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[15]  GA 169, Seite 50   (Ausgabe 1963, 182 Seiten)
[16]  GA 293, Seite 134f   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[17]  GA 108, Seite 238f   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[18]  GA 108, Seite 240f   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[19]  GA 108, Seite 242   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[20]  GA 108, Seite 244f   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[21]  GA 7, Seite 21f   (Ausgabe 1960, 150 Seiten)
[22]  GA 192, Seite 280   (Ausgabe 1964, 403 Seiten)
[23]  GA 302, Seite 29f   (Ausgabe 1978, 142 Seiten)

Quellen:

GA 7:  Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung (1901)
GA 35:  Philosophie und Anthroposophie (1904-1923)
GA 74:  Die Philosophie des Thomas von Aquino (1920)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 105:  Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwickelung sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur (1908)
GA 108:  Die Beantwortung von Welt- und Lebensfragen durch Anthroposophie (1908/1909)
GA 169:  Weltwesen und Ichheit (1916)
GA 192:  Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen (1919)
GA 205:  Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist – Erster Teil:. Der Mensch als leiblich-seelische Wesenheit in seinem Verhältnis zur Welt (1921)
GA 293:  Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919)
GA 302:  Menschenerkenntnis und Unterrichtsgestaltung (1921)