Nominalismus

Aus dem römisch-lateinischen Wesen entwickelte sich der Nominalismus, für den allgemeine Begriffe nur Namen sind, wie man aus der Grammatik und Rhetorik heraus denken mußte. Wie man da nur zum Nominalismus kommen konnte, so entwickelte sich (dagegen) bei denen, die doch einen Funken Volkstum in sich hatten, wie Albertus Magnus und Thomas von Aquino, ein Realismus, der das gedankliche Element wie etwas ausgesprochen Reales empfand. [1]

Was Nominalismus war, das pflanzte sich so fort, daß das, was früher als Verstand zugleich mit der äußeren Sinneswelt erlebt wurde, jetzt abstrakt abgezogen erlebt wurde. Ich möchte sagen, die Menschen wurden für diesen Nominalismus dadurch erzogen, daß ins Mittelalter hinein sich das Lateinische fortpflanzte als eine alte, tote Sprache, die nicht mehr da lebte, wo man mit der äußeren Welt in Verbindung stand, die nur noch lebte für jene geistige Welt, die Plotin ins Abstrakte hinauf, ins All-Eine, ins Unsinnlich-Übersinnliche geführt hatte. Man möchte sagen, dieses Unsinnlich-Übersinnliche sollte immer mehr und mehr die Menschen ergreifen, und für diejenigen, die eine höhere Bildung hatten, sollte die lateinische Sprache, die eine tote Sprache geworden war, das Erziehungsmittel sein zu dieser Abstraktheit hin, zu diesem Abgezogensein von der äußeren Natur. Auch die Nominalisten sehen den Verstand nicht draußen in den Dingen, sie sehen zwar in den Vorstellungen bloße Namen, namentlich in den zusammenfassenden Vorstellungen; aber in dem Erleben der Vorstellungen sehen sie eine reale Macht. Vom 15. Jahrhundert ab wird das anders. Da ist dem Menschen, indem er nachdenkt, nicht mehr bewußt, daß da Kräfte in ihm wirken; er fühlt sich nicht mehr vom Verstande besessen, fühlt sich durchaus als die Wesenheit, die das Verständige selber hervorbringt. [2]

Die Philosophen des Nominalismus bewegen sich in dem Reiche der Geister der Form. Weil dort Formen herrschen, sind in diesem Reiche einzelne, streng in sich abgeschlossene Einzeldinge. Daraus sehen Sie, daß die Philosophen, die ich meine, niemals den Entschluß gefaßt haben, aus dem Reiche der Formen herauszugehen, und daher in den allgemeinen Gedanken, die als Gedanken in Bewegung sind und die einzelne Form durch ihr Stillstehen erzeugen, nichts anderes haben können als Worte, richtig bloß Worte. Würden sie herausgehen aus dem Reiche der speziellen Dinge, das heißt der Formen, wo würden sie in ein Vorstellen hineinkommen, das in fortwährender Bewegung ist, das heißt, sie würden in ihrem Denken eine Vergegenwärtigung des Reiches der Geister der Bewegung, der Dynamis haben, der nächsthöheren Hierarchie. [3]

Es gibt ein ganzes Gebiet im Umkreis unserer äußeren Erfahrung, für welches der Nominalismus, das heißt die Vorstellung, daß das Zusammenfassende nur ein Name ist, seine volle Berechtigung hat. Für das, was in den Zahlen vorhanden ist, ist der Nominalismus absolut richtig. [4] (Siehe auch: Realismus; Scholastik; Universalienstreit).

Zitate:

[1]  GA 325, Seite 61   (Ausgabe 1969, 173 Seiten)
[2]  GA 325, Seite 133f   (Ausgabe 1969, 173 Seiten)
[3]  GA 151, Seite 17   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)
[4]  GA 151, Seite 33f   (Ausgabe 1980, 92 Seiten)

Quellen:

GA 151:  Der menschliche und der kosmische Gedanke (1914)
GA 325:  Die Naturwissenschaft und die weltgeschichtliche Entwickelung der Menschheit seit dem Altertum (1921)