Jesus nathanischer

Wäre der Mensch (in der lemurischen Zeit) nur unter dem Einfluß der göttlich-geistigen Wesenheiten geblieben, die ihn erschufen, so wäre er nicht frei geworden, hätte aber durch die Materie hindurch immer das Geistige erkannt. Diese leitenden Schöpfer wollten nun die Gefahr verhindern, daß auch der ganze Ätherleib von luziferischen Einflüssen durchsetzt würde. Deshalb trennten sie einen Teil des Ätherleibes des Adam ab und behielten ihn in den geistigen Welten zurück. Und dieser Ätherleib ist das höhere Selbst, mit dem wir uns wieder vereinigen sollen mit dem zusammen wir erst ein ganzer Mensch sind. Zum ersten Mal geschah diese Vereinigung des zurückgebliebenen Ätherleibes mit einem Menschen damals, als der Jesus von Nazareth geboren wurde, von dem uns das Lukas-Evangelium erzählt. Dieser Jesusknabe erhielt den Ätherleib des Adam. Mit diesem Teile des Ätherleibes hatten damals die hohen, leitenden schöpferischen Wesenheiten dem Menschen die Fähigkeit des individuellen Denkens und der (individuellen) Sprache zurückbehalten. Dadurch, daß dieser Ätherleib des Adam zum ersten Mal wieder sich mit einem physischen Menschenkörper verband, wurde er dem Gesetz unterworfen, dem jedes Geistige unterliegt, das in die Materie hinabsteigt, dem Gesetz der Zahl, der Vervielfältigung. Wie das Samenkorn, in die Erde gelegt, die Ähre mit den vielen Körnern hervorbringt, so ist der Körper des Jesus für den Ätherleib des Adam der Erdenschoß gewesen, der Durchgangspunkt zur Vervielfältigung, und diese vervielfältigten Ätherleiber sind es, die auf uns warten. [1]

Der salomonische Jesusknabe zeigte sich von Anfang an als ein außerordentlich über alles Menschenmaß hinausgehend begabter Mensch. Er war begabt für alles dasjenige, was die Menschheit sich an Kulturmitteln bisher erobert hatte. Er zeigte sich für alles, was man aus der Umgebung lernen konnte, außerordentlich begabt. Der nathanische Jesusknabe war gar nicht begabt für die äußeren Dinge der Kultur. Er hatte nur eine tief, tief gemütvolle Innerlichkeit. Gerade die Eigenschaft des Seelisch-Gemütvollen war in ihm ausgebildet. Er war aber dagegen nicht begabt, um das zu lernen, was äußerlich an Kulturmitteln vorhanden war. Dafür hatte er keine Neigung. Er hatte etwas, wovon sich die Menschen gar keine Ahnung machen können, in bezug auf Unterscheidung von Gut und Böse. Aber es war ihm fremd, was auf der Erde an Kultur entstanden war. Das war aus dem Grunde ihm fremd, weil in ihm etwas geboren worden war, das die ganze Menschheitsentwickelung nicht mitgemacht hatte. In der alten lemurischen Zeit hat stattgefunden innerhalb der Menschheit dasjenige, was wir den luziferischen Einfluß nennen. Da haben sich die luziferischen Mächte eingeschlichen in den Astralleib des Menschen. Nun mußten dazumal die leitenden Mächte vom Ätherleib des Menschen ein Stück zurückbehalten, damit dieses nicht infiziert wurde von alledem, was der astralische Leib ihm geben konnte, der unter dem luziferischen Einfluß stand. Es wurde ein Teil des Ätherleibes dem Einfluß des Astralleibes entzogen dadurch, daß der Mensch einen Einfluß nur behielt auf seinen Ätherleib, insofern er ein wollendes und fühlendes Wesen ist, nicht aber in bezug auf alles Denkerische. Das wurde sozusagen zurückbehalten und aus der geistig-göttlichen Welt von oben herunter geleitet. [2] Aber das, was damals den Menschen nicht gegeben worden ist, das wurde jetzt durch geheimnisvolle Vorgänge übertragen an diesen, an den nathanischen Jesusknaben. Und das hinderte ihn, Interesse an dem zu haben, was sich die Menschheit erarbeitet hatte an Kultur. Er hatte etwas viel Ursprünglicheres, was erinnerte an die Zeit, wo die Menschheit noch nicht in die Sünde der Willkür des einzelnen verfallen war. Das drückte der Schreiber des Lukas-Evangeliums aus dadurch, daß er den Stammbaum bis Adam hinaufführte. – Was die Menschheit vor diesem luziferischen Einfluß war, das war in diesem nathanischen Jesusknaben.

Bei der Geburt des nathanischen Jesusknaben senkte sich in den astralischen Leib herunter dasjenige, was wir nennen können die spätere (nicht mehr leibliche) Verkörperung des Buddha. [3] Als der Buddha in der Form der «himmlischen Heerscharen» den Hirten im Bilde erschien, da war er in einem astralischen Leibe. Einen Leib hatte er angenommen, durch den er doch hineinwirken konnte auf die Erde. Wir können also sagen: Der Nirmanakaja des Buddha erschien den Hirten. [4] Der Buddha war verbunden nun von der Geburt an mit diesem nathanischen Jesusknaben, so daß wir in dessen Aura im astralischen Leibe den Buddha haben. Das wird im Lukas-Evangelium tiefsinnig angedeutet.

Es wird erzählt in der indischen Legende, daß es gab einen merkwürdigen Weisen zur Zeit als der Königssohn Gautama Buddha geboren wurde, der der Buddha werden sollte. (Dieser Weise) Asita hatte erfahren, durch seine hellseherischen Fähigkeiten, daß jetzt der Bodhisattva geboren worden sei. Er sah sich den Knaben an im Königsschlosse und war voller Enthusiasmus. Er fing an zu weinen. Warum weinest du? – fragt ihn der König. Ich weine, weil ich als alter Mann nicht mehr erleben kann, diesen (als) Buddha zu schauen. Dann stirbt Asita. Der Bodhisattva wird zum Buddha. Der Buddha steigt herab und vereinigt sich mit der Aura des nathanischen Jesusknaben, um sein Scherflein beizutragen zu dem großen Ereignis in Palästina. Zur selben Zeit(epoche) wird durch eine karmische Verknüpfung wiedergeboren der alte Asita. Er wird der alte Simeon (im Tempel). Und dieser sieht jetzt den Buddha, der dieses aus einem Bodhisattva geworden war. Was er damals im alten Indien, 600 Jahre vor unserer Zeitrechnung, nicht hat sehen können, das Buddhawerden, jetzt sah er es, als in der Aura des nathanischen Jesusknaben, den er auf seinen Armen hält, der Buddha schwebte, und jetzt sagte er das schöne Wort: «Nun lässest du, Herr, deinen Diener in Frieden fahren, denn ich habe meinen Meister gesehen», den Buddha in der Aura des Jesusknaben. [5]

Der nathanische Jesus zeigte seine ganz besondere Natur dadurch, daß er gleich nach seiner Geburt bereits einige Worte zu sprechen vermochte, Worte, die allerdings in einer so sonderbaren Sprache gesprochen waren, daß diese Sprache damals nicht verstanden werden konnte, und daß nur die Mutter, aus ihrer Empfindung heraus, eine Ahnung davon hatte, was diese Worte zu bedeuten hatten. Von diesem nathanischen Jesusknaben müssen wir uns auch klar sein, daß er nicht – wie etwa der salomonische Jesusknabe, der das Ich des Zarathustra in sich hatte, und wie andere Menschen – viele Erdenleben hinter sich hatte, sondern daß er sein vorhergehendes Dasein durchaus in den geistigen Welten durchgemacht hat. Von dem, was als Menschenseelen in die menschlichen Inkarnationen seit der lemurischen Zeit übergegangen ist, wurde gleichsam etwas zurückbehalten in den geistigen Welten, das nicht zur menschlichen Verkörperung geführt worden ist, sondern das dann erst zu einer menschlichen Verkörperung geführt wurde, als es eben geboren wurde als nathanischer Jesusknabe. Das, was damals zurückgeblieben ist, was man also nicht in dem gewöhnlichen Sinne des Wortes ein Menschen-Ich nennen kann – denn ein Menschen-Ich ist das, was von Inkarnation zu Inkarnation auf der Erde geht –, das machte seine Schicksale in den geistigen Welten durch.Und nur die Angehörigen der alten Mysterien, die imstande waren, die Vorgänge in den geistigen Welten zu beobachten, konnten wissen, daß dieses Wesen, das einmal erscheinen werde als der nathanische Jesusknabe, das durchseelt werden sollte von der Christus-Wesenheit, vorher gewisse Schicksale in den geistigen Welten durchzumachen hatte. [6] (Weiteres dazu siehe: übernächster Absatz und im Artikel: Christusereignisse).

In diesem Lukas-Jesusknaben, da lebt eigentlich das von dem Menschen, was nicht eingegangen ist in die menschliche Entwickelung der Erde. Bevor innerhalb der Menschheitsentwickelung ein physischer Mensch entstand, hat man es zu tun mit einer Seele, die sich dann in zwei teilte. Der eine Teil, der eine Nachkomme der gemeinsamen Seele, verkörperte sich in Adam, und dadurch geht diese Seele in die Inkarnation hinein, unterliegt dem Luzifer und so weiter. Für die andere Seele, gleichsam für die Schwesterseele, wird von der weisen Weltenregierung vorausgesehen, daß es nicht gut ist, wenn sie sich auch verkörpert. Sie wird zurückbehalten in der seelischen Welt; sie lebt also nicht in den Menschheits-Inkarnationen, sondern wird zurückbehalten. Mit ihr verkehren nur die Eingeweihten der Mysterien. Diese Seele nimmt also auch nicht während dieser Evolution vor dem Mysterium von Golgatha das Ich-Erlebnis in sich auf, weil dieses ja erst durch das Einkörpern in den Menschenleib erlebt wird. Deshalb hat aber diese Seele doch alle Weisheit, die erlebt werden konnte durch Saturn-, Sonnen- und Mondenzeit, es hat diese Seele alle Liebe, deren eine Menschenseele fähig werden kann. Diese Seele bleibt also gleichsam unschuldig gegenüber all der Schuld, in die die Menschheit sich bringen kann im Verlauf der Inkarnationen der Menschheitsentwickelung. Diese Seele ist also eine solche, der man äußerlich nicht als Mensch begegnen konnte, sondern die nur von den alten Hellsehern wahrgenommen werden konnte. Sie verkehrte sozusagen in den Mysterien. Und so haben wir eine solche Seele, man könnte sagen, innerhalb und doch oberhalb der Menschheitsentwickelung, die zunächst nur geistig wahrgenommen werden konnte, ein Vormensch, ein wirklicher Übermensch. [7]

Nun habe ich bereits gesagt (siehe: Christus-Ereignisse), daß dieses Mysterium von Golgatha in einer gewissen Weise vorbereitend sich schon dreimal vorher zum Heile der Menschheit vollzogen hat: einmal in der alten lemurischen Zeit, dann in der atlantischen Zeit, dann noch einmal gegen Ende der atlantischen Zeit, dann eben das vierte Mal so, wie wir es kennen im Beginne unserer Zeitrechnung in der nachatlantischen Zeit. Was wir das Mysterium von Golgatha nennen, hat sich aber einzig und allein auf dem physischen Plan zugetragen, die anderen Ereignisse, welche die vorbereitenden waren, haben sich ganz in der geistigen Welt zugetragen. Das ist ja das Wesentliche an dem Mysterium von Golgatha, daß diese Jesuswesenheit, die herangewachsen ist als der nathanische Knabe, durchdrungen worden ist von der Christus-Wesenheit. Aber auch bei den drei früheren Ereignissen war diese spätere nathanische Jesuswesenheit da, nur war sie nicht als physischer Mensch inkarniert. Sie lebte als geistige, als erzengelartige Wesenheit in den geistigen Welten. So daß man sagen kann: Es gab gleichsam drei Engelleben in der geistigen Welt. Dreimal brachte sich diese Engelwesenheit, die später als Mensch sich zum Opfer brachte, für das Eindringen des Christus-Impulses zum Opfer. Und so, wie dasjenige, was durch das Mysterium von Golgatha geschehen ist, ausgeströmt ist in die geistige Erdenatmosphäre, so strömte ein, allerdings aus dem Kosmos herein, das, was durch die drei ersten Ereignisse geschehen ist. [8]

Dasjenige, was überhaupt dem Tode unterworfen ist, rührt vom Mondendasein her. Der Christus ist aber vom Sonnendasein. Er hat sich bewahrt, um uns das Sonnenhafte wiederzubringen. Daher ist es notwendig, einzusehen, daß nur unter ganz besonders abnormen Verhältnissen eingehen konnte dasjenige, was nicht sterben kann, was nicht tot werden kann, in eine irdische Laufbahn. Als die Erde das Mondendasein zu wiederholen begonnen hat, da blieb ja zurück diejenige Wesenssubstanz, die dann durch den Lukas-Jesusknaben, durch den nathanischen Jesusknaben erschien: etwas, was nicht in den Tod eingegangen war und durch das Scheinbild des irdischen Todes hindurch, der im Laufe der irdischen Erscheinungen über den Christus Jesus verhängt wurde, sich bewahrte. Das war in diesem Christus Jesus und führte ihn schon in anderer Weise durch diese drei Jahre und in anderer Weise als andere Menschen durch den Tod, durch das Scheinbild des Todes hindurch. [9]

Wir müssen in der lemurischen Zeit einen Zeitpunkt festsetzen, nach welchem im heutigen Sinne erst richtig vom «Menschengeschlecht» gesprochen werden kann. Vorher war das Ich des Menschen keineswegs noch abgetrennt von der Substanz derjenigen Hierarchie, die zunächst zu diesem Ich des Menschen die Veranlassung gegeben hat, von der Hierachie der Geister der Form, Exusiai (in der Bibel Elohim genannt). Wir können uns nun vorstellen – das zeigt die okkulte Forschung –, daß gleichsam ein Teil der Substanz der Geister der Form eingegangen ist in die menschlichen Inkarnationen zur menschlichen Ich-Bildung. Aber als damals der Mensch seinen fleischlichen Inkarnationen auf der Erde übergeben worden ist, wurde von dem, was «Mensch» werden sollte, etwas zurückbehalten. Wir können uns einfach vorstellen: Was von den Geistern der Form heruntergeströmt worden ist, das fließt nun fort; nur wurde gleichsam etwas zurückbehalten, gleichsam ein Ich, das nun bewahrt wurde vor dem Eingehen in die fleischlichen Inkarnationen – ein Ich, das jene Gestalt, jene Substantialität behielt, die der Mensch hatte, bevor er zu seiner ersten Erdeninkarnation fortgeschritten war. Also ein Ich, das fortlebte neben der übrigen Menschheit. Wenn wir nun die okkulten Erkenntnisse über dieses Ich ein wenig berühren, so sehen wir, daß dieses Ich, das gleichsam in Reserve zurückbehalten wurde, nicht in einen Menschenleib geleitet worden ist, sondern eigentlich nur übergeben worden ist den heiligen Mysterien. In einer wichtigen Mysterienstätte war es wie in einem Tabernakel (einem geistigen natürlich) aufbewahrt. Dieses Ich hatte dadurch ganz besondere Eigentümlichkeiten; es hatte die Eigentümlichkeit, daß es unberührt war von allem, was überhaupt ein menschliches Ich jemals auf der Erde hatte lernen können. Es war also auch unberührt von allen luziferischen und ahrimanischen Einflüssen, ein Nichts, ein Negatives gegenüber allen Erdenerlebnissen. Daher sah es so aus, als ob jener nathanische Jesusknabe überhaupt kein Menschen-Ich hätte, als ob er nur bestünde aus physischem Leib, Ätherleib und Astralleib. Daher war dieser Jesusknabe, wie die Akasha-Chronik es lehrt, unbegabt für alles was die menschliche Kultur entwickelt hatte; das konnte er nicht aufnehmen, weil er nie dabeigewesen war. Was die äußeren Geschicklichkeiten und Fertigkeiten des Daseins sind, das zeigen wir, weil wir in früheren Inkarnationen bei gewissen Verrichtungen schon dabei waren. Dagegen die inneren Eigenschaften, die er sich mitgebracht hatte, die sonst nur eigentlich in die Dekadenz gekommen waren durch die luziferischen Einflüsse, die zeigten sich in einem hohem Grade.

Und daß dieser Jesusknabe eine merkwürdige Sprache zeigte, das ist etwas noch viel Interessanteres. Die trennenden Geister der luziferischen und ahrimanischen Welt sind es, die aus der Ursprache die vielen Sprachen in der Welt gemacht haben. Die Ursprache ist verloren und kann heute mit einem solchen Ich, das im Laufe der Erdentwickelung von Inkarnation zu Inkarnation gegangen ist, von keinem Menschen zunächst gesprochen werden. Jener Jesusknabe, der nicht durch menschliche Inkarnationen gegangen war, bekam vom Ausgangspunkte der Menschheitsentwickelung die Fähigkeit mit in einer Sprache zu sprechen, von der mit einem gewissen Recht behauptet wird, daß sie nicht verständlich war für die Umgebung, die aber durch das, was drinnen lebte an Herzinnigkeit, von dem Mutterherzen verstanden wurde. Dieser zurückgebliebene Menschenteil, der sich bis dahin neben der übrigen Menschheit in den Mysterien entwickelt hatte, eigentlich jetzt zum ersten Male als nathanischer Jesusknabe geboren wurde. Es war ein Überleiten aus einem vorderasiatischen Mysterium, wo dieser «Menschenkeim» aufbewahrt war, in den Leib des nathanischen Jesusknaben. [10] Es ist so, daß gerade diejenigen Eigenschaften bei dem Knaben ausgeprägt waren, die wir die Herzenseigenschaften nennen können; eine ungeheure Liebefähigkeit und ein ungeheuer hingebungsfähiges Naturell zeichnete diesen Knaben aus. Und das Merkwürdige war, daß er von dem ersten Tage seines Lebens an durch seine bloße Gegenwart oder auch durch seine Berührung wohltätige Wirkungen ausübte. Wirkungen, die man heute vielleicht «magnetische Wirkungen» nennen würde. Also alle Herzenseigenschaften – und die Herzenseigenschaften so gesteigert, daß sie zu einer magnetischen Wohltat für die Umgebung werden konnten, zeigten sich bei diesem Knaben. [11] Er fühlte fremdes Leid und fremde Freude von frühester Kindheit an als sein eigenes Leid und seine eigene Freude. Er konnte sich in die Seelen anderer Menschen versetzen; dieses zeigte er im höchsten Maße. [12]

In unmittelbarer Nachbarschaft und unter den freundschaftlichen Beziehungen der Eltern wuchsen die beiden Kinder heran und entwickelten sich beide ungefähr bis zu ihrem 12. Jahre.

Als das 12. Jahr des nathanischen Jesus herankam, begaben sich dessen Eltern nach Jerusalem, wie gesagt wird, «der Sitte gemäß», um an dem Osterfeste teilzunehmen; und sie nahmen das Kind mit, wie es gebräuchlich war, wenn die Kinder reif wurden. Nun findet sich im Lukas-Evangelium in außerordentlich geheimnisvoller Weise eine Erzählung von dem «zwölfjährigen Jesus im Tempel». Es heißt da: Als sich die Eltern wieder zurückbegaben von dem Fest, vermißten sie plötzlich den Knaben; und als sie ihn nirgends unter der Reisegesellschaft fanden, da begaben sie sich wieder zurück und fanden ihn im Tempel mitten unter den großen Lehrern, alle erstaunend durch seine Weisheit. Was war da geschehen? Fragen wir darüber die unvergängliche Akasha-Chronik. Die Tatsachen der Welt sind nicht so ganz einfach. Was hier geschehen war, das geschieht in anderer Weise auch sonst in der Welt. Es kommt vor, daß eine Individualität auf einer gewissen Entwickelungsstufe andere Bedingungen braucht, als sie von Anfang an gegeben wurden. Daher kommt es immer wieder vor, daß ein Mensch bis zu einem gewissen Lebensalter heranwächst – und dann auf einmal in Ohnmacht fällt und wie tot ist. Da geht dann eine Umwandlung vor sich; es verläßt ihn sein eigenes Ich, und ein anderes Ich nimmt in seiner Körperlichkeit Platz. Eine solche Umlagerung des Ich findet auch in anderen Fällen statt; das ist eine Erscheinung, die jeder Okkultist kennt. Hier, bei dem zwölfjährigen Jesus war folgendes geschehen. Jene Ichheit, die bis dahin als Zarathustra-Ichheit den Körper des salomonischen Jesus gebrauchte, um auf die Höhe seiner Zeit zu kommen, drang aus dem Körper des salomonischen Jesus heraus und übertrug sich auf den nathanischen Jesus, der daher wie ein Verwandelter erschien. Die Eltern erkannten ihn nicht wieder; sie verstanden seine Worte nicht. Denn jetzt sprach aus dem nathanischen Jesus das Zarathustra-Ich, das sich auf ihn übertragen hatte. Das war der Zeitpunkt, als der Nirmanakaja des Buddha sich mit dem (infolge der Geschlechtsreife) ausgeschiedenen astralischen Mutter(hülle) vereinigte. Und dieses Kind, das so verwandelt war, daß es die Eltern nicht verstehen konnten, das nahmen sie jetzt mit nach Hause. Nun war der Mutter des nathanischen Jesus Bedeutsames gesagt worden. Schon als Simeon dem neugeborenen Kind gegenüberstand und es überstrahlt sah von dem, den er einst in Indien als Buddha noch nicht hatte sehen können, da sagte er voraus das Große und Gewaltige, was sich jetzt vollziehen sollte; aber er sagte auch die großen bedeutungsvollen Worte von dem «Schwert, das der Mutter durch das Herz gehen» sollte. In nicht zu ferner Zeit starb dann die Mutter des nathanischen Jesus, so daß dieses Kind, in dem das Zarathustra-Ich jetzt wohnte, von mütterlicher Seite her verwaist war. [13]

Ein besonderes Ich, eine Egoität, wie sie ja in der lemurischen Zeit geboren wurde im Menschen, war gar nicht im nathanischen Jesus. Hätte er sich fortentwickelt, ohne daß der Zarathustra hinübergegangen wäre, so hätte kein Ich geboren werden können. [14] In dem sogenannten «Ägypter-Evangelium» findet sich eine merkwürdige Stelle, die schon in den ersten Jahrhunderten als sehr ketzerisch angesehen wurde, weil man darüber in christlichen Kreisen nicht die Wahrheit hören wollte – oder sie nicht aufkommen lassen wollte. Aber es gibt etwas, was sich erhalten hat als ein apokryphes Evangelium und darinnen wird gesagt, «daß das Heil erscheinen wird in der Welt, wenn die Zwei Eines und das Äußere wie das Innere werden wird».Dieser Satz ist ein genauer Ausdruck des Tatbestandes, den ich Ihnen eben aus den okkulten Tatsachen heraus geschildert habe. Davon hängt das Heil ab, daß die zwei einer werden. Und sie wurden einer, als im zwölften Jahr die Zarathustra-Individualität überging in den nathanischen Jesus, und das Innere wurde äußerlich. Die Seelenkraft des Jesus des Lukas-Evangeliums war etwas gewaltiges Innerliches. Aber dieses Innerliche wurde ein Äußerliches, indem die Zarathustra-Individualität, die an dem Äußeren, an dem physischen Leib und Ätherleib des salomonischen Jesus sich herangebildet hatte, diese Innerlichkeit durchdrang und sie gleichsam mit den Kräften durchsetzte, die am physischen und Ätherleibe herangebildet waren. [15]

In denjenigen Gegenden, in welchen sich das palästinensische Ereignis abspielte, trat der Zeitpunkt der Geschlechtsreife etwas früher ein, unter normalen Verhältnissen mit dem 12. Jahre; da wurde also die astralische Mutterhülle abgestreift. Im gewöhnlichen Leben wird diese Hülle abgestreift und der äußeren astralischen Welt übergeben. Bei dem nathanischen Jesus trat etwas anderes ein. Es wurde mit dem 12. Jahre die astralische Hülle abgestreift; aber sie löste sich nicht in der allgemeinen astralischen Welt auf, sondern so, wie sie war als schützende astralische Hülle des jungen Knaben, mit all den belebenden Kräften, die zwischen der Zeit des Zahnwechsels und der Geschlechtsreife hineingeflossen waren, strömte sie jetzt zusammen mit dem, was sich als der Nirmanakaja des Buddha heruntergesenkt hatte. Was in der Engelschar herunterscheinend erschienen ist, das vereinigte sich mit dem, was bei dem zwölfjährigen Jesusknaben als astralische Hülle sich loslöste, vereinigte sich mit all den jugendlichen Kräften, die einen jugendlich erhalten in der Zeit zwischen dem Zahnwechsel und der Geschlechtsreife. Der Nirmanakaja des Buddha, der das Jesuskind von der Geburt an überstrahlte, wurde eins mit dem, was sich von diesem Kinde bei der Geschlechtsreife als seine jugendliche astralische Mutterhülle loslöste; das nahm er auf, vereinigte sich damit und dadurch verjüngte er sich. Und durch diese Verjüngung war es möglich, daß dasjenige, was er früher der Welt gegeben hatte, jetzt wiedererscheinen konnte in dem Jesuskinde wie in einer kindlichen Einfalt. Damit hat dieses Kind die Möglichkeit aufgenommen, kindlich zu reden über die hohen Lehren vom Mitleid und der Liebe. [16] (Weiteres siehe: Jesus von Nazareth).

Zitate:

[1]  GA 266/1, Seite 548f   (Ausgabe 1995, 622 Seiten)
[2]  GA 117, Seite 120f   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[3]  GA 117, Seite 121f   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[4]  GA 114, Seite 80f   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[5]  GA 117, Seite 122   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[6]  GA 148, Seite 191f   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[7]  GA 142, Seite 120ff   (Ausgabe 1960, 140 Seiten)
[8]  GA 152, Seite 102f   (Ausgabe 1980, 176 Seiten)
[9]  GA 162, Seite 224f   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[10]  GA 131, Seite 178ff   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[11]  GA 131, Seite 175   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[12]  GA 148, Seite 285   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[13]  GA 114, Seite 118f   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)
[14]  GA 117, Seite 124   (Ausgabe 1966, 227 Seiten)
[15]  GA 123, Seite 128f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[16]  GA 114, Seite 82   (Ausgabe 1955, 225 Seiten)

Quellen:

GA 114:  Das Lukas-Evangelium (1909)
GA 117:  Die tieferen Geheimnisse des Menschheitswerdens im Lichte der Evangelien (1909)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 131:  Von Jesus zu Christus (1911)
GA 142:  Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe (1912/1913)
GA 148:  Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium (1913/1914)
GA 152:  Vorstufen zum Mysterium von Golgatha (1913/1914)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 266/1:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band I (1904-1909)