Christus Leben
► Jesus von Nazareth

(Fortsetzung der Artikel: Jesus, Jesus natanischer bis Jesus von Nazareth). Für den Jesus von Nazareth ergab sich, daß mit seinen Worten (einer Generalbeichte gegenüber seiner Mutter) gleichsam das Ich des Zarathustra fortgegangen war. Es lebte nur in den Wirkungen weiter. Als Jesus sich auf den Weg machte zu dem Täufer Johannes, da begegnete er zunächst zwei Essäern, mit denen er oft gesprochen hat. Aber da das Ich des Zarathustra aus ihm herausgegangen war, so kannte er die beiden Essäer nicht sogleich. Wohin geht dein Weg?, sprachen sie ihn an. Jesus antwortete: Dahin, wo noch Seelen eurer Art nicht blicken wollen, wo der Schmerz der Menschheit die Strahlen des vergessenen Lichtes fühlen kann! Die beiden Essäer verstanden seine Rede nicht. Als sie merkten, daß er sie nicht erkannte, da sprachen sie zu ihm: Jesus von Nazareth, kennst du uns denn nicht? – Er aber antwortete: Ihr seid wie verirrte Lämmer; ich aber werde der Hirte sein müssen, dem ihr entlaufen seid. Wenn ihr mich recht erkennet, werdet ihr mir bald von neuem entlaufen. Es ist so lange her, daß ihr von mir entflohen seid! Und unbestimmt schauten sie ihn an: Er aber sprach weiter: Was seid ihr für Seelen, wo ist eure Welt? Warum umhüllt ihr euch mit täuschenden Hüllen. Ihr verirrten Lämmer, der Versucher hat eure Seelen mit Hochmut durchtränkt; ihr traft ihn auf eurer Flucht. Als Jesus von Nazareth das gesagt hatte, sprach einer der Essäer: Haben wir nicht dem Versucher die Türe gewiesen? Er hat kein Teil mehr an uns. – Und Jesus sprach: Wohl wieset ihr dem Versucher die Türe, doch er lief hin und kam zu den anderen Menschen. So grinst er euch aus den Seelen der anderen Menschen von allen Seiten an! Glaubt ihr denn, ihr hättet euch dadurch erhöhen können, daß ihr die anderen erniedrigt habt? So sind sie niedriger. Ihr seid geblieben, wo ihr waret. Nur deshalb kommt ihr euch so hoch über den anderen vor. – Da erschraken die Essäer. In diesem Augenblick aber verschwand der Jesus vor ihren Augen. Nachdem ihre Augen für eine kurze Weile wie getrübt waren, fühlten sie den Drang, in die Ferne zu schauen, dort schauten sie etwas wie eine Fata Morgana. Diese zeigte ihnen, ins Riesenhafte vergrößert, das Antlitz dessen, der eben vor ihnen gestanden. Und dann hörten sie wie aus der Fata Morgana zu ihnen gesprochen die Worte, furchtbar ihre Seelen durchdringend: Eitel ist euer Streben, weil leer ist euer Herz, da ihr euch erfüllt habt mit dem Geiste, der den Stolz in der Hülle der Demut täuschend birgt! Und die beiden Essäer gingen nach Hause und sagten keinem etwas, was sie gesehen hatten, sondern schwiegen die ganze übrige Zeit bis zu ihrem Tode. [1]

Bedrückt gingen sie weiter in ihre Essäerherberge, und sie erzählten niemals etwas von dem, was sie erlebt hatten. Sie waren dadurch allerdings die Tiefsten an Seele unter ihren Mitbrüdern geworden. Sie erlebten daher in ganz besonderer Weise das mit, was sich ereignete als das Mysterium von Golgatha. Aber für die anderen war das, was sie erlebt hatten, wie unwahrnehmbar. [2]

Ich will diese Tatsachen darstellen und rein für sich geben, wie sie sich aus dem heraus, was wir die Akasha-Chronik nennen, finden lassen. Als nun der Jesus auf diesem Wege zum Jordan hin, auf den er getrieben worden war, eine Weile weiterging, kam ihm ein Verzweifelter in den Weg. Und der Jesus sagte: Wozu hat deine Seele dich geführt? Ich habe dich vor Äonen gesehen, da warst du ganz anders. – Da sprach der Verzweifelte: Ich war in hohen Würden; ich bin im Leben hoch gestiegen. Viele, viele Ämter habe ich durchlaufen in der menschlichen Rangordnung, und schnell ging es. Da sagte ich mir oftmals, wenn ich sah, wie die anderen in ihren Würden zurückblieben, und ich hochstieg: Was für ein seltener Mensch bist du doch; deine hohen Tugenden erheben dich über die anderen Menschen! Ich war im Glück und genoß voll dieses Glück. – So sagte der Verzweifelte, dann fuhr er fort: Dann kam mir einmal schlafend etwas vor wie ein Traum. Im Traume war es, wie wenn eine Frage an mich gestellt würde, und dann wußte ich gleich, daß ich mich im Traume selber schämte vor dieser Frage: Wer hat dich groß gemacht? – Und ein Wesen stand vor mir im Traume, das sagte: Ich habe dich erhöht, doch du bist dafür mein! Ich ließ alle meine Ämter und Würden hinter mir und irre herum, suchend und nicht wissend, was ich suche. Und als der Verzweifelte noch so sprach, stand das Wesen wieder vor ihm und deckte mit seiner Gestalt die Gestalt des Jesus von Nazareth zu. Und es hatte der Verzweifelte ein Gefühl, daß dieses Wesen etwas mit dem Luziferwesen zu tun habe. [3] Er erkannte in ihm den Versucher, von dem die Schrift erzählt, daß er schon der Versucher war. [4]

Als Jesus weiterging, traf er einen Aussätzigen. Auf die Frage: Wozu hat der Weg deiner Seele dich geführt? Ich habe dich vor Äonen gesehen, doch da warst du anders –, sagte der Aussätzige: Mich haben die Menschen verstoßen wegen meiner Krankheit. Da irrte ich in meinem Leide herum und kam einmal in einen Wald. Etwas, was ich in der Ferne sah wie ein leuchtender Baum, zog mich an. Da war es, wie wenn aus diesem Lichtschimmer des Baumes etwas herauskäme wie ein Totengerippe. Und ich wußte der Tod stand vor mir. Der Tod sagte: Ich bin du! Ich zehre an dir. Der Tod aber sprach: Warum fürchtest du dich? Hast du mich nicht immer geliebt? [5] Du hast so manches Leben früher durchlebt, da liebtest du den Lebensgenuß, vieles, was dir Begierde in deinem Leben schuf, was dir Freuden des Alltags brachte, da konntest du schwelgen in den Freuden des Alltags; da liebtest du mich. Und weil du mich so liebtest, zog deine Seele mein Wesen an. Ich wurde du und darf nun an dir zehren. Und meine Furcht wurde noch größer. Da verwandelte sich das Gerippe in einen schönen Erzengel. [6] Dann verschwand er, und ich verfiel in einen tiefen Schlaf. Von da ab wurde mein Aussatz immer schlimmer. Und als er das erzählt hatte, stand das, was er an dem Baume gesehen hatte, zwischen ihm und dem Jesus und verwandelte sich in ein Wesen, von dem er wußte: Ahriman oder etwas Ahrimanisches stand vor ihm. [7]

Nach diesen drei Erlebnissen kam der Jesus von Nazareth zu der Johannestaufe im Jordan. [8] Er ließ sich taufen, nach der Sitte der damaligen Juden im Jordan; und bei dieser Gelegenheit, also nachdem er nicht erst in den Mysterien gewesen war, ging ihm auf dieselbe Weisheit, die sonst die Sonnenmenschen (Sonnenhelden) hatten. Deshalb konnte er sagen: Mir ist von der Sonne selber diese Weisheit gekommen. – Er war also der erste, der in Beziehung zum Himmel getreten ist ohne die Mysterien. Was hat denn der, der in den Mysterien ein Sonnenmensch (6. Grad) gewesen ist, gesagt, wenn er zu dem, der auf der siebenten Stufe gestanden ist, hinaufgeblickt hat? Da hat er gesagt: Siehe, das ist der Vater. – Der stand auf dem Altar in weißem Gewand, im Priesterornat. Das war der «Vater» unter denjenigen, die in den Mysterien die verschiedenen Stufen durchgemacht hatten. Der Christus Jesus hatte das nicht in den Mysterien durchgemacht, sondern er hatte es empfangen von der Sonne selber. Daher sagte er: «Mein Vater ist nicht auf Erden» er meinte, nicht in den Mysterien –, «sondern mein Vater ist oben in der geistigen Welt.»

Er wies also zuerst im eminentesten Sinne auf den Vater hin in der geistigen Welt. Der Christus wollte also die Menschen, die früher noch von der Erde aus alles Geistige empfangen hatten, hinweisen auf die Quellen des Geistigen im Außerirdischen selber. [9]

Da stand am Jordan Jesus von Nazareth und die makrokosmische Christus-Wesenheit senkte sich nieder, nahm Besitz von diesen drei Leibern und lebte dann bis zum 3. April des Jahres 33 – wie wir feststellen konnten. Schon von der Taufe angefangen, war dieses Leben des Christus in dem Leib des Jesus von Nazareth ein langsamer Prozeß des Sterbens. Langsam starben diese Hüllen ab, so daß nach drei Jahren der ganze Leib des Jesus von Nazareth etwas war, das an der Grenze schon stand Leichnam zu sein und nur eben zusammengehalten wurde von der Macht der makrokosmischen Christus-Wesenheit. Es war ein fortwährendes, langsames, durch drei Jahre dauerndes Dahinsterben. Und an der Grenze des Auseinanderfallens war dieser Leib angekommen, als das Mysterium von Golgatha eintrat. [10]

Es gibt wohl kaum einen Eindruck (aus der geistigen Welt), der sich an Leiden vergleichen ließe mit dem Einswerden der Christus-Wesenheit mit der Leiblichkeit des Jesus von Nazareth. Und man lernt erkennen, was ein Gott leiden mußte, damit die altgewordene Menschheit eine neue Verjüngung erleben konnte, damit der Mensch fähig werden konnte, von seinem Ich völlig Besitz zu ergreifen. [11]

Während Jesus von Nazareth als Christus Jesus in den letzten drei Jahren seines Lebens vom dreißigsten bis zum dreiunddreißigsten Jahre in Palästina auf der Erde wandelte, wirkte fortwährend die ganze kosmische Christus-Wesenheit in ihn herein. Immer stand der Christus unter dem Einfluß des ganzen Kosmos, er machte keinen Schritt, ohne daß die kosmischen Kräfte in ihn hereinwirkten. Was hier bei dem Jesus von Nazareth sich abspielte, war ein fortwährendes Verwirklichen des Horoskopes; denn in jedem Moment geschah das, was sonst nur bei der Geburt des Menschen geschieht. Das konnte nur dadurch so sein, daß der ganze Leib des nathanischen Jesus beeinflußbar geblieben war gegenüber der Gesamtheit der unsere Erde lenkenden Kräfte der kosmisch-geistigen Hierarchien. Daher ist so oft die Sternenkonstellation für die Taten des Christus Jesus in den Evangelien leise angedeutet. Die kosmischen Kräfte, die von Sonne und Sternen kamen, dirigierten den Leib des Jesus Christus. [12]

Zitate:

[1]  GA 148, Seite 156ff   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[2]  GA 148, Seite 301   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[3]  GA 148, Seite 158   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[4]  GA 148, Seite 271   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[5]  GA 148, Seite 159   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[6]  GA 148, Seite 272   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[7]  GA 148, Seite 159   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[8]  GA 148, Seite 160   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[9]  GA 353, Seite 59   (Ausgabe 1968, 308 Seiten)
[10]  GA 130, Seite 222   (Ausgabe 1962, 354 Seiten)
[11]  GA 148, Seite 151   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[12]  GA 15, Seite 76f   (Ausgabe 1960, 90 Seiten)

Quellen:

GA 15:  Die geistige Führung des Menschen und der Menschheit. Geisteswissenschaftliche Ergebnisse über die Menschheits-Entwickelung (1911)
GA 130:  Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit (1911/1912)
GA 148:  Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium (1913/1914)
GA 353:  Die Geschichte der Menschheit und die Weltanschauungen der Kulturvölker (1924)