Leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt

(Man muß) sich klarmachen, daß dieses Leben zwischen dem Tode und einer neuen Geburt von uns zwar in gewissem Sinne nur mit Bildern dargestellt werden kann, die entnommen sind dem Sinnlichen, dem physischen Erdenleben, den Vorstellungen, die wir uns innerhalb dieses physischen Erdenlebens bilden, daß aber das Leben im Bereiche der Toten doch eben ein solches ist, daß es sich nur sehr schwer fassen läßt mit den Begriffen und Vorstellungen, die wir uns im Erdenwerden bilden. Man muß daher versuchen, von verschiedenen Seiten her sich diesem Leben zu nähern. [1]

Der Tod unterscheidet sich vom Schlaf dadurch, daß auch der Ätherleib mit dem Astralleib und dem Ich fortgeht. Da tritt eine eigentümliche Erscheinung ein, etwas, was man als eine Empfindung beschreiben könnte, die aber mit einer gewissen Vorstellung verknüpft ist. Der Mensch fühlt, wie wenn er wachsen würde, wie wenn er nach allen Richtungen sich ausdehnen würde; er nimmt nach allen Richtungen Dimensionen an. Diese Vergrößerung des Ätherleibes, die er unmittelbar nach dem Tode annimmt, dieses Sehen des Ätherleibes in großen Dimensionen ist eine sehr wichtige Vorstellung. [2] Der Eindruck unmittelbar nach dem Tode ist der, als ob unser Wesen sich ergießen würde über alles das, was außerhalb unser ist. Wir tauchen gleichsam in die Dinge unter, wir fühlen uns eins mit ihnen. Ein Gefühl des Ausbreitens und -dehnens und -weitens der Seele tritt auf, ein Verschmelzen mit den Dingen, die in der äußeren Umgebung sind als Bilder. [3]

Der Tote verläßt die physische Welt und ist ja insbesondere in den ersten Tagen noch mit der physischen Welt zusammenhängend. Und da ist es sehr bedeutungsvoll, daß der Tote, (der) aus der physischen Welt hinausgeht, gar sehr angepaßt ist an die Konstellation, die sich für sein Leben aus der Stellung der Planeten ergibt. Solange nämlich der Tote noch mit seinem Ätherleib zusammenhängt, klingen und schwingen wunderbar nach die Planetenkräfte, die Konstellation der Planetenkräfte durch diesen Ätherleib. So wie im Embryowasser beim Entstehen des physischen Menschen außerordentlich stark mitschwingen die Erdenterritorialkräfte, so schwingen bei einem Toten, der noch in seinem Ätherleib ist, in einer ganz auffälligen Weise die Kräfte mit, die mit den Sternenkon-stellationen zusammenhängen in dem Augenblicke, wo – das Ganze ist ja natürlich karmisch bedingt – der Tote die physische Welt verlassen hat. So daß wir sagen können: Erstes Entwickelungsstadium: Richtung in der Sternenkonstellation. Das ist bedeutsam eben so lange, als der Mensch mit seinem Ätherleibe verbunden bleibt.

Das zweite, was nun im Verhältnis des Menschen zum Kosmos in Betracht kommt, das ist, daß der Mensch wirklich in einer gewissen Richtung, könnte man sagen, die physische Welt verläßt, wenn er selbst geistig wird nach Ablegung des Ätherleibes. Da ist es, wo man zuletzt noch im richtigen Sinne, nicht bloß im bildlichen Sinne auf dasjenige, was der Tote tut, Begriffe anwenden kann, die der physischen Welt entnommen sind; denn nach diesem Stadium werden die Begriffe mehr oder weniger Bilder. Nun kann man sagen: Im zweiten Stadium wird – und jetzt gilt eben die Richtung noch physisch, obwohl es aus dem Physischen hinausgeht – die Richtung nach dem jeweiligen Osten eingeschlagen. Und durch den jeweiligen Osten wandelt in einem gewissen Zeitpunkte der Tote in die rein geistige Welt hinein. Indem aber der Tote durch den Osten gewissermaßen austritt aus der physischen Welt in die geistige hinein, gelangt er schon in das Gebiet der Sphäre, das heißt, er erlangt die Möglichkeit, an den Sphärenkräften teilzunehmen, die nun nicht, wie hier der Mensch, zentrifugal, sondern zentripetal nach dem Mittelpunkte der Erde hin wirken; er gelangt in die Sphäre hinein, in die Möglichkeit, nach der Erde zu wirken. [4]

Wenn wir nun als Mensch unseren physischen Leib verlassen, wohinein gehen wir denn, wohinein tauchen wir denn eigentlich unter? Wir tauchen wie in Blitzesschnelligkeit mit unserem Tode in das unter, was aus all den übersinnlichen Kräften unseren physischen Leib bildet. Sie können sich ganz ruhig vorstellen, daß alle die Baukräfte, die seit der Saturnzeit an Ihrem physischen Leib gewirkt haben, sich ins Unendliche ausdehnen und Ihnen den Ort bereiten, in dem Sie leben zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Alles das ist, möchte ich sagen, nur zusammengezogen in dem Raum, der von unserer Haut eingeschlossen ist zwischen der Geburt und dem Tode. [5]

Der Tote verläßt den physischen Leib durch die Region des Raumes. In dem Augenblicke, wo man den physischen Leib verlassen hat, geht man gerade in demjenigen auf, was außerhalb des physischen Leibes ist. Wenn ich hier stehe und ich meinen Leib verlasse, so ist das erste, in dem ich drin bin, der Tisch (beispielsweise), und dann alles, was mich umgibt. Ich bin immer in demjenigen drinnen, was die Welt erfüllt, und immer weiter in dem drinnen, nur just nicht innerhalb meiner Haut. Dasjenige, was bisher meine physische Innenwelt war, das wird meine Außenwelt, und alles, was früher die Außenwelt war, wird meine Innenwelt. So wird auch das Moralische meine Außenwelt. [6]

Wenn der Mensch durch die Pforte des Todes tritt, vernimmt er für eine sehr kurze Zeit, die nach Tagen nur datiert – etwa so lange, als der Mensch es vermöge seiner Organisation aushalten kann, ohne Schlaf zu bleiben durch mehrere Tage –, eine Art Tableau (siehe: Lebenstableau), das ihn sein letztes Erdenleben wie in einem Gedankengewebe, das aber bildhaft ist, überschauen läßt. Ohne Gefühls- und Willensanteil, rein in einer Art von passiver Überschau hat man dieses Erdenleben vor sich. [7] Das ist ja überhaupt das Charakteristische des heutigen Menschen, daß dieser heutige Mensch gern umdeutet dasjenige, was er selbst erlebt. Er mag sich über sich selbst nicht gerne wahrheitsgemäße Rechenschaft geben. Er möchte dasjenige, was zusammenhängt mit seiner Einstellung zu der Welt, nach der einen oder nach der anderen Seite färben. Man prüfe sich nach dieser Richtung nur einmal und frage sich, wie oft man eigentlich sich eingesteht, daß man unrecht hat in einer Sache. Man wird da, wo man sich eingestehen sollte, daß man unrecht hat, in den meisten Fällen irgend etwas anderes vorstellen, was einen hinwegbetäubt über dasjenige, was man sich sonst sagen müßte: daß man in irgendeiner Sache unrecht hat. Aber das ist nur eine von den Erscheinungen, welche schon äußerlich den Menschen darauf hinweisen könnten, daß er vieles heute unterbewußt erlebt, worüber er sich in seinem Bewußtsein Illusionen macht. Wird man etwas älter und stirbt dann, dann hat man eine große Summe solcher unterbewußter Erfahrungen in sich. Und diese unterbewußten Erfahrungen sind es, welche wie umgestaltet in Wesenhaftes nach dem Tode dem Menschen entgegentreten. Findet man diesen Zusammenhang heraus zwischen dem unterbewußten Erlebten und dem, was der Tote, nachdem er durch die Todespforte gegangen ist, Überraschendes erlebt, dann kommt man erst mit dieser Erscheinung zurecht, dann kommt man erst dazu, zu begreifen, warum so viele Menschen, die heute gar nicht gern nachdenken darüber, wie sie das eine und das andere erleben, sondern es im Unterbewußten lassen, wie die überrascht sind, wenn ihnen nun diese ganze unterbewußte Sache, nachdem sie durch die Todespforte gegangen sind, wirklich entgegentritt. Sie sind davon überrascht, trotzdem sie die Dinge erlebt haben, und sie müssen zu gleicher Zeit empfinden, daß sie mit dem, was sie erleben, selbst sehr viel zu tun gehabt haben. Es ist eigentlich ein Teil ihres eigenen Lebens, der entweder gar nicht oder nur sehr undeutlich bemerkte Teil ihres eigenen Erlebens. [8]

Solange wir den Ätherleib an uns tragen, nachdem wir den physischen Leib abgelegt haben, können wir noch immer alles dasjenige denken, was wir haben denken können während unseres physischen Daseins. Wir schauen die Gedanken, und überschauen wie in einem Panorama das Leben, das wir durchgemacht haben. Dann legen wir den ätherischen Leib ab. Aber dieser Ätherleib, den wir da ablegen, er bleibt uns unser ganzes ferneres Leben nach dem Tode sichtbar. Er ist außen, aber er bleibt sichtbar. Er vereinigt sich mit dem Universum, aber dasjenige, was da mit ihm geschieht, das bleibt uns sichtbar, das schauen wir. Dasjenige, was wir in uns gehabt haben an Gedanken, als wir lebten, das schauen wir gewissermaßen der Welt einverwoben, so daß es zu unserer Welt gehört, nicht zu unserem Ich nach dem Tode. Man kann (als Lebender) in einer gewissen Weise in einer zweifachen Art den Toten erleben. Man kann dasjenige von ihm erleben, was er der Ätherwelt übergeben hat, man kann dasjenige von ihm erleben, worinnen sein Bewußtsein nach dem Tode sitzt. [9] So wahr als wir in der Luft leben, die uns überall umgibt, so wahr umgibt uns die Welt, in der das zurückbleibt, was der Tote als seine Ätherwelt zurückläßt. Nur durch Bewußtseinszustände sind wir getrennt von den geistigen Welten; nicht durch Raumesverhältnisse, durch Bewußtseinszustände sind wir getrennt. [10]

Nehmen Sie an, Sie lebten hier auf der Erde mit Ihrem Ich vom Jahre 1850 bis zum Jahre 1920. Nun blicken Sie zurück, mit dem Geistselbst, Manas durch die Hierarchien (vermittelt) blicken Sie auf Ihr Ich zurück; da sehen Sie Ihr Ich immer als stehengeblieben vom Jahre 1850 bis 1920. Das Ich bleibt da, bleibt stehen. Das heißt: Ihre Erlebnisse gehen bald nach Ihrem Tode nicht mit Ihnen, sondern Sie sehen auf sie zurück, Sie schauen nur von einer zeitlich entfernten Perspektive auf das zurück, und sie sehen in die Zeitenlänge hinein, wie Sie hier in der physischen Welt in die Raumeslänge hineinsehen. Sie sehen zurück auf die Zeitstrecke, in der Sie hier auf Erden mit Ihrem Ich gelebt haben. Und die Zeitstrecke bleibt dort, und Sie sehen sie immer, indem Sie perspektivisch weiterleben, an der Zeitstelle, wo sie war. [11] Nach dem Tode sind wir in den Dingen und Wesenheiten drinnen, wir dehnen uns aus über den Raum, der für uns in Betracht kommt. Während der Kamalokazeit dehnen wir uns fortwährend aus, und wenn die Kamalokazeit (Auflösungszeit eines Teiles des Astralleibes) zu Ende ist, sind wir so groß, wie der Raum innerhalb des Mond-Umkreises (also der Mondenbahn) ist. [12]

Eine große Anzahl von Menschen, die heute durch die Todespforten gehen, durch dasjenige, was sie nach dem Tode erleben, außerordentlich überrascht sind über das Unbekannte, das da vor ihnen steht. Es lebt im Toten das Bewußtsein, daß er eigentlich nicht gedacht haben würde, daß Erlebnisse solcher Art vor seine Seele treten würden. Also etwas Unbekanntes ist es, dem der Tote begegnet, aber zugleich etwas, von dem er deutlich weiß, es rührt von ihm selbst her, namentlich dann, wenn er zu den älter gestorbenen Menschen gehört. Wenn man diese Tatsache bemerkt, so findet man wirklich recht schwer eine Erklärung dafür. Erst dann findet man sie, wenn man es ganz ernst nimmt mit etwas anderem, was man im Zusammenhange damit betrachten muß, nämlich mit der Tatsache, daß der heutige Mensch, der in die heutige Lebensordnung hereingestellt ist, eine große Summe von Dingen erlebt, von denen er entweder gar nichts weiß, oder über die er sich alle möglichen Illusionen macht. Es ist eine ganze weite Summe von Erlebnissen, die man zu den unterbewußten Erlebnissen zählen kann, die an den Menschen herankommen, geradeso wie dasjenige, was er bewußt durchlebt, die er aber entweder gar nicht beachtet, während sie doch in ihm vorgehen, oder denen er eine ganz falsche Deutung gibt. Das ist ja überhaupt das Charakteristische des heutigen Menschen, daß dieser gern umdeutet dasjenige, was er selbst erlebt. Wird man etwas älter und stirbt dann, dann hat man eine große Summe solcher unterbewußter Erfahrungen in sich. Und diese sind es, welche wie umgestaltet in Wesenhaftes nach dem Tode dem Menschen entgegentreten. Es ist eigentlich ein Teil ihres eigenen Lebens, der entweder gar nicht oder nur sehr undeutlich bemerkte Teil ihres eigenen Erlebens. [13]

Es gehört geradezu zu den notwendigen Vorbedingungen eines rechten Lebens nach dem Tode, daß die Menschen immer mehr und mehr hier vor dem Tode gewisse Vorstellungen sich erwerben über das Leben nach dem Tode, denn nur, wenn sie sich erinnern an diese Vorstellungen, die sie sich hier erworben haben, können sie sich orientieren in der Zeit zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Es ist sachlich unrichtig, wenn behauptet wird, man könne warten bis zum Tode mit solchen Vorstellungen, denn dieses leibfreie Leben würde für sie ein finsteres werden, ein unorientiertes werden. [14]

Wir erwachen nach dem Tode, unmittelbar nach dem Tode, zu stark, und wir müssen erst dieses zu starke Erwachen herabmindern, herabdämpfen bis zu dem Grade, der den Fähigkeiten entspricht, die wir uns zubereitet haben durch die Erfahrungen, die wir in den verschiedenen Erdeninkarnationen durchgemacht haben. So ist es ein Ringen, uns selbst zu behaupten in dem von allen Seiten über uns hereinbrechenden Bewußtsein. Und nun kommt etwas, worinnen wir uns alle, nach dem Tode sowohl wie auch, wenn wir richtig in die Initiation eintreten wollen, gewissermaßen erst von den Gewohnheiten des physisch-sinnlichen Lebens erholen müssen. Hier in der Sinneswelt liegt es uns ja so nahe, zu sagen: Wir müssen die Einheit überall suchen, wir müssen aus der Vielheit, aus der Mannigfaltigkeit heraus die Einheit suchen. – Aber das ist etwas, was nur für die sinnlich-physische Welt hier Bedeutung hat. Denn treten wir durch die Pforte des Todes, dann haben wir nicht die Mannigfaltigkeit, sondern das, was als ein überflutendes Bewußtsein vor unsere Seele tritt: wir haben, wenn wir durch die Pforte des Todes getreten sind, nichts als Einheit um uns, immer wieder Einheit. Da kommt es dann darauf an, die Vielheit, die Mannigfaltigkeit richtig zu finden. Da müssen wir nichts anderes erstreben als aus der Einheit heraus- und in die Vielheit hineinzukommen. Nun möchte ich Ihnen eine richtig treffende Vorstellung davon geben, wie man in die Vielheit hineinkommt aus der Einheit. Nehmen Sie einmal an, man tritt durch die Pforte des Todes, tritt ein in diese Welt flutenden geistigen Weisheitslebens. In diese Welt tritt man ja zunächst ein, die uns anfangs betäubt, wenn wir in ihr aufgewacht sind. Wir wollen sie so charakterisieren, diese Welt, daß wir da das um uns flutende Licht als eine die Welt erfüllende Einheit haben; so erscheint sie uns. Nicht einmal uns selber unterscheiden wir darinnen. So sehr ist das eine Einheit, daß wir nicht einmal uns selber darinnen unterscheiden, daß wir selbst diese Unterscheidung nicht haben zwischen uns und der Welt; sondern wir gehören voll dazu zu der Welt. Alles ist eine Einheit. Aber jetzt beantworten wir uns einmal eine Frage – und ich bitte Sie, über diese Antwort, die ich geben werde, nicht nur ein wenig, sondern recht viel nachzudenken –, jetzt beantworten wir uns eine Frage, die Frage: Was ist sie eigentlich, die Einheit, in die wir da aufgenommen werden? Denken Sie sich alle die Wesenheiten der höheren Hierarchien, von denen Ihnen ja neun, respektive zehn, wenn wir den Menschen dazu nehmen, bekannt sind. In jeder Hierarchie ist eine große Anzahl von Wesen. Die denken alle, es denkt ja nicht bloß der Mensch, es denken die Wesen aller dieser höheren Hierarchien. Also denken Sie sich diese ganze Summe von Wesenheiten, in die wir aufgenommen werden, wenn wir durch die Pforte des Todes geschritten sind. Die sind um uns herum. Durch die Todespforte schreitend, werden wir in die ganze Fülle der geistigen Wesenheiten aufgenommen. Wir nehmen sie zunächst nicht wahr, sind aber darinnen. Das, was uns zuerst umflutet, ist eben diese Einheit. Und was ist diese Einheit? Das sind die ineinander verschwimmenden Gedanken aller Hierarchien. Was alle Hierarchien zusammen denken, diese Gedankenwelt der Hierarchien, ununterschieden, was der eine Hierarch denkt, was der andere Hierarch denkt: das alles verschwimmt in eine Einheit. In diese Gedanken der Hierarchien wachsen wir hinein. Das ist das uns umflutende Gedankenlichtwesen. Das ist diese Einheit. Also wir leben in den zu einer Einheit zusammenfließenden Gedanken der Hierarchien. Da leben wir darinnen. Und um was handelt es sich nun weiter in unserem Leben nach dem Tode? Darum handelt es sich, daß wir ein Verhältnis gewinnen zu den einzelnen Wesenheiten, die wir aus dem Gedankenmeere, in dem die Gedanken aller Hierarchien zusammenfließen, herausheben, und ein Verhältnis gewinnen zu den einzelnen Wesen, zu der Vielheit. Wir müssen nach dem Tode nicht nur zu der Einheit der flutenden Gedankenwesen der Hierarchien ein Verhältnis gewinnen, denn das ist uns gegeben; sondern wir müssen uns hindurcharbeiten so, daß wir ein Verhältnis bekommen zu den einzelnen Wesenheiten der Hierarchien. Wie bekommen wir das? Zunächst überflutet uns dieses zusammenschwimmende, zusammenfließende Meer der Gedanken der Hierarchien. Durch dasjenige, was wir uns nun im physischen Leibe erworben haben, bleibt bestehen an der Todespforte, auf die wir hinblicken, unser eigenes inneres Wesen, heraus sich erhebend aus der sinnlichen Umhüllung. Das gibt uns Willensstärke, gefühlsartige Willensimpulse, willensartige Gefühlsimpulse. Die werden wir innerlich gewahr im Anschauen des Wesens, das aus dem Körper entsteigt, das wir nach dem Tode sind. Dadurch sind wir imstande, gleichsam unsere Willensstrahlen zu ziehen. Und wenn wir nun einen solchen Willensstrahl, den wir aus der Kraft des Todes schöpfen, der mit dem Tode geboren wird, hineinstrahlen in die Umwelt, dann löschen wir an einer bestimmten Stelle etwas in der Gedankenwelt aus. Und wenn wir ihn anderswo hinrichten, löschen wir an einer anderen Stelle etwas aus; so löschen wir an einer dritten, an einer vierten Stelle etwas aus, kurz, wir löschen an den verschiedensten Stellen durch unsere Willens-Impulskräfte die uns umflutende Gedankenwelt aus. Und indem wir sie auslöschen, tritt in den Hohlräumen des flutenden Gedankenmeeres der Hierarchien, uns – wenn ich so sagen darf – der Gedankenhierarch entgegen, das Wesen, das dadrinnen lebt, in der geistigen Welt. [15]

Während wir uns bemühen, hier in der physischen Welt, zu dem Dinge, das wir sehen, einen Gedanken hinzuzufinden, müssen wir in der geistigen Welt, weil uns der Gedanke in Hülle und Fülle zur Verfügung steht, den Gedanken auslöschen, wegschaffen; dann treten uns die Wesen entgegen. Wir müssen Herr werden über den Gedanken, dann treten uns die Wesen entgegen. Und diese Kraft, Herr zu werden über den Gedanken, den Gedanken gewissermaßen aus unserem Gesichtsfelde herauszuwerfen, damit das Wesen uns entgegentritt im Meere der flutenden Gedankenwelt, diese Kraft erhalten wir dadurch, daß uns, als herrlicher Ausgangspunkt unseres geistigen Lebens nach dem Tode, der Anblick des Sterbens, des Todes selbst entgegentritt, der unser Lehrer wird im Auslöschen. Denn der Tod wird für uns nach dem Tode der Lehrer des Auslöschens, der Anreger jener Willenskräfte, durch die wir im flutenden Lichtmeere die Gedanken auslöschen müssen. Was ist denn nun eigentlich dasjenige, was wir da vollziehen? Es ist eine Tätigkeit, durch die wir uns Platz schaffen, daß die Hierarchien an uns herantreten können. Wir schaffen uns Platz. Unser Wesen ist dann ja über die ganze Welt ausgebreitet – auf diese Dinge haben wir schon wiederholt hingedeutet. – Wir schaffen uns Platz, indem wir diese Hohlstellen schaffen, so daß das, was objektiv ist, uns post mortem, also nach dem Tode, erscheinen kann. Niemals kann uns etwas objektiv in der geistigen Welt erscheinen, wenn wir unser eigenes Wesen in die geistige Welt hineintragen. Nur dann können wir das andere erkennen in der geistigen Welt, wenn wir für die Stelle, wo das andere erscheinen will, unser eigenes Wesen, unsere eigene Wesenheit auslöschen, und das geschieht auf diese Weise.

Das ist, innerlich charakterisiert, der Prozeß, der nun auch nötig ist, wenn man herangelangen will an den Toten in der Weise, wie ich Ihnen das gestern am Schlusse des Vortrages dargestellt habe, wo das Bedürfnis vorhanden war, die Möglichkeit zu gewinnen, den Toten selber sprechen zu lassen, den Toten selber sich aussprechen zu lassen. Dann muß man versuchen, da wo der Tote ist, sich selber wegzuschaffen, sein eigenes Denken und sein Fühlen wegzuschaffen, und wo man das weggeschafft hat, da treten aus den Tiefen des Seins heraus die Impulse, die uns ohne unseren Willen die Worte in den Mund legen, die dann kommen müssen, wenn wir das objektive Wesen eines nicht im physischen Leibe verkörperten Menschen ausdrücken wollen. [16]

Das Menschenleben ist also auch hier zwischen Geburt und Tod in seinem Verlaufe aufgebaut, nicht nur in seinem körperlichen Bau. Ebenso geregelt ist das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. [17] Hier im Erdendasein vollbringen wir das, was wir tun, gewissermaßen so, daß es sich von uns loslöst, daß es aufhört, zu uns zu gehören, wenn wir es getan haben. Im Dasein zwischen dem Tode und einer neuen Geburt ist das anders. In diesem Dasein kehrt alles, was der Mensch dort vollbringt, wiederum in einem gewissen Sinne zu ihm zurück. [18] Aus dieser geistigen Welt beginnt der (Tote) mit dem, was er gelernt hat im letzten Leben, mit dem, was er erlebt hat, sich seine geistigen Organe aufzubauen. Stück für Stück baut er sich jetzt mit den Erfahrungen, die er im letzten Leben gehabt hat, seinen geistigen Organismus auf. Und er ist neben vielem anderen in der geistigen Welt damit beschäftigt, sich eine Art Urbild, geistiges Vorbild für seine geistigen Organe zu schaffen. 68(14.3.1909)15

Wie jetzt unsere Welt bei Tage ist: Berge und Flüsse, Bäume, Tiere, Mineralien, wie jetzt also diese Welt um uns ist und wir in dieser Welt leben, so stecken wir dann (nachtodlich) in unserer Welt drinnen, und diese Welt ist unser Organismus. Das sind unsere einzelnen Organe. Und unsere Welt sind wir selbst. Wir schauen uns von der Umwelt an. Das beginnt ja schon unmittelbar nach dem Tode im Ätherleibe. Da haben wir das Lebenstableau vor uns. Würde der Mensch hier nicht Verhältnisse anknüpfen zu anderen Wesenheiten, vor allen Dingen zu anderen Menschen, und, wie es jetzt immer mehr und mehr durch die Geisteswissenschaft geschehen soll, zu den Wesenheiten der höheren Hierarchien, so würde das eintreten, daß er zwischen Tod und neuer Geburt nichts zu tun hätte, als nur fortwährend sich selbst anzuschauen. Das aber, was uns dieses unser Selbst zu einer weiteren Welt erweitert, das sind die Verhältnisse, die wir hier auf Erden angeknüpft haben. Dazu ist das Erdenleben da, daß wir Beziehungen und Verhältnisse entwickeln, die sich dann fortsetzen über den Tod hinaus. Denn alles das, was uns in der geistigen Welt zu einem geselligen Wesen macht, müssen wir hier anknüpfen. Als Qual erlebt der Mensch in der geistigen Welt die Furcht vor der Einsamkeit. Und diese Furcht kann uns in einem gewissen Sinne immer wiederum befallen, denn wir machen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt gleichsam verschiedene Stadien durch, innerhalb welcher, wenn wir auch für den vorhergehenden Zustand uns eine gewisse Geselligkeit angeeignet haben, im nächsten Zustand wieder in Einsamkeit verfallen können.

Die nächste Zeit nach dem Tode ist ja in der Tat so, daß wir eigentlich nur mit denjenigen gute Beziehungen haben können, die auf der Erde hier zurückgeblieben sind oder die etwa in einer Zeit, die nicht ferne von unserer Sterbezeit liegt, gestorben sind. Die allernächsten Beziehungen wirken da über den Tod hinüber. [19] Bei vielen Menschen der Gegenwart sieht man dann, wie sie mit den unmittelbar Gestorbenen, den zehn Jahre vorher oder nachher Gestorbenen leben. Man sieht dann, wie viele zusammenleben mit einer Anzahl von Ahnen, mit denen sie blutsverwandt waren. Das ist ein Anblick, der sich dem Seher oft darbietet. Seit Jahrhunderten verstorbene Ahnen, an die schließt der Verstorbene sich an. [20]

Nun lebt im Ich und astralischen Leib das ganze Leben hindurch die Begierde nach dem Körper, (daher) möchte die Seele nach dem Tode immer wieder in den Körper hinein aufwachen. Das muß sie sich erst abgewöhnen. Dieses Abgewöhnen dauert ein Drittel der ganzen (früheren Lebenszeit). Ein Drittel des Lebens dauert nämlich der Schlaf. Am ersten Tag, nachdem man gestorben ist, will man zurückgehen. Man will dasjenige, was am letzten Tag des Lebens ausgeführt worden ist, ausführen; am zweiten Tag will man das vom vorletzten Tag ausführen, und so geht es fort. So hat man die Begierde für dieses Drittel des Lebens sich abzugewöhnen. [21]

Nach dem Tode hat die Seele die naturgemäße Tendenz, hauptsächlich den Blick hinzurichten auf die Schicksale des eigenen Ätherleibes. Was der Ätherleib da für Verwandlungen durchmacht in der elementarischen Welt, das ist gewissermaßen durch die(se) ganze Kamalokazeit hindurch die Umwelt, die Außenwelt der Seele. Man sieht in dieser Zeit, wie die elementarische Welt aufnimmt unseren ätherischen Leib. Ist man ein guter Kerl gewesen hier auf dem physischen Plane, so sieht man, wie die «Gutkerligkeit» sich verträgt mit den Gesetzen der elementarischen Welt. Ist man ein schlechter Kerl gewesen, so sieht man, wie wenig sich der eigene Ätherleib, der teilgenommen hat an der «Schlechtkerligkeit», mit den Gesetzen der elementarischen Welt verträgt, wie dieser ätherische Leib, den man zwar abgelegt hat, auf den man aber das ganze Augenmerk hinrichtet, überall zurückgewiesen wird. Die Kamaloka-Erlebnisse bestehen darin, daß man sieht, was man gewesen ist, an dem sich verwandelnden Schicksal des Ätherleibes. Aristoteles und auch noch andere haben gelehrt, daß dieses Zurückschauen auf sein eigenes Schicksal sogar eine ganze Ewigkeit dauert. Die Wahrheit ist die, daß diese Rückschau auf den ätherischen Leib und seine Schicksale, die man bewirkt hat durch das, was man war, ein oder zwei oder drei Jahrzehnte dauert. Die Umwelt in der elementarischen Welt bilden die Verwandlungen hauptsächlich solcher Wesenheiten, welche gleichartig sind mit dem eigenen ätherischen Leib des Menschen, hauptsächlich des ätherischen Leibes des Menschen selber. Wenn man das anschaulich schildern will, so kommt ganz dasselbe heraus, was ich beschrieben habe als den Durchgang der Seele durch die Seelenwelt. Wenn man überhaupt die geistigen Welten ordentlich schildern will, so muß man nicht in solch pedantischer Weise die Begriffe starr festhalten, wie das für das Physische nützlich sein kann, sondern man muß sich klar sein, daß die ganze Umwelt während der Kamalokazeit von der Stimmung der Seele abhängt, daß das, was man als elementarische Welt schildern muß, sich zur Seelenwelt dadurch modifiziert (alle Welten oder Plane stecken ineinander), daß man hauptsächlich sich auflösende Ätherität in dieser elementarischen Welt sieht. [22]

Dann kommt die Zeit, in welcher gleichsam etwas eintritt zwischen dem Tod und einer neuen Geburt, was gewissermaßen künstlich durch das hellsichtige Bewußtsein herbeigeführt werden muß. Der Mensch lebt also, nachdem er seinen ätherischen Leib abgestreift hat, in seinem astralischen Leib, aber es beginnt auch die Zeit, wo dieser astralische Leib sich loslöst von dem wahren Ich, in dem man dann weiterlebt. Dieser astralische Leib löst sich nach allen Seiten heraus, wird immer größer und größer und gliedert sich ein in die ganze Sphäre. Er wird dabei immer dünner und dünner, wird aber gleichsam von der ganzen Umwelt aufgesogen. Man sieht also den eigenen astralischen Leib fortgehen. Mit diesem astralischen Leib verliert sich das, was immer vorhanden ist, wenn man durch die Pforte des Todes gegangen ist, das, was man sein Gewesensein nennen kann, das Verbundensein mit dem, was man erlebt hat auf der physischen Erde innerhalb des physischen Leibes und des ätherischen Leibes. Man sieht gleichsam die eigene Wesenheit sich hinausverlieren in die geistige Welt. Das kommt dem gleich, was man künstlich suchen muß zur Entdeckung seines wahren Ich in der geistigen Welt. Dieser erschütternde, bedeutsame Eindruck, den man haben kann, wenn man auf dem Wege des hellsichtigen Bewußtseins wandelt, tritt naturgemäß (nach dem Tode ein), und ein wahres Vergessen tritt um so früher ein, je weniger die Seele sich nach dem Tode erkraftet und erstarkt erweist. Selbstlose, unegoistische Seelen, die man oftmals schwach schilt im sinnlichen Leben, sind gerade die starken Seelen nach dem Tode; sie können lange nachsehen dem, was sie erinnerungsgemäß von dem physischen Dasein in die geistige Welt hineingetrieben hat. Die sogenannten stark-egoistischen sind die Schwächlinge der geistigen Welt. Es entschwindet ihnen sehr bald die eigene Astralität, wenn sie sich draußen in der geistigen Welt allmählich sphärenhaft auflöst.

Und dann tritt wirklich der Moment ein, wo alles das verschwindet, woran man sich erinnern kann. Dann kommt es wiederum zurück, aber jetzt in veränderter Weise. Es wird alles das einem wiederum zurückgetragen, was verschwunden ist; es sammelt sich wiederum, aber so, daß es zeigt, wie es werden muß infolge dessen, was da weggegangen ist, damit das richtige neue Leben karmagemäß sich aufbaue im Sinne der alten Erdenleben. Da rückt wiederum von der Unendlichkeit herein nach einem Mittelpunkte das, was sich ergeben muß in unser Bewußtsein, damit wir uns karmagemäß das neue Leben zimmern. Eine Art Vergessen also, ein bloßes Sich-Erleben im wahren Ich ist vorhanden ungefähr in der Mitte zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Die meisten Seelen der Menschen sind heute noch nur so vorbereitet, daß sie dieses Vergessen erleben wie in einer Art Geistesschlaf der Seele. Aber die dazu vorbereitet sind, erleben gerade in diesem Moment des Vergessens, des Übergangs von der Erinnerung an die vorhergehenden Erdenleben zur Vorbereitung der kommenden dasjenige, was in (dem Mysterien-drama) «Der Seelen Erwachen» die Weltenmitternacht genannt ist. [23]

Je mehr der Mensch sein Geistig-Seelisches in Unbewußtheit läßt, einem desto elenderen Schicksal geht er entgegen zwischen Tod und neuer Geburt. Daß der Körper verdorrt, hat mit dem Leben nach dem Tode nichts zu tun; aber wenn der Mensch nichts Geistig-Seelisches entwickelt hat, dann hat er nichts hineinzutragen in die geistige Welt. Je mehr er sich darauf eingelassen hat, sich zu durchdringen mit spirituellem Inhalt, desto besser geht es ihm nach dem Tode. [24]

Es macht des Menschen Seligkeit nach dem Tode aus, im Anblick seines Ätherleibes die Sicherheit des Christus-Impulses zu haben. Es macht des Menschen Unseligkeit nach dem Tode aus, am Ätherleibe nur das zu bemerken, was gewissermaßen dem Erdentode verfallen muß. Für denjenigen Menschen, der durch seine westliche Kultur eben ein deutliches Ich-Bewußtsein hat, bedeutet es etwas durchaus Unseliges, hinzuschauen auf seinen Ätherleib und dort nur die für die Erdentwickelung zerstörenden Kräfte zu sehen, nicht aber ersehen zu können, daß dort der Christus-Impuls als eine Substanz drinnen ist. Es ist etwa so, wie wenn man fortwährend unter dem Eindrucke eines Erdbebens oder eines Vulkanausbruches leben müßte nach dem Tode, wenn man nicht die jungen Keimkräfte des Christus-Impulses im Ätherleibe schauen kann. Der Teil des Blutes des Christus-Jesus, der auf Golgatha aus den Wunden zur Erde floß, der ätherisierte sich, wurde wirklich aufgenommen von den Ätherkräften der Erde, so daß es zur Äthersubstanz wurde. Und diese Äthersubstanz erglänzt, erhellt, erflimmert in dem Ätherleibe und – man empfindet es so nach dem Tode – zeigt sich so, daß der Mensch weiß: Da ist frisch keimendes Leben, welches den Menschen lebensfähig der Zukunft entgegenführt. [25]

Das Seelische (der Lebenden) ist schon in der Hauptsache das, was aus dem vorgeburtlichen Dasein sich verbindet mit dem Leiblichen, hinuntersteigt in das Leibliche. Aber das Geistige ist im gegenwärtigen Menschen – in dem Menschen einer ferneren Zukunft wird es ja anders sein – eigentlich nur der Anlage nach vorhanden. [26] Wenn der Mensch stirbt und sich in die geistige Welt wieder hineinlebt, entwickeln sich diese drei Glieder, gewissermaßen vordeutend ein zukünftiges Menschheitsdasein sehr deutlich (siehe: Manas, Buddhi, Atma). Also geradeso wie der Mensch sich in seinem jetzigen Leben geistig-seelisch zwischen Geburt und Tod entwickelt, so hat er auch nach dem Tode eine deutliche Entwickelung, nur daß er dann, gleichsam wie an einer Nabelschnur, an den geistigen Wesenheiten der höheren Hierarchien dranhängt. [27]

Mannigfaltiger noch als die äußeren Erlebnisse (also die Erlebnisse der Lebenden), sind die Erlebnisse zwischen dem Tod und einer neuen Geburt. Damals, als der ägyptische Zeitraum war, erlebte die Seele etwas ganz anderes als in der griechischen Welt, als zur Zeit Karls des Großen und als in unserer Zeit. Auch in der anderen, in der geistigen Welt, findet eine Entwickelung statt, und das, was der Mensch heute zwischen dem Tode und einer neuen Geburt erlebt, ist etwas ganz anderes, als was der alte Ägypter erlebte. [28]

Der Aufenthalt in der geistigen Welt, im Devachan ist nötig, um die Organisation des Ätherleibes immer wieder neu möglich zu machen. Das kleine Stückchen des Ätherleibes (das vom Menschen umgewandelte Stück seines Ätherleibes), welches der Mensch anfangs ins Devachan trägt, kann sich zum völligen Ätherleib auswachsen, dadurch daß die Bedingungen dazu im Devachan geschaffen werden. Wenn der Mensch sich weiter entwickelt, verweilt er immer länger im Devachan, dann nimmt die Dauer des Aufenthaltes dort zu. Die Zeit, die er dort verbringt, wächst also im Verhältnis zur eigenen Ausbildung. Weiter fortgeschrittene Menschen werden aber manchmal aus anderen Ursachen früher wieder inkarniert, zum Beispiel weil man sie in der Welt braucht. [29]

Der Mensch hat hier im physischen Erdenleben eine Organisation, welche die seelischen Folgen seines moralischen Verhaltens zurückschlägt in sein Seelisches, sie in einem Erdenleben nicht herauskommen läßt. Es ist der Mensch in diesem Erdenleben ohnmächtig, dasjenige, was er sittlich in seiner Seele trägt, zu verwirklichen; seine äußerlich-physische Körperlichkeit, seine ätherische Substantialität macht ihn ohnmächtig. Wir müssen warten bis wir in dem Leben zwischen Tod und neuer Geburt die Hilfe der Wesenheiten der höheren Hierarchien bekommen. [30] Wir sind nicht immer in der Lage, nach dem Tode zu überschauen, welche Kräfte wir uns anzueignen haben, um begangenes Unrecht ausgleichen zu können. Und da sprechen viele Kräfte mit, so daß es schon sein kann, daß wir das, was wir aus Egoismus in dem Leben vor dem Tode begangen haben, durch einen noch größeren Egoismus glauben ausgleichen zu können, und was wir als Törichtes getan haben, durch eine noch größere Torheit ausgleichen wollen. Dadurch kann es geschehen, daß sich die folgende Erdenverkörperung als eine noch unvollkommenere darstellt, als eine noch herbere Schulung, als es die letzte war. Im großen und ganzen ist aber der Durchgang des Menschen durch die wiederholten Erdenleben doch ein Aufstieg. Es ist durchaus möglich, daß der Mensch, wenn er auf das vergangene Erdenleben zurückblickt, im Irrtum sein kann über die Art, wie etwas ausgeglichen werden kann, und daß dadurch scheinbare oder wirkliche Abstiege geschehen. Aber im großen und ganzen folgen auf tiefe «Fälle» des Menschen oft starke Aufstiege. [31]

Wenn wir also durch das Leben hier auf Erden gehen, erleben wir tagtäglich sehr viel, und alle diese Erlebnisse treten in dem früher geschilderten Lebenstableau, direkt nach dem Tode, vor das Seelenauge; die Fähigkeiten aber, die wir uns aus diesen Erlebnissen errungen haben, die verbleiben uns als Essenz, und diese Essenz, die ihm für alle Folgezeiten verbleibt, nimmt der Mensch dann mit in die geistige Welt. Wenn der Mensch nun dieses Devachan betritt, nimmt er also die (verschiedenen) Gebiete wahr: das Kontinentale, das besteht aus den Urbildern aller irdischen Formen; das Meeresgebiet, das besteht aus allem Leben; das Luftgebiet, das besteht aus allem Seelischen, Lust, Leid, Freude, Schmerz und so weiter. Von dem Kontinentalen nimmt der Mensch zuerst wahr das Urbild seines eigenen physischen Leibes, und vom Luftgebiet nimmt er zunächst auch das wahr, was in seiner eigenen Seele im verflossenen Leben an Freude, Leid, Lust, Schmerz und Leidenschaften sich abgespielt hat. Das heißt also, er nimmt wiederum wahr alle Erlebnisse des vorigen Lebens, aber nun ganz anders als beim früher geschilderten Durchgang durch die Kamalokazeit. Da war es für den Menschen ein inneres Erleben zum Zweck des Abgewöhnens. Jetzt aber sind alle diese Erlebnisse als Außenwelt lange, lange Zeit vor seiner Seele ausgebreitet. Da erlebt er die Eigentümlichkeit seines Leibeslebens in dem Flußgebiet des Devachan, und alle seelischen Erlebnisse erlebt er wie im Luftgebiet der himmlischen Welt. Es ist wichtig und von großem Interesse, sich klarzumachen, wie man alles das, was man im Laufe eines Lebens erlebt hat – Empfindungen über die Welt, Lust, Schmerz und so weiter –, in der geistigen Welt um sich hat als Außenwelt. Es ist nicht traurig, daß sich die Schmerzen dort um uns ausbreiten. Das ist gar nicht traurig, denn alle Leiden sind dort um uns vorhanden wie Gewitter hier in der physischen Welt, und alle freudigen Erfahrungen sind dort wie wunderbare Wolkenerscheinungen. Es ist so um uns herum, als ob es in Bildern, Tönen oder atmosphärischen Erscheinungen um uns wäre; es ist objektiviert als himmlisches Gebilde. [32] Wie nämlich hier auf Erden der Mensch dauernd unter den Einflüssen der äußeren Atmosphäre steht, so auch im Devachan, und dort ist die Atmosphäre ja gebildet aus allem Seelenleben, dem unseren und dem unserer Mitmenschen. All dies Seelenleben wirkt dauernd auf den Menschen ein und dadurch bilden sich gerade dort die Talente aus, daß sie die ihnen seelenverwandten astralen Kräfte ihrer Umgebung an sich ziehen und auf sich wirken lassen. Das, was wir jetzt imstande sind zu tun, das haben wir ausgebrütet im Devachan. Und dementsprechend ist das Gefühl in dieser ganzen Zwischenzeit des Devachanlebens. Das Gefühl, das an jener Hervorbringung haftet, ist Seligkeit. Hier (im physischen Leben) empfinden wir oft Schmerzen, aber im Devachan sind selbst Schmerzen Seligkeit, weil wir uns dort bewußt werden, daß wir durch Schmerzen uns Weisheit aneignen. Aus den Schmerzen des vorigen Lebens produziert der Mensch in der Tat durch seine Erfahrungen im Devachan Talente und Weisheit für das nächste Erdenleben. Und das Gefühl des Hervorbringens ist das Gefühl unendlicher Seligkeit. So haben wir gesehen, daß der eine Quell der Seligkeit im Devachan der ist, daß alle Bande, die hier im Leben geschlossen werden, dort im Devachan wieder erlebt werden, und daß sogar alle diese Verhältnisse in ihrem geistigen Teil mit ungeheurer Steigerung erlebt werden. Und der andere Quell der Seligkeit ist das eben geschilderte Produzieren, dies Schaffen für das nächste Leben. [33]

Diese Tätigkeit des Produzierens ist nicht nur für den einzelnen Menschen selbst, für seine eigene künftige Organisation, von Bedeutung, sondern der Mensch hat Wichtiges mitzuschaffen und mitzuarbeiten an dem Fortgang der ganzen weiteren Erdentwickelung. Wenn der Mensch wiedergeboren wird, dann ist es so, daß er etwas ganz anderes erlebt als im vorigen Leben. In den verschiedenen Erdenleben machen wir die Entwickelung der Erde selbst mit. Und dazu kommt dann noch die Veränderung, die durch die jeweilige Kultur bewirkt wird. Nun fragen wir uns: Wer verändert denn das Antlitz der Erde? – Tatsächlich sind es die Toten selbst, die im Devachan leben, die durch die Kraft, die sie dort haben, selbst an dieser Umgestaltung der Erde (im guten und schlechten Sinne) arbeiten. Allerdings gibt es Anführer und höhere Wesenheiten, welche die Führung übernehmen. Und in diesem Reiche, das da mitten unter uns ist, arbeiten die Toten an der Umgestaltung des Antlitzes unserer Erde. Wenn man nur die Erscheinungen richtig zu deuten weiß, dann kann man sogar sagen, wie diese Arbeit geschieht. Die Menschen atmen hier in der Luft; ohne Luft könnten sie nicht atmen. Ähnlich bei den Toten, nur daß, wie hier die Luft, dort das Licht wirkt. In dem ausgebreiteten Licht sieht der Eingeweihte die Wesen der Toten. So sind zum Beispiel für den Seher die Pflanzen umgeben von den Geistern der Verstorbenen, und indem das Licht die Pflanze wandelt und wachsen läßt, sind es die Geister der Toten, die das vollbringen. [34] Wenn wir als Seher die Toten aufsuchen, können wir finden, wenn wir das Licht nicht bloß sinnlich wahrnehmen, innerhalb des Lichtes die toten Menschen. Sie haben einen «Körper» aus Licht gewoben. Das Licht, das die Erde umspült, ist Stoff für die Wesen, die im Devachan leben. Wenn der Mensch so weit ist, daß er diejenigen Tätigkeiten, die er im letzten Leben vollzogen hat, in geistige Kräfte umgesetzt hat, dann ist er reif, vom Devachan herunterzusteigen zu einer neuen physischen Geburt. Dann zieht der Erdkreis ihn wieder an. [35]

Zitate:

[1]  GA 182, Seite 9   (Ausgabe 1976, 190 Seiten)
[2]  GA 101, Seite 230   (Ausgabe 1987, 288 Seiten)
[3]  GA 119, Seite 12   (Ausgabe 1962, 279 Seiten)
[4]  GA 174, Seite 208ff   (Ausgabe 1966, 320 Seiten)
[5]  GA 168, Seite 71   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[6]  GA 239, Seite 133   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[7]  GA 79, Seite 120f   (Ausgabe 1962, 274 Seiten)
[8]  GA 190, Seite 134   (Ausgabe 1980, 238 Seiten)
[9]  GA 168, Seite 15f   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[10]  GA 168, Seite 17   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[11]  GA 183, Seite 166   (Ausgabe 1967, 195 Seiten)
[12]  GA 140, Seite 128   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[13]  GA 190, Seite 133f   (Ausgabe 1980, 238 Seiten)
[14]  GA 183, Seite 160f   (Ausgabe 1967, 195 Seiten)
[15]  GA 161, Seite 129ff   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[16]  GA 161, Seite 132f   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[17]  GA 157a, Seite 18   (Ausgabe 1981, 192 Seiten)
[18]  GA 227, Seite 223   (Ausgabe 1982, 270 Seiten)
[19]  GA 140, Seite 304f   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[20]  GA 140, Seite 306   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[21]  GA 349, Seite 199   (Ausgabe 1961, 264 Seiten)
[22]  GA 147, Seite 145f   (Ausgabe 1969, 168 Seiten)
[23]  GA 147, Seite 147f   (Ausgabe 1969, 168 Seiten)
[24]  GA 140, Seite 156   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[25]  GA 148, Seite 204   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[26]  GA 293, Seite 63   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[27]  GA 293, Seite 64   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[28]  GA 106, Seite 21f   (Ausgabe 1978, 180 Seiten)
[29]  GA 93a, Seite 94f   (Ausgabe 1972, 286 Seiten)
[30]  GA 239, Seite 256f   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[31]  GA 63, Seite 168   (Ausgabe 1959, 439 Seiten)
[32]  GA 100, Seite 58f   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[33]  GA 100, Seite 63ff   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[34]  GA 100, Seite 65f   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[35]  GA 99, Seite 46ff   (Ausgabe 1962, 172 Seiten)

Quellen:

GA 63:  Geisteswissenschaft als Lebensgut (1913/1914)
GA 79:  Die Wirklichkeit der höheren Welten. Einführung in die Anthroposophie (1921)
GA 93a:  Grundelemente der Esoterik (1905)
GA 99:  Die Theosophie des Rosenkreuzers (1907)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)
GA 101:  Mythen und Sagen. Okkulte Zeichen und Symbole (1907)
GA 106:  Ägyptische Mythen und Mysterien im Verhältnis zu den wirkenden Geisteskräften der Gegenwart (1908)
GA 119:  Makrokosmos und Mikrokosmos.. Die große und die kleine Welt. Seelenfragen, Lebensfragen, Geistesfragen (1910)
GA 140:  Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Die lebendige Wechselwirkung zwischen Lebenden und Toten (1912/1913)
GA 147:  Die Geheimnisse der Schwelle (1913)
GA 148:  Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium (1913/1914)
GA 157a:  Schicksalsbildung und Leben nach dem Tode (1915)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 168:  Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten (1916)
GA 174:  Zeitgeschichtliche Betrachtungen. Das Karma der Unwahrhaftigkeit – Zweiter Teil (1917)
GA 182:  Der Tod als Lebenswandlung (1917/1918)
GA 183:  Die Wissenschaft vom Werden des Menschen (1918)
GA 190:  Vergangenheits- und Zukunftsimpulse im sozialen Geschehen (1919)
GA 227:  Initiations-Erkenntnis. Die geistige und physische Welt- und Menschheitsentwickelung in der Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, vom Gesichtspunkt der Anthroposophie (1923)
GA 239:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Fünfter Band (1924)
GA 293:  Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919)
GA 349:  Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums (1923)