Seelenwelt

Wie die Stoffe und Kräfte, die unseren Magen, unser Herz, unsere Lunge, unser Gehirn und so weiter zusammensetzen und beherrschen, aus der körperlichen Welt stammen, so stammen unsere seelischen Eigenschaften, unsere Triebe, Begierden, Gefühle, Leidenschaften, Wünsche, Empfindungen und so weiter aus der seelischen Welt. Des Menschen Seele ist ein Glied in dieser seelischen Welt, wie sein Leib ein Teil der physischen Körperwelt ist. Wie den körperlichen Gebilden die räumliche Ausdehnung und räumliche Bewegung eigentümlich sind, so den seelischen Dingen und Wesenheiten die Reizbarkeit, das triebhafte Begehren. Man muß festhalten, daß die Dinge in denjenigen Teilen der Seelenwelt, die außer der menschlichen Seele liegen, von den Seelenkräften in dieser ebenso verschieden sind wie die physischen Stoffe und Kräfte der körperlichen Außenwelt von den Teilen, die den physischen Menschenleib zusammensetzen. [1] In der Seelenwelt gelten durchaus andere Gesetze als in der physischen. Nun sind ja allerdings viele seelische Gebilde an solche der andern Welten gebunden. Die Seele des Menschen zum Beispiel ist an den physischen Menschenleib und an den menschlichen Geist gebunden. Die Vorgänge, die man an ihr beobachten kann, sind also zugleich von der leiblichen und geistigen Welt beeinflußt. Darauf muß man bei der Beobachtung der Seelenwelt Rücksicht nehmen; und man darf nicht als seelische Gesetze ansprechen, was aus der Einwirkung einer anderen Welt stammt. Wenn zum Beispiel der Mensch einen Wunsch aussendet, so ist dieser von einem Gedanken, einer Vorstellung des Geistes getragen und folgt dessen Gesetzen.

Ein wichtiger Unterschied der seelischen Vorgänge von den physischen kann dadurch ausgedrückt werden, daß man die Wechselwirkung bei den ersteren als eine viel innerlichere bezeichnet. Im Seelenraum hängt die Wechselwirkung zweier Gebilde, die einander treffen, von ihren inneren Eigenschaften ab. Sie durchdringen sich gegenseitig, verwachsen gleichsam miteinander, wenn sie miteinander verwandt sind. Sie stoßen sich ab, wenn ihre Wesenheiten sich widersprechen. [2]

Sie ist eine fließende Reizeswelt. Da sind die Sinneswahrnehmungen nicht in den Raum hereingespannt. [3] Dieser Welt gehören wir Menschen selber an von der Zeit an, wo wir, nachdem wir durch die Todespforte geschritten sind, unseren Ätherleib abgelegt haben. Mit unserer Individualität sind wir dann solche Wesenheiten in der seelischen Welt, und unsere unmittelbare Umgebung sind Wesenheiten in der seelischen Welt. Was in der elementarischen Welt enthalten ist, zu dem stehen wir dann so in Beziehung, daß wir in ihr das erregen können, was Imaginationen hervorruft. Aber die elementarische Welt haben wir dann in einer gewissen Art außer uns; sie ist, können wir auch sagen, unter uns. Sie ist mehr ein Teil, dessen wir uns zum Verkehr mit der übrigen Welt bedienen; derjenigen Welt, die wir jetzt als seelische Welt bezeichnet haben, gehören wir aber unmittelbar selber an. [4] So wie der physische Leib den Geist an die physische Welt gekettet hat, so kettet jetzt die Seele den Geist an die seelische Welt. Und an dieses Leben der Seele in der Seelenwelt ist zunächst auch der Geist gebunden. Die Seele wird den Geist in die höhere, in die geistige Welt entlassen, wenn ihre Kräfte nicht mehr im Sinne der menschlichen Seelenorganisation wirken können. In dem Augenblicke wird der Geist befreit sein, wenn die Seele dasjenige der Auflösung (in der Seelenwelt) übergeben hat (siehe: Kamaloka), was sie nur innerhalb des Leibes erleben kann, und nur das übrig behält, was mit dem Geist weiterleben kann. Dies Übrigbehaltene, was zwar im Leibe erlebt, aber als Frucht in den Geist eingeprägt werden kann, verbindet die Seele mit dem Geist in der rein geistigen Welt (siehe: Devachan). [5]

Das was ich als Seelenwelt beschrieben habe, gibt zunächst den Eindruck wieder für das dem Menschen zugängliche nächste Seelenorgan, das enthüllt sich für die im Kosmischen zu entwickelnde universelle, kosmische Intelligenz als eine in sich sich verschlingende, in sich sich verwebende Tätigkeit der Wesenheiten der 2. Hierarchie. Und nun bemerken Sie, wie dieses Sein in der Tätigkeit dieser Wesenheiten dieser Hierarchie nach dem Tode zunächst eigentlich ist. Man hat gelebt auf Erden zwischen der Geburt und dem Tode, man hat abgewechselt zwischen dem Wachen und dem Schlafen. Während des Wachens war man mit dieser ganzen Tätigkeit, in der die menschliche Seele lebt, verwoben in Exusiai, Dynamis, Kyriotetes. Man war mit alldem immer genötigt, in die Formen des physischen Leibes unterzutauchen. Während des Schlafes lebte man mit dem Ätherleibe, der auch (noch) diese ganze Tätigkeit hinindividualisiert auf die Formen des menschlichen physischen Leibes. Da nahm aber diese Tätigkeit, in die man verwoben war, für diese zweite Hierarchie auch all das an, was der Mensch moralisch war: inwiefern er gut und böse war, inwiefern er dem Irrtum oder der Wahrheit hingegeben war. Die den Wesenheiten der zweiten Hierarchie angemessenen Tätigkeiten individualisieren sich nach dem hin, was da der Mensch ist als guter oder böser Erdenmensch, als in Wahrheit oder in Irrtum lebender Erdenmensch. Und man muß sich erst richten nach dem, was nun die Wesen dieser zweiten Hierarchie aus ihrem Sein heraus für eine Tätigkeit ausüben wollen für das Wesen des Menschen. Man muß (um ein Beispiel zu haben) gewissermaßen, wenn ich mich grob ausdrücken will, das Folgende berücksichtigen. Nehmen Sie an, man ist verknüpft mit irgendeinem Wesen aus der Hierarchie der Dynamis. Dadurch daß man das ist, entwickelt man ja dann, indem noch ein Erzengelwesen, ein Archangelos diese Tätigkeit vermittelt, die Fähigkeit des Sprechens im menschlichen Organismus. Aber indem man diese Fähigkeit entwickelt, werden gewissermaßen die Tätigkeiten der Dynamis verrenkt und auch ins Kleinliche verzerrt. Und wenn der Mensch seine Worte dazu verwendet, Böses, Haßerfülltes zu sagen, dann werden sie stark verrenkt, diese Tätigkeiten der zweiten höheren Hierarchie. Und das alles muß wieder eingerichtet werden. Das alles muß so werden, daß der Mensch nicht in den Formen weiterlebt, die er all dem, was ich da geschildert habe (siehe: Kamaloka), gegeben hat durch seine moralische Wesenheit oder auch seine unmoralische Wesenheit, sondern daß er das alles abstreift und daß er sich hineinfindet in die Betätigung und Regsamkeit, welche die der Wesen der 2. Hierarchie ist. Und dann ist der Mensch aufgestiegen (zum Devachan) [6] (siehe: Region der Dauer).

Zitate:

[1]  GA 9, Seite 96f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[2]  GA 9, Seite 98f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[3]  GA 162, Seite 254   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[4]  GA 168, Seite 187   (Ausgabe 1968, 230 Seiten)
[5]  GA 9, Seite 108f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[6]  GA 224, Seite 42   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)

Quellen:

GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 168:  Die Verbindung zwischen Lebenden und Toten (1916)
GA 224:  Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten.. Die Verinnerlichung der Jahresfeste (1923)