Freiheit

Innerhalb der ganzen Stufenfolge der Hierarchien haben wir nur bei einem Teil der Angeloi und beim Menschen die Möglichkeit der Freiheit. Sozusagen mitten im Reiche der Angeloi beginnt die Möglichkeit der Freiheit; im Menschen ist sie aber doch erst in der richtigen Weise ausgebildet (siehe auch: Streit am Himmel). [1]

Hätte der Gott, der mit dem Namen des Vatergottes bezeichnet wird, es einst nicht zugelassen, daß die luziferischen Einflüsse an den Menschen herankommen konnten, so hätte der Mensch nicht die freie Ich-Anlage entwickelt. Nachdem aber das Ich – um der Freiheit willen in die Materie verstrickt werden mußte, mußte nun, um von dem Verstricktsein in die Materie wieder befreit zu werden, die ganze Liebe des Sohnes zu der Tat von Golgatha führen. Daß wir freie Wesen sein können, das verdanken wir einer göttlichen Liebestat. Wenn wir frei sein wollen, müssen wir das Opfer bringen, unsere Freiheit dem Christus zu verdanken ! Dann erst können wir sie wirklich wahrnehmen. Dann allein ist der Freiheitsgedanke ein berechtigter. [2]

Die Entwickelung der Freiheit ist nur möglich in der Welt des Scheines. Diese Bilder, die uns (beispielsweise) aus einem Spiegel heraus anschauen, die können uns nichts aufzwingen; sie sind eben nur Bilder, sie sind Schein. Und so ist das, was der Mensch als Wahrnehmungswelt hat, auch Schein. Der Mensch ist ja durchaus nicht etwa ganz nur in den Schein der Welt eingesponnen. Er ist nur mit seinem Wahrnehmen, das sein waches Bewußtsein ausfüllt, eingesponnen in eine Scheinwelt. Aber wenn der Mensch hinblickt auf seine Triebe, auf seine Instinkte, auf seine Leidenschaften, auf seine Temperamente, auf all das, was heraufwogt aus dem menschlichen Wesen, ohne daß er es zu klaren Vorstellungen bringen kann, wenigstens zu wachen Vorstellungen, so ist ja das alles nicht Schein. Es ist schon Wirklichkeit, aber eine Wirklichkeit, die dem Menschen nicht vor das gegenwärtige Bewußtsein tritt. Der Mensch lebt zwischen Geburt und Tod in einer wahren Welt, die er nicht kennt, die aber niemals dazu angetan ist, ihm wirklich die Freiheit zu geben. Instinkte, die ihn unfrei machen, kann sie ihm einpflanzen, innere Notwendigkeiten kann sie hervorbringen, aber nie und nimmer kann sie den Menschen die Freiheit erleben lassen. Die Freiheit kann nur erlebt werden innerhalb einer Welt von Bildern, von Schein. Und wir müssen eben, indem wir aufwachen, in ein Scheinwahrnehmungsleben eintreten, damit sich da die Freiheit entwickeln kann. Dieses Scheinleben war nicht immer so innerhalb der geschichtlichen Entwickelung der Menschheit. (Früher) sprach durch den Schein hindurch ja für den Menschen alles das, was er in seiner Art als den geistigen Hintergrund der Welt sah. Er sah allerdings auch diesen Schein, aber in anderer Weise. Es war dieser Schein für ihn Ausdruck, Offenbarung einer geistigen Welt. Diese geistige Welt ist hinter dem Scheine verschwunden. Der Schein ist geblieben. [3]

Er ist als bewußter Mensch im Bild-Sein, und er hält sich mit seinem Unbewußten in der geistigen Realität. Während er im gegenwärtigen Ich die Freiheit erlebt, hält ihn sein vergangenes Ich in dem Sein. Es ist in der Menschen-Entwickelung hier auf den Abgrund des Nichts gedeutet, über den der Mensch springt, indem er ein freies Wesen wird. Michaels Wirken und der Christus-Impuls machen den Sprung möglich. [4]

Freiheit entsprießt im Menschen nur, wenn der Mensch sich entwickelt. Er kann sich aber weiter entwickeln, so daß er dasjenige, was schon der Freiheit zugrunde liegt, auch dazu treibt, daß er unabhängig wird von allem Sinnlichen und sich frei in die Gebiete des Geistes erhebt. So hängt Freiheit mit der Entwickelung des menschlichen Denkens zusammen. Freiheit ist im Grunde genommen immer Gedankenfreiheit. [5]

Man kann nicht davon sprechen: Der Mensch ist entweder frei oder nicht frei. Sondern man kann nur davon sprechen: Freiheit ist etwas, was der Mensch im Lauf seiner Entwickelung erwirbt, dem er sich immer mehr und mehr nähert – dadurch nähert, daß er dem innerlichen geistig-seelischen Wesen auch die Kräfte zuführt, die dieses Wesen in sich selber so erstarken, daß es Ursächlichkeit entwickeln kann für das menschliche Handeln, für das menschliche Wollen, trotzdem auf der anderen Seite, von anderer Richtung her, diese Ursächlichkeit im menschlichen Leibe liegt. [6] Das Wollen ist souverän. Es vollführt nur, was als Gedankeninhalt in der menschlichen Persönlichkeit liegt. Der Mensch läßt sich nicht von einer äußeren Macht Gesetze geben, er ist sein eigener Gesetzgeber. Wer sollte sie ihm nach unserer Weltansicht, auch geben? Der Weltengrund hat sich in die Welt vollständig ausgegossen; er hat sich nicht von der Welt zurückgezogen, um sie von außen zu lenken, er treibt sie von innen; er hat sich ihr nicht vorenthalten. Die höchste Form, in der er innerhalb der Wirklichkeit des gewöhnlichen Lebens auftritt, ist das Denken und mit demselben die menschliche Persönlichkeit. Hat somit der Weltengrund Ziele, so sind sie identisch mit den Zielen, die sich der Mensch setzt, indem er sich darlebt. Nicht indem der Mensch irgendwelchen Geboten des Weltenlenkers nachforscht, handelt er nach dessen Absichten, sondern indem er nach seinen eigenen Einsichten handelt. Denn in ihnen lebt sich jener Weltenlenker dar. Er lebt nicht als Wille irgendwo außerhalb des Menschen; er hat sich jedes Eigenwillens begeben, um alles von des Menschen Willen abhängig zu machen. Auf daß der Mensch sein eigener Gesetzgeber sein könne, müssen alle Gedanken auf außermenschliche Weltbestimmungen u.dgl. aufgegeben werden. [7]

So eröffnet sich dem Erkennenden die Möglichkeit, nicht mehr den unberechenbaren Einflüssen der äußeren Sinneswelt allein zu folgen, die sein Wollen bald da-, bald dorthin lenken. Er hat durch die Erkenntnis in der Dinge ewiges Wesen geschaut. Er hat durch die Umwandlung seiner inneren Welt die Fähigkeit in sich, dieses ewige Wesen wahrzunehmen. Wenn der Erkennende aus sich heraus handelt, so ist er sich bewußt, aus dem ewigen Wesen der Dinge heraus zu handeln. Denn die Dinge sprechen in ihm dieses ihr Wesen aus. Er handelt also im Sinne der ewigen Weltordnung, wenn er aus dem in ihm lebenden Ewigen diesem seinem Handeln die Richtung gibt. Dieses Handeln aus dem Inneren kann nur ein Ideal sein, dem man zustrebt. Die Erreichung dieses Zieles liegt in weiter Ferne. Aber der Erkennende muß den Willen haben, diese Bahn klar zu sehen. Dies ist sein Wille zur Freiheit. Denn Freiheit ist Handeln aus sich heraus. Und aus sich darf nur handeln, wer aus dem Ewigen die Beweggründe schöpft. Ein Wesen, das dies nicht tut, handelt nach anderen Beweggründen, als den Dingen eingepflanzt sind. Ein solches widerstrebt der Weltordnung. Und diese muß ihm gegenüber dann obsiegen. Das heißt: es kann letzten Endes nicht geschehen, was es seinem Willen vorzeichnet. Willkür des Einzelwesens vernichtet sich selbst durch die Wirkung ihrer Taten. [8]

Wille zur Freiheit hat jemand, der zu allem, was er vollbringt, die Stütze und Grundlage in sich selbst findet. Man sagt so leicht: Einwirkung von außen und Freiheit vertragen sich nicht. Daß sie sich in der Seele vertragen: darauf kommt es aber gerade an. Wenn mir jemand etwas mitteilt, und ich nehme es unter dem Zwange seiner Autorität an: dann bin ich unfrei. Aber ich bin nicht minder unfrei, wenn ich mich verschließe vor dem Guten, das ich auf diese Art empfangen kann. Denn dann übt in der eigenen Seele das Schlechtere, das ich nur habe, auf mich einen Zwang aus. Und bei der Freiheit kommt es nicht allein darauf an, daß ich nicht unter dem Zwange einer äußeren Autorität stehe, sondern vor allen Dingen auch nicht unter derjenigen eigener Vorurteile, Meinungen, Empfindungen und Gefühle. [9]

Geradeso wie wir zur Freiheit kommen durch die Durchstrahlung des Gedankenlebens mit dem Willen, so kommen wir zur Liebe durch die Durchsetzung des Willenslebens mit Gedanken. Wir entwickeln in unserem Handeln Liebe dadurch, daß wir die Gedanken hineinstrahlen lassen in das Willensgemäße; wir entwickeln in unserem Denken Freiheit dadurch, daß wir das Willensgemäße hineinstrahlen lassen in die Gedanken. [10] Wenn der Mensch einmal beginnt, Meditationen zu machen, so vollzieht er damit die einzige wirklich völlig freie Handlung in diesem menschlichen Leben. Wir haben in uns immer die Tendenz zur Freiheit, haben auch ein gut Teil der Freiheit verwirklicht. Aber wenn wir nachdenken, werden wir finden: Wir sind mit dem einen abhängig von unserer Vererbung, mit dem anderen von unserer Erziehung, mit dem dritten von unserem Leben. Und die Erfahrung lehrt auch, daß die meisten, die mit großen Vorsätzen an das meditative Leben herangehen, es sehr bald wiederum lassen. Es ist dieses Meditieren eine urfreie Handlung. [11]

Wenn der Mensch die Freiheit sucht, ohne Anwandlung zum Egoismus, wenn ihm Freiheit wird reine Liebe zur auszuführenden Handlung, dann hat er die Möglichkeit, sich Michael zu nahen; wenn er in Freiheit wirken will bei Entfaltung des Egoismus, wenn ihm Freiheit wird das stolze Gefühl, sich selber in der Handlung zu offenbaren, dann steht er vor der Gefahr, in Ahrimans Gebiet zu gelangen. [12]

Der Abbauprozeß (bedingt durch die Vorstellungstätigkeit) ist immer da. Wenn der Mensch diesem bedeutsamsten Abbauprozeß in ihm, nichts aus dem reinen Denken heraus entgegenstellt, dann bleibt er Abbauprozeß, dann wird der Abbauprozeß nicht umgewandelt in einen Aufbauprozeß, dann bleibt ein ersterbender Teil im Menschen. Sie sehen daraus, daß die Möglichkeit besteht, daß der Mensch gerade durch Unterlassung von freien Handlungen einen Todesprozeß in sich nicht aufhebt. Darin liegt einer der subtilsten Gedanken, die der Mensch nötig hat in sich aufzunehmen. Wer diesen Gedanken versteht, kann im Leben nicht mehr zweifeln an dem Vorhandensein der menschlichen Freiheit. Denn eine Handlung, die aus Freiheit geschieht, geschieht nicht durch etwas, was im Organismus verursacht wird, sondern wo die Ursachen aufhören, nämlich aus einem Abbauprozeß heraus. Dem Organismus muß etwas zugrunde liegen, wo die Ursachen aufhören, dann kann überhaupt erst die reine Vorstellung als Motiv des Handelns eingreifen. Aber solche Abbauprozesse sind immer da, sie bleiben nur gewissermaßen ungenützt, wenn der Mensch nicht freie Handlungen vollführt. [13] Das Handeln aus Freiheit, das muß hier während des Erdendaseins erworben werden, wird es erworben, bleibt es dann für alle irdische und kosmische Zukunft des Menschen. [14] Unfrei ist das Handeln, das der Mensch als Individuum vollbringt; frei dasjenige, das er nach seiner geistigen Wiedergeburt vollzieht. [15]

Wer dieses Buch, meine «Philosophie der Freiheit» studiert, wird allerdings finden, daß ich genötigt war, nicht von einer Freiheit des Willens zunächst zu sprechen, sondern von der Freiheit dessen, was in Gedanken, und zwar in den sinnlichkeitsfreien Gedanken, im reinen Gedanken, erlebt wird, in demjenigen Gedanken aber, der in der menschlichen Seele bewußt als ein sittliches, als ein moralisches Ideal auftaucht, und der diejenige Stärke erlangt, die auf den Willen des Menschen motivierend wirken kann. Wir können von Freiheit des Menschen sprechen, wenn wir von jenen Handlungen des Menschen sprechen, die aus seinem freien Denken heraus gestaltet werden, wo der Mensch durch eine moralische Selbsterziehung dazu kommt, daß ihn die Instinkte, die Triebe, die Emotionen, sein Temperament nicht beeinflussen zu einer Handlung, sondern allein die hingebungsvolle Liebe zu einer Handlung. [16] Man erlebt die Freiheit, aber man erlebt sie in den fein gewobenen, bis zur Bildhaftigkeit herabgetriebenen Gedankenimpulsen, von denen man weiß, weil sie eben der Natur nicht angehören können, weil sie sich in freier Tätigkeit erleben, und das habe ich in meiner Philosophie der Freiheit angedeutet, daß sie aus der geistigen Welt kommen. Aber es muß sich nun etwas einschieben zwischen diese Intuitionen, die durchaus bildhaft, unreal sind, die nur durch das sittliche Leben real werden, und dem, was man als gegenständliches Erkennen für die Naturordnung hat. Und da schieben sich ein die Imagination und die Inspiration. Und dann wird die Intuition auch etwas anderes. Dann verdichtet sich gewissermaßen das, was einem zuerst nur im reinen Denken entgegengetreten ist, zu einer geistigen Realität. Man lernt in dieser nach der Imagination und Inspiration neu errungenen Intuition jetzt nicht sein gegenwärtiges Ich erkennen, sondern dasjenige Ich, das durch wiederholte Erdenleben hindurchgeht. Wir sind unfrei, indem wir die wiederholten Erdenleben durchleben und ein Schicksal dadurch gestaltet haben. Aber wir können stets in dieses Schicksalsgewebe die freien Handlungen einverweben in den einzelnen Erdenleben. Gerade dadurch, daß wir in bildhaften Intuitionen die sittlichen Impulse erleben – nicht als Realitäten, sondern als etwas, zu dem wir uns frei bekennen können –, können wir die Freiheit im einzelnen Erdenleben in das Schicksalsgewebe einverweben. [17]

In Wahrheit kann nur eine aus der Intuition entspringende Willenshandlung eine individuelle sein. Das Individuelle in mir ist nicht mein Organismus mit seinen Trieben und Gefühlen, sondern das ist die einige Ideenwelt, die in diesem Organismus aufleuchtet. Meine Triebe, Instinkte, Leidenschaften begründen nichts weiter in mir, als daß ich zur allgemeinen Gattung Mensch gehöre; der Umstand, daß sich ein Ideelles in diesen Trieben, Leidenschaften und Gefühlen auf eine besondere Art auslebt, begründet meine Individualität. [18]

Eine Handlung wird als eine freie empfunden, soweit deren Grund aus dem ideellen Teil meines individuellen Wesens hervorgeht; jeder andere Teil einer Handlung, gleichgültig, ob er aus dem Zwange der Natur oder aus der Nötigung einer sittlichen Norm vollzogen wird, wird als unfrei empfunden. [19] Ist eine solche Intuition im menschlichen Bewußtsein anwesend, dann ist sie nicht aus den Vorgängen des Organismus heraus entwickelt, sondern die organische Tätigkeit hat sich zurückgezogen, um der ideellen Platz zu machen. Beobachte ich ein Wollen, das Abbild der Intuition ist, dann ist aus diesem Wollen die organisch notwendige Tätigkeit zurückgezogen. Das Wollen ist frei. Diese Freiheit des Wollens wird der nicht beobachten können, der nicht zu schauen vermag, wie das freie Wollen darin besteht, daß erst durch das intuitive Element das notwendige Wirken des menschlichen Organismus abgelähmt, zurückgedrängt, und an seiner Stelle die geistige Tätigkeit des idee-erfüllten Willens gesetzt wird. Nur wer diese Beobachtung der Zweigliedrigkeit eines freien Wollens nicht machen kann, glaubt an die Unfreiheit jedes Wollens. Wer sie machen kann, ringt sich zu der Einsicht durch, daß der Mensch, insofern er den Zurückdämmungsvorgang der organischen Tätigkeit nicht zu Ende führen kann, unfrei ist; daß aber diese Unfreiheit der Freiheit zustrebt, und diese Freiheit keineswegs ein abstraktes Ideal ist, sondern eine in der menschlichen Wesenheit liegende Richtkraft. Frei ist der Mensch in dem Maße, als er in seinem Wollen dieselbe Seelenstimmung verwirklichen kann, die in ihm lebt, wenn er sich der Ausgestaltung rein ideeller, geistiger Intuitionen bewußt ist. [20]

Für den Teil, für den sich der Mensch aber eine solche Freiheit nicht erobern kann, bildet er ein Glied innerhalb des Natur- und Geistorganismus. Er lebt in dieser Hinsicht, wie er es anderen abguckt, oder wie sie es ihm befehlen. Einen im wahren Sinne ethischen Wert hat nur der Teil seines Handelns, der aus seinen Intuitionen entspringt. Und was er an moralischen Instinkten durch Vererbung sozialer Instinkte an sich hat, wird ein Ethisches dadurch, daß er es in seine Intuitionen aufnimmt. [21] Freiheit kann nur dadurch ersprießen, daß der Mensch sich den höchsten Inhalt seines Erden-Ich selber gibt. Dasjenige Ich, das der Mensch haben würde, wenn ihm alle Ziele am Ende der Erdentwickelung gegeben würden, kann nicht frei sein – denn es ist von vornherein bestimmt gewesen, alle Güter der Erdentwickelung in die Menschen einfließen zu lassen. Frei werden konnte der Mensch nur, indem er zu diesem Ich ein anderes, irrtumsfähiges Ich hinzuschafft, das in der Lage ist, immer wieder und wieder nach der Seite des Guten und nach der Seite des Bösen zu pendeln und das immer wieder hinauf streben kann zu dem, was der Inhalt aller Erdentwickelung ist. Das niedere Ich mußte dem Menschen beigegeben werden durch Luzifer, damit das Hinaufarbeiten des Menschen zum höheren Ich seine ureigenste Tat sein kann. Wir nähern uns einem freien Willen in dem Maße, als es uns gelungen ist, Herr zu werden über die Einflüsse Luzifers und Ahrimans; das können wir durch nichts anderes als durch Erkenntnis. [22]

Jetzt ist der Mensch nur selbständig in bezug auf die Bewußtseinsseele. Es wird aber eine Zeit kommen, wo der Mensch trotz allen Hanges zum Irrtum eine feste Richtung im Handeln und Wirken haben wird. Wenn die Menschen das heute noch gar nicht hätten, so würden sie sich in fortwährendem Zwist und Hader befinden. So wie die Menschheit jetzt ist, ist sie reif, sich gerade die Freiheit für die Bewußtseinsseele anzueignen, aber die Menschen sind noch nicht reif, in bezug auf die Verstandesseele und Empfindungsseele frei zu werden. Der Fortschritt entsteht dadurch, daß niemals die Entwickelung vollständig gradlinig stattfinden kann. Wir können in allen Kulturen sehen, wie einige Seelen vorauseilen, die Führerschaft übernehmen, das, was andere Seelen sich erst in späteren Zeiten aneignen können, vorausnehmen. Die Menschenseelen sind heute nur in bezug auf die Bewußtseinsseele dazu reif, frei zu werden. Aber die spirituelle Weisheit führt nach und nach dazu, auch die Verstandes- oder Gemütsseele und die Empfindungsseele frei zu bekommen und zu isolieren, so daß der Mensch nicht mehr auf Überliefertes und Gewohntes hinschauen muß, um das Gute zu finden, sondern daß der Impuls zum Guten aus der eigenen Seele strömt. Es ist dies auch eine notwendige Interpretation des Pauluswortes: «Nicht ich, sondern der Christus in mir». Wenn der Christus in den Menschen lebt, werden sie auch in bezug auf Verstandes- und Empfindungsseele frei sein dürfen. [23]

Entwickeln wir Freiheit im Dasein zwischen Geburt und Tod, so entwickeln wir geistig-seelisch in uns wie prophetisch vorher als Kraft dasjenige, was unsere wichtigste Kraft ist, wenn wir den Leib durch den Tod verlassen haben. Was heißt im Grunde genommen, kosmisch gefaßt, ein freies Wesen sein ? Ein freies Wesen sein, sich zurückverwandeln können aus dem Physisch-Leiblichen in das Geistig-Seelische, heißt im Grunde genommen, sterben können; während Liebe heißt, sich verwandeln können aus dem Geistig-Seelischen in Physisch-Leibliches. Lieben können heißt leben können, kosmisch gefaßt. [24]

Der Weg unserer Entwickelung führt zur Freiheit. Wenn der Mensch all das in sich erweckt haben wird, was prophetisch im Christus-Prinzip enthalten ist, wird er frei geworden sein. Denn wenn die Notwendigkeit das Gesetz der materiellen Welt ist, so herrscht die Freiheit in der geistigen Welt. Die Freiheit erobert man nur schrittweise, und sie wird im Menschen in ihrer Totalität nicht früher zur Erscheinung kommen als zu dem Zeitpunkt seiner Entwickelung, wo seine Natur wahrhaft durchgeistigt sein wird. [25] Die Einrichtung, daß wir vom Denken das Bild, vom Wollen den Embryo haben, das allein ermöglicht uns die Freiheit zwischen Geburt und Tod. [26]

Freiheitsflüchter – Weg zu Luzifer

In dem ursprünglichen Sein verharren, die ursprüngliche naive, im Menschen waltende Götter-Güte beibehalten wollen und vor dem vollen Gebrauche der Freiheit zurückbeben, führt den Menschen in dieser Welt der Gegenwart, in der alles auf die Entwickelung seiner Freiheit veranlagt ist, doch zu Luzifer, der die gegenwärtige Welt verleugnet wissen will.

Freiheit ohne Güte – Weg zu Ahriman

Sich dem gegenwärtigen Sein übergeben, die jetzt dem Intellekt erreichbare Welten-Natürlichkeit, die gegen Güte sich neutral verhält, allein walten lassen wollen und den Gebrauch der Freiheit nur im Intellekt erleben wollen, das führt den Menschen in dieser Welt der Gegenwart, in der die Entwickelung in tieferen Seelenregionen fortgesetzt werden muß, da in oberen Freiheit waltet, doch zu Ahriman, der die gegenwärtige Welt ganz in einen Kosmos des intellektuellen Wesens umgestaltet wissen will. [27]

Freiheit als äußere Einrichtung, als äußerer Zustand in der menschlichen Organisation über die Erde hin gedacht, ist etwas Unmögliches, etwas Undenkbares. Freiheit, konserviert so, wie sie einmal gedacht wurde für einen bestimmten Zeitpunkt, würde für den nächsten Zeitpunkt schon eine arge Fessel für den Menschen sein. Freiheit ist etwas, was fortwährend im Entstehen auch entfesselt werden muß, und der Mensch kann die Freiheit nur erwerben in jedem Augenblick, in dem er eine Spur in sich entwickelt von einem Sich-in-Beziehung-Setzen zu der ganzen geistigen Welt. Die Freiheit ist wirklich ein Schlüssel zu dem, was in die geistige Welt hineinführt. Das aber liegt nahe, daß wirklich Freiheit auch nur verstanden werden wird von Menschen, die nach und nach den Willen zur Geisteswissenschaft entwickeln. Freiheit wird nicht verstanden werden können von anderen Menschen, denn diese werden immer gewisse Eigentümlichkeiten äußerer Einrichtungen mit der Freiheit verwechseln, während Freiheit immer nur bestehen kann in dem Zustand, den der Mensch sich gerade in jedem Augenblick erwerben kann. [28]

Wenn der Mensch nicht etwas, was fortwährend ihm bleibt, retten könnte aus seinem vorgeburtlichen Leben durch sein Erdenleben hindurch, wenn er nicht etwas retten könnte von dem, was zuletzt während seines vorgeburtlichen Lebens zum bloßen Gedankenleben geworden ist, dann würde er niemals zur Freiheit kommen können. Denn der Mensch würde verbunden sein mit dem Toten, und er würde in dem Augenblick, wo er das, was in ihm selbst mit der toten Natur verwandt ist, zur Freiheit aufrufen wollte, ein Sterbendes zur Freiheit aufrufen wollen. Er würde, wenn er desjenigen sich bedienen wollte, was ihn als Willenswesen mit der Natur verbindet, betäubt werden; denn in dem, was ihn als Willenswesen mit der Natur verbindet, ist alles noch keimhaft. Er würde ein Naturwesen sein, aber kein freies Wesen. Über diesen zwei Elementen – der Erfassung des Toten durch den Verstand und der Erfassung des Lebendigen, des Werdenden durch den Willen – steht im Menschen etwas, was nur er, kein anderes irdisches Wesen, von der Geburt bis zum Tode in sich trägt: das ist das reine Denken, dasjenige Denken, das sich nicht auf die äußere Natur bezieht, sondern das sich nur auf dasjenige Übersinnliche bezieht, was im Menschen selber ist, was den Menschen zum autonomen Wesen macht, zu etwas, was noch über demjenigen ist, was im Untertoten und im Überlebendigen ist. Will man daher von der menschlichen Freiheit reden, so muß man auf dieses Autonome im Menschen sehen, auf das reine sinnlichkeitsfreie Denken, in dem immer auch der Wille lebt. [29]

Zitate:

[1]  GA 110, Seite 167   (Ausgabe 1981, 198 Seiten)
[2]  GA 131, Seite 228f   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[3]  GA 207, Seite 172f   (Ausgabe 1981, 192 Seiten)
[4]  GA 26, Seite 217   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[5]  GA 333, Seite 109   (Ausgabe 1985, 176 Seiten)
[6]  GA 72, Seite 144   (Ausgabe 1990, 438 Seiten)
[7]  GA 2, Seite 125   (Ausgabe 1960, 150 Seiten)
[8]  GA 9, Seite 190f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[9]  GA 12, Seite 33   (Ausgabe 1969, 88 Seiten)
[10]  GA 202, Seite 205   (Ausgabe 1980, 296 Seiten)
[11]  GA 214, Seite 126   (Ausgabe 1980, 208 Seiten)
[12]  GA 26, Seite 117   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[13]  GA 179, Seite 124   (Ausgabe 1977, 164 Seiten)
[14]  GA 213, Seite 74   (Ausgabe 1969, 251 Seiten)
[15]  GA 7, Seite 36   (Ausgabe 1960, 150 Seiten)
[16]  GA 79, Seite 126f   (Ausgabe 1962, 274 Seiten)
[17]  GA 79, Seite 128f   (Ausgabe 1962, 274 Seiten)
[18]  GA 4, Seite 163f   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[19]  GA 4, Seite 164   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[20]  GA 4, Seite 204f   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[21]  GA 4, Seite 241   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[22]  GA 120, Seite 216f   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)
[23]  GA 127, Seite 48f   (Ausgabe 1975, 256 Seiten)
[24]  GA 202, Seite 113   (Ausgabe 1980, 296 Seiten)
[25]  GA 94, Seite 118   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[26]  GA 194, Seite 205   (Ausgabe 1983, 254 Seiten)
[27]  GA 26, Seite 112   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)
[28]  GA 162, Seite 61f   (Ausgabe 1985, 292 Seiten)
[29]  GA 293, Seite 50f   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)

Quellen:

GA 2:  Grundlinien einer Erkenntnistheorie der Goetheschen Weltanschauung, mit besonderer Rücksicht auf Schiller (1886)
GA 4:  Die Philosophie der Freiheit. Grundzüge einer modernen Weltanschauung – Seelische Beobachtungsresultate nach naturwissenschaftlicher Methode (1894)
GA 7:  Die Mystik im Aufgange des neuzeitlichen Geisteslebens und ihr Verhältnis zur modernen Weltanschauung (1901)
GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)
GA 12:  Die Stufen der höheren Erkenntnis (1905/1908)
GA 26:  Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie – Das Michael-Mysterium (1924/1925)
GA 72:  Freiheit – Unsterblichkeit – Soziales Leben. Vom Zusammenhang des Seelisch-Geistigen mit dem Leiblichen des Menschen (1917-1918)
GA 79:  Die Wirklichkeit der höheren Welten. Einführung in die Anthroposophie (1921)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 110:  Geistige Hierarchien und ihre Widerspiegelung in der physischen Welt. Tierkreis, Planeten, Kosmos (1909)
GA 120:  Die Offenbarungen des Karma (1910)
GA 127:  Die Mission der neuen Geistesoffenbarung. Das Christus-Ereignis als Mittelpunktsgeschehen der Erdenevolution (1911)
GA 131:  Von Jesus zu Christus (1911)
GA 162:  Kunst- und Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1915)
GA 179:  Geschichtliche Notwendigkeit und Freiheit. Schicksalseinwirkungen aus der Welt der Toten (1917)
GA 194:  Die Sendung Michaels. Die Offenbarung der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens (1919)
GA 202:  Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen. Die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia (1920)
GA 207:  Anthroposophie als Kosmosophie – Erster Teil:. Wesenszüge des Menschen im irdischen und kosmischen Bereich (1921)
GA 213:  Menschenfragen und Weltenantworten (1922)
GA 214:  Das Geheimnis der Trinität. Der Mensch und sein Verhältnis zur Geistwelt im Wandel der Zeiten (1922)
GA 293:  Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919)
GA 333:  Gedankenfreiheit und soziale Kräfte. Die sozialen Forderungen der Gegenwart und ihre praktische Verwirklichung (1919)