Paulus

Niemals würde das Christentum sich in der Welt ausgebreitet haben ohne die spirituelle Erleuchtung des Paulus. Einem übersinnlichen Ereignis verdankt die äußere Ausbreitung des Christentums ihr Dasein. (Daher) nehmen sich sonderbar die aus, die ein Christentum haben wollen, ohne spirituelle Erleuchtung. [1] Paulus war durchgegangen durch die jüdische Prophetenschule seiner Zeit. Er hat genau gewußt: bis zu einem bestimmten Punkte in der Menschheitsentwickelung hängt das Heil zunächst für die Menschheitsentwickelung davon ab, daß man festhält an dem Gott der Erde, daß man versteht, wie Jahves Mission mit der Erde zusammenhängt. – Aber es muß einmal – das wußte Paulus – eine Zeit kommen, in welcher wiederum das «Obere», das, was aus außerirdischen Verhältnissen in die Erde hereinkommt, wichtig wird. Wir können die außerirdischen Verhältnisse zurückverfolgen und werden finden, wie der Christus zuerst in überirdischen Reichen gewirkt hat, wie er dann sozusagen immer näher und näher zur Erde gekommen ist, bis er durch den Leib des Jesus von Nazareth in die Erdenaura eingezogen ist. Daß dieser Zeitpunkt einmal kommen werde, das wußte Paulus, nur hat er vor dem Ereignis von Damaskus in der Erdenaura nicht gesehen: «Der Christus ist schon da!» Aber er war dazu vorbereitet, und er sagt uns das wohl, daß er dazu vorbereitet war (in den Korintherbriefen 12. Kapitel). Er sagt, daß er imstande war, schon vor 14 Jahren – nach den chronologischen Verhältnissen müßte man also annehmen, daß dieses Erlebnis etwa 6 Jahre nach dem Ereignis von Golgatha stattgefunden hat – hellseherisch sich zu erheben in die geistigen Regionen. Und als er jenes Erlebnis hatte, da war ihm klar geworden: Was hast du denn früher in den geistigen Welten gesehen, wenn du hinauf geschaut hast? Du hast den Christus gesehen, wie er noch oben war in den himmlischen Verhältnissen! – Durch das Ereignis von Damaskus ist es ihm klar geworden, daß der Christus in die Erdenaura eingezogen war und in ihr lebte. Das ist das Be-deutsame, weshalb auch manche Geister so in der Zeit um die Begründung des Christentums ein heute ja sonderbar erklingendes Wort gesprochen haben: «Der wahre Luzifer ist Christus», sie verstanden eben: Wenn man früher in die übersinnlichen Verhältnisse hinaufgeschaut hat, so mußte man sich, wenn man richtig die Menschheitsentwickelung versteht, an die «Schlange» halten (mehr siehe: Mysterien rosenkreuzerische). Nachdem das Mysterium von Golgatha eingetreten war, ist aber der Überwinder der Schlange heruntergekommen und ist jetzt der Erdenherr geworden. Welchen Sinn hat es denn, daß das althebräische Altertum sozusagen den Protest darstellt gegen die Astralreligionen der umliegenden Völker, gegen die Religionen, welche die Symbole für das Göttliche in den Wolken, in Blitz und Donner sehen? Diesen Sinn hat es, daß sich die menschliche Seele vorbereiten muß, das Ich so zu empfinden, daß es nicht mehr durch die Sternenschrift, nicht mehr durch das, was in Blitz und Donner erscheint, die Offenbarungen des Geistes empfängt, sondern daß es diese Offenbarungen im Geistigen empfängt, durch den Geist selber. Wenn der Mensch vorher wirklich zu dem Christus aufschauen wollte, so konnte er es ja nur tun im Sinne des Zarathustra, indem er aufschaute zu dem, was man nennen könnte die physische Hülle des Christus, des Ahura Mazdao. Zur physischen Sonne und ihren Wirkungen konnte der Mensch aufschauen und wissen: Da drinnen lebt der Christus. Aber gleichsam herausgeschält aus den physischen Sonnenwirkungen und als geistige Sonne die Erdenaura durchdringend ist der Christus mit dem Mysterium von Golgatha geworden. [2]

Bei den Eingeweihten des Alten Testaments war die Einweihung eine andere (als bei den übrigen Völkern); denn sie erlebten das, was Moses auf dem Sinai erlebt hatte, noch einmal. So konnten sie dem Volke sagen, daß der Messias erscheinen würde, daß der Messias aus ihrem Volke selbst hervorgehen würde, daß er die Entwickelungsprinzipien aller Menschheitsentwickelung im fleischlichen Leibe selbst verkörpern würde. Das war der höchste Moment der Einweihung, wenn der erleuchtete Hebräer erleben durfte, daß in der Zukunft der Christus erstehen würde. Von alledem wußte der Paulus als jüdischer Eingeweihter; trotzdem konnte er aber vor dem Ereignis von Damaskus nimmermehr glauben, daß der am Kreuz Gestorbene derselbe sei. Nun erzählt Paulus von sich, er sei eine Frühgeburt, das heißt ein Eingeweihter aus Gnaden. Das hebt er hervor, daß er die Einweihung nicht erhielt durch stufenweise Schulung; aber er steht doch der geistigen Welt näher als diejenigen Menschen, die tiefer in die Materie hinabgestiegen sind. So konnte er erleben, was die «Krone des Lebens», der letzte Akt in der alttestamentlichen Einweihung, war: die Krönung durch das Erscheinen des Christus. Im Lichtesglanz erschien ihm das, was die alttestamentlichen Eingeweihten immer erlebten; was sie erlebt hatten als Zukunftsereignis, das sah er nun als Erscheinung, die ihm sagte, daß dieses Wesen dasselbe sei wie das, welches im Leibe des Jesus von Nazareth gelebt hatte und starb. Er wußte jetzt: der Messias, der Christus ist schon da. Versetzen wir uns einmal in alle anderen Einweihungen, die nicht althebräisch und nicht christlich waren. Da wußte man: In alten atlantischen Zeiten kommen wir zu einer Gestalt des Menschen, die noch ganz anders ist als die heutige. Der Ätherleib ist ja der Bildner des physischen Leibes; durch die Einweihung nun sah man immer das, was als Ätherleib dem physischen Leib zugrunde lag. Man mußte in der geistigen Welt verzichten auf das Bild des physischen Menschenleibes; man sah nur den Ätherleib des Menschen. In der althebräischen Einweihung aber sah man immer als Krönung den physischen Menschen vergeistigt und in die geistige Welt versetzt. Und den Christus verstand man als solchen Menschen, als die erste wirkliche Menschengestalt, die überhaupt von der physisehen Welt aus in der geistigen Welt zu sehen sein würde. So sah man in der hebräischen Einweihung, wie in ferner Zukunft durch den «Menschensohn», den Christus, die physische Form geheiligt und gereinigt werden würde. Deshalb wußte der Paulus, daß das, was ihm als Menschengestalt vor Damaskus erschien, kein anderer sein konnte als Christus. [3]

Paulus wußte aus seiner hebräischen Einweihung heraus: Wenn der Christus-Geist in einem menschlichen Leib gewesen ist und dieser menschliche Leib tot sein wird, dann muß in der Erdenaura der Christus vorhanden sein. Das wußte er, nur war er bis dahin nicht fähig geworden, in die Erdenaura hineinzuschauen. Er war zwar ein Eingeweihter in die Weisheit, aber kein Hellseher. Aber er hatte eine Vorbedingung ein Hellseher auf einem abnormen Wege zu werden. Er sagt von sich selber, daß er eine Frühgeburt sei, was gewöhnlich übersetzt wird mit «eine unzeitige Geburt». Er ist nicht ausgetragen worden im mütterlichen Leibe. Früher als man sich sonst entreißt jenen Verbindungen, in denen man noch unbewußt den geistigen Mächten angehört, ist er in die Welt gekommen. [4]

Das erste Beispiel einer Einweihung ohne die Hineinmischung eines Hierophanten, haben wir in Saulus, als er Paulus wurde. In dem, was mit ihm auf dem Wege nach Damaskus geschah, müssen wir etwas Ähnliches wie die Einweihung sehen. Die wenigen Augenblicke genügten bei ihm, weil er im vorhergehenden Leben die Reife erlangt hatte. Die Verbindungspunkte mit dem, was man in vorhergehenden Inkarnationen gelernt hat, können getrennt sein durch Zwischenzeiten von einigen Inkarnationen, können aber auch erst spät in einem Leben erscheinen. Dies macht es begreiflich, warum die Bekehrung von Saulus, das heißt, das Sich-Verbinden mit seiner vorhergehenden Entwickelung in einem verhältnismäßig reifen Alter stattfand. Dazu kommt, daß Paulus sich nicht bis in die höheren Welten zu erheben brauchte, um den Christus zu schauen, wie das für die anderen Eingeweihten in der vorchristlichen Zeit notwendig gewesen wäre. Christus war ja fortan auf der Erde, intim verbunden mit dem Astralleib der Erde. [5]

Paulus hatte als Saulus in der alten hebräischen Einweihung erkennen gelernt: der Christus lebt nur draußen im Kosmos, und diejenigen sind im Irrtum, die behaupten, der Christus lebe in der Erde. Als Paulus vor Damaskus die Erleuchtung hatte, da erfuhr er zuerst, daß er im Irrtum war: was früher nur in der Sonne gewohnt hat, ist auf die Erde heruntergestiegen und lebt fortan in den Kräften der Erde. [6]

Dem Paulus erschien der Christus durch das Ereignis von Damaskus. Und daß die Art, durch die er ihm erschien, gleichgestellt ist mit den Erscheinungen gegenüber den andern Jüngern, das bezeugt, daß der Christus dem Paulus in derselben Gestalt erschienen ist, wie den anderen. Was aber war es, was Paulus überzeugte? Paulus war in einem gewissen Sinne schon ein Eingeweihter vor dem Ereignis von Damaskus. Aber es war eine Einweihung, die zusammengesetzt war aus dem althebräischen und dem griechischen Prinzip. Ein Eingeweihter war er, der bis dahin nur wußte, daß die, welche sich mit der geistigen Welt durch die Initiation verbunden haben, in ihrem Ätherleib unabhängig geworden sind von dem physischen Leib und in einer gewissen Weise denen, die dazu fähig sind, erscheinen können in ihrer reinsten Gestalt des Ätherleibes. Würde Paulus nur die Erscheinung eines reinen, von dem physischen Leibe unabhängigen Ätherleibes gehabt haben, so würde er anders gesprochen haben. Er würde gesagt haben, er hätte geschaut einen, der eingeweiht worden war und unabhängig von dem physischen Leibe mit der Erdentwickelung weiterlebt. Das würde für ihn auch nichts besonders Überraschendes gehabt haben. Das konnte es also nicht sein, was er vor Damaskus erlebt hat. Was er erlebt hat, war das, wovon er wußte, man kann es erst erleben, wenn «die Schriften erfüllt» sind: daß einmal in der geistigen Atmosphäre der Erde ein vollständiges menschliches Phantom, ein aus dem Grabe erstandener menschlicher Leib (ohne eingelagerte Materie, daher nur) als übersinnliche Gestalt da sein werde. Das aber hatte er gesehen. Das war es, was ihn überzeugen konnte, daß der Christus schon da war, daß er nicht erst kommen werde, daß er wirklich in einem physischen Leibe war, und daß dieser physische Leib die eigentliche Urform des physischen Leibes herausgerettet hat zum Heile aller Menschen. [7]

Paulus wußte aus dem, was er früher gelernt hatte, daß nach und nach heranrückte an die Erde der Geist, der zuerst von Zarathustra als Ahura Mazado auf der Sonne gesucht wurde, dann von Moses bereits im brennenden Dornbusch und im Feuer auf Sinai erblickt wurde. Und er wußte auch, daß dieser Geist in einen Menschenleib kommen mußte. Das aber hatte Paulus, da er noch ein Saulus war, nicht begreifen können, daß dieser Mensch, der den Christus in sich tragen sollte, den schmachvollen Tod am Kreuz erleben mußte! Er konnte sich nur denken, daß der Christus, wenn er kommen würde, triumphieren müßte, daß er bleiben müßte in allem, was die Erde hat, nachdem er einmal an die Erde herangetreten war. [8]

Was aber war nötig, daß der Auferstandene so dicht seelisch erscheinen konnte, wie er dem Paulus erschienen ist? Was war denn sozusagen jener Lichtschein, in dem der Christus dem Paulus vor Damaskus erschienen ist? Es war gleichsam eine Schwesterseele der Adamseele da, die da in die menschliche Generationsfolge hineingegangen ist, (doch) diese Schwesterseele (dagegen) ist in der seelischen Welt geblieben. Diese Schwesterseele war es auch, die in dem Lukas-Jesusknaben inkarniert war. Aber sie war dazumal nicht im strengen Sinn des Wortes zum erstenmal wie ein physischer Mensch inkarniert, sondern sie war vorher prophetisch inkarniert einmal schon. Sie verkehrte in den Mysterien, aber sie konnte nur als Erscheinung im ätherischen Leibe da sein, konnte daher im strengen Sinn nur wahrgenommen werden so lange, als das alte Hellsehen da war. Sie brauchte sich zum ersten Male zu verkörpern, als gerade die Hellsichtigkeit überwunden werden sollte. Da nahm sie gleichsam eine Ersatzverkörperung an, eine Verkörperung, um sich geltend machen zu können in der Zeit, wo nicht mehr Hellsichtigkeit da war. Diese Schwesterseele des Adam war verkörpert im Krishna. Als Paulus seine Erscheinung vor Damaskus hat, da ist dasjenige, was ihm erscheint, der Christus. Der Lichtschein, in den sich der Christus kleidet, ist der Krishna. [9]

Paulus war ungefähr so alt wie der Christus Jesus selbst als physischer Mensch. Er hat gerade diejenige Zeit im Antichristlichen zugebracht, die der Christus Jesus zugebracht hat in seinem Erdenwirken. Und er erlebte für die zweite Lebenshälfte dasjenige, was ihm wurde durch übersinnliche Erfahrungen. Er erlebte für die zweite Lebenshälfte durch übersinnliche Erfahrung dasjenige, was der Mensch eben seit jenen Tagen nicht mehr in der zweiten Lebenshälfte durch sinnliche Erfahrung erleben konnte, weil der Mensch nicht bis in jene höheren Erdentage hinein, bis über das 35. Jahr hinaus, noch einen Parallelismus erlebte zwischen der seelisch-geistigen Entwickelung und der physischen Entwickelung. Und das Ereignis von Golgatha stellte sich für den Paulus so dar, daß ihm durch die unmittelbare Erleuchtung ein Verständnis wurde, das einstmals die Menschen durch die Urweisheit in atavistischer Art noch hatten, das sie in der neueren Zeit nur erringen können durch eine neue Geisteswissenschaft. Es wurde ihm darum zuteil, damit er der Anreger zu einem richtigen Verständnis dessen werden konnte, was durch den Christus-Impuls für die Menschheit geschehen ist. Ungefähr so lange, als der Christus auf der Erde gewandelt hat, wandelte dann Paulus weiter auf Erden, etwa bis zum 67. oder 68. Jahre, um selber ebensolange die Lehre von dem Christentum in die Erdentwickelung einzuführen. Es ist ein merkwürdiger Parallelismus zwischen dem Leben des Christus Jesus und dem Leben des Paulus. [10]

Paulus hat einfach gesprochen, aber der Art, wie er spricht, liegt eine tiefe Esoterik zugrunde. Paulus konnte nicht immer das, was er als Eingeweihter wußte so ohne weiteres sagen: denn erstens wollte er für einen größeren Kreis sprechen und zweitens war es in seiner Zeit nicht möglich, alles, was er wußte, in der Art zu sagen, wie er die Dinge sagen konnte. Aber seiner ganzen Art der Vorstellung liegt tiefe Esoterik zugrunde. Da finden wir zum Beispiel, daß eine tief bedeutsame Tatsache seiner Unterscheidung des «ersten Adam» und des «höheren Adam», des Christus, zugrunde liegt. Von dem ersten Adam stammen in seinem Sinne die verschiedenen Menschengenerationen ab, indem die Leiber von Adam abstammen. [11] So wie die physischen Menschenkörper von Adam abstammen, so werden immer mehr und mehr die Seeleninhalte der Menschen von dem Christus, von dem zweiten Adam, dem geistigen Adam, abstammen. Gerade die fortgeschrittensten Völker können nur ein Bewußtsein nach dem Tode in dem Sinne erringen, als sie in die Lage kommen, «in den Christus hineinzusterben» (Weiteres siehe: Leben zwischen dem Tod und einer neuer Geburt – Bewußtsein, Bewußtseinswandel). [12] Paulus sagt: Ertöte nicht die Lust am Dasein, sondern läutere sie, denn ursprünglich war sie ein Gutes. Und das kann geschehen dadurch, daß man die Kraft des Christus in sich aufnimmt. Diese ist es, die, wenn sie die Seele durchdringt, die Seelenverfinsterung wegnimmt. Die Götter haben die Menschen nicht umsonst auf die Erde gestellt. Es ist dabei des Menschen Pflicht, von sich zu werfen, was ihn daran hindert, diese Welt geistig zu schauen. Die Konsequenz, zu der Buddha kommen mußte: Meidet die Inkarnationen! – weist zurück auf eine Urweisheit der Menschen. Paulus dagegen sagt: Geht durch die Inkarnationen hindurch, aber durchdringt euch mit dem Christus, und in einer ferneren Zukunft wird all dasjenige, was der Mensch an Illusionen aufgeworfen hat, verschwunden sein. [13] Es entsteht in eigenartiger Weise das, was in den ersten Elementen (der Krishnalehre) uns entgegentritt, das erscheint in einer neuen, aber jetzt konkreteren Gestalt als das lebendige Wort (siehe: Logos), aus dem alles geschaffen ist und ohne das nichts geschaffen ist von dem, was geworden ist, und das doch im Laufe der Zeit Fleisch geworden ist. Sankhya erscheint als die historische Darstellung, als die gesetzmäßige Darstellung dessen, wie aus der Welt der Elohim die Erscheinungswelt geworden ist, die Welt der groben Stofflichkeit. Der Joga verwandelt sich in das, was bei Paulus zu dem Wort: «Nicht ich, sondern der Christus in mir» geworden ist; das heißt, daß, wenn die Christuskraft die Seele durchdringt und aufnimmt, der Mensch zu der Höhe der Gottheit aufsteigt. [14]

Im Grunde genommen hat Paulus, der bekannt war mit alten Mysterienwahrheiten in ihrem atavistischen Charakter, mit seinem Unterscheiden des psychischen und des pneumatischen Menschen nichts anderes gemeint, als was wir in erneuerter Form wiederum meinen müssen, wenn wir von der Seele und vom Geiste als zwei Gliedern der menschlichen Natur sprechen. Aber gerade diese Unterscheidung des psychischen und pneumatischen Menschen, diese Unterscheidung von Seele und Geist, sie ist der abendländischen Betrachtung mehr oder weniger ganz abhanden gekommen. Man kann aber das Mysterium von Golgatha in seiner eigentlichen Wesenheit nicht betrachten, wenn man nicht Begriffe hat über den pneumatischen Menschen im Unterschied von dem psychischen Menschen. [15]

In vorchristlicher Zeit waltete im Menschen das Jahveprinzip, das ihm seine Form verlieh, und das Luziferprinzip, das ihn individualisierte. Er war geteilt zwischen dem Gehorsam gegenüber dem Gesetz und der Auflehnung des Individuums. Doch das Christusprinzip kam, um zwischen beiden den Gleichgewichtszustand herzustellen, indem es lehrte, im Inneren des Individuums selbst das Gesetz zu finden, das zuerst von außen gegeben worden war. Das erklärt Paulus, der von der Freiheit und von der Liebe das christliche Prinzip recht eigentlich ableitet: das Gesetz hat den alten Bund regiert wie die Liebe den neuen. Wir finden also beim Menschen drei Prinzipien, die untrennbar und notwendig zu seiner Entwickelung sind: Jahve, Luzifer, Christus. [16]

Zitate:

[1]  GA 109, Seite 113   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[2]  GA 148, Seite 180ff   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[3]  GA 104a, Seite 67f   (Ausgabe 1991, 144 Seiten)
[4]  GA 112, Seite 269f   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[5]  GA 109, Seite 68f   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[6]  GA 211, Seite 187   (Ausgabe 1986, 223 Seiten)
[7]  GA 131, Seite 188f   (Ausgabe 1958, 244 Seiten)
[8]  GA 112, Seite 155   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[9]  GA 142, Seite 125ff   (Ausgabe 1960, 140 Seiten)
[10]  GA 198, Seite 58f   (Ausgabe 1984, 320 Seiten)
[11]  GA 141, Seite 125   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[12]  GA 141, Seite 127   (Ausgabe 1983, 200 Seiten)
[13]  GA 118, Seite 88f   (Ausgabe 1977, 234 Seiten)
[14]  GA 142, Seite 27   (Ausgabe 1960, 140 Seiten)
[15]  GA 175, Seite 164   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[16]  GA 94, Seite 115   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)

Quellen:

GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 104a:  Aus der Bilderschrift der Apokalypse des Johannes (1907/1909)
GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)
GA 112:  Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evangelium (1909)
GA 118:  Das Ereignis der Christus-Erscheinung in der ätherischen Welt (1910)
GA 131:  Von Jesus zu Christus (1911)
GA 141:  Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen (1912/1913)
GA 142:  Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe (1912/1913)
GA 148:  Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium (1913/1914)
GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)
GA 198:  Heilfaktoren für den sozialen Organismus (1920)
GA 211:  Das Sonnenmysterium und das Mysterium von Tod und Auferstehung. Exoterisches und esoterisches Christentum (1922)