Krishna

Solange des Menschen Ich, das seinen physischen Ausdruck im Blute hat, nicht ergriffen war von einem auf der Erde befindlichen Impuls, so lange konnten die Religionen nicht lehren das, was man die Kraft der Selbsterlösung des menschlichen Ichs nennt. So wird uns geschildert, wie die großen geistigen Wesen, die großen Avatare, heruntersteigen und sich von Zeit zu Zeit verkörpern in menschlichen Leibern, wenn die Menschen Hilfe brauchen. Es sind Wesen, die nicht zu ihrer eigenen Entwickelung in einen Menschenkörper hinunterzusteigen brauchen, denn sie hatten ihre Menschheitsentwickelung in einem früheren Weltenzyklus vollendet. Sie steigen herunter, weil sie den Menschen helfen wollen. So steigt von Zeit zu Zeit, wenn die Menschheit Hilfe braucht, der große Gott Vishnu herab ins irdische Dasein. Eine der Verkörperungen des Vishnu, Krishna, spricht von sich selber, deutlich sagend, was eines Avatares Wesenheit ist in der Bhagavad Gita. [1]

Es erzählt uns die Legende, wie das Krishnakind schon bei der Geburt von Wundern umgeben war, und daß der Bruder der Mutter des Krishna, Kansa, nach dem Leben des Krishnakindes trachtete. Da haben wir das Hereinragen des Alten in dem Oheim des Krishnakindes, und der Krishna hat sich zu wehren, hat sich aufzulehnen, er, der das Neue zu bringen hat, das, was das dritte Zeitalter tötet, was die alten Verhältnisse vernichtet für die äußere Menschheitsevolution. Er hat sich zu wehren gegen Kansa, den Bewahrer des alten Sattvazeitalters. Und unter den bedeutsamsten Wundern, mit denen Krishna umgeben wird, erzählt die Legende, daß die mächtige Schlange Kali ihn umwand und daß es ihm gelang, der Schlange den Kopf zu zertreten, daß sie ihn aber an der Ferse verwundete. Die Legende gibt unmittelbar einen okkulten Tatbestand wieder.

Krishna ist also derjenige, der das alte Erkennen tötet, der es zur Verfinsterung bringt. Dem Einzelnen gibt er gleichsam als einen Ausgleich gegen das, was er genommen hat, die Anleitung, wie er wiederum hinaufkommen kann durch Joga zu dem, was für das normale Menschentum verloren war. Als welthistorischer Held hat er auf der einen Seite gehandelt, indem er der Schlange der alten Erkenntnis den Kopf zerbrochen hat und die Menschheit zur Einkehr in den physischen Leib gezwungen hat, in dem allein das Ich erobert werden konnte als freies, selbsttätiges Ich, während früher alles das, was den Menschen zum Ich machte, von außen hereinstrahlte. [2]

Paulus erkannte den auferstandenen Christus. Den verkündete er von da ab. Warum konnte er ihn gerade so sehen, wie er ihn gesehen hat? Warum konnte Paulus den Christus in jener Art wahrnehmen, wie er ihm vor Damaskus erschienen ist? Was war aber nötig, daß der Auferstandene so dicht seelisch erscheinen konnte, wie er dem Paulus erschienen ist? Es war gleichsam eine Schwesterseele der Adamseele da. Diese ist in der seelischen Welt geblieben. Diese Schwesterseele war es auch die in dem Lukas-Jesusknaben (siehe: Jesus nathanischer) inkarniert war. Aber sie war dazumal nicht im strengen Sinn des Wortes zum erstenmal wie ein physischer Mensch inkarniert, sondern sie war vorher prophetisch inkarniert einmal schon. Früher wurde auch schon diese Seele verwendet wie ein Bote der heiligen Mysterien. Aber sie konnte nur als Erscheinung im ätherischen Leibe da sein, konnte daher im strengen Sinn nur wahrgenommen werden so lange, als das alte Hellsehen da war. Sie brauchte sich zum ersten Male zu verkörpern, als gerade die Hellsichtigkeit überwunden werden sollte. [3] Die Beziehung zu Krishna war nicht eine richtige Verkörperung, sondern eine stellvertretende Verkörperung. [4] Da nahm sie gleichsam eine Ersatzverkörperung an, um sich geltend machen zu können in der Zeit, wo nicht mehr Hellsichtigkeit da war. Diese Schwesterseele des Adam war verkörpert im Krishna sozusagen das einzige Mal, wo sie erscheinen mußte, um auch physisch sichtbar zu werden. [5] Als Paulus seine Erscheinung vor Damaskus hatte, da ist dasjenige, was ihm erscheint, der Christus. Der Lichtschein (also ein Äthergebilde), in den sich der Christus kleidet, ist der Krishna. Und weil der Christus den Krishna zu seiner eigenen Seelenhülle genommen hat, durch die er dann fortwirkt, ist enthalten in dem, was aufstrahlt, ist in dem Christus auch alles das, was einstmals Inhalt der erhabenen Bhagavad Gita war. [6]

Zitate:

[1]  GA 109, Seite 100f   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[2]  GA 142, Seite 90ff   (Ausgabe 1960, 140 Seiten)
[3]  GA 142, Seite 124ff   (Ausgabe 1960, 140 Seiten)
[4]  GA 152, Seite 121   (Ausgabe 1980, 176 Seiten)
[5]  GA 142, Seite 126   (Ausgabe 1960, 140 Seiten)
[6]  GA 142, Seite 127   (Ausgabe 1960, 140 Seiten)

Quellen:

GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)
GA 142:  Die Bhagavad Gita und die Paulusbriefe (1912/1913)
GA 152:  Vorstufen zum Mysterium von Golgatha (1913/1914)