Ätherleib des Esoterikers

Der ätherische Leib zeigt bei einer nicht in okkulter Entwickelung begriffenen Person den Werdegang der Welt, dasjenige, was in der Zeit aufeinanderfolgt; er zeigt, wie sich Planeten und Sonnen oder auch menschliche Kulturen auf der Erde oder auch einzelne Menschen durch ihre Inkarnationen hindurch verändern, wie sie sich im aufeinanderfolgenden Werden zeigen. Dieser Ätherleib ist also eigentlich ein Erzähler; er erzählt den Werdegang der Welt. Und je mehr der Mensch in einer okkulten Entwickelung begriffen ist, desto weiter reichen die Erzählungen hinauf. Ein Mensch, der verhältnismäßig wenig in okkulter Entwickelung begriffen ist, der zeigt in seinem Ätherleib vielleicht für den hellseherischen Blick ein paar Generationen, die ihm in physischer Vererbung vorangegangen sind; denn dieses Werden zeigt sich auch noch im Ätherleib des Menschen. Je weiter aber die okkulte Entwickelung einer Persönlichkeit geht, desto mehr ist es möglich, in dem Ätherleib Menschheitskulturen, einzelne Verkörperungen dieser oder jener Individualitäten zu sehen, ja hinaufzusteigen zu dem kosmischen Werden und dem Anteil der Geister der höheren Hierarchien an dem kosmischen Werden. [1]

Ein Geistesschüler, der eine Einweihung durchmacht, ist genügend fortgeschritten, um schon hier auf der Erde im Schoß seiner Ätherkräfte den Lebensgeist zu erwecken, der eines seiner drei unvergänglichen Wesensglieder bildet. Dieser zum Lebensgeist umgewandelte Ätherleib wird im Sanskrit Buddhi genannt. Hat der Schüler Buddhi erlangt, hat er es nicht mehr nötig, zwischen zwei Inkarnationen seinen Ätherleib vollständig umzubilden. Er verbringt dann eine viel kürzereZeit im Devachan. Daher zeigt er von einer Inkarnation zur anderen dieselbe Grundveranlagung, das gleiche Temperament, den gleichen Grundcharakter. [2]

Beim Menschen sind die Teilchen des Ätherleibes in einer fortwährenden Bewegung. Zahllose Strömungen durchziehen ihn nach allen Seiten. Durch diese Strömungen wird das Leben unterhalten und geregelt. Diese Strömungen und Bewegungen sind zunächst von dem Willen und Bewußtsein des Menschen ganz unabhängig. Die höhere Entwickelung auf einer gewissen Stufe besteht darin, daß zu den vom Bewußtsein unabhängigen Strömungen und Bewegungen des Ätherleibes solche hinzutreten, welche der Mensch in bewußter Weise selbst bewirkt.

Wenn die Lotusblumen (siehe: Astralleib – Organe) sich zu bewegen beginnen, dann hat der Schüler auch bereits manches von dem vollzogen, was zur Hervorrufung ganz bestimmter Strömungen und Bewegungen in seinem Ätherkörper führt. Der Zweck dieser Entwickelung ist, daß sich in der Gegend des physischen Herzens eine Art Mittelpunkt bildet, von dem Strömungen und Bewegungen in den mannigfaltigsten geistigen Farben und Formen ausgehen. Dieser Mittelpunkt ist ein ganz kompliziertes Gebilde, ein wunderbares Organ. Es leuchtet und schillert geistig in den allerverschiedensten Farben und zeigt Formen von großer Regelmäßigkeit, die sich mit Schnelligkeit verändern können. Und weitere Formen und Farbenströmungen laufen von diesem Organ nach den Teilen des übrigen Körpers und auch noch über diesen hinaus, indem sie den ganzen Seelenleib durchziehen und durchleuchten. Die wichtigsten dieser Strömungen aber gehen zu den Lotusblumen. Sie durchziehen die einzelnen Blätter derselben und regeln ihre Drehung; dann strömen sie an den Spitzen der Blätter nach außen, um sich im äußeren Raum zu verlieren. Je entwickelter ein Mensch ist, desto größer wird der Umkreis, in dem sich diese Strömungen verbreiten.

In einer besonders nahen Beziehung steht die 12-blättrige Lotusblume (des Astralleibes) zu dem geschilderten Mittelpunkte (des Ätherleibes). In sie laufen unmittelbar die Strömungen ein. Und durch sie hindurch gehen auf der einen Seite Strömungen zu der 16-blättrigen (Kehlkopforgan) und der zweiblättrigen (Stirnorgan), und auf der anderen Seite zu den (10-), 6- und vierblättrigen Lotusblumen. [3]

Der Geistesschüler muß in gewissen Zeiten seine Seele ganz mit dem Inhalte der (geistigen) Übungen durchdringen, sich innerlich gleichsam ganz damit ausfüllen. Mit Einfachem beginnt es, was vor allem geeignet ist, das verständige und vernünftige Denken des Kopfes zu vertiefen, zu verinnerlichen. Dieses Denken wird dadurch frei und unabhängig gemacht von allen sinnlichen Eindrücken und Erfahrungen. Es wird gewissermaßen in einen Punkt zusammengefaßt, welchen der Mensch ganz in seiner Gewalt hat. Dadurch wird ein vorläufiger Mittelpunkt geschaffen für die Strömungen des Ätherleibes. Dieser Mittelpunkt ist zunächst noch nicht in der Herzgegend, sondern im Kopfe. Dem Hellseher zeigt er sich dort als Ausgangspunkt von Bewegungen. [4]

Nur eine solche Geheimschulung hat den vollen Erfolg, welche zuerst diesen Mittelpunkt schafft. Würde gleich vom Anfang an der Mittelpunkt in die Herzgegend verlegt, so könnte der angehende Hellseher zwar gewisse Einblicke in die höheren Welten tun; er könnte aber keine richtige Einsicht in den Zusammenhang dieser höheren Welten mit unserer sinnlichen gewinnen. Und dies ist für den Menschen auf der gegenwärtigen Stufe der Weltentwickelung eine unbedingte Notwendigkeit. Der Hellseher darf nicht zum Schwärmer werden; er muß den festen Boden unter den Füßen behalten. Der Mittelpunkt im Kopfe wird dann, wenn er gehörig befestigt ist, weiter nach unten verlegt, und zwar in die Gegend des Kehlkopfes. Das wird im weiteren Anwenden der Konzentrationsübungen bewirkt. Dann strahlen die Bewegungen des Ätherleibes von dieser Gegend aus. Sie erleuchten den Seelenraum in der Umgebung des Menschen. Ein weiteres Üben befähigt den Geheimschüler, die Lage seines Ätherleibes selbst zu bestimmen. Vorher ist diese Lage von den Kräften abhängig, die von außen kommen und vom physischen Körper ausgehen. Durch die weitere Entwickelung wird der Mensch imstande, den Ätherleib nach allen Seiten zu drehen. Diese Fähigkeit wird durch Strömungen bewirkt, welche ungefähr längs der beiden Hände verlaufen und ihren Mittelpunkt in der zweiblättrigen Lotusblume in der Augengegend haben. Alles dies kommt dadurch zustande, daß sich die Strahlungen, die vom Kehlkopf ausgehen, zu runden Formen gestalten, von denen eine Anzahl zu der zweiblättrigen Lotusblume hingehen, um von da aus als wellige Strömungen den Weg längs der Hände zu nehmen. [5]

Eine weitere Folge besteht darin, daß sich diese Ströme in der feinsten Art verästeln und verzweigen und zu einer Art Geflecht werden, das wie ein Netzwerk zur Grenze des ganzen Ätherleibes sich umbildet. Während dieser vorher nach außen keinen Abschluß hatte, so daß die Lebensströme aus dem allgemeinen Lebensmeer unmittelbar aus- und einströmten, müssen jetzt die Einwirkungen von außen dieses Häutchen durchlaufen. Dadurch wird der Mensch für diese äußeren Strömungen empfindlich. Sie werden ihm wahrnehmbar.

Nunmehr ist auch der Zeitpunkt gekommen, um dem ganzen Strom-und Bewegungssystem den Mittelpunkt in der Herzgegend zu geben. Das geschieht wieder durch die Fortsetzung der Konzentrations- und Meditationsübung. Und damit ist auch die Stufe erreicht, auf welcher der Mensch mit dem «inneren Wort» begabt wird. Alle Dinge erhalten nunmehr für den Menschen eine neue Bedeutung. Sie werden gewissermaßen in ihrem innersten Wesen geistig hörbar; sie sprechen von ihrem eigentlichen Wesen zu dem Menschen. Die gekennzeichneten Strömungen setzen ihn mit dem Inneren der Welt in Verbindung, zu welcher er gehört. Er beginnt das Leben seiner Umgebung mitzuerleben und kann es in der Bewegung seiner Lotusblumen nachklingen lassen. Damit betritt der Mensch die geistige Welt. [6]

Geistige Bilder sind es, welchen der Mensch zunächst auf seiner Bahn zur höheren Welt begegnet. Denn die Wirklichkeit, welche diesen Bildern entspricht, ist ja in ihm selbst. Reif muß deshalb der Geistesschüler sein, um auf dieser Stufe nicht derbe Realitäten zu verlangen, sondern die Bilder als das Richtige zu betrachten. Aber innerhalb dieser Bilderwelt lernt er bald etwas Neues kennen. Sein niederes Selbst ist nur als Spiegelgemälde vor ihm vorhanden, aber mitten in diesem Spiegelgemälde erscheint die wahre Wirklichkeit des höheren Selbst. Aus dem Bilde der niederen Persönlichkeit heraus wird die Gestalt des geistigen Ich sichtbar. Und erst von dem letzteren aus spinnen sich die Fäden zu anderen höheren geistigen Wirklichkeiten.

Und nun ist die Zeit gekommen, um die zweiblätterige Lotusblume in der Augengegend zu gebrauchen. Fängt sie an sich zu bewegen, so findet der Mensch die Möglichkeit, sein höheres Ich mit übergeordneten geistigen Wesenheiten in Verbindung zu setzen. Die Ströme, welche von dieser Lotusblume ausgehen, bewegen sich so zu höheren Wirklichkeiten hin, daß die entsprechenden Bewegungen dem Menschen völlig bewußt sind. Wie das Licht dem Auge die physischen Gegenstände sichtbar macht, so diese Strömungen die geistigen Wesen höherer Welten. [7] Er hat jetzt ein unmittelbares Wissen von seinem höheren Selbst. Und er lernt erkennen, daß dieses höhere Selbst mit geistigen Wesenheiten höherer Art zusammenhängt und mit ihnen eine Einheit bildet. Er sieht also, wie das niedere Selbst aus einer höheren Welt herstammt. Und es zeigt sich ihm, daß seine höhere Natur, die niedere überdauert. Er lernt das Gesetz seines Lebens, Karma, erkennen. Er sieht ein, daß sein niederes Selbst, wie es gegenwärtig sein Dasein ausmacht, nur eine der Gestalten ist, die sein höheres Wesen annehmen kann. Und er erblickt die Möglichkeit vor sich, von seinem höheren Selbst aus an sich zu arbeiten. [8]

Seine nächste Aufgabe ist es nun, in dieses höhere Selbst gewissermaßen hineinzuwachsen, das heißt, es wirklich als seine wahre Wesenheit anzusehen und auch sich dementsprechend zu verhalten. Hat es der Geheimschüler zu einem solchen Leben in seinem höheren Ich gebracht, dann – oder vielmehr schon während der Aneignung des höheren Bewußtseins – wird ihm klar, wie er die geistige Wahrnehmungskraft (siehe dazu auch: Kundalini, diverse Artikel) in dem in der Herzgegend erzeugten Organ zum Dasein erwecken und durch die in den vorigen Abschnitten charakterisierten Strömungen leiten kann. Diese Wahrnehmungskraft ist ein Element von höherer Stofflichkeit (auch Kundalini-Licht genannt), das von dem genannten Organ ausgeht und in leuchtender Schönheit durch die sich bewegenden Lotusblumen und auch durch die anderen Kanäle des ausgebildeten Ätherleibes strömt. Es strahlt von da nach außen in die umgebende geistige Welt und macht sie geistig sichtbar, wie das von außen auf die Gegenstände fallende Sonnenlicht diese physisch sichtbar macht. Wie diese Wahrnehmungskraft im Herzorgane erzeugt wird, das kann nur allmählich im Ausbilden selbst verstanden werden.

Deutlich als Gegenstände und Wesen wahrnehmbar wird die geistige Welt eigentlich erst für einen Menschen, der in solcher Art das charakterisierte Wahrnehmungsorgan durch seinen Ätherleib und nach der Außenwelt senden kann, um damit die Gegenstände zu beleuchten. Man sieht daraus, daß ein vollkommenes Bewußtsein von einem Gegenstande der geistigen Welt nur unter der Bedingung entstehen kann, daß der Mensch selbst das Geisteslicht auf ihn wirft. In Wahrheit wohnt nun das «Ich», welches dieses Wahrnehmungsorgan erzeugt, gar nicht im physischen Menschenkörper, sondern, außerhalb desselben. Das Herzorgan ist nur der Ort, wo der Mensch von außen her dieses geistige Lichtorgan entfacht. Würde er es nicht hier, sondern an einem anderen Orte entzünden, so hätten die durch dasselbe zustande gebrachten Wahrnehmungen keinen Zusammenhang mit der physischen Welt. Aber der Mensch soll ja alles höhere Geistige eben auf die physische Welt beziehen und durch sich in die letztere hereinwirken lassen. Das Herzorgan ist gerade dasjenige, durch welches das höhere Ich das sinnliche Selbst zu seinem Werkzeug macht und von dem aus dies letztere gehandhabt wird. [9]

Zitate:

[1]  GA 145, Seite 169f   (Ausgabe 1976, 188 Seiten)
[2]  GA 94, Seite 75   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[3]  GA 10, Seite 140f   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[4]  GA 10, Seite 142   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[5]  GA 10, Seite 143   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[6]  GA 10, Seite 144   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[7]  GA 10, Seite 153f   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[8]  GA 10, Seite 156f   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[9]  GA 10, Seite 163f   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)

Quellen:

GA 10:  Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (1904/1905)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 145:  Welche Bedeutung hat die okkulte Entwicklung des Menschen für seine Hüllen (physischer Leib, Ätherleib, Astralleib) und sein Selbst? (1913)