Begegnung jedes Menschen mit der höheren Welt

1. Begegnung mit dem Manas, dem Geistselbst im Schlafe

Was wir auch haben können an einem die Seele befriedigenden Gefühl über den Zusammenhang des Menschen mit der geistigen Welt, es beruht darauf, daß diese Begegnung während der Schlafenszeit mit dem Genius nachwirkt. Die Begegnung fand statt beim normalen Schlaf in der Mitte zwischen Einschlafen und Aufwachen. Das Gefühl, das wir im wachen Zustande bekommen können von unserem Zusammenhang mit der geistigen Welt, ist eine Nachwirkung dieser Begegnung mit dem Genius, also der Begegnung des Ich mit dem Geistselbst (Manas). [1]

2. Begegnung mit der Buddhi, dem Lebensgeist

Um die Weihnachtszeit, so bis zu unserem heutigen Neujahr hin, macht der Mensch ebenso eine Begegnung seines Astralleibes mit dem Lebensgeist (Buddhi) durch, wie er für die erste Begegnung die Begegnung des Ich mit dem Manas durchmacht. Und auf dieser Begegnung mit dem Lebensgeist beruht das Nahesein dem Christus Jesus, denn durch den Lebensgeist offenbart sich der Christus-Jesus. Er offenbart sich durch ein Wesen aus dem Reiche der Archangeloi. Selbstverständlich ist er ein unendlich viel höheres Wesen, aber er offenbart sich durch einen Archangelos. So daß wir durch diese Begegnung für die heutige Entwickelung seit dem Mysterium von Golgatha, eben dem Christus Jesus besonders nahestehen, und daß wir die Begegnung mit der Buddhi in gewisser Beziehung auch die in den tiefen Untergründen der Seele vor sich gehende Begegnung mit dem Christus Jesus nennen können. Wenn nun der Mensch – sei es durch die Entwickelung des Geistesbewußtseins im Bereiche der religiösen Vertiefung und der religiösen Übung, oder sei es, diese religiöse Übung und Empfindung ergänzend, auch noch durch Aufnahme von Vorstellungen der Geisteswissenschaft –, wenn nun der Mensch sein Empfindungsleben vertieft, vergeistigt auf die geschilderte Weise, dann wird er ebenso, wie er im wachen Leben die Nachwirkung der Begegnung mit dem Genius erleben kann, erleben die Nachwirkung der Begegnung mit dem Lebensgeist, beziehungsweise mit dem Christus. In der Zeit, die nun auf die angedeutete Weihnachtszeit folgt, bis zur Osterzeit hin, die Verhältnisse ganz besonders günstig liegen, um sich zum Bewußtsein zu bringen die Begegnung des Menschen mit dem Christus Jesus. [2]

Das Karfreitagsmysterium, das dem Menschen das Mysterium von Golgatha zur Osterzeit vergegenwärtigt, hat neben allem anderen auch noch diese Bedeutung, daß der Christus, der gleichsam neben uns einherwandelt, sich nun uns am meisten nähert, gewissermaßen, grob gesprochen, in uns selber verschwindet, uns durchdringt, so daß er bei uns bleiben kann für die Zeit nach dem Mysterium von Golgatha, in der Zeit, die jetzt kommt als Sommerzeit, in der sich in alten Mysterien zu Johanni die Menschen mit dem Makrokosmos haben verbinden wollen auf eine andere Weise, als das nach dem Mysterium von Golgatha sein muß. [3] Unsere Begegnung mit dem Geist-Prinzip strahlt über das ganze zukünftige Leben aus, auch über dasjenige Leben, das sich zwischen Tod und neuer Geburt abspielt. [4]

3. Begegnung mit dem Vater-Prinzip, dem Geistesmenschen, Atma

Eine dritte Begegnung ist diejenige, in welcher der Mensch herankommt, nahekommt dem ganz spät in der Zukunft zu entwickelnden eigentlichen Geistesmenschen (Atma), vermittelt durch ein Wesen der Hierarchie der Archai. Wir können sagen: Die Alten, und auch noch die Menschen der Gegenwart – nur daß die Menschen der Gegenwart meist, wenn sie von diesen Dingen sprechen, nicht mehr ein Bewußtsein von der tieferen Wahrheit der Sache haben –, sie empfanden und empfinden diese Begegnung mit dem, was die Welt durchdringt, was wir kaum mehr unterscheiden können in uns selbst und in der Welt, sondern wo wir aufgehen mit unserem Selbst in der Welt als in einer Einheit. Und so wie man bei der zweiten Begegnung zugleich sprechen kann von einer Begegnung mit dem Christus Jesus, so kann man bei der dritten Begegnung sprechen von der Begegnung mit dem Vater-Prinzip, mit dem «Vater» als dem der Welt zugrunde Liegenden. Wir werden eine gewisse Zeit unseres physischen Erdenlebens, mit Recht durch die Erziehung heute vielfach unbewußt, aber doch eben darauf vorbereitet und erleben dann – zumeist für die Menschen zwischen dem 28. und 42. Jahre unbewußt, aber in den intimen Tiefen der Seele vollwertig – die Begegnung mit diesem Vater-Prinzip. Dann kann die Nachwirkung in das spätere Leben hineinragen, wenn wir feine Empfindungen genug entwickeln, um auf das zu achten, was so in unser Leben aus uns selber kommend als Nachwirkung der Begegnung mit dem Vater-Prinzip hereinspielt. Diese Begegnung mit dem Vater-Prinzip bedeutet viel für das Leben, das zwischen dem Tode und einer neuen Geburt verläuft; es bedeutet, daß der Mensch eine starke Kraft und Stütze hat, wenn er zurückzuleben hat sein Erdenleben. [5]

Wenn durch ein frühes Sterben die Begegnung mit dem Vaterprinzip in den tiefen unterbewußten Seelengründen noch nicht hat stattfinden können, dann findet sie in der Todesstunde statt. Mit dem Tode wird diese Begegnung zugleich erlebt. Der Mensch entzieht sich durch den eigenwilligen Tod eventuell der Begegnung mit dem Vater-Prinzip in der entsprechenden Inkarnation. Denken Sie, wie unendlich das Leben vertieft wird, wenn man zu dem allgemeinen Wissen über das Karma solche Einzelheiten hinzufügen kann wie diese, daß bei einem verhältnismäßig frühen Lebensende der Mensch im Tode die Begegnung mit dem Vater-Prinzip hat. Denn dann zeigt sich, daß eben im Karma des Menschen es notwendig gewesen ist, den frühen Tod herbeizuführen, damit eine abnorme Begegnung mit dem Vater-Prinzip stattfindet. Dann ist der Schauplatz, auf dem sich die Begegnung mit dem Vater-Prinzip abspielt, hier noch die physische Welt. Dadurch, daß diese äußere physische Erdenwelt den Menschen zerstört hat, dadurch offenbart sich an der Zerstörungsstätte selbst, im Rückblick natürlich später immer wieder sichtbar, die Begegnung mit dem Vater-Prinzip. Dadurch aber auch gewinnt der Mensch die Möglichkeit, durch sein ganzes Leben, das er durchschreitet, nachdem er durch die Pforte des Todes gegangen ist festzuhalten den Gedanken an die Stätte hin, das heißt an die Erde, von Himmelshöhen herunter, wo die Begegnung mit dem Vater-Prinzip stattgefunden hat. Das aber bringt den Menschen dazu, von der geistigen Welt viel hereinzuwirken in die physische Erdenwelt. Es ist deshalb schon notwendig, daß hier auf der Erde die Seelen sich dafür empfänglich machen, sonst gehen diese Kräfte, die entwickelt werden aus der geistigen Welt, nach anderen Seiten hin. [6] Durch dieses Zusammentreffen (mit dem Vater-Prinzip) kommt der Mensch in die Lage, sich die Erlebnisse des gegenwärtigen Lebens so tief einzuprägen, daß sie in die nächste Inkarnation hinüberwirken können. [7] Es ist ein Abbild des Saturnumlaufes, insofern dieser Lebenslauf den Menschen bis zu der Vater-Begegnung führt. [8] Während der Mensch in Bezug auf das Vater-Prinzip und in Bezug auf das Geist-Prinzip Vergangenheit und Zukunft in sich trägt, ist er in bezug auf jene Begegnung, von der ich gesagt habe, daß sie sich im Jahreslauf vollzieht und noch zusammenhängt auch nun mit der Begegnung mit dem Christus, an die Naturordnung gebunden. Während er mit Bezug auf Vergangenheit und Zukunft aus dem Naturlauf herausgetreten ist, seit Jahrtausenden schon herausgetreten ist. [9]

Zitate:

[1]  GA 175, Seite 57ff   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[2]  GA 175, Seite 59f   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[3]  GA 175, Seite 61   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[4]  GA 175, Seite 78   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[5]  GA 175, Seite 62f   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[6]  GA 175, Seite 64ff   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[7]  GA 175, Seite 77f   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[8]  GA 175, Seite 132   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)
[9]  GA 175, Seite 79   (Ausgabe 1982, 416 Seiten)

Quellen:

GA 175:  Bausteine zu einer Erkenntnis des Mysteriums von Golgatha. Kosmische und menschliche Metamorphose (1917)