Pythagoras

Das Ich des Zarathustra ging in einen Leib, der im alten Assyrien lebte, in Nazarathos oder Zarathas, den Lehrer des Pythagoras. So daß wir also die pythagoreische Weisheit, die auf tiefe okkulte Weisheit zurückgeht und in Verstandesform gekleidet ist, zurückgehen sehen auf Zarathas. So sehen wir, wie die Kontinuität aufrechterhalten wird, sehen, wie der, der die Sonnengeheimnisse übernimmt, weiterwirkt auf die nachatlantische Kultur. Pythagoras hat auf seinen Reisen die Einweihungsstätten seines Lehrers Nazarathos besucht. [1] Pythagoras wird selbst wiedergeboren dann als einer der drei Weisen aus dem Morgenlande und wird dann ein Schüler des Jesus von Nazareth. [2] Pythagoras, der große Initiator einer gewissen Richtung der griechischen Kultur, hat in einer früheren Inkarnation als Trojanerheld mitgekämpft auf seiten der Trojaner, so wie er selbst sagt, daß er der trojanische Held war, der im Homer entsprechend angeführt wird, und daß er sich als Gegner der Griechen wiedererkannte, weil er seinen Schild wiedererkennt. Pythagoras erzählt (selbst), daß er Euphorbos gewesen ist. [3]

Mit den alten mythischen Götterwesen fühlten sich solche Seelen in die unvollkommene Welt hineinverstrickt. (Denn) diese Götterwesen gehörten derselben unvollkommenen Welt an wie sie selber. Aus solcher Stimmung heraus entstand ein Geistesbund wie der von Pythagoras aus Samos zwischen den Jahren 540 und 500 vor Christus in Kroton in Großgriechenland (Kalabrien, Süditalien) gegründete. Pythagoras wollte die sich zu ihm bekennenden Menschen zum Empfinden der «guten Urmütter» zurückführen, in denen der Ursprung ihrer Seelen, vorgestellt werden sollte. In dieser Beziehung kann gesagt werden, daß er und seine Schüler «anderen» Göttern dienen wollten als das Volk. Und damit war gegeben, was als der Bruch erscheinen muß zwischen solchen Geistern wie Pythagoras und dem Volke. Dieses fühlte sich mit seinen Göttern wohl; er mußte diese Götter in das Reich des Unvollkommenen verweisen, Darin ist auch das «Geheimnis» zu suchen, von dem im Zusammenhang mit Pythagoras gesprochen wird, und das den nicht Eingeweihten nicht verraten werden durfte. Es bestand darinnen, daß sein Denken der Menschenseele einen anderen Ursprung zusprechen mußte als den Götterseelen der Volksreligion. Auf dieses «Geheimnis» sind zuletzt die zahlreichen Angriffe zurückzuführen, welche Pythagoras erfahren hat. Wie sollte er anderen als denen, welche er erst sorgfältig für solche Erkenntnis vorbereitete, klarmachen, daß sie «als Seelen» sich sogar in einem gewissen Sinne als höherstehend ansehen dürften als die Volksgötter stehen (siehe dazu: Götter griechische, Götter obere und untere; luziferische Wesen; Selbst höheres). Und wie sollte sich anders als in einem Bunde mit streng geregelter Lebensweise durchführen lassen, daß sich die Seelen ihres hohen Ursprungs bewußt wurden und doch sich verstrickt in die Unvollkommenheit fühlten. Durch letzteres Fühlen sollte ja das Streben erzeugt werden, das Leben so einzurichten, daß es durch Selbstvervollkommnung zu seinem Ursprunge zurückführte. [4] Mitten in der strotzenden Üppigkeit (sprichwörtlich geworden in den nur 100 Kilometern entfernten Sybariten), in der ganz großartig gelogen wurde (siehe: Griechentum und Illusion), hat Pythagoras seine Tätigkeit entfaltet, und diese Tätigkeit setzte sich fort nach seinem Tode. Und dasjenige, was Pythagoras und die Pythagoreerseelen nach dem Tode zu tun hatten, hängt vielfach mit dem zusammen, was sich äußerte in dem Untergang des blühenden, sprossenden Lebens, inmitten dessen Pythagoras war. Nicht ganz unbeteiligt an dem Zerstörungswerk – das für das Jenseits ein Entstehungswerk ist –, das sich an der Stätte üppigen sprossenden Lebens innerhalb der Natur aufrichtete in der nachpythagoreischen Zeit, sind Pythagoras und die Seelen seiner Anhänger. Und man muß sich, wenn man die Gesamtwelt verstehen will, eben bekanntmachen damit, daß von den verschiedenen Aspekten aus hier zwischen Geburt und Tod und zwischen Tod und neuer Geburt die Dinge sich ganz anders ausnehmen. [5]

Es wird von den weiten Reisen des Pythagoras erzählt. Davon, daß er mit Weisen zusammengetroffen sei, welche Überlieferungen ältester menschlicher Einsicht aufbewahrten. Wer beobachtet, was von ältesten menschlichen Vorstellungen überliefert ist, der kann zu der Anschauung kommen, daß die Ansicht von den wiederholten Erdenleben in den Urzeiten weite Verbreitung gehabt hat. An Urlehren der Menschheit knüpfte Pythagoras an (mit seiner Seelenwanderung). Die mythischen Bilderlehren seiner Umgebung mußten ihm wie verfallene Anschauungen erscheinen, welche von älteren, besseren herkamen. Diese Bilderlehren mußten sich in seinem Zeitalter umwandeln in gedankenmäßige Weltanschauung. Doch erschien ihm diese gedankliche Weltanschauung nur als ein Teil des Seelenlebens. Dieser Teil mußte vertieft werden; dann führte er die Seele zu ihren Ursprüngen. Aber indem die Seele so vordringt, entdeckt sie in ihrem inneren Erleben die wiederholten Erdenleben wie eine seelische Wahrnehmung. Sie kommt nicht zu ihren Ursprüngen, wenn sie den Weg dazu nicht durch wiederholte Erdenleben hindurch findet. Wie ein Wanderer, der nach einem entfernten Orte gehend auf seinem Wege naturgemäß durch andere Orte hindurchkommt, so kommt die Seele, wenn sie zu den «Müttern» geht, durch ihre vorangehenden Leben hindurch, durch welche schreitend sie herabgestiegen ist von ihrem Sein im «Vollkommenen» zu ihrem gegenwärtigen Leben im «Unvollkommenen». Man kann, wenn man alles in Betracht Kommende berücksichtigt, gar nicht anders, als die Ansicht von den wiederholten Erdenleben dem Pythagoras in diesem Sinne, als seine innere Wahrnehmung, und nicht als begrifflich Erschlossenes, zuschreiben. [6]

Pythagoras hat von der Sphärenmusik gesprochen, weil er ein Eingeweihter der alten Mysterien war. Er hat durchgemacht jenen Prozeß, durch den die Seele herausging aus dem Leibe. [7] Was Pythagoras die Sphärenmusik genannt hat, ist etwas, was der Geistesforscher wirklich erreichen kann. Er taucht unter in die Dinge und Wesen der geistigen Welt und hört, aber hört, indem er ausspricht. Ein sprechendes Hören, ein hörendes Sprechen im Untertauchen in das Wesen der Dinge ist das, was man erlebt. Die wahre Inspiration ist es, die sich ergibt. Die Seele taucht unter in die Dinge, und was für Kräfte da drinnen spielen, das bildet sie aktiv nach. All dieses Wahrnehmen in der geistigen Welt ist ein Sich-Betätigen, und indem man die Tätigkeit wahrnimmt, in die man sich versetzen muß, weil man nachbildet das innere Weben und Wesen der Dinge, nimmt man diese Dinge wahr. In der äußeren sinnlichen Welt ist das Hören passiv, wir hören zu. Sprechen und Hören fließen wie zusammen im geistigen Hören. [8]

In den ersten Zeiten der atlantischen Entwickelung gab es ein unmittelbares Wahrnehmen der Sonnenwirkungen. Dann verschlossen sich die Menschen diesen Wirkungen. Und als dieselben nicht mehr in den Menschen eindringen konnten, während das menschliche Innenleben dafür immer mehr und mehr aufblühte, da waren es nur die heiligen Mysterien, welche ihre Bekenner so zur Entwickelung der geistigen Kräfte brachten, daß der Mensch sozusagen entgegen den normalen Erdverhältnissen, durch das, was man mit «Joga» bezeichnen kann, die Sonnenwirkungen unmittelbar wahrnehmen konnte. Daher entwickelten sich in der zweiten Hälfte der atlantischen Zeit die mit Recht «Orakel» genannten Stätten innerhalb des atlantischen Landes, wo innerhalb einer Menschheit, die normalerweise nicht mehr die direkten Wirkungen des Klangäthers und des Lebensäthers (siehe: Ätherarten) wahrnehmen konnten, solche Schüler und Bekenner der heiligen Weisheit ausgebildet wurden, die dadurch, daß sie das bloße sinnliche Wahrnehmen zunächst unterdrückten, die Offenbarungen des Klangäthers und des Lebensäthers wahrnehmen konnten. Und diese Möglichkeit blieb erhalten für die wirklichen Stätten der Geheimwissenschaft in der nachatlantischen Zeit. Es ist ja so stark geblieben, daß selbst die äußere Wissenschaft, ob sie es zwar nicht versteht, noch eine Überlieferung aus der Schule des Pythagoras bewahrt hat, die dahin geht, daß man die Sphärenharmonien hören kann. Nur verwandelt die äußere Wissenschaft so etwas wie die Sphärenharmonie gleich in ein Abstraktum – was sie aber nicht war – und denkt nur nicht das, was sie ist. Denn in Wirklichkeit verstand man in den Pythagoreerschulen unter der Fähigkeit der Wahrnehmung der Sphärenharmonie das reale Sich-wieder-Öffnen der menschlichen Wesenheit dem Klangäther, der Sphärenharmonie, und dem realen göttlichen Lebensäther. [9]

Die pythagoreische Schule unterscheidet drei Stufen: 1. Die äußere Wahrnehmung (bei den Indern) Chit; 2. das Pleroma (bei den Indern) Ananda; 3. die Sphärenharmonie (bei den Indern) Sat. Dies sind die drei Stufen der Erkenntnis bei dem Cusanus: 1. Das Wissen; 2. das Überwissen oder die Beseligung; 3. die Vergottung. Dieses Wahrnehmen der ganzen Welt bezeichnen die Pythagoreer als Sphärenharmonie. Das ist das Widerklingen des Wesens der Dinge in der eigenen Seele des Menschen. Da fühlt er sich vereinigt mit der Gotteskraft. Das ist das Hören der Sphärenharmonie, des schaffenden Weltgesetzes, das ist das Verwobensein mit dem Sein der Dinge, das ist das, wo die Dinge selbst reden, und die Dinge sprechen durch die Sprache seiner Seele aus ihm selbst heraus. Dann hat er erreicht, wovon der Kusaner sagt, daß keine Worte fähig sind, dies auszudrücken. [10]

Nun wird als besonders charakteristisch bei dem Bekennertum des Pythagoras von der Ansicht gesprochen, daß alle Dinge auf «den Zahlen» beruhen. [11] Wir müssen nicht aus unseren monotheistischen Vorstellungen heraus uns verleiten lassen zu glauben, daß wir, wenn der Schleier, der uns von der geistigen Welt trennt, zur Seite gleitet, nur eine einzige göttliche Alleinheit sehen. Es ist die Vielfältigkeit, in welche wir schauen, und auf die Vielfältigkeit müssen wir unseren Blick richten. Aber wie sollen wir uns zurechtfinden? Pythagoras hat gesagt: Suchet die Vielfältigkeit nicht mit euren Augen, Ohren und Sinnen, suchet sie durch die Zahl! – Gerüstet mit der Zahl, sollen wir uns der Vielfältigkeit nähern. Wie der Mystiker das Ideal der höheren Vervollkommnung in sein Inneres gießen muß, so muß der Okkultist an die Zahl appellieren. Und hier ist eine Eigenschaft absolut notwendig, nämlich die Sicherheit. Wir müssen uns sicher fühlen. Denn wenn der Mensch schwankt, was ist er da? Ein Irrlicht, ein flackerndes Licht, und die Welt ist ein Labyrinth. Wir brauchen einen Ariadnefaden, um zurückfinden zu können. – Die Zahl macht uns fest, sie müssen wir im Auge haben. – Wenn du in die geistige Welt eintreten willst, mußt du aus dir selbst heraustreten, du mußt zunächst in das Chaos des Vielen gehen. – Wie finden wir den Faktor? Wo ein ordnendes Prinzip? Durch die Zahl, durch die Gesetzmäßigkeit der Zahl finden wir es. Wir müssen in das Wesen der Zahl eindringen und ihren wirklichen Wert kennenlernen. Die Zahl allein kann uns in dem Labyrinth zum Führer werden. Die Zahl kann uns vieles lehren, und gewissen Zahlen liegen tiefe Geheimnisse zugrunde. [12]

Wenn dies, daß alle Dinge auf den Zahlen beruhen, angeführt wird, so muß berücksichtigt werden, daß sich das Phythagoreertum auch nach dem Tode des Pythagoras bis in spätere Zeiten fortgesetzt hat. Von späteren Pythagoreern werden genannt Philolaus, Archytas von Tarent und andere. Von ihnen wußte man im Altertum insbesondere, daß sie die «Dinge als Zahlen angesehen haben». Man wird nur die Voraussetzung machen dürfen, daß diese Anschauung bei Pythagoras tief und organisch in seiner ganzen Vorstellungsart begründet war, daß sie aber bei seinen Nachfolgern eine veräußerlichte Gestalt angenommen habe. Man denke sich Pythagoras im Geiste vor dem Entstehen der gedanklichen Weltanschauung stehend. Er sah, wie der Gedanke seinen Ursprung in der Seele nimmt, nachdem diese, von den «Urmüttern» ausgehend, durch aufeinanderfolgende Leben zu ihrer Unvollkommenheit herabgestiegen war. Indem er dieses empfand, konnte er nicht durch den bloßen Gedanken zu den Ursprüngen hinaufsteigen wollen. Er mußte die höchste Erkenntnis in einer Sphäre suchen, in welcher der Gedanke noch nichts zu tun hat. Da fand er denn ein übergedankliches Seelenleben. Wie die Seele in den Tönen der Musik Verhältniszahlen erlebt, so lebte sich Pythagoras in ein seelisches Zusammenleben mit der Welt hinein, das der Verstand in Zahlen aussprechen kann; doch sind die Zahlen für das Erlebte nichts anderes, als was die vom Physiker gefundenen Tonverhältniszahlen für das Erleben der Musik sind. [13]

Die Hauptsache, worauf es ankommt, wenn wir daran denken, ein wenig in die geistige Welt hineinzukommen: daß wir vor allen Dingen lernen, uns selber so gleichgültig gegenüberzustehen, wie wir der Außenwelt gegenüberstehen. In der alten Pythagoreerschule wurde diese Wahrheit in einer strengen Weise formuliert, und gleich für einen wichtigen Fall menschlicher Erkenntnis: für die Unsterblichkeitsfrage: Reif, um die Wahrheit von der Unsterblichkeit zu erkennen, ist nur der, welcher es auch ertragen könnte, wenn das Gegenteil wahr wäre, der es auch ertragen könnte, wenn die Frage nach der Unsterblichkeit mit Nein beantwortet würde. Wenn man selber in der geistigen Welt etwas ausmachen will über die Unsterblichkeit, so sagten die Lehrer der alten Pythagoreerschulen, dann darf man sich nicht sehnen nach der Unsterblichkeit, denn solange man sich sehnt, ist das, was man sagt, nicht objektiv. Und alle maßgeblichen Urteile über das Leben jenseits von Geburt und Tod können nur von denen kommen, die sich ruhig ins Grab legen könnten, wenn es auch keine Unsterblichkeit gäbe. [14]

Zitate:

[1]  GA 109, Seite 285   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[2]  GA 109, Seite 152   (Ausgabe 1979, 304 Seiten)
[3]  GA 143, Seite 146   (Ausgabe 1970, 248 Seiten)
[4]  GA 18, Seite 46f   (Ausgabe 1955, 688 Seiten)
[5]  GA 183, Seite 156f   (Ausgabe 1967, 195 Seiten)
[6]  GA 18, Seite 49   (Ausgabe 1955, 688 Seiten)
[7]  GA 155, Seite 204   (Ausgabe 1982, 252 Seiten)
[8]  GA 153, Seite 21f   (Ausgabe 1978, 190 Seiten)
[9]  GA 123, Seite 66   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[10]  GA 51, Seite 214f   (Ausgabe 1983, 360 Seiten)
[11]  GA 18, Seite 49f   (Ausgabe 1955, 688 Seiten)
[12]  GA 125, Seite 59f   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[13]  GA 18, Seite 50   (Ausgabe 1955, 688 Seiten)
[14]  GA 124, Seite 44f   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)

Quellen:

GA 18:  Die Rätsel der Philosophie in ihrer Geschichte als Umriß dargestellt (1914)
GA 51:  Über Philosophie, Geschichte und Literatur. Darstellungen an der «Arbeiterbildungsschule» und der «Freien Hochschule» in Berlin (1901/1905)
GA 109:  Das Prinzip der spirituellen Ökonomie im Zusammenhang mit Wiederverkörperungsfragen. Ein Aspekt der geistigen Führung der Menschheit (1909)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 125:  Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1910)
GA 143:  Erfahrungen des Übersinnlichen. Die drei Wege der Seele zu Christus. (1912)
GA 153:  Inneres Wesen des Menschen und Leben zwischen Tod und neuer Geburt (1914)
GA 155:  Christus und die menschliche Seele. Über den Sinn des Lebens. Theosophische Moral. Anthroposophie und Christentum (1912/1914)
GA 183:  Die Wissenschaft vom Werden des Menschen (1918)