Christus Leben
► Heilung des Blindgeborenen

Dadurch, daß der astralische Leib noch nicht durchläutert, noch nicht zum Geistselbst, Manas umgestaltet ist, dadurch ist möglich Selbstsucht oder Egoismus; dadurch daß der Ätherleib noch nicht vom Ich durchkraftet ist, ist möglich Lüge und Irrtum; und dadurch, daß der physische Leib noch nicht vom Ich durchkraftet ist, ist möglich Krankheit und Tod. Was heißt denn also: Der Mensch nimmt die Christus-Impulse auf? Er lernt verstehen, welche Kraft in dem Christus ist, er nimmt die Kräfte in sich auf, die ihn dazu bringen, Herr zu sein selbst seinem physischen Leibe gegenüber. Stellen Sie sich einmal vor, ein Mensch könnte vollständig den Christus-Impuls in sich aufnehmen. Wenn der Mensch blind wäre, würde er durch den unmittelbaren Einfluß dieses Christus-Impulses sehend werden können, weil das letzte Ziel der Entwickelung die Besiegung der Kräfte von Krankheit und Tod ist. Wenn der Autor des Johannes-Evangeliums spricht von der Heilung des Blindgeborenen, dann redet er aus solchen Mysterientiefen heraus, dann zeigt er an einem Beispiel, daß die Christus-Kraft eine gesundende Kraft ist, wenn sie in ihrer vollen Stärke auftritt. Wo ist sie denn, diese Kraft? Im Christus-Leibe, in der Erde. – Diese Erde muß nur in Wahrheit durchsetzt sein mit dem Wesen des Christus-Geistes oder des Logos. Sehen wir einmal, ob der Schreiber des Johannes-Evangeliums die Sache so verstanden erzählt. Der Blinde ist da, Christus nimmt Erde, speichelt sie ein und legt sie ihm auf – den mit seinem Geist durchsetzten Leib legt er dem Blinden auf. Mit dieser Schilderung zeigt der Schreiber des Johannes-Evangeliums ein Mysterium, das er genau kennt. Und nun müssen wir – mit Außerachtlassung aller Vorurteile – einmal genauer von diesem einen der großen Zeichen des Christus Jesus sprechen, damit wir die Natur einer solchen Sache genau kennenlernen und uns nicht darum kümmern, daß unsere ganz gescheiten Zeitgenossen das, was jetzt gesagt wird, für Wahnsinn, für Torheit halten. Sondern wir dürfen das einmal sagen, daß es große, gewaltige Geheimnisse in der Welt gibt, die heute dem Menschen noch nicht anstehen. Die heutigen Menschen, wären sie auch noch so entwickelt, sie sind nicht stark genug, die großen Mysterien auch zu tun. Wissen kann man von ihnen, einsehen kann man sie, wenn man sie geistig erleben kann; aber sie umsetzen ins Physische, dazu ist unser so tief in die Materie heruntergestiegene Mensch nicht fähig. Alles Leben ist eigentlich aus Entgegengesetztem, aus Extremen bestehend. Leben und Tod sind solche Extreme. [1] Wenn ein Mensch wieder zur Geburt heruntersteigt, dann muß ihm ein leiblicher Teil auferbaut werden. Für einen Hellseher stellt sich dieses Zusammenschießen von Materie so dar, daß in der geistigen Welt gleichsam das dortige Bewußtsein stirbt. Dort stirbt es – hier lebt es auf. Und wahrhaftig, im Verwesen oder Verbrennen des physischen Leibes, wenn sich die Teile auseinanderbewegen, sich auflösen, da zeigt sich zu gleicher Zeit im Geistigen das Entgegengesetzte, da zeigt sich das Entstehen eines geistigen Bewußtseins. Physische Auflösung ist geistige Geburt. – Nehmen wir nun einmal an, ein Mensch gäbe sich physisch – niemandem wird das natürlich angeraten, denn die heutigen Körper vertragen das auf keinen Fall –, nehmen wir an, ein Mensch würde seinen physischen Leib dadurch trainieren, das er während einer gewissen vorgeschriebenen Zeit Verwesungsluft atmet mit dem Bewußtsein, den geistigen Vorgang in sich aufzunehmen, der eben geschildert worden ist, dann kann er allerdings in nächsten Inkarnationen – es ist nicht in einer Inkarnation zu machen – mit jener Kraft verkörpert werden, die belebende und gesundende Impulse gibt. Totenluft einatmen, das gehört zur Schulung, um seinem Speichel nach und nach zu der Kraft zu bringen, daß er mit der gewöhnlichen Erde zusammen das gibt, was der Christus dem Blinden in die Augen gerieben hat. Dieses Mysterium, durch das man den Tod konsumiert, den Tod ißt oder atmet, wodurch man die Kraft erhält gesund zu machen, das ist das Geheimnis, auf das der Schreiber des Johannes-Evangeliums deutet, indem er uns solche Zeichen zeigt, wie die Heilung des Blindgeborenen. [2]

Zitate:

[1]  GA 103, Seite 134f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[2]  GA 103, Seite 136f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)

Quellen:

GA 103:  Das Johannes-Evangelium (1908)