Bruderschaften

Für denjenigen, der aus der Geisteswissenschaft heraus den Gang der Menschheitsentwickelung kennt, beweist die Tatsache, daß gesprochen wird, sagen wir zum Beispiel in gewissen maurerischen Gemeinschaften, aber auch in anderen, von dem erhabenen Baumeister der Welten, das uralte Bestehen solcher Gemeinschaften und ihr Zurückgehen auf uralte Einrichtungen. Es beweist, daß solche Gemeinschaften doch weit, weit zurückgehen, wenn sie auch früher andere Formen gehabt haben, und zwar in ununterbrochener Folge zu uralten Gemeinschaften, die da bei den Griechen, den Römern, aber auch bei den alten Ägyptern bestanden haben, ja wir können noch weiter zurückgehen. Und von diesen Gemeinschaften uralter Zeiten leiten sich dann auch die gegenwärtigen Gemeinschaften her, nur daß diese gegenwärtigen gleichsam nicht in einem so unmittelbaren Verkehr ihrer Vorsteher stehen mit der geistigen Welt, wie die früheren Gemeinschaften, sondern dasjenige, was sie als Wissen haben, mehr als überliefertes Wissen bewahren (vergleiche: Ur-Offenbarung). [1]

Als ein Mittelpunkts-Symbolum wird gezeigt, wie durch irgendwelche Umstände, durch irgendwelche Tatsachen ein Mensch zum Tode geführt wird, ein Mensch stirbt und begraben wird, meist anknüpfend an den Namen Hieram, des Baumeisters des Königs Salomo. Man will in einem die unterbewußten Kräfte des Menschen ergreifenden Symbolum oder in einer Imagination zeigen, wie das Durchgehen durch den Tod und die Wiederauferstehung ist. Wenn man die Handlung, die sich da im Kultus, namentlich im katholischen Kultus (Osterkultus) abspielt, ins Auge faßt, so hat man es ja zunächst als mit einer symbolischen Handlung auch wirklich mit nichts anderem zu tun, als mit demjenigen, was in okkulten Bruderschaften die Grablegung und die Wiederauferstehung des Hieram zu bedeuten hat. Sie sehen also, der Ostergedanke steht in einer gewissen Beziehung in dem Mittelpunkte dieser okkulten Verbrüderungen. Der Sinn, der mit dieser Zeremonie verbunden wird, ist der, daß der Mensch durch das Anblicken dieser symbolischen Handlung tiefer in seine Seele eingehe, daß er gewissermaßen die in seiner Seele befindlichen tieferen Kräfte aufruft, die im gewöhnlichen Bewußtsein nicht vorhanden sind. [2]

Nun ist es sehr wichtig, zu wissen, daß auf der Grundlage von drei Graden sich jede okkulte Verbrüderung aufbaut. Im ersten Grade kommen, wenn die Symbolik in der richtigen Weise gebraucht wird, die Seelen so weit, daß sie ein genaues inneres Erlebnis davon haben, daß es ein Wissen gibt in Unabhängigkeit von dem gewöhnlichen physisch-sinnlichen Wissen. Und sie müssen im ersten Grade eine gewisse Summe von solchem, vom physischen unabhängigen Wissen haben. Ungefähr dasjenige müßte jeder wissen, der im ersten Grade ist heute innerhalb des fünften nachatlantischen Zeitraumes, was ungefähr in meiner «Geheimwissenschaft» (GA 13) steht. Wissen müßte jeder – das heißt innerlich lebendig wissen –, der im zweiten Grade ist, dasjenige, was in dem Buche steht: «Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten» (GA 10). Und wer in dem dritten Grade ist und die bedeutungsvollen Symbole: Zeichen, Griff und Wort schon des dritten Grades empfängt, der weiß, was es heißt: außerhalb seines Leibes leben. – Das wäre die Regel, das wäre dasjenige, was erreicht werden soll. Das ist tatsächlich bis ins achte, neunte Jahrhundert in gewissen Gegenden Europas innerhalb dieser Grade erreicht worden. So zum Beispiel in Irland bis ins zehnte Jahrhundert hinein. [3]

Dann aber gibt es Leute, die kommen zu sogenannten Hochgraden. Das ist freilich ein Gebiet, wo ungeheuer viel Eitelkeit unterläuft, denn es gibt Verbrüderungen, in denen man es bis über 90 Grade bringen kann. Aber dies beruht auf einem grotesken Erkenntnisfehler, denn es wird nämlich in okkulten Wissenschaften anders als im Dezimalsystem der Zahlen gelesen. Also wenn man schreibt: 33. Grad, so bedeutet das in Wirklichkeit 3 x 3 = 9. Nur weil die Leute nicht lesen können, lesen sie 33 statt 9. Aber wollen wir von diesen Eitelkeiten absehen, dann sind es ja noch immer sechs Grade, die sich auf diesen drei Graden aufbauen, als berechtigte Grade zu zählen. Und die geben dann, wenn sie durchgemacht werden, schon sehr Bedeutsames. Aber sie können in der Gegenwart gar nicht voll durchgemacht werden. Es ist rein unmöglich, denn es ist noch nicht so viel von den geistigen Welten an – ich will nicht sagen Erkenntnis, aber an Betätigung der Erkenntnis – herausgekommen. Aber vieles, vieles wird erst kommen, wenn an dem Widerstande es sich stärken, kräftigen muß. Und dieser Widerstand wird immer größer und größer werden. [4] Statt dessen kann man das Spiel treiben, daß man Leute die drei ersten Grade bloß symbolisch durchmachen läßt. Und es gibt ja heute in der Tat Bruderschaften, in denen nicht mehr gegeben wird als Symbole, ohne irgend etwas Geisteswissenschaftliches. Aber der astralische Leib, er wirkt in den Ätherleib ein wirkliches Wissen, und sie erzeugen also Leute auf diese Weise, die in ihrem Ätherleib ein umfassendes Wissen haben. [5]

Dies(es) unmittelbare Wissen davon, daß diese Gebärden (siehe: Goethes vier Ehrfurchten), wenn sie richtig sind, nicht etwas Willkürliches sind, sondern daß sie zusammenhängen mit der geistigen Organisation des Menschen, ist seit dem 14. Jahrhundert den Menschen weitgehend verloren gegangen. Daraus folgt, daß man vorher den Menschen, denen man derartige und auch kompliziertere Gebärden beibrachte, nur das beibrachte, was sie leicht zu innerem Leben erwecken konnten. Aber die komplizierte Gebärdensprache in «Zeichen, Griff und Wort», wie sie verbreitet ist innerhalb der geheimen Verbrüderungen, die konnte man seit dem vierzehnten, fünfzehnten Jahrhundert nicht mehr den Menschen beibringen, daß sie noch etwas von der Realität spürten. Die Sensitivität des Ätherleibes trat zurück. [6] – Der Mensch nimmt auf mit Zeichen, Griff und Wort dasjenige, was einmal mit Zeichen, Griff und Wort verbunden ist. Man bringt ihrem Unterbewußtsein dadurch etwas bei, was sie nicht im Bewußtsein haben. Das dürfte man selbstverständlich überhaupt nicht machen, man müßte auf dem Wege vorgehen, der durch den Verstand des Menschen geht. In den okkulten Verbrüderungen werden die Leute einfach, ohne vorher irgendwie Geisteswissenschaft oder Okkultismus gelehrt zu haben, aufgenommen in den ersten Grad. Es wird ihnen Zeichen, Griff und Wort und noch manches andere an Symbolen überliefert, und man wirkt, weil sie vorher nicht etwas gelernt haben von der geistigen Welt, auf ihr Unterbewußtes, auf dasjenige, was nicht mit ihrem Bewußtsein zusammenhängt. Die Folge davon ist, daß man, wenn man will, die Leute zu gefügigen Werkzeugen für allerlei Pläne machen kann, ganz selbstverständlich. Denn wenn Sie den Ätherleib bearbeiten, ohne daß der Mensch es weiß, so schalten Sie dieselben Kräfte, die er sonst in seinem Verstand hätte, aus, wenn Sie nicht dann dem Verstande etwas geben, was heute Geisteswissenschaft sein muß. [7] Und gehen Sie heute die – verzeihen Sie den Ausdruck, aber man muß ja manchmal treffende Ausdrücke gebrauchen – borniertesten Freimaurer-onkels durch, dann werden Sie sehen, daß diese in ihrem Ätherleib – nicht in ihrem physischen Leib, in ihrem bewußten Wissen, sondern in ihrem Ätherleib – ein ungeheures Wissen haben, besonders wenn sie es bis zum dritten Grad gebracht haben. Ein ungeheures unterbewußtes Wissen haben sie. Dieses Wissen, das durch Symbolik eben überliefert werden kann, das kann nun verwendet werden in der angedeuteten Weise redlich und unredlich. [8]

Ebenso wie man die Freimaurer zu rechnen hat zu dem weltlich-christlichen Charakter der symbolischen Verbrüderungen, hat man die Jesuiten zu rechnen zu den kirchlich-symbolischen Vereinigungen. Denn der Jesuit wird ebenso durch drei Grade durchgeführt, ebenso mit einer Symbolik versehen, und er lernt gerade durch diese Symbolik jenes ungeheuer Wirksame in seiner Sprache. Daher sind die jesuitischen Kanzelredner so wirksam. 167,102

Aber nun gehen sowohl auf der einen wie auf der anderen Seite über die drei unteren Grade die drei anderen hinaus. Es sind die drei oberen. Diejenigen, die höhere Grade haben, und diejenigen, die die Inhaber der besonders hohen Grade sind bei gewissen Bruderschaften – selbstverständlich nicht bei allen, nur bei gewissen Bruderschaften –, die bilden eine Art Gemeinschaft, so daß es zum Beispiel durchaus möglich ist, daß ein Oberer einer Jesuitengemeinde zu einer solchen Gesellschaft dazugehört. Die Jesuiten bekämpfen selbstverständlich aufs wütendste die feimaurerischen Gemeinden, die freimaurerischen Gemeinden bekämpfen aufs wütendste die Jesuiten-Gemeinden; aber Obere der Freimaurer und Obere der Jesuiten-Gemeinden gehören den höheren Graden einer besonderen Bruderschaft an, bilden einen Staat im Staat, der die anderen umfaßt. [9]

Zitate:

[1]  GA 167, Seite 106f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[2]  GA 167, Seite 140f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[3]  GA 167, Seite 94f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[4]  GA 167, Seite 96f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[5]  GA 167, Seite 101   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[6]  GA 167, Seite 86f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[7]  GA 167, Seite 88f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[8]  GA 167, Seite 101f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)
[9]  GA 167, Seite 103f   (Ausgabe 1962, 312 Seiten)

Quellen:

GA 167:  Gegenwärtiges und Vergangenes im Menschengeiste (1916)