Blutkreislauf

Das Herz ist keine Pumpe, sondern das Herz ist in seiner Tätigkeit überhaupt nur das Ergebnis desjenigen, was an sich selbst regulierenden Strömungen und Wechselwirkungen im menschlichen Organismus zustandekommt. Der Mensch ist ein duales Wesen. Grundverschieden organisiert ist alles dasjenige, was – ich rede schematisch – gewissermaßen unter dem Herzen liegt, und dasjenige, was über dem Herzen liegt. Grundverschieden von einander ist das, was hintreibt zur Entwicklung des Kohlenstoffes (siehe dazu: Stein der Weisen), von dem, was dann geschieht in der Verbindung des Kohlenstoffes mit dem Sauerstoff zu Kohlensäure. Aber das eigentliche Agens, die eigentliche treibende Kraft, sie liegt in den Kräften, die aufeinander hinwirken aus dem unteren Menschen und aus dem oberen Menschen – aus dem Oberen und dem Unteren. Wie bei einer elektrischen Spannung die positive und negative Elektrizität zueinander wollen, und wie ein Apparat, der eingespannt wäre in diese Spannung von positiver und negativer Elektrizität, gewisse Tätigkeiten ausführen würde, so führt das menschliche Herz Tätigkeiten aus infolge der Strömungen, die im menschlichen Organismus sind. Die menschliche Herztätigkeit ist nicht die einer Pumpe des menschlichen Organismus. Alles, was das menschliche Herz ausführt, ist lediglich das Ergebnis des inneren Lebens, einer gewissen Strömung im menschlichen Organismus. Das Umgekehrte der landläufigen Meinung ist der Fall.

Erst dadurch, daß man diesen großen Gegensatz des oberen und des unteren Menschen ins Auge faßt, in den die Herztätigkeit eingespannt ist und gewissermaßen sich ausdrückt als Vermittlung, erst dadurch ist man imstande, den Menschen in den rechten Gegensatz zur ganzen Umwelt zu bringen, zu verstehen, wie der untere Mensch in einer gewissen Beziehung zu der äußeren Welt der festen, flüssigen und luftförmigen Körper, auch noch zu der äußeren Welt der Wärmeerscheinung steht, während man all das, was im oberen Menschen ist und was in einen gewissen Gegensatz tritt mit den Wirkungsweisen des unteren Menschen, parallelisieren muß mit dem Licht und mit anderen Vorgängen im irdischen und außerirdischen Gebiet. Wir haben in der Herzbewegung im Grunde genommen nichts anderes vorliegen als dasjenige, wo sich berührt der obere Mensch und der untere Mensch und wo in gewissen unbewußten Regionen die Tätigkeit des unteren Menschen durch den oberen Menschen wahrgenommen wird. Das Herz ist gewissermaßen ein Sinnesorgan innerhalb der menschlichen Wesenheit. [1]

Man meint, daß das Herz das Blut pumpt. Aber das Blut wird in Wirklichkeit getrieben durch Strömungen im Ätherleib. Das Herz ist nur das Zeichen, daß an der Stelle die Ätherströme zusammenkommen. [2] Das Pulsieren des Blutes, seine ganze innere Beweglichkeit ist Ausdruck und Wirkung der Seelenvorgänge. Und nicht die Ursache, sondern die Folgen der Blutpulsation sind die Bewegungen des Herzens. – In der Zukunft wird das Herz die Wirkung dessen, was in der Menschenseele gewoben wird, durch willkürliche Bewegungen in die äußere Welt tragen. [3] Sehen Sie sich in der Embryologie an, wie das Herz nicht etwa ursprünglich da ist und von ihm aus der Aufbau der Blutkreislauforgane kommt, sondern wie der Blutkreislauf sich nach und nach bildet, und das Herz eigentlich zuletzt als das Resultat in der Embryobildung entsteht. Da können Sie es unmittelbar in der Embryologie ablesen, daß sich die Sache so verhält. [4] Das Blutgefäß-System mit dem Herzen ist ein Ausdruck des Umgewandelten Ätherleibes, wie das Rückenmark und Gehirnsystem ein solcher des umgewandelten Astralleibes. Wie durch das Gehirn die Außenwelt verinnerlicht wird, so wird durch das Blut diese Innenwelt in dem Leib des Menschen zu einem äußeren Ausdruck umgeschaffen.

Ich muß in Gleichnissen sprechen, wenn ich die hier in Betracht kommenden komplizierten Vorgänge darstellen will. Das Blut nimmt die durch das Gehirn verinnerlichten Bilder der Außenwelt auf, gestaltet sie zu lebendigen Bildungskräften um und bildet durch sie den jetzigen Menschenleib aus. Das Blut ist so der Stoff, der den menschlichen Leib auferbaut. [5] Im Blute liegt das Prinzip für die Ich-Werdung. Ein Ich kann nur da zum Ausdrucke kommen, wo ein Wesen die Bilder, die es von der Außenwelt erzeugt, in sich selbst zu gestalten vermag. Ein Ich-Wesen muß fähig sein, die Außenwelt in sich aufzunehmen und innerhalb seiner selbst wieder zu erzeugen.

Ein Wesen mit bloßem sympathischen Nervensystem spiegelt die Außenwelt, es empfindet also diese Außenwelt noch nicht als sich, noch nicht als Innenleben. Ein Wesen mit Rückenmark und Gehirn empfindet die Spiegelung als Innenleben. Ein Wesen aber mit Blut erlebt als seine eigene Gestalt sein Innenleben. Durch das Blut wird mit Hilfe des Sauerstoffes der Außenwelt nach den Bildern des Innenlebens der eigene Leib gestaltet. Diese Gestaltung kommt als Ich-Wahrnehmung zum Ausdruck. [6]

Heute glaubt man, daß die Lehre von der Blutzirkulation etwas einigermaßen Abgeschlossenes ist. Das ist es gar nicht. Wir sind erst im Beginn, etwas von den Geheimnissen der Blutzirkulation kennen zu lernen. Der Kriminalanthropologe Moritz Benedikt hat erst auf die sehr erhebliche Tatsache aufmerksam gemacht, daß die gleichartigen Schläge in der Pulsader rechts und links verschieden sind. [7] An der ganzen Struktur des Blutsystemes, bis in den Bau des Herzens hinein, hat das Ich seinen wesentlichen Anteil. [8]

Wenn im Innern die Organe sich bewegen – und sie bewegen sich ja fortwährend; die Gedärme bewegen sich in Wellenbewegungen, sonst könnte der Speisebrei nicht verdaut werden, fortwährend geschehen Bewegungen im Innern –, so werden diese Bewegungen nicht hervorgerufen durch dasjenige, was Materielles in uns ist, sondern sie werden hervorgerufen durch dasjenige, was unsichtbar in uns ist. So daß wir sagen müssen: Das Herz ist nicht eine Pumpe, sondern das Herz wird bewegt durch unseren astralischen Leib, und weil im astralischen Leib auch unser eigentliches Ich drinnen ist, bewegen wir auch mit unserem Ich unser Herz. Dadurch, daß mein ganzer Leib den Sauerstoffhunger bekommt, kommt er in jenen Trieb hinein, all sein Blut zu bewegen, denn das Blut muß Sauerstoff haben. Der Körper schickt durch seinen astralischen Leib das Blut dahin, wo es den Sauerstoff bekommen kann. Wenn man arbeitet, wird immer das Blut arm an Nahrung. Das Blut will wieder Nahrung bekommen. Das Blut reißt gewissermaßen die Nahrung, die die Gedärme aufgenommen haben, an sich. Das alles, dieser Lufthunger, Nahrungs-hunger, das bringt das Blut in Bewegung. Das Blut ist es, das zunächst sich bewegt, und das Blut reißt das Herz mit. [9]

Die innerlichen Säfte des Menschen haben innerliches Leben, sie bewegen sich also selbst; das Herz ist nur ein Sinnesorgan, um diese Säftebewegung in seiner Art wahrzunehmen. [10] Die Blutzirkulation leidet unter einem nicht genügend ausgreifenden Schritt. Es hat das immer zur Folge, daß die Blutzirkulation in irgendeiner Weise langsamer wird, als sie für die betreffende Individualität werden soll. [11]

Wie die Blutbahn entsteht, das hängt zusammen mit den Sternenbewegungen und so weiter. Die Form hängt zusammen mit der Sternenkonstellation, die Bewegung mit planetarischen Bewegungen. [12] Unser Blutkreislauf ist im Grunde genommen nichts als eine Abbildung des planetarischen Lebens. [13] Es ist im wesentlichen der rhythmische Mensch, der fortwährend das Kosmische nach dem Irdischen hinunterpendeln läßt und das Irdische nach dem Kosmischen heraufpendeln läßt. Der Blutkreislauf ist etwas, was eingespannt ist, zwischen dem Geradlinigen und dem Kreis, konfiguriert durch Tierkreis (siehe: Astronomie), durch Planeten. [14] Wenn wir nämlich den physischen und den ätherischen Organismus in dem Atmungssystem, in dem Blutzirkulationssystem, in dem ganzen rhythmischen System durchschauen, so leben darin, begleitend die Atmungsströmungen, begleitend die Blutzirkulation, Reize, Impulse, welche in das wache Leben hereinwirken aus demjenigen, was als planetarisches inneres Erleben zwischen Einschlafen und Aufwachen von der Seele erlebt wird, so daß in der Tat während des Wachens in unserem Atmen, in unserer Blutzirkulation als nachwirkender Reiz die Planetenbewegungen unseres Sonnensystems pulsieren. Und während des Schlafzustandes – wo der astralische und der Ich-Organismus außerhalb des physischen und des ätherischen Organismus sind, das erweist sich ja durch eine solche Beobachtung – da wirken die Planetenbewegungen nicht unmittelbar, da werden sie von der Seele außerhalb des physischen und des ätherischen Organismus erlebt. Aber im Innern des schlafenden physischen Organismus zittern nach, vibrieren nach diese Reize, die von der vorhergehenden Nacht kommen, die während des Tages Atmungsprozesse und Blutzirkulation durchpulsiert haben. Während der folgenden Nacht ist dann eine Nachwirkung von ihnen da, und am nächsten Morgen erneuern sich diese Reize wiederum als die Folge dessen, was die Seele in der Nacht als innere Nachbildung des planetarischen Kosmos erlebt hat. [15]

Mit Bezug auf die Menschengestalt, wie sie anatomisch-physiologisch sich uns (nach dem Überschreiten der Schwelle) vor Augen stellt, merkt man: sie ist aufgebaut aus der geistigen Welt heraus aus zwei Elementen, die da sind moralische Kälte und Haß. Wir tragen wirklich in der Seele die Anlage zur Menschenliebe und zu jener moralischen Wärme, die den anderen Menschen versteht. Wir tragen aber in unseren festen Bestandteilen des Organismus die moralische Kälte. Das ist jene Kraft, die gewissermaßen aus der geistigen Welt heraus unsere physische Organisation zusammenbackt. Und wir tragen in uns den Impuls des Hasses. Der ist dasjenige, was aus der geistigen Welt heraus die Zirkulation des Blutes bewirkt. [16]

Es sind einige wenige nur, die eigentlich aufmerksam darauf geworden sind, daß die Herzbewegungen eine Folge der Blutbewegungen sind. Das Herz ist nichts weiter als dasjenige Organ, welches gewissermaßen die beiden Blutzirkulationen ausgleicht, nämlich die des oberen Menschen, des Kopfmenschen, und diejenige des Gliedmaßenmenschen. Da stauen sich diese beiden Blutbewegungen im Herzen. Aber das Blut ist nichts Totes, das bloß wie ein Wasserstrom gepumpt wird, sondern das Blut ist selbst innerlich lebendig und gibt sich selbst seine Bewegungen und überträgt diese Bewegungen auf das Herzorgan, das in seinen Bewegungen bloß widerspiegelt die Bewegungen des Blutes. [17]

Denken Sie sich ein eben geborenes Kind, bei dem oben auf dem Kopfe noch eine ganz weiche Stelle ist. Diese Stelle denken Sie sich ganz offen, und denken Sie sich von außen in diese Öffnung einen Wärmestrom hineingehend. Denken Sie sich diesen Wärmestrom nicht dicht materiell in Blutströmen, sondern in Kraftströmen, und hinuntergehend und eine Art Zentrum bildend da, wo jetzt Ihr eigenes Herz ist, und in einzelnen Adern sich verlaufend, aber Kraftadern, nicht Blutadern. Da haben Sie die erste Wärme-Menschenanlage. Daraus ist später in weitergehender Entwickelung das menschliche Herz mit seinen Blutgefäßen, es ist die Blutzirkulation daraus geworden. [18]

Die Blutbahnen, die heute im Menschen sind, sind nichts anderes als die Fortsetzungen von Strömungen, die in dem alten Erdenzustand die ganze Erde durchdrangen. Ebenso die Nervenbahnen. Bevor der Mensch ein (organisierter) Mensch wurde, war die Erde die Trägerin aller menschlichen Kräfte. [19] (In der hyperboräischen Rasse) aber war die äußere Wärme auf einem Punkte angelangt, bei dem ein weiteres Fortschreiten des Menschengebildes nicht mehr möglich gewesen wäre. Es tritt nunmehr eine Gegenwirkung gegen die weitere Abkühlung der Erde ein. Der Mensch wird zum Erzeuger einer eigenen Wärmequelle. Bisher war sein Inneres von zirkulierenden Stoffen durchzogen, die in dieser Richtung von der Umgebung abhängig waren. Jetzt konnte er für diese Stoffe Eigenwärme entwickeln. Die Leibessäfte wurden zum warmen Blute. Durch diesen Vorgang ist das Seelenleben in den Bereich des Irdisch-Stofflichen hineingezogen worden. [20]

Zitate:

[1]  GA 73a, Seite 36ff   (Ausgabe 2005, 583 Seiten)
[2]  GA 265, Seite 287   (Ausgabe 1987, 521 Seiten)
[3]  GA 11, Seite 229   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)
[4]  GA 301, Seite 55   (Ausgabe 1977, 268 Seiten)
[5]  GA 55, Seite 56   (Ausgabe 1959, 278 Seiten)
[6]  GA 55, Seite 57f   (Ausgabe 1959, 278 Seiten)
[7]  GA 60, Seite 120   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[8]  GA 136, Seite 124   (Ausgabe 1984, 246 Seiten)
[9]  GA 350, Seite 52f   (Ausgabe 1962, 314 Seiten)
[10]  GA 326, Seite 129   (Ausgabe 1977, 196 Seiten)
[11]  GA 315, Seite 23   (Ausgabe 1966, 140 Seiten)
[12]  GA 202, Seite 26   (Ausgabe 1980, 296 Seiten)
[13]  GA 208, Seite 99   (Ausgabe 1981, 220 Seiten)
[14]  GA 202, Seite 22   (Ausgabe 1980, 296 Seiten)
[15]  GA 215, Seite 85   (Ausgabe 1980, 188 Seiten)
[16]  GA 230, Seite 199   (Ausgabe 1985, 218 Seiten)
[17]  GA 301, Seite 52f   (Ausgabe 1977, 268 Seiten)
[18]  GA 102, Seite 85   (Ausgabe 1974, 238 Seiten)
[19]  GA 104, Seite 182   (Ausgabe 1979, 284 Seiten)
[20]  GA 11, Seite 106   (Ausgabe 1955, 252 Seiten)

Quellen:

GA 11:  Aus der Akasha-Chronik (1904/1908)
GA 55:  Die Erkenntnis des Übersinnlichen in unserer Zeit und deren Bedeutung für das heutige Leben (1906/1907)
GA 60:  Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins (1910/1911)
GA 73a:  Fachwissenschaften und Anthroposophie (1920/1921)
GA 102:  Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen (1908)
GA 104:  Die Apokalypse des Johannes (1908)
GA 136:  Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen (1912)
GA 202:  Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen. Die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia (1920)
GA 208:  Anthroposophie als Kosmosophie – Zweiter Teil:. Die Gestaltung des Menschen als Ergebnis kosmischer Wirkungen (1921)
GA 215:  Die Philosophie, Kosmologie und Religion in der Anthroposophie (1922)
GA 230:  Der Mensch als Zusammenklang des schaffenden, bildenden und gestaltenden Weltenwortes (1923)
GA 265:  Zur Geschichte und aus den Inhalten der erkenntniskultischen Abteilung der Esoterischen Schule von 1904 bis 1914 (1906-1924)
GA 301:  Die Erneuerung der pädagogisch-didaktischen Kunst durch Geisteswissenschaft (1920)
GA 315:  Heileurythmie (1921/1922)
GA 326:  Der Entstehungsmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung (1922/1923)
GA 350:  Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt? (1923)