Embryologie

Die Embryologie arbeitet heute so einseitig, weil sie gewissermaßen nur einen aufsteigenden Prozeß verfolgt und nicht einen damit parallel gehenden absteigenden. In der richtigen Weise geht man erst vor, wenn man in jedem Stadium der embryonalen Entwickelung etwas herausbringt, worin wie in einer mathematischen Funktion enthalten ist ein Faktor der Dekadenz und ein anderer Faktor der Produktivität. Und wenn man in die Lage kommt, das, was man so an Feststellungen der Wertigkeit gewonnen hat, anwenden zu können auf das Organ in seiner Vollgestaltigkeit im Organismus, wenn man nicht einfach nebeneinander-stellt Herz und Leber als gleichwertige Organe – sie sind von einer verschiedenen qualitativen Wertigkeit –, dann wird man vor dem Augenblick stehen, wo gerade die großartigen Ergebnisse unserer physiologischen Tatsachenwelt (bewahrt in der wissenschaftlichen Embryologie) das größte Licht empfangen werden. [1]

Der Menschenkeim ist ein Abbild des großen Kosmos. Er trägt den ganzen Kosmos in sich; was zwischen Empfängnis und Geburt materiell geschieht und als Mensch sich bildet, aber auch was der Mensch im Weltenschlafe durchgemacht hat, trägt er als Kraft im Keimzustande in sich. [2] Mit diesem Menschenkeim verbindet sich etwas ungeheuer Großes und Bedeutsames, etwas, was sich zuerst verbreitet hat in geheimnisvoller Weise in unendlichen Weltenweiten und was sich dann wieder zusammenzog. Nachdem (nun) der Mensch (im Leben nach dem Tode) sich verbreitet hat bis zur Sternensphäre hin, beginnt er sich wieder zusammenzuziehen. Er geht (wieder) durch die Saturn-, Jupiter-, Mars-, Sonnen-, Venus-, Merkur-, Mondensphäre durch, wird immer kleiner und kleiner. Und indem er kleiner wird, hat er in sich hereingenommen die geistigen Kräfte des Kosmos. Und das, was da zuletzt komprimiert wird, zusammengedrückt wird als die kleine geistige Kugel, das ist eben aus einer ungeheuren Verdünnung (und kosmischen Größe) zusammengedrückt. Und dieses verbindet sich jetzt mit der physischen Kugel, die die Keimzelle ist, und befruchtet sie von den geistigen Reichen herein. Aus dieser menschlichen Keimzelle, auch wenn sie befruchtet ist, könnte, was okkult untersucht werden kann, nichts entstehen, das lebensfähig ist auf Erden, wenn sich nicht mit ihr diese zusammengepreßte Geist-Kugel verbinden könnte. Aus dieser Menschenkeimzelle könnte nur die Anlage für die Sinne und das Nervensystem entstehen, aber nichts, was lebensfähig ist. Die Sinne, das Nervensystem, zu ihnen kann die Erde die Kräfte hergeben. Dasjenige, was um sie herum gegliedert wird, das muß hereingeholt werden aus dem Kosmos. [3]

Ebenso wichtig, wie die Betrachtung der Entfaltung des menschlichen Keimes von der Befruchtung bis zur Geburt, ebenso wichtig ist für jedes Studium des Embryonallebens die Betrachtung der um den Keim herum gelagerten Organe, die später (als Nachgeburt und abgehendes Fruchtwasser) herausgeworfen werden. Und erst dann hat man ein vollständiges Bild, wenn man die Teilung der Zelle betrachtet, wenn man neben diesem aufsteigenden Prozeß auch den absteigenden Prozeß verfolgt. [4]

Sämtliche Organe, die (vom) Embryo abgehen, sind beim geborenen Menschen vorhanden als die höheren (Wesens-)Glieder. Amnion (die innerste Eihaut, die das Fruchtwasser umfaßt) ist das physische Korrelat des Ätherleibes. Allantois (eine Ausstülpung des embryonalen Enddarmes das sich zur Nabelschnur entwickelt) ist das physische Korrelat des Astralleibes. Chorion (die mittlere Eihaut) ist das physische Korrelat der Ich-Organisation des erwachsenen Menschen. [5]

Wenn das Kind (als Fötus) in den ersten Monaten ist, da ist eigentlich vom Kind nur der Kopf ausgebildet, und der übrige Körper ist eigentlich nur ein Anhängsel; da sind dann kleine Stummel, die Hände, und andere kleine Stummel die Beine. Und immer mehr und mehr wird dieses kleine Wesen eben so, daß es seine Hände und Arme umbildet, und diese Stummel da zu Füßen umbildet und so weiter. Das kommt davon her, daß der Mensch, je früher er im Keimzustand ist, desto mehr noch der Sternenwelt ausgesetzt ist, und je mehr er sich entwickelt, je längere Monate er im Mutterleibe ist, desto mehr der Schwerkraft der Erde ausgesetzt wird. Solange der Sternenhimmel auf den Menschen wirkt, ordnet er alles so an, daß die Hauptsache der Kopf ist. Erst die Schwerkraft treibt das andere heraus. Und es ist so, daß eigentlich, je weiter wir zurückgehen in den ersten und zweiten Monat der Schwangerschaft, wir dann um so mehr finden, daß alle diese Zellen, die da entstehen – Millionen von solchen Zellen bilden sich nach und nach–, dem Sterneneinfluß ausgesetzt sind und dann immer mehr und mehr von der Erde abhängig werden. [6]

Zitate:

[1]  GA 125, Seite 89f   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[2]  GA 140, Seite 77   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[3]  GA 140, Seite 204   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[4]  GA 314, Seite 97   (Ausgabe 1975, 328 Seiten)
[5]  GA 314, Seite 308   (Ausgabe 1975, 328 Seiten)
[6]  GA 348, Seite 59f   (Ausgabe 1983, 348 Seiten)

Quellen:

GA 125:  Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1910)
GA 140:  Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Die lebendige Wechselwirkung zwischen Lebenden und Toten (1912/1913)
GA 314:  Physiologisch-Therapeutisches auf Grundlage der Geisteswissenschaft. Zur Therapie und Hygiene (1920/1924)
GA 348:  Über Gesundheit und Krankheit. Grundlagen einer geisteswissenschaftlichen Sinneslehre (1922/1923)