Astronomie

Es wurde astronomische Erkenntnis im Laufe des 19. Jahrhunderts ein Ideal, durchdringend alle Naturerkenntnis mit denselben klaren Begriffen, die für die Astronomie gelten. [1] Die Menschheit braucht für sich das Hervorholen der mathematisch-mechanischen Fähigkeiten, und daher sieht die Menschheit heute die Himmelserscheinungen in dem Bilde der mathematisch-mechanischen Fähigkeiten an. Und sie wird sie einmal wieder anders anschauen, wenn sie zu ihrer eigenen Entwickelung, zu ihrem eigenen Heil und Besten andere Kräfte aus den Tiefen der Seele hervorgeholt haben wird. Es hängt also von der Menschheit ab, welche Gestalt die Weltanschauung annimmt, und es kommt nicht darauf an, daß man mit Hochmut zurückschauen kann auf frühere Zeiten, wo die Menschen kindlich waren, um auf die jetzige Zeit zu schauen, wo man sich endlich zur Objektivität, die nun für alle Zukunft bleiben könne, durchgerungen hat. [2] Die ältere Astronomie, die hat in den komplizierten Linien, durch welche sie das Sonnensystem zum Beispiel hat begreifen wollen, nicht nur die aufeinanderfolgenden, sagen wir, optischen Orte der Planeten zusammengefaßt, sondern diese ältere Astronomie, die hat auch eine Empfindung gehabt von dem, was erlebt werden würde, wenn der Mensch drinnen stecken würde in diesen Bewegungen des Planetensystems. Man möchte sagen: In älteren Zeiten hatten die Leute eine sehr deutliche Vorstellung von den Epizyklen (Kreisbahn um einen sich bewegenden Punkt eines anderen Kreises) und so weiter, von denen man sich dachte, daß gewisse Sterne sie beschreiben. Da war überall noch wenigstens ein Schatten von menschlichem Empfinden darinnen. Ja selbst bei Kepler ist noch etwas durchaus Menschliches in den Berechnungen der Planetenbahnen. [3]

Während das innerliche Schauen sich an die Oberfläche geschlagen hat und Sinnesanschauung geworden ist, hat das äußerliche Anschauen, das sich ausdrückte in dem instinktiv-imaginativen Wissen von der Sternenwelt und ihren Geheimnissen – was ausgedrückt wurde in der alten Art der Astronomie, die allerdings auch mit Zahlen rechnete, die mit Figuren geometrisierte, um diesen platonischen Ausdruck zu gebrauchen –, hat diese Anschauung, die gewissermaßen eine lebendige Mathematik im Weltenall verwirklicht sah, in dem jeder Stern zu gleicher Zeit Geistig-Wesenhaftes war, den entgegengesetzten Weg genommen. Dasjenige, was äußere Anschauung war, ging in das Innere der Menschen und wurde die abstrakte Mathematik, die abstrakte Mechanik oder Phoronomie, alles das, was als mathematisch-mechanisches Wissen aus unserem Inneren aufsteigt. [4]

Der Newtonismus ist gerade dasjenige, was uns in so furchtbarer Weise in den Materialismus hineingeschmettert hat, denn er hat zur äußersten Abstraktion gegriffen. Er redet von einer Gravitationskraft. Aber bestände bloß diese Anziehungskraft, so wäre ja kein Grund vorhanden, daß sich etwa der Mond um die Erde, oder die Erde um die Sonne dreht, sondern es wäre nur ein Grund vorhanden, daß der Mond auf die Erde herunterfiele. Der Newtonismus hat nötig, daß jeder bewegte Himmelskörper, einen Urstoß erhalten hat. Da muß also immer ein extramundaner Gott da sein, der da stößt, der da die Tangentialkraft gibt (– oder nach heute gängiger Formulierung: den Urknall gezündet hat). Der Materialismus kann nicht die Bewegungen des Materiellen verstehen, sondern er muß sie ganz anthropomorphistisch erklären. Aber zum Begreifen desjenigen, was ist, ist mehr notwendig; dazu ist notwendig, daß man überall die Verbindungen verstehen lernt zwischen dem, was im Menschen lebt und dem, was draußen im Makrokosmos lebt, denn der Mensch ist ein wirklicher Mikrokosmos im Makrokosmos. [5]

Die astronomische Wissenschaft ist ja diejenige, welche am ehesten Gelegenheit hat, wieder zurückgeführt zu werden in die Spiritualität. Aber die Gesinnung der Menschen ist sehr weit entfernt, wieder zum Spirituellen zurückzukehren. Es gäbe leicht natürlich eine Methode, um aus dem, was die Astronomie heute bietet, wieder zurückzukehren zu dem, was die Grundwahrheiten der heute so mißachteten Astrologie sind. Es wird aber noch eine Weile dauern, bis eine Brücke dazwischen geschlagen werden wird. [6]

Man wird (künftig) den Himmel beobachten, immer eingehender und eingehender beobachten und sich von ihm sagen lassen seine Geheimnisse, die enthüllen werden was hier auf der Erde vorgeht, wie die Pflanzen auf der Erde wachsen, wie die Tiere auf der Erde entstehen. Man wird den Himmel fragen, um über die Erde Aufklärung zu gewinnen. Die alte Astrologie wird in einer ganz neuen Form wieder aufleben. Allerdings, dasjenige, was man über den Himmel wissen wird, wird eine etwas andere Gestalt annehmen als das, was man heute zu wissen vorgibt. Man wird erforschen die Gesetze der Stellungen und Bewegungen der Himmelskörper. Aber man wird sich anregen lassen meditativ durch das, was man da erforscht, um gewissermaßen mit den Wesen, die in den Sternen leben, in eine Beziehung zu treten. [7]

Nur derjenige studiert die Wirklichkeit, der auf der einen Seite den Sternenhimmel studiert und auf der anderen Seite die Entwickelung namentlich des menschlichen Embryos studiert. [8] Astronomie, wenn wir sie betreiben wie bisher, führt uns durchaus niemals zu einem Ergreifen der Realität, sondern lediglich zu einem Ergreifen von Bildern; Embryologie führt uns zwar zum Ergreifen der Realität, aber niemals zur Möglichkeit, diese Realität mit irgendwelchen bildhaften Vorstellungen zu durchdringen. Astronomische Weltbilder sind realitätsarm; embryologische Bilder sind vorstellungsarm. [9]

Wenn man nämlich nicht versucht, sein Begriffsfeld zuerst zu bearbeiten und zu erweitern, wie wir es (beispielsweise) getan haben, indem wir uns Kurven vorgestellt haben, die aus dem Raum herausgehen; wenn man nicht zu seiner Selbsterziehung so etwas macht, möchte ich sagen, dann gibt es ja auch keine andere Möglichkeit, als dasjenige, was vorliegt an Beobachtungsergebnissen von einem außerhalb der irdischen Welt befindlichen Körper, so zu erklären, wie es die irdischen Verhältnisse darstellen. Nun handelt es sich darum, daß man, wenn man so vorgeht, immer von Voraussetzungen ausgeht, die man im irdischen Feld gewonnen hat. [10]

Zitate:

[1]  GA 60, Seite 448   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[2]  GA 323, Seite 20   (Ausgabe 1983, 376 Seiten)
[3]  GA 326, Seite 106f   (Ausgabe 1977, 196 Seiten)
[4]  GA 202, Seite 263f   (Ausgabe 1980, 296 Seiten)
[5]  GA 201, Seite 67f   (Ausgabe 1987, 286 Seiten)
[6]  GA 124, Seite 64   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[7]  GA 272, Seite 221f   (Ausgabe 1981, 336 Seiten)
[8]  GA 323, Seite 29   (Ausgabe 1983, 376 Seiten)
[9]  GA 323, Seite 112   (Ausgabe 1983, 376 Seiten)
[10]  GA 323, Seite 298   (Ausgabe 1983, 376 Seiten)

Quellen:

GA 60:  Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins (1910/1911)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 201:  Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch – eine Hieroglyphe des Weltenalls (1920)
GA 202:  Die Brücke zwischen der Weltgeistigkeit und dem Physischen des Menschen. Die Suche nach der neuen Isis, der göttlichen Sophia (1920)
GA 272:  Geisteswissenschaftliche Erläuterungen zu Goethes «Faust» Band I: Faust, der strebende Mensch (1910-1915)
GA 323:  Das Verhältnis der verschiedenen naturwissenschaftlichen Gebiete zur Astronomie. Dritter naturwissenschaftlicher Kurs: Himmelskunde in Beziehung zum Menschen und zur Menschenkunde (1921)
GA 326:  Der Entstehungsmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung (1922/1923)