Ahriman
► Versuchung durch Ahriman

Der Okkultist weiß, daß es nicht nur eine Versuchung des Luzifer durch Begierden, sondern auch eine durch Ahriman gibt – wenn man nämlich seine eigenen Leidenschaften in den Makrokosmos hinausträgt, indem man allerlei Gestalten sieht. [1] In dem Augenblick, wo Ahriman mit dem zusammentrifft, was wir uns im Erdendasein als gesunde Urteilskraft errungen haben, bekommt er einen furchtbaren Schreck, denn das ist etwas ganz Unbekanntes für ihn, davor hat er eine große Furcht. Je mehr wir uns daher bemühen, das auszubilden, was im Leben zwischen Geburt und Tod an gesunder Urteilskraft gegeben werden kann, desto mehr arbeiten wir Ahriman entgegen. Das zeigt sich besonders bei allerlei Persönlichkeiten, welche einem gebracht werden und die dann «das Blaue vom Himmel herunter» von all den geistigen Welten erzählen, die sie da gesehen haben. Und wenn man da den allergeringsten Versuch macht, diesen Persönlichkeiten etwas klarzumachen, ihnen Verständnis und Unterscheidungsvermögen beizubringen, dann hat sie Ahriman gewöhnlich so sehr in der Gewalt, daß sie kaum darauf eingehen können; und das wird um so stärker, je mehr sich die Verlockung Ahrimans nach der akustischen Seite hin ausdrücken. Gegen das, was sich in visionären Bildern zeigt, gibt es noch mehr Mittel als gegen das, was sich akustisch zeigt, wie gehörte Stimmen und so weiter. Solche Leute haben eine große Abneigung, etwas zu lernen, was für das Ich-Bewußtsein zwischen Geburt und Tod errungen werden muß. Sie mögen es nicht. Wenn man einen solchen Menschen dann aber so weit bringt, gesunde Urteilskraft zu entwickeln, und er darauf eingeht, Belehrungen anzunehmen, dann hören die Stimmen und die Halluzinationen bald auf, weil sie vorher nur ahrimanische Nebelbilder waren und weil Ahriman eine furchtbare Angst bekommt, sobald er verspürt: Da, vom Menschen her, kommt eine gesunde Urteilskraft. [2] Bei Hellsehern, die – und das meistens mit Unfug – viel reden über frühere Inkarnationen von Menschen, was sehr häufig vorkommt, denn manche Leute haben die Aussagen über frühere Inkarnationen nur so auf dem Präsentierteller, bei denen muß man aus dem Grunde mißtrauisch sein, weil allzuleicht auf diesem Gebiete die Kräfte herangezogen werden können, die am allermeisten der Versuchung unterliegen können. Warum sind denn die Angaben solcher Hellseher, die Versuchungen ausgesetzt sind, so häufig falsch? Weil unter den auf diese Weise ersparten Kräften (als Grundlage des Hellsehens) aus diesem Lebensalter mit der Anwendung dieser Kräfte zugleich aus dem Menschen wie ein Nebel aufsteigen die niederen Instinkte und Triebe. Dann kommt Ahriman und die ahrimanischen Geister und formen aus dem, was da aufsteigt, Gespenster, so daß man diese Gespenster sehen kann und sie für frühere Inkarnationen hält. Das Hineinschauen in die früheren Erdenleben wird durch Ausbildung derjenigen Kräfte erreicht, welche namentlich erspart werden im Jugendalter, wenn die sprachbildenden Kräfte nicht mehr zur Sprachbildung verwendet werden und im Reiche der sinnlichen Triebe und ihrer Organe walten. [3] Ahriman ist diejenige Geistgestalt, die ihre Freude daran hat und ihren Nutzen davon hat, wenn Seelen innerlich zwar scheinbar recht tief, recht mystisch, recht okkult sind, aber doch eigentlich nicht wahrhaftig sind. [4] Es gibt Menschen, die glauben, durch gewisse Diät und durch sonstige materielle Vorgänge in die geistige Welt kommen zu können. Doch alles, was sie dann sehen, gerade wenn es die erhabensten Lichtgestalten sind, und wenn es noch so grandios erscheinen mag, ist doch nur Spiegelung des eigenen Selbst, ahrimanische Täuschung. [5]

Die Versuchungsgeschichte (der Evangelien) weisen auf tiefe Mysterien hin. So wie diese (Verführer-)Mächte kommen mußten, um den Menschen selbständig zu machen, so muß er sich wieder losreißen durch den Christus in seiner Seele. Nach und nach werden sich Luzifer und Ahriman in ihr Gegenteil verwandeln. Den Christus-Impuls wird der Mensch in sich aufnehmen, und den Ahriman (und Luzifer) draußen haben; früher und jetzt ist es umgekehrt. [6] Die Tore, die Fenster, wo die ahrimanischen und luziferischen Wesenheiten in die Welt hereinkommen und ihre Pläne ausführen, sind, daß sie die Menschen im Zustande des herabgedämmerten Bewußtseins überfallen und von sich besessen machen. Denn nicht auf eine unerklärliche, schauderhafte Weise wirken Ahriman und Luzifer, sondern dadurch, daß die Menschen mit ihrem Bewußtseinszustande ihnen entgegenkommen. [7] Auf Menschen, die nach der Phantasiesphäre hin veranlagt sind, so daß sich ihnen wie von selbst die Anschauung der sinnlichen Wirklichkeit in Phantasiebilder wandelt, zählt bei ihren Weltenabsichten die ahrimanische Macht. Sie meint mit Hilfe solcher Menschen die Entwickelung der Menschheit von der Vergangenheit ganz abschneiden zu können, um sie in eine Richtung zu bringen, die sie will. [8] (Siehe auch: Achte Sphäre)

Zitate:

[1]  GA 124, Seite 243   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[2]  GA 120, Seite 140   (Ausgabe 1975, 230 Seiten)
[3]  GA 140, Seite 359f   (Ausgabe 1980, 374 Seiten)
[4]  GA 277, Seite 277   (Ausgabe 1980, 620 Seiten)
[5]  GA 124, Seite 242   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[6]  GA 124, Seite 243f   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[7]  GA 176, Seite 307   (Ausgabe 1982, 392 Seiten)
[8]  GA 26, Seite 240f   (Ausgabe 1976, 270 Seiten)

Quellen:

GA 26:  Anthroposophische Leitsätze. Der Erkenntnisweg der Anthroposophie – Das Michael-Mysterium (1924/1925)
GA 120:  Die Offenbarungen des Karma (1910)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 140:  Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Die lebendige Wechselwirkung zwischen Lebenden und Toten (1912/1913)
GA 176:  Menschliche und menschheitliche Entwicklungswahrheiten. Das Karma des Materialismus (1917)
GA 277:  Eurythmie – Die Offenbarung der sprechenden Seele. Eine Fortbildung der Goetheschen Metamorphosenanschauung im Bereich der menschlichen Bewegung (1918-1924)