Halluzinationen

Im Inneren der Leber wird konzentriert an Kräften alles dasjenige, was in der nächsten Inkarnation sich hinüberleitet in die inneren Dispositionen des Gehirnes. Also wiederum auf dem Umwege des Stoffwechselorganismus des jetzigen Lebens gehen die inneren Kräfte der Leber hinüber, aber jetzt nicht in die Form des Kopfes wie die Lunge, sondern in die innere Disposition des Gehirnes. Ob jemand ein scharfer Denker ist in der nächsten Inkarnation, hängt davon ab, wie er sich in der gegenwärtigen Inkarnation benimmt. So daß also auf dem Umweg durch den Stoffwechsel in der Leber bestimmte Kräfte auftreten; wenn diese Kräfte aber ausgepreßt werden in der gegenwärtigen Inkarnation, dann führen sie zu Halluzinationen oder starken Visionen. [1]

Notwendig ist aber, damit der Mensch sozusagen in gesundem seelischen und leiblichen Leben ist, daß der Mensch gewahr werde, wo die Grenze ist, in der sich berührt der innere und der äußere Äther. Das geschieht zumeist ja unbewußt. Es wird bewußt, wenn der Mensch zur imaginativen Erkenntnis aufsteigt, wenn er innerlich erlebt das Regen und Bewegen des Äthers, und sein Zusammenkommen mit dem äußeren Äther, der im Sinnesorgan erstirbt. Denn das, was in unserem Ätherleibe ist, wirkt auf den Organismus zum Beispiel vornehmlich im Wachstum. Aber dieses innerlich bildende Ergreifen des physischen Leibes durch den Äther muß an einer gewissen Grenze anlangen. Wenn es über diese Grenze hinausgeht durch irgendwelche krankhaften Prozesse, dann tritt das ein, daß das im Äther Lebende und Webende, das aber im Ätherischen sich erhalten soll, übergreift auf den physischen Organismus, so daß dieser gewissermaßen in sich verwoben erhält dasjenige, was als Ätherbewegung bleiben soll. Was tritt dann ein? Das, was eigentlich nur innerlich erlebt werden soll als Vorstellung, das tritt auf als ein Vorgang im physischen Leibe. Dann ist es das, was man eine Halluzination nennt. Wenn der Äthervorgang seine Grenze überschreitet nach dem Leiblichen hin, dadurch daß der Leib ihm durch seine Krankhaftigkeit nicht den richtigen Widerstand entgegensetzt, dann entsteht das, was man eine Halluzination nennt. Nun wünschen sich sehr viele Menschen, die in die geistige Welt eindringen wollen, vor allen Dingen Halluzinationen. (Gleiches gilt auch für die Drogenkonsumenten). Das kann ihnen der Geistesforscher selbstverständlich nicht bieten; denn die Halluzination ist nichts anderes als die Wiedergabe eines rein materiellen Vorganges, eines Vorganges, der sich gegenüber der Seele jenseits der Grenzen des Leibes abspielt. Dagegen besteht das, was in die geistige Welt führt, darin, daß man von dieser Grenze zurück ins Seelische geht und statt zu Halluzinationen, zur Imagination kommt. Und indem die Imagination ein rein seelisches Erlebnis ist, lebt die Seele in der Imagination in der geistigen Welt. Dadurch aber auch lebt die Seele in vollbewußtem Durchdringen der Imagination. Und ein Wichtiges ist, daß man einsieht, daß Imagination, das heißt berechtigter Weg, um geistige Erkenntnis zu erlangen, und Halluzination, das Entgegengesetzte sind und sich auch gegenseitig vernichten. Wer durch einen krankhaften Organismus zur Halluzination kommt, verlegt sich den Weg zur eigentlichen Imagination; und wer zur wirklichen Imagination kommt, bewahrt sich am sichersten von allem Halluzinieren. [2] Wir machen die Entdeckung, daß uns eine übersinnliche Welt umgibt, die nun in das leere, aber wache Bewußtsein hereindringt, als die geistige Welt, wie wir vorher die sinnliche Welt um uns hatten. Dabei bleibt immer, weil wir alles das vollziehen mit absolutem Willkür-Bewußtsein, neben diesem erhöhten Bewußtsein das ursprüngliche Bewußtsein des alltäglichen Lebens, das heißt der gesunde Menschenverstand vorhanden; im Gegensatz zu dem Zustand, der eintritt, wenn jemand halluziniert und Visionen hat, denn es geht das ganze Bewußtsein in einzelne Visionen über. [3] Genau dieselbe Substanz, aus welcher uns der Traum oder die Halluzination erscheinen, umgibt uns allüberall in der Welt. Es ist die Äthersubstanz. Und aus dieser ist gleichsam unser eigener Ätherleib wie ein Stück herausgeschnitten. [4] Halluzinationen sind in der Regel dadurch hervorgerufen, daß der Mensch mit seinem Ich und seinem astralischen Leibe, die dann im physischen Leibe drinnenstecken, dennoch gewissermaßen ein herausgeschnittenes Stück seines Ätherleibes sehen kann. Das kommt auf folgende Weise zustande. Denken Sie sich, irgend etwas in Ihrem physischen Leib ist krank. Dann kann der Ätherleib an der Stelle, wo der physische Leib krank ist, nicht eingreifen; er ist gleichsam herausgeworfen. Der Ätherleib selbst ist gar nicht krank. Wenn der Ätherleib an dieser Stelle nicht eingreifen kann, und wenn das, was da ist und worin der Ätherleib nicht eingreifen kann, dem Ätherleibe entgegenleuchtet, dann kommt das als Halluzination zum Bewußtsein. [5]

Der Mensch kommt dazu, sich ein Sein zuzuschreiben dadurch, daß er unbewußt eine Erkenntnis davon hat: Indem ich vorstelle, lebt in mir nach, schwingt nach mein vorgeburtliches Sein, und mein Leib ist ein Nachbild dieses vorgeburtlichen Seins. – Wenn er nun selbst anfängt, solch eine Tätigkeit zu entwickeln, wie sie eigentlich nur entwickelt werden soll durch Nachschwingen des vorgeburtlichen Daseins, dann entwickelt er unberechtigterweise aus sich heraus etwas, was der vorstellenden Tätigkeit ähnlich ist. [6] So unterscheidet der wirkliche Geisteswissenschafter Halluzination, die ein Herausgekochtes aus dem physischen Leibe ist, von der Imagination, die ins Geistige hineinweist, die sich zurückversetzt in das Geistige. [7]

Bei den Gebilden, die aus der Kombination der Seele hervorgehen, bei den Phantasiegebilden haben wir nun etwas Verschwimmendes; sie sind wirklich-unwirklich. Wir fühlen den Zwischenzustand zwischen täuschender Halluzination und wirklicher Imagination in den vermittelnden Phantasiegebilden, und wir dürfen sagen: In den Halluzinationen kombiniert der Leib, in den Phantasiegebilden kombiniert die Seele, in der Imagination, deren Abbild die abstrakten Gedanken für das gewöhnliche Leben sind, kombiniert der Geist. [8]

Die Halluzination tritt auf als ein Bild, das in einer intensiveren Weise mit der ganzen Subjektivität, mit dem Eigenleben verbunden ist als die gewöhnliche äußere Wahrnehmung, die durch die Sinne vermittelt wird. Die Halluzination wird intensiver innerlich erlebt als die Sinneswahrnehmung, die es verträgt außerdem, durchsetzt zu werden mit scharfen kritischen Gedanken; der Halluzination gegenüber vermeidet es der Halluzinierende, sie mit scharfen kritischen Gedanken zu durchsetzen, (denn) er lebt in der schwebenden, webenden Bildlichkeit. Wie wir hier im Leben zwischen Geburt und Tod umgeben sind von der Welt der Farben, von der Welt, die wir uns eben vorstellen als von uns erlebt, so lebt unser eigenes seelisch-geistiges Wesen zwischen dem Tod und einer neuen Geburt in einem Elemente, das durchaus identisch ist mit dem, was in uns auftritt in der Halluzination. Wir werden gewissermaßen, und zwar gerade unserer Leiblichkeit nach, aus dem Elemente der Halluzination heraus geboren. Was in der Halluzination auftritt, das, ich möchte sagen, durchschwebt und durchwebt die Welt, die der unsrigen zugrunde liegt, und wir tauchen auf, indem wir geboren werden, aus diesem Elemente, das uns abnorm in der halluzinatorischen Welt vor die Seele treten kann.

Was ist denn dann die Halluzination im gewöhnlichen Bewustsein? Nun, wenn der Mensch sich durch Konzeption und Geburt in das physisch-sinnliche Dasein hereinbegeben hat, dann haben gewisse geistige Wesenheiten der höheren Hierarchien eine Intuition gehabt, und das Ergebnis dieser Intuition, das ist der physische Leib, der nur dadurch entstehen kann, daß ihn die Seele durchdringt, indem sie auftaucht aus dem Elemente der Halluzinationen.

Was geschieht, wenn nun in krankhafter Weise Halluzinationen vor dem gewöhnlichen Bewußtsein auftreten? Ich kann Ihnen das eigentlich nur bildlich veranschaulichen, aber es ist natürlich, daß ich es nur bildlich veranschaulichen kann, denn Halluzinationen sind ja Bilder. [9] Stellen Sie sich vor symbolisch, dieser physische Leib würde etwas zusammengezogen in seiner Elastizität –, dann wird das ursprüngliche halluzinatorische Element, aus dem heraus er geboren ist, heausgepreßt, so wie das Wasser aus einem Schwamm herausgepresst wird. Nichts anderes ist das Entstehen des halluzinatorischen Wesens, als daß aus dem physischen Leib das eigene Element, aus dem heraus er entsteht, aus dem heraus er geformt wird, aus ihm ausgepreßt wird. Und das Krankwerden, das sich äußert im halluzinatorischen Bewußtseinsleben, das weist immer auf eine Ungesundheit des physischen Leibes hin, der sich geistig gewissermaßen aus sich herauspreßt. [10]

Bildhafte Vorstellungen, Imaginationen bilden sich fortwährend in einem aus, nur werden sie verwendet im organischen Prozeß des Lebens; sie werden die Kräfte, aus denen der Mensch fortwährend seinen Organismus neu aufbaut. Gerade in unserem Wachleben bilden wir fortwährend, auch wenn wir nur das alltägliche intellektualistische Bewußtsein entwickeln, Imaginationen, und diese Imaginationen, die verdauen wir gewissermaßen seelisch, und davon bauen wir unseren Leib auf. Weil diese Imaginationen den Leib aufbauen, deshalb werden sie für das gewöhnliche Bewußtsein nicht abgesondert wahrgenommen. Die Entwickelung zum höheren Schauen beruht darauf, daß wir uns partiell, für außen, diesem Arbeiten am physischen Leibe entziehen, und daß wir dasjenige, was sonst im physischen Leibe unten kocht und brodelt, heraufbringen in das Bewußtsein. Daher gehört zum höheren Schauen Geisteswissenschaft, weil das ja nicht lange anhalten kann, denn sonst würde der Organismus in seiner Gesundheit untergraben. Also ist auch das Imaginieren durchaus beim gewöhnlichen Seelenleben vorhanden, nur wird es in den Leib hinein verdaut zwischen Geburt und Tod. So daß wir sagen können: Auch da geschieht während des gewöhnlichen Lebens eine unterbewußte Tätigkeit, die auch nichts anderes ist als etwas, wenn es zum Bewußtsein kommt, ein Halluzinieren ist. – Dieses Halluzinieren ist durchaus etwas, was eine geregelte elementarische Tätigkeit im Dasein ist. Es darf eben nur nicht zur Unzeit in unserem Bewußtsein auftreten. Halluzinieren heißt nichts anderes als, der Leib schickt ins Bewußtsein dasjenige herauf, was er eigentlich verwenden sollte zum Verdauen, zum Wachsen oder zu sonst etwas in sich. [11] Ruhige Halluzinationen, die bloß auftreten (im Gesichtsfeld) und da sind, sind sozusagen Leberhalluzinationen. Solche Halluzinationen, die so auftreten, daß sie am Menschen herumkriechen, möchte ich sagen, die dazu führen, daß der Betreffende die Dinge so abstreifen möchte, die kommen aus dem Nierensystem. Das sind die Erregungshalluzinationen, die mit dem emotionellen System, mit dem Temperamentssystem zu tun haben. Die Lunge als innerliches Organ, als Organsystem, sie enthält eigentlich zusammengepreßt die Zwangsgedanken. Man kann aus diesen Dingen heraus, aus solchen Symptomen heraus viel sicherer diagnostizieren als aus den diagnostischen Mitteln, die heute vielfach angewendet werden. [12]

Zitate:

[1]  GA 205, Seite 103   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[2]  GA 66, Seite 172ff   (Ausgabe 1961, 269 Seiten)
[3]  GA 82, Seite 86   (Ausgabe 1994, 264 Seiten)
[4]  GA 154, Seite 12   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)
[5]  GA 154, Seite 11f   (Ausgabe 1973, 142 Seiten)
[6]  GA 205, Seite 17f   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[7]  GA 205, Seite 19   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[8]  GA 205, Seite 20   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[9]  GA 205, Seite 82ff   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[10]  GA 205, Seite 85   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[11]  GA 205, Seite 86f   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)
[12]  GA 205, Seite 110   (Ausgabe 1967, 247 Seiten)

Quellen:

GA 66:  Geist und Stoff, Leben und Tod (1917)
GA 82:  Damit der Mensch ganz Mensch werde. Die Bedeutung der Anthroposophie im Geistesleben der Gegenwart (1922)
GA 154:  Wie erwirbt man sich Verständnis für die geistige Welt?. Das Einfließen geistiger Impulse aus der Welt der Verstorbenen (1914)
GA 205:  Menschenwerden, Weltenseele und Weltengeist – Erster Teil:. Der Mensch als leiblich-seelische Wesenheit in seinem Verhältnis zur Welt (1921)