Erziehung historisch

Im Altertum

Würde das Unterrichten so fortgehen, wie man es heute macht, dann würden die Menschen eben sehr früh vergreisen, weil das Ahrimanische den Menschen alt macht. So wie die Kinder in der Schule erzogen werden, so ist das alles ahrimanisch. Wenn Sie nun zurückgehen, sagen wir vom Jahre 8000 bis zur Zeitenwende, da war es anders, da waren die Menschen der Gefahr ausgesetzt, daß sie nicht alt werden konnten. Schulen gab es nicht in dem heutigen Sinne in diesen alten Zeiten. Schulen gab es nur für diejenigen Menschen, die schon ein respektables Alter erlangt hatten, und die dann richtige Gelehrte werden sollten. Der babylonische Turm, von dem Ihnen in der Bibel erzählt wird, ist ja nur eines von diesen turmförmigen Gebäuden, auf denen diese Gelehrten lebten. Der Sinn dieser alten Lehranstalten war, die wuchernde Phantasie dieser Menschen zu zügeln. Und die Sorge, die diese Leute hatten, die bestand darinnen, daß sie sagten: Ja, da sind nun die anderen alle, es können ja nicht alle Gelehrte werden! Und da gaben sie die Lehren heraus, das sind die alten Religionslehren, die durchaus von der Wissenschaft ausgehen, nur natürlich arteten sie, auch die Priester aus. Und so kamen auch die unehrlichen – die ehrlichen sind zum größten Teil verloren gegangen –, die unehrlichen auf die Nachwelt. (Die Erziehung) war die Zügelung des Luziferischen. [1]

Altorientalische Erziehung

Was hat der getan, der im alten Oriente die Zivilisation und Kultur, die sein Volk als höchste dargeboten hat, erringen wollte in jener Zeit, welcher dann erst folgte jene große Inspiration, die zu den Veden geführt hat? Im Grunde genommen war das, was er geübt hat, eine Art Körperkultur. Und er hat die Hoffnung gehabt, daß er durch einen besonderen, wenn uns auch heute einseitig erscheinenden Körperkultus die Blüte des menschlichen Lebens, die höchste Geistigkeit erreicht, wenn das in seinem Schicksal ihm vorgezeichnet ist. Daher war nicht Bücherlesen und den abstrakten Geist malträtieren die Methode der höchsten Ausbildung im alten Orient, sondern eine, wenn auch außerordentlich verfeinerte, Körperkultur. Ich will nur ein Beispiel aus der verfeinerten Körperkultur herausheben: das war ein ganz bestimmtes, streng systematisch geregeltes System des menschlichen Atmens. Der alte Orientale gestaltete dieses Atmungsgeschäft – also im Grunde genommen jene körperliche Verrichtung zu etwas aus, was mit Bewußtheit vollzogen wurde.

Er atmete ein nach einem bestimmten Gesetze; er hielt den Atem zurück und atmete wieder aus nach einem bestimmten Gesetze. Dabei war er in einer ganz bestimmten körperlichen Verfassung. Die Beine mußten eine bestimmte Lage haben, die Arme mußten eine bestimmte Lage haben. Das heißt, der Atemweg durch den physischen Organismus mußte zum Beispiel, wenn er auftraf auf das Knie, sich umbiegen in die horizontale Lage. Daher saß der alte orientalische Mensch, der die menschliche Vervollkommnung suchte, mit untergelegten Unterbeinen. Und es war eine eben auf das Luftförmige im Menschen hinorientierte, aber immerhin körperlich orientierte Entwickelung, die derjenige durchzumachen hatte, welcher dann als den Erfolg, als die Konsequenz dieser köperlichen Trainierung die Offenbarung des Geistes in sich erleben wollte. Einer solchen Trainierung, einer solchen Erziehung liegt eigentlich folgendes zugrunde. Ebenso wie in der Wurzel der Pflanze die Blüte und die Frucht schon darinnenstecken und, wenn die Wurzel in der richtigen Weise gepflegt wird, sich dann auch Blüte und Frucht unter dem Sonnenlichte und der Sonnenwärme in der richtigen Weise entfalten müssen, so liegen, wenn man auf das Körperliche des Menschen hinschaut, in dem Körper, der gottgeschaffen ist, auch schon Seele und Geist drinnen. Wenn man das Göttliche in dieser Körperwurzel erfaßt, dann entwickelt sich aus ihr, wenn man in einer richtigen Weise diese körperliche Wurzel zur Entfaltung gebracht hat und sich einfach dem freien Leben überläßt, die in ihr liegende Seele und der Geist, so wie sich die inneren Kräfte der Pflanze, die aus der Wurzel schießen, unter dem Sonnenlicht und der Sonnenwärme frei entwickeln. [2]

Griechische Erziehung

Es war dem Orientalen klar, daß aus dieser Physis, wenn diese Physis richtig geistig behandelt wird, Seele und Geist sich ergibt. Nichts anderes war dieses besondere Hinblicken auf die Körperlichkeit beim Griechentum, als was der Grieche geworden ist als derjenige Mensch, der durch Kolonisation aus dem Oriente und von Ägypten herüber eigentlich sein gesamtes Geistesleben erhalten hat. [3] Bei den Griechen war es ein Instinkt, der erzog. Man redete nicht viel über Erziehung. Plato war der erste, der – aus einer gewissen philosophischen Unerzogenheit heraus – auch nicht viel, aber einiges über Erziehung redete. [4]

Der griechische Erzieher war Gymnast. Er erzog den Körper, und er erzog mit dem Körper Seele und Geist, weil er imstande war, in die köperliche Bewegung wie durch Zaubergewalt die seelische und geistige Welt hereinzuziehen. Der Grieche brachte seine Zöglinge in Bewegung; er brachte sie so in Bewegung, daß diese Bewegung harmonisierte mit der Dynamik des geistigen und physischen Kosmos. [5]

Der Grieche hat nur daran gedacht, den menschlichen Körper in einer solchen Weise zu entwickeln, daß dieser durch die Harmonie seiner Teile und durch die Harmonie seiner Betätigungsweise hinaufstieg zu einer körperlichen Offenbarung der Schönheit Gottes. Und dann erwartete der Grieche ruhig die weitere Entwickelung. Der Träger dieser griechischen Kultur und Zivilisation war der Gymnast. [6] Das Griechentum war in der Tat noch eine Fortsetzung, gewissermaßen ein Anhang des orientalischen Zivilisationswesens. [7] Durch den Gymnasten wurden die Knaben nach zwei Seiten trainiert der Orchestrik und der Palästrik. Die Orchestrik war, von außen angesehen, eine Art Gruppentanz, ein solcher Reigen in der mannigfaltigsten, kompliziertesten Gestaltung, wo die Jungen lernten, sich in bestimmter Form nach Maß, Takt, Rhythmus und überhaupt nach einem gewissen plastisch-musikalischen Prinzipe zu bewegen, so daß dasjenige, was der im Chorreigen sich bewegende Junge wie eine innerliche Seelenwärme empfand, die sich organisierend durch alle Glieder ergoß, zu gleicher Zeit als schön geformter Reigentanz für denjenigen sich offenbarte, der das von außen anschaute. Das ganze war durchaus eine Offenbarung der Schönheit der göttlichen Natur und zugleich ein Erleben dieser Schönheit für das Innerste des Menschen. Dasjenige, was da erlebt wurde durch diese Orchestrik, das wurde innerlich gefühlt und empfunden, dadurch verwandelte es sich als körperlicher, physischer Vorgang in dasjenige, was sich seelisch äußerte, was die Hand begeisterte zum Kitharaspiel, was die Rede, das Wort begeisterte zum Gesang. Wer eingeht auf jene Maße, auf jene Rhythmen, die hineingeheimnißt wurden in die Orchestrik, in den Chorreigentanz, der findet, daß man nicht besser heilend, gesundend wirken kann auf das menschliche Atmungssystem und auf das menschliche Blutzirkulationssystem, als wenn man gerade solche körperlichen Übungen ausführt. [8]

Und wiederum, sieht man hin auf dasjenige, was insbesondere als Palästrik gepflegt wurde, bis in die besonderen Formen, wie der Ringkampf entwickelt wurde, so zeigt sich, daß das geeignet war, zweierlei im Menschen zu entwickeln. Auf der einen Seite sollte alle Bewegung so sein, daß derjenige, der den Ringkampf ausführte, eine besondere Gelenkigkeit, Gewandtheit, Beweglichkeit in seine Glieder bekam. Das ganze Bewegungssystem des Menschen sollte so harmonisiert werden, daß die einzelnen Teile in der richtigen Weise zusammenwirkten, daß der Mensch überall, wenn er in einer bestimmten Lage des Seelenlebens war, die zweckvollen Bewegungen gewandt ausführte, so daß er von innen aus seine Glieder beherrschte. Die Rundung der Bewegungen zum zweckvollsten Leben, das war die eine Seite, die ausgebildet wurde in der Palästrik; die andere Seite war, ich möchte sagen, das Radiale der Bewegung, wo die Kraft in die Bewegung hineingestellt werden mußte. Und man war überzeugt, daß, wenn der Mensch durch die Palästrik so sein Bewegungssystem harmonisiert, er dann in die richtige Lage zum ganzen Kosmos kommt. Und man überließ dann die Arme, die Beine, mit der Atmung, wie sie durch die Palästrik ausgebildet war, dem Wirken des Menschen in der Welt. Man war überzeugt: der Arm, der richtig durch die Palästrik ausgebildet ist, der fügt sich in jene Kräfteströmung des Kosmos hinein, die dann wiederum zum menschlichen Gehirn geht, und aus dem Kosmos heraus dem Menschen die großen Ideen offenbart.

Wie man das Musische nicht von einer besonderen musikalischen Ausbildung erwartete – die schloß sich nur an, hauptsächlich erst bei den Zwanzigjährigen an dasjenige, was man aus der Blutzirkulation und aus der Atmung herausholte –, so schloß sich das, was man zum Beispiel als Mathematik und Philosophie zu lernen hatte, an die Körperkultur in der Palästrik an. Man wußte, daß das richtige Drehen der Arme die Geometrie innerlich inspirierte. Das ist dasjenige, was heute die Menschen auch nicht mehr aus der Geschichte lesen, was ganz vergessen ist, was aber eine Wahrheit ist und dasjenige rechtfertigte, was die Griechen taten: den Gymnasten an die Spitze des Erziehungswesens zu stellen. [9]

Die griechische Erziehung, wir können sie bewundern, sie ist aber an drei Vorbedingungen geknüpft: an das antike Sklaventum, an die antike Stellung der Frau, an die antike Stellung der spirituellen Weisheit und des spirituellen Lebens. Alle drei sind heute nicht mehr da. [10]

Es entwickelte sich bei den Griechen, aus dieser Summe der körperlichen Gewohnheiten ein wunderbares Gedächtnis. Wir haben in unserer Zeit gar keinen Begriff mehr von dem, was sich bei den Griechen noch als Gedächtnis entwickelte, ohne daß es gepflegt worden ist und im alten Orient war das noch bedeutsamer. Durch seine richtige Pflege brachte der Körper ein wunderbares Gedächtnis hervor. [11]

Sparta und Athen, das waren die zwei bedeutendsten Städte in Griechenland. Dazu kamen noch ein paar andere, die auch bedeutend waren, aber nicht so bedeutend wie Sparta und Athen. Die Bewohner dieser zwei Städte waren also sehr verschieden voneinander. Verschieden waren sie schon dadurch, daß sie sich im Reden ganz anders verhielten. Die Spartaner saßen immer ruhig beieinander und redeten wenig. Sie liebten das Reden nicht. Aber wenn sie etwas redeten da wollten sie, daß das, was sie redeten, eine gewisse Bedeutung habe. Weil aber der Mensch schließlich nicht immer, wenn er plappert, etwas Bedeutendes sagen kann, so schwiegen sie, wenn sie nichts Bedeutendes zu reden hatten, und redeten immer in kurzen Sätzen. Diese kurzen Sätze waren im ganzen Altertum berühmt. Man redete von den kurzen Sätzen des spartanischen Volkes, und es waren diejenigen, die berühmt wurden, oftmals ungeheure Weisheitssprüche. Bei den Athenern war es schon nicht so. Die Athener liebten eine schöne Rede; sie liebten es, wenn man schön redete. Die Spartaner: kurz, gemessen, ruhig in ihrer Rede. Die Athener, die wollten recht schön reden. Redekunst lernten sie; indem sie schön redeten, plapperten sie eben schon mehr; nicht so viel wie wir heute, aber sie plapperten doch schon mehr als die Spartaner. Worauf beruhte denn der Unterschied zwischen dem vielredenden Athener und dem weniger, aber bedeutsam und mächtig redenden Spartaner? Der beruhte auf der Erziehung. Die Erziehungskunst wird heute außerordentlich wenig studiert. Aber es beruhte das, was ich sage, auf der Erziehung. Die spartanischen Knaben namentlich wurden ganz anders erzogen als die athenischen. Die spartanischen Knaben mußten viel mehr Gymnastik treiben: Tanz, Ringspiele, alle möglichen gymnastischen Künste. Und die Redekunst, die eigentliche Zungengymnastik, die wurde bei den Spartanern gar nicht geübt. Das Reden ließen sie ganz von selber kommen. Und alles dasjenige, was in der Sprache liegt, das bildet sich nämlich aus durch die übrige Bewegung des menschlichen Körpers. Sie können es richtig beobachten: Wenn ein Mensch langsame, gemessene Bewegungen hat, die richtig gymnastisch sind, dann redet er auch ordentlich. Aber die Spartaner legten allen Wert darauf, daß viel, viel Gymnastik geübt wurde, und sie unterstützten diese Gymnastik noch dadurch, daß sie die Körper der Kinder mit Öl einrieben und mit Sand bestrichen; dann ließen sie sie Gymnastik machen. Die Athener trieben zwar auch Gymnastik – in ganz Griechenland trieb man Gymnastik, aber eben schon viel weniger –, und sie ließen die älteren Knaben Zungengymnastik, Redekunst treiben. Das taten die Spartaner nicht. Nun, das hat aber eine ganz bestimmte Folge. Wissen Sie, wenn so diese kleinen spartanischen Buben mit ihren geölten und mit Sand eingeriebenen Körpern ihre Gymnastik trieben, dann mußten sie sehr viel innere Wärme entwickeln. Bei den Spartanern war gedacht worden: Alles, was die Buben an Bewegungen ausführen, müssen sie vom innern Körper aus ausführen; da mochte es draußen stürmen und hageln und wettern und winden, das war ganz gleichgültig. Man sagte sich: Das muß vom Menschen selber kommen. Der Athener sagte anders. Der sagte: Wir leben von der Sonne, und wenn die Sonne uns aufweckt zur Belebung, dann wollen wir uns bewegen; wenn die Sonne nicht da ist, wollen wir uns nicht bewegen. – so sagte der Athener; deshalb wurde bei den Athenern auf die äußere Sonnenwärme gesehen. Bei den Spartanern wurde auf die innere Sonnenwärme, die der Mensch selber verarbeitet hat, gesehen, und bei dem Athener auf die äußere Sonne, die schön auf die Haut scheint – die Haut nicht mit Sand eingerieben, wenigstens nicht so viel wie bei den Spartanern, sondern da sollte die Sonne die Haut bearbeiten. Das war der Unterschied. [12] Nun können wir also sagen: Wenn der Mensch darauf sieht, daß er in seinem Innern Wärme entwickelt, dann wird seine Sprache kurz und gemessen. – Warum? Weil er sich mit seinem ganzen Verstand mehr an das Weltenall wendet. Wenn aber der Mensch sich von der Sonne bescheinen läßt wie der Athener, dann wendet er sich weniger an das Weltenall mit seinem Verstand; dann wendet er sich gerade mit dem Verstand mehr nach innen, mit der Wärme nach außen; der Spartaner: mit der Wärme nach innen, mit dem Verstand nach außen. Und vom Verstand hat der Spartaner die Sprache des Weltenalls gelernt; die ist weise, die ist in ihm ausgebildet worden. Der Athener hat nicht die Sprache des Weltenalls gelernt, sondern nur die Bewegung des Weltenalls, weil er sich in der Sonnenwärme der Gymnastik überlassen hat. Innere Wärme vertreibt die Begierde zum Reden, äußere Wärme facht die Begierde zum Reden an. [13]

Römische Erziehung

Mankann dann weitergehen in der Menschheitsentwickelung. Bei den Römern fängt es schon an; man hat die Kunst verlernt, Seele und Geist auf dem Umwege durch das Körperliche zu pflegen, man muß unmittelbar an die Seele heran. Man erzieht vorzugsweise durch dasjenige, was im Leben dem Seelischen naheliegt, man erzieht durch die Sprache, und der Erzieher wird von dem Gymnasten zum Rhetor. Schönheit der Rede ist es, was jetzt in das Erziehungswesen einzieht und was im Grunde genommen in einer gewissen Weise auch noch durch das Mittelalter hindurch fortwirkt. Schönheit der Rede, in der Ausgestaltung des Wortes und in dem Bewußtsein, daß das plastisch und musikalisch gestaltete Wort zurückwirkt auf den ganzen Menschen. [14]

Mittelalterliche Erziehung

Was war in der Erziehung des Mittelalters vorhanden, die überhaupt bis zu einem gewissen Ende erzogene Menschen bilden sollte? Da gab es zum Beispiel die sogenannten sieben freien Künste: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Astronomie oder Astrologie und Musik. Da sollte der Mensch als Mensch gebildet werden, sollte als Mensch vorwärtskommen. Da wurde zum Beispiel Arithmetik auch nicht so getrieben wie heute, sondern es kam an auf die Fähigkeit, ins Behandeln der Formen und Zahlen hineinzuführen. Und im Musikalischen zum Beispiel lebte man sich hinein noch in das ganze Leben. Und Astronomie: da wurde der Mensch darin eingeführt, kosmisch zu denken. Man ging in allem an den Menschen heran. Die sogenannten Realien von heute spielten im Unterricht kaum eine Rolle. Daß der Mensch etwas als Wissenschaft aufnehmen sollte, darauf legte man einen geringen Wert; viel mehr Wert legte man darauf, daß er ordentlich sich bewegen, ordentlich reden, denken und rechnen kann. Aber daß er irgendwelche fertige Wahrheit aufnehmen sollte, war von geringerer Wichtigkeit. Daher entwickelte sich die ganze Kultur- und Zivilisationsperspektive im Auftreten und Handeln und Sich-Geben der Menschen. Man war stolz, wenn man Menschen hatte, die rhetorisch auftreten konnten, die überhaupt den Menschen hinstellen konnten. [15]

Erziehung seit dem 15. Jahrhundert

Die Kulturströmung, die das bis in die späteren Zeiten, ja bis zu einem gewissen Grade bis heute erhalten hat, das ist die jesuitische Schulung, die, als sie eingerichtet wurde, und noch im 18. und selbst noch in der ersten Hälfte des 19.Jahrhunderts darauf ausging, Menschen, fast könnte man sagen, zu dressieren zu Willenscharakteren und a1s solche die Menschen ins Leben hineinzustellen. Darauf ging die jesuitische Kultur eigentlich aus. Und erst im Laufe des 19.Jahrhunderts haben die Jesuiten, damit sie nicht zu viel hinter den andern zurückblieben, die Realien in den Unterricht eingeführt. So also entwickelten die Jesuiten die energischen, starken Charaktere; so daß man heute, gerade wenn man Gegner des Jesuitismus ist, in der Lage ist, sagen zu müssen: Könnte man nur Menschen mit solchem Zielbewußtsein hervorbringen, im Guten hervorbringen, wie es für die Dekadenz der Menschheit die Jesuiten getan haben! [16]

Der Grieche ging gewissermaßen auf die körperliche Grundlage des Menschen zurück, zog alles in Seele und Geist hinauf. Der Römer ging auf die Mitte des Menschen, auf den sublimierten Ausdruck des rhythmischen Systems, auf die musische, musikalische Sprache der Dichtung, und er hatte das Vertrauen, daß wenn die Sprache richtig gehandhabt wird, diese zurückwirkt auf das Körperliche und hinaufwirkt auf das Geistige. Nun kam es so, daß seit dem 15. Jahrhundert der Rhetor als Erzieher allmählich übergegangen ist in den Doktor als Erzieher. Selbst jene Erzieher, welche heute nur durch Seminare hindurchgegangen sind, sind eigentlich Doktoren. [17] An der Erziehung merkt man es am meisten, wie schlimm es ist für den Menschen, wenn er durch das Doktorat durchgegangen ist; aber auf der anderen Seite ist dasjenige, was dazu geführt hat, daß dieser Doktor zu einer gewissen Führereigenschaft gekommen ist, für das ganze Intellektuellwerden der neueren Kultur und Zivilisation notwendig gewesen. – Aber wir stehen gerade heute vor dem Punkt, daß wir die Synthesis dieser drei Elemente des Menschen – denn das ist auch eine Dreigliederung der menschlichen Natur: Gymnast, Rhetor, Doktor – ausbilden müssen, und am allernotwendigsten ist diese Ausbildung auf dem Gebiete des Erziehungswesens. [18]

Zitate:

[1]  GA 349, Seite 244f   (Ausgabe 1961, 264 Seiten)
[2]  GA 307, Seite 37f   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[3]  GA 307, Seite 40   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[4]  GA 307, Seite 92   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[5]  GA 302a, Seite 108   (Ausgabe 1983, 160 Seiten)
[6]  GA 307, Seite 32   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[7]  GA 307, Seite 36   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[8]  GA 307, Seite 42f   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[9]  GA 307, Seite 44ff   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[10]  GA 307, Seite 55   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[11]  GA 307, Seite 58   (Ausgabe 1973, 284 Seiten)
[12]  GA 351, Seite 81ff   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)
[13]  GA 351, Seite 84ff   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)
[14]  GA 302a, Seite 109   (Ausgabe 1983, 160 Seiten)
[15]  GA 310, Seite 157   (Ausgabe 1965, 184 Seiten)
[16]  GA 310, Seite 157   (Ausgabe 1965, 184 Seiten)
[17]  GA 302a, Seite 109   (Ausgabe 1983, 160 Seiten)
[18]  GA 302a, Seite 111   (Ausgabe 1983, 160 Seiten)

Quellen:

GA 302a:  Erziehung und Unterricht aus Menschenerkenntnis (1920-1923)
GA 307:  Gegenwärtiges Geistesleben und Erziehung (1923)
GA 310:  Der pädagogische Wert der Menschenerkenntnis und der Kulturwert der Pädagogik (1924)
GA 349:  Vom Leben des Menschen und der Erde. Über das Wesen des Christentums (1923)
GA 351:  Mensch und Welt. Das Wirken des Geistes in der Natur. Über das Wesen der Bienen (1923)