Wagner, Richard

In Richard Wagners Kunst kann man den ersten aufleuchtenden Stern sehen, wie das Christentum in seiner tiefsten Idee heraustritt aus dem engen Rahmen des religiösen Lebens in den weiten Umkreis moderner geistiger Kultur. [1] Daß Richard Wagner und sein Kunstwerk überhaupt eine ungeheure Summe von okkulter Kraft verkörpern, das ist etwas, was nachgerade zum Bewußtsein der Menschheit kommt. Aber es wird in der Zukunft noch etwas anderes klar werden, nämlich, daß wir in Richard Wagner eine Erscheinung haben, in der noch viel mehr lebte, als er selbst wissen konnte. Das ist das Geheimnis vieler bedeutender und besonders künstlerischer Erscheinungen, daß in ihnen eine Kraft lebt, von der sie selbst nichts wissen. Richard Wagner hat zeit seines Lebens die allertiefsten Studien über den Menschenzusammenhang und das Geheimnis der Menschenseele getrieben. Er suchte in seiner Jugend das Geheimnis der Reinkarnation zu erforschen. Daß er sich damit beschäftigt hat, zeigt sich in einem Entwurf zu einem Drama, den er 1856 ausgearbeitet hat. Dieses Drama heißt «Die Sieger» (es handelt von einem Liebespaar und Buddha). Wagner gab die Ausführung dieses Dramas später auf, weil das Problem der «Sieger» für ihn musikalisch nicht lösbar war. Was ihm damals nicht gelungen war, das stand in anderer Weise schon ein Jahr danach vor seiner Seele. 1857 faßte er die große Idee zum «Parsifal». Es war am Karfreitag 1857 in der Villa Wesendonk (heute Museum Rietberg) am Zürichsee. Da sah er hinaus in die aufkeimende, aufsprießende und blühende Natur. Und in diesem Augenblick wurde ihm der Zusammenhang zwischen der aufsprießenden Natur und dem Tode Christi am Kreuze klar. Dieser Zusammenhang ist das Geheimnis des Heiligen Gral. Von diesem Moment an ging durch Richard Wagners Seele der Gedanke, er müsse das Geheimnis des Heiligen Gral in musikalischer Form in die Welt hinaussenden. [2]

Wolfram von Eschenbach hat ein schmuckloses Epos geschrieben, den «Parzival». Das genügte für seine Zeit. Es gab damals Menschen, die eine gewisse Gabe der Hellsichtigkeit hatten, die Wolfram von Eschenbach verstanden. Aber die tiefe Bedeutung jenes Vorganges den Menschen im Drama deutlich zu machen, war im 19. Jahrhundert nicht möglich. Doch gibt es ein Mittel, zum Verständnis zu wirken, auch ohne Worte, ohne Begriffe, ohne Idee. Das Mittel ist die Musik. Die Wagnersche Musik enthält alles das, was an Wahrheiten im «Parsifal» liegt. Die Zuhörer empfangen durch die eigentümliche Wagnerische Musik in ihrem Ätherleib ganz besondere Schwingungen. Darin liegt das Geheimnis der Wagnerschen Musik. Man braucht die Dinge gar nicht wirklich zu verstehen, aber man bekommt ihre wohltätigen Wirkungen durch den Ätherleib. Der Ätherleib hängt mit allen Wallungen des Blutes zusammen. Richard Wagner hat das Geheimnis des gereinigten Blutes verstanden. In seinen Melodien liegen die Schwingungen, die im Ätherleibe des Menschen sein müssen, wenn er sich so läutert, wie es nötig ist, um das Geheimnis des Heiligen Gral zu empfangen. [3] Wagnersche Musik erregt den Buddhi-Leib so stark, daß die direkte Wirkung auf den Ätherleib da ist. So wird durch Wagnersche Musik eine Änderung des Temperamentes und der Neigungen im Ätherleib erzielt. [4] (Siehe auch: Nietzsche – das Verhältnis von Wagner zu Nietzsche).

Nach einer Weile wiederholte Marie Steiner: «Merlin-Wagner» und nochmals, wie erkennend, «Ach, Merlin-Wagner!» und dann fragend: «Ist Richard Wagner – Merlin?», «Ja», sagte Rudolf Steiner, «so ist es. In seiner Musik kann man das herausfühlen.» [5]

(Auch Eleanor C. Merry berichtet in [6] eine gleiche Angabe).

Zitate:

[1]  GA 102, Seite 119   (Ausgabe 1974, 238 Seiten)
[2]  GA 97, Seite 258ff   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[3]  GA 97, Seite 267   (Ausgabe 1981, 340 Seiten)
[4]  GA 283, Seite 42   (Ausgabe 1975, 186 Seiten)
[5]  Sch, Seite 32   (Ausgabe 1970, 0 Seiten)
[6]  Me, Seite 33   (Ausgabe 1992, 0 Seiten)

Quellen:

GA 97:  Das christliche Mysterium (1906/1907)
GA 102:  Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen (1908)
GA 283:  Das Wesen des Musikalischen und das Tonerlebnis im Menschen (1906/1920)
Me:  Eleanor C. Merry: Erinnerungen an Rudolf Steiner und D. N. Dunlop (1992)
Sch:  Ilona Schubert: Selbsterlebtes im Zusammensein mit Rudolf Steiner und Marie Steiner (1970)