Lunge

Indem der Mensch auf der Erde die Anwartschaft erhält, sich zu immer höherer Geistigkeit zu entwickeln, hat er damit als äußeren physischen Ausdruck die Fähigkeit erlangt, die Leberkräfte zu überwinden. In gewisser Weise ist das entgegengesetzte Organ zu der Leber die Lunge, jenes Organ, das nicht alles Egoistische in den Menschen hineinstopft – denn das tut die Leber –, sondern das den Menschen frei nach außen öffnet, wo er durch die Luft, die er aufnimmt und wieder abgibt, in einer fortwährenden Kommunikation mit der Außenwelt steht. In der Lunge findet eine Verbrennung statt. Das rotblaue (venöse), kohlenstoffreiche Blut kommt in die Lunge und wird durch die Verbindung mit dem Sauerstoff zu rotem (arteriellem), lebensfähigen Blut umgewandelt. Atmen ist in einer gewissen Weise ein Verbrennungsvorgang, und mit diesem Atmungs- und Brennvorgang ist dem Menschen die Anwartschaft gegeben zu immer höherer und höherer Entwickelung. Aufgebaut haben den Menschen jene Kräfte, die ihren letzten Abschluß erlangen in der Leber. Diesen ihn an die Erde fesselnden Kräften werden ihn diejenigen Kräfte entreißen, die er wie ein Feuer aus der Luft empfängt. Das Feuer, das der Mensch aus der Luft empfängt, das sich in seiner Atmung ausdrückt, ist dasjenige, was ihn zu immer höheren und höheren Sphären hinaufführt. Dies drückt sich in großartiger Weise aus im Prometheus-Mythos. [1]

Die Lunge muß in einer zweifachen Weise im menschlichen Organismus betrachtet werden. Erstens ist sie ja das Organ für den Atmungsvorgang. Aber, so sonderbar es klingt, sie ist, ich möchte sagen, dieses Organ für den Atmungsvorgang nur auf eine äußerliche Weise. Sie ist zu gleicher Zeit das Organ, welches reguliert innerlich, tief innerlich im Menschen den Erdbildeprozeß. Wenn man verfolgt von außen nach innen gehend, von dem Ernährungs- und Verdauungsvorgang angefangen durch den Nierenbildungs-, Leberbildungsprozeß, bis herauf zum Lungenbildungsprozeß, also zu dem, was die Lunge innerlich bildet – abgesehen davon, daß sie funktionell der Atmung zugrunde liegt –, und untersucht diesen Prozeß, der sich da abspielt, so ist es der Gegenpol des Prozesses, der sich in der Auster äußert zur Bildung der Austernschale. Die menschliche Organisation hat sich in ihrem Lungenbildungsprozeß hereingeholt dasjenige, was über der chemischen Zone liegt im äußeren Weltenall (der Lebenssphäre, Gegenbild der Substanzbildung, siehe: Äthergrundlagen). Man muß gerade bei der Lunge, weil sie nach zwei Seiten hin der menschlichen Organisation dient, in Betracht ziehen, daß sie auf der einen Seite funktionelle Aufgaben hat nach außen und auf der anderen Seite diese funktionellen Aufgaben hat nach innen. Die Entartungen der Lunge müssen Sie in ähnlichen Vorgängen schon suchen, wie sie auftreten im Prozesse der Austernschalenbildung oder natürlich ähnlichen, selbstverständlich auch der Schneckenschalenbildung und so weiter. [2]

Je innerlicher wir in den Menschen hineinkommen, desto mehr müssen wir im Innern des Menschen das Äußerliche suchen. Wir müssen in dem, was sich abspielt in der Organisation des Menschen, von der Lunge angefangen nach oben durch Kehlkopf und Kopf, etwas suchen, was innerlich verwandt ist mit all dem, was in der Pflanze zum Salzwerden, was überhaupt in der menschlichen Natur zum Salzwerden hinneigt. [3]

Innig zusammenhängend ist das Lungenleben mit all dem, was nun der Ort einfach durch seine Erden-Konfiguration bietet, ob wir es zu tun haben mit einer Gegend, in der zum Beispiel sehr viel Kalkboden ist, oder ob wir es zu tun haben mit einer Gegend, wo viel Kieselboden ist, wo also Urgebirge ist. Danach ist immer, und zwar bis in hohe Grade, verschieden das menschliche Lungenleben, denn die Lunge ist wesentlich abhängig von der festen Bodenbeschaffenheit des Ortes. Nun müssen Sie das, was ich in dieser Beziehung sage, nur ja nicht mißverstehen. Ich meine, indem ich diese Abhängigkeit konstatiere der Lunge und der Umgebung, damit den inneren Bau der Lunge, ich meine nicht die Atmung. Selbstverständlich ist dann die Atmung wiederum abhängig von dem durch den inneren Bau bedingten guten oder schlechten Funktionieren. Aber ich meine jetzt mit dieser Abhängigkeit den inneren Bau der Lunge. Ob sie zu einer Verkrustung oder ob sie zur Verschleimung oder dergleichen neigt, das ist im wesentlichen abhängig von dem, wie die Umgebung ist. Dann aber auch ist gerade die Lunge sehr abhängig von der körperlichen Arbeit, und sie wird ganz gewiß geschädigt, wenn der Mensch bis zur Übermüdung körperliche Arbeit verrichten muß. Man kann außerordentlich viel tun für alles dasjenige, was in der Lunge und oberhalb der Lunge liegt durch Änderung des Wohnsitzes und der Lebensweise. [4]

Die Pflanze ist ein Erdenwesen durch ihre Wurzeln. Der Mensch ist ein Erdenwesen durch seine Nerven und durch dasjenige, was er als das Irdische aufnimmt durch seine Lunge, durch seine Nahrung, die er von der Erde hereinbekommt. [5]

Die Atmung ist bei der Lunge nur ein Teil ihrer Tätigkeit, sie hat noch etwas anderes zu tun. Geradeso wie die Leber die Galle absondert, so sondert die Lunge dasjenige ab, was man den Schleim nennt, dieser geht dann über in alle anderen Teile des Körpers. Er geht mit dem Schweiß fort, er geht sogar in die Ausatmungsluft hinein, er geht mit dem Urin ab, er geht überall hin der Schleim. Aber das Organ, das den Schleim absondert, das ist die Lunge.

Wenn man durch ein Nasenloch (ganz langsam) atmet, dann entstehen auf der (davor gehaltenen) Glasplatte durch die ausgeatmete Luft gerade solche Figuren wie beim Schnee. Wenn Sie das linke Nasenloch zuhalten und ausatmen, bekommen Sie eine Figur; wenn Sie das rechte Nasenloch zuhalten, bekommen Sie eine andere Figur. Nicht einmal die gleichen Figuren sind es. Dasjenige, was in der ausgeatmeten Luft drinnen ist, die ja, weil sie Wasserdunst enthält, diese Figuren bildet, das ist der Schleim, der aus der Lunge in die ausgeatmete Luft übergeht. Der bildet sich zu diesen Figuren. So daß Sie in Ihrer Lunge nicht eben einfach die Neigung haben, Schleim in einer beliebigen Gestalt auszustoßen, sondern Sie haben die Neigung, aus Ihrer Lunge den Schleim eigentlich in Kristallen auszuatmen oder auszustoßen. Nur verdunsten diese Kristalle gleich.

Die Lunge mit ihrer Schleimabsonderung steht zum Mond in Beziehung. [6] In der Lunge wirken die Mondenkräfte und der Mond bewirkt diese Absonderung von Schleim. Gehen wir in die kalten Gegenden, dann muß sich in diesen kalten Gegenden, wo die Sonne nicht die Kraft hat zu wirken, wo namentlich der Mond in den kalten Nächten hineinscheint in die Eiseskälte, die Lunge, die sich verhältnismäßig vergrößert, sehr stark anstrengen: da wird viel Schleim abgesondert. Und derjenige, der das nicht gewöhnt ist, der erkältet sich, der sondert zuviel Schleim ab. [7]

Zitate:

[1]  GA 102, Seite 27f   (Ausgabe 1974, 238 Seiten)
[2]  GA 312, Seite 224   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[3]  GA 312, Seite 170   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[4]  GA 312, Seite 180f   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[5]  GA 179, Seite 19   (Ausgabe 1977, 164 Seiten)
[6]  GA 351, Seite 52f   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)
[7]  GA 351, Seite 54f   (Ausgabe 1966, 270 Seiten)

Quellen:

GA 102:  Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen (1908)
GA 179:  Geschichtliche Notwendigkeit und Freiheit. Schicksalseinwirkungen aus der Welt der Toten (1917)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)
GA 351:  Mensch und Welt. Das Wirken des Geistes in der Natur. Über das Wesen der Bienen (1923)