Leber

Nehmen Sie zum Beispiel an, wie in einem gewissen Falle, sagen wir, die Leber vom Astralleib erfaßt wird. Die Leber verhält sich ja anders, ganz anders als andere Organe. Sie kann in hohem Grade vom Astralleib deformiert werden, ohne Schmerz hervorzurufen, ohne daß unmittelbar im Leberorgan Schmerz auftritt. Daher sind Leberkrankheiten so verborgen, so verschmitzt, weil sie sich nicht durch Schmerz ankündigen. Das rührt daher, daß die Leber dasjenige Organ ist, das eigentlich durch seine ganze Konstitution eine Enklave in der menschlichen Organisation ist. In der Leber spielen sich Prozesse ab, die von allen Prozessen, die im menschlichen Organismus vorkommen, am meisten ähnlich sind den Prozessen in der Außenwelt, so daß tatsächlich in der Leber der Mensch am meisten nicht Mensch ist. Er hört auf in der Leber, Mensch zu sein. Er wird Außenwelt, er hat im Inneren ein Stück Außenwelt. Das ist sehr interessant. Wir haben Außenwelt. Es ist so, wie wenn gewissermaßen in die menschliche Organisation eine Art Loch hineingeschlagen wäre. Und geradeso wie es nicht weh tun würde, wenn sich der Astralleib in dieses Tuch hineindrücken würde, ebensowenig würde es weh tun, wenn der Astralleib in die Leber hineindrückt. Zerstören kann der Astralleib, aber weh tun kann er nicht, soweit die Leber in Betracht kommt, weil das Leberorgan dasjenige Organ ist, das ausgespart ist, wo innerlich wie in einer Enklave ein Stück Außenwelt im menschlichen Organismus auftritt. Sie werden die Leber begreifen, wenn Sie wissen, sie ist dasjenige im Inneren des Menschen, was diesem Menschen am meisten fremd ist. Und warum ist die Leber im Inneren des Menschen dem Menschen am meisten fremd? Wenn Sie ein menschliches Auge – oder überhaupt ein Sinnesorgan – betrachten, ist es wie eine Höhle, die sich von der Außenwelt in das Innere des Menschen hineinzieht. Im Auge bestehen Prozesse, die wir fast mit der Physik begreifen können. So daß wir in den Sinnesorganen ein Stück Außenwelt im Organismus haben. Aber sie sind nach außen offen, die Außenwelt geht wie golfartig in den Organismus hinein bei den Sinnesorganen. Nun, die Leber ist so, daß sie nach allen Seiten abgeschlossen ist zunächst, aber sie ist wie ein Sinnesorgan, dasjenige Sinnesorgan, das in der Tat im Unbewußten eine hohe Empfindlichkeit für den Ernährungswert der einzelnen Substanzen aufweist, die wir in uns aufnehmen. Und wir müssen sagen, erst dann versteht man dasjenige, was in der Verdauung, in der Ernährung vor sich geht, wenn man der Leber nicht nur zuschreibt jene physischen Prozesse, die ihr heute vielfach zugeschrieben werden. Die sind nur der Ausdruck für Geistig-Seelisches. Wir müssen der Leber zuschreiben, ein innerliches Sinnesorgan zu sein für die Ernährungsprozesse. Und sie die Leber ist unmittelbar den stofflichen Qualitäten der Außenwelt ausgesetzt und muß diese stofflichen Qualitäten wahrnehmen. [1]

Wenn in die Leber nur rote Blutadern hineingehen und blaue Blutadern herausgehen, dann wäre die Leber ein Organ wie die anderen menschlichen Organe. Aber außerdem geht noch eine große Ader, bei welcher blaues (venöses) Blut, das Kohlensäure enthält, extra in die Leber hinein, was bei keinem anderen Organ der Fall ist. Es geht die Pfortader, eine mächtige blaue Ader in die Leber hinein. Die verzweigt sich überall da drinnen und versorgt die Leber mit venösem Blut, also für alle anderen Organprozesse unbrauchbar gewordenes Blut, das sonst gereinigt wird, indem man die Kohlensäure ausatmet. Das kommt daher, daß die Leber eine Art inneres Auge (Sinnesorgan) ist. Die Leber verspürt – besonders, wenn sie frisch ist, beim Kinde den Geschmack, auch die Güte der Milch, die das Kind an der Mutterbrust saugt. Und viel später noch nimmt die Leber alles wahr, was an Nahrungsmitteln in dem menschlichen Körper sich auslebt. Die Leber ist ein Wahrnehmungsorgan. Das Absondern der Galle hängt damit zusammen, daß die Leber wahrnimmt, ob irgend etwas dem Körper schädlich oder nützlich ist. Sie sondert mehr oder weniger Galle ab, je nachdem wie schädlich es ist, was der Mensch bekommt. [2] Die Leber ist überhaupt ein unendlich wichtiges Organ, aber ein Organ, das viel ähnlicher ist den Sinnesorganen, als man denkt. Die Leber ist nämlich da, um den ganzen Menschen innerlich wahrzunehmen, innerlich aufzufassen. Da eine besondere Vene in die Leber hineingeht, die die Leber mit besonderem Venenblut versorgt, wird bewirkt, daß die Leber gerade im Menschen drinnen eine Art Außenwelt ist. Die Leber ist ein außerordentlich feines Barometer für die Art und Weise, wie der Mensch der Außenwelt gegenüber steht. [3] Wenn die Leber sich auch scheinbar abschließt im menschlichen Organismus, so ist sie doch im hohen Grade der Außenwelt zugeordnet. Und zwar können Sie diese Zuordnung zu der Außenwelt dadurch konstatieren, daß Sie gewissermaßen das Leberbefinden immer abhängig finden werden von der Wasserbeschaffenheit eines Ortes. Eigentlich müßte immer die Wasserbeschaffenheit eines Ortes studiert werden, um das Leberbefinden der Menschen, die diesen Ort bewohnen, richtig ins Auge fassen zu können. Es ist fördernd für die Entwickelung der Leber das Schmecken, was gleichbedeutend wäre, wenn es im Überflusse geschähe, mit der Entartung der Leber; es ist gleichbedeutend mit der Entartung der Leber ein im Menschen zu großes, zu stark vorhandenes Genießen. Das innerliche Genießen, ich möchte sagen, die Fortsetzung desjenigen, was sich auf den Gaumen und die Zunge beschränken sollte, das, was das Angenehm-, Sympathisch- oder auch Unsympathisch-, Unangenehm-Empfinden der Speisen mehr fortsetzt in das Innere, ist dasjenige, was zur Leberentartung führt. Und daher ist es notwendig, daß man den Versuch macht, Menschen, welche irgendwelche Schädigungen im Leberleben haben, was ja oftmals sehr schwer zu konstatieren ist, daran zu gewöhnen, den Geschmack zu studieren, am Geschmack als solchem etwas zu finden. An Orten, wo das Wasser kalkhaltig ist, entwickeln sich andere Leberleiden als an Orten, wo das Wasser weniger kalkhaltig ist. Man wird eben gut tun, darauf zu achten und immer sein Augenmerk darauf zu richten, daß das Leberleben gefördert wird dadurch, daß man möglichst doch den Kalk fernhält von dem Wasser. [4]

Die Leber ist nicht bloß das Organ beim Menschen, das die heutige Physiologie beschreibt, sie ist im eminentesten Sinne dasjenige Organ, das dem Menschen die Courage gibt, eine ausgedachte Tat in eine wirklich ausgeführte umzusetzen. Wenn eine Stockung des Willens vorliegt, dann liegt immer ein feiner Leberdefekt vor. Die Leber vermittelt immer das Umsetzen der vorgenommenen Ideen in die durch die Gliedmaßen durchgeführten Handlungen. [5]

Nur muß man natürlich sich klar sein, daß diese Leber auch noch ein Ätherorgan hat und daß das in erster Linie damit zu tun hat. Aber die äußere physische Leber ist eben gewissermaßen das Exsudat der Ätherleber und ist so gestaltet, wie diese Ätherleber gestaltet ist. [6]

Das menschliche Herz ist (vorgeburtlich) aus den Weltenweiten heraus gebildet, dagegen wird die Leber erst ganz nahe der Erdenregion gebildet; sie hat wenig Gemeinschaft noch mit dem, was Weite des Kosmos ist. [7] Unter den menschlichen inneren Organen ist es die Leber, auf welche die Saturnkräfte einen starken und intensiven Einfluß haben. Daher muß der Mensch, weil er ja auf dem Wege ist, sich immer mehr und mehr über alles Saturnische hinauszuentwickeln, hinauswachsen über die Kräfte, die in seiner Leber verankert sind. In der Leber sind in der Tat diejenigen Kräfte des Menschen verankert, über die der Mensch immer mehr und mehr hinauswachsen muß, die aber notwendig waren, damit der Mensch zu seiner gegenwärtigen Form und Gestalt gekommen ist. Und die Leber ist dasjenige Organ, das die Kräfte enthält, die der Mensch am meisten überwinden muß. Sie können das an einer äußeren Offenbarung, an einem äußeren Ausdruck in einer gewissen Weise nachprüfen. Sie können sich zum Beispiel überzeugen, daß in der Zeit, in welcher der Mensch vor allem seinen Körper aufbaut, also in der Zeit vor seiner Geburt und gleich nach der Geburt, die Leber im Verhältnis zum übrigen Körper die größte Ausdehnung hat. Dann wird sie im Verhältnis zum übrigen Körper immer kleiner und kleiner. Sie geht später verhältnismäßig auf die Hälfte zurück, und der Mensch überwindet schon durch seine rein natürliche Entwickelung die Kräfte, die in der Leber verankert sind. Indem der Mensch auf der Erde die Anwartschaft erhält, sich zu immer höherer Geistigkeit zu entwickeln, hat er damit als äußeren physischen Ausdruck die Fähigkeit erlangt, die Leberkräfte zu überwinden. In gewisser Weise ist das entgegengesetzte Organ zu der Leber die Lunge, jenes Organ, das nicht alles Egoistische in den Menschen hineinstopft denn das tut die Leber –, sondern das den Menschen frei nach außen öffnet. Aufgebaut haben den Menschen jene Kräfte, die ihren letzten Abschluß erlangen in der Leber. Diesen ihn an die Erde fesselnden Kräften werden ihn diejenigen Kräfte entreißen, die er wie Feuer aus der Luft empfängt. Das Feuer, das der Mensch aus der Luft empfängt, das sich in seiner Atmung ausdrückt, ist dasjenige, was ihn zu immer höheren und höheren Sphären hinaufführt. Was jetzt eben erwähnt worden ist, drückt sich in großartiger Weise aus im Prometheus-Mythos. Weil Prometheus sich erhebt über die Kräfte, welche die Menschen an das Irdische fesseln, und sich dadurch in einen Gegensatz setzt zu der irdischen Kraft, und weil er derjenige ist, der den Menschen zuerst die Möglichkeit gegeben hat, diese Kraft des Feuers zu haben, darum muß er dafür leiden: ein Geier frißt dem gefesselten Prometheus an der Leber. Wie könnte man schöner und weisheitsvoller darstellen, daß die Kräfte, die mit dem Atmungsprozeß in uns einströmen, an der Leber nagen, und daß derjenige, der das vorausleistet, was von der Menschheit in einer fernen Zukunft geleistet wird, wie ein Gekreuzigter dasteht, wie das, was sich herniedersenkt, was aus der Luft kommt, an der Leber frißt. [8]

Das Verhältnis von Magen und Leber betrachtet man in der richtigen Weise, wenn man ins Auge faßt, daß es Luzifer gelingt, links(seitig) den Magen aufzutürmen als eine Art «Kampfmittel», und daß es rechts (seitig) Ahriman gelingt, die Leber aufzutürmen. Das steht in einem fortwährenden Kampf, und die Wissenschaft würde gut tun, diesen Kampf zwischen Magen und Leber wirklich zu studieren. Das ganze Links-Rechtsverhältnis ist ein Ausdruck für dasjenige, in welchem sich Luzifer und Ahriman im Menschen bekämpfen. [9]

Zitate:

[1]  GA 316, Seite 36ff   (Ausgabe 1980, 246 Seiten)
[2]  GA 347, Seite 70f   (Ausgabe 1976, 192 Seiten)
[3]  GA 305, Seite 149   (Ausgabe 1979, 264 Seiten)
[4]  GA 312, Seite 179f   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[5]  GA 317, Seite 22   (Ausgabe 1979, 200 Seiten)
[6]  GA 201, Seite 111   (Ausgabe 1987, 286 Seiten)
[7]  GA 239, Seite 34   (Ausgabe 1963, 276 Seiten)
[8]  GA 102, Seite 27ff   (Ausgabe 1974, 238 Seiten)
[9]  GA 158, Seite 120f   (Ausgabe 1993, 234 Seiten)

Quellen:

GA 102:  Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen (1908)
GA 158:  Der Zusammenhang des Menschen mit der elementarischen Welt. Kalewala – Olaf Åsteson – Das russische Volkstum – Die Welt als Ergebnis von Gleichgewichtswirkungen (1912-1914)
GA 201:  Entsprechungen zwischen Mikrokosmos und Makrokosmos. Der Mensch – eine Hieroglyphe des Weltenalls (1920)
GA 239:  Esoterische Betrachtungen karmischer Zusammenhänge - Fünfter Band (1924)
GA 305:  Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben (1922)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)
GA 316:  Meditative Betrachtungen und Anleitungen zur Vertiefung der Heilkunst (1924)
GA 317:  Heilpädagogischer Kurs (1924)
GA 347:  Die Erkenntnis des Menschenwesens nach Leib, Seele und Geist. Über frühe Erdzustände (1922)