Christus Leben
► Das Verhältnis zu den Jüngern

Als Jesus mit solchen Gedanken (über das Leben im täglichen Brote) durch die Lande ging, da stellte sich heraus, daß diejenigen, welche am tiefsten gefühlt hatten, wie Jesus von Nazareth verwandelt war, seine Jünger wurden und ihm folgten. Aus mancherlei Herbergen nahm er diesen oder jenen mit, der ihm jetzt folgte. So geschah es, daß bald eine Schar von solchen Jüngern schon zusammen kam. Da hatte er in seinen Jüngern Leute um sich herum, die nun in einer Grundseelenstimmung waren, die gewissermaßen ganz neu war, die durch ihn anders geworden waren als diejenigen Menschen, von denen er einstmals seiner Mutter hatte erzählen müssen, daß sie nicht mehr das Alte (die Stimme der Propheten) hören konnten (siehe: Jesus von Nazareth). Und da leuchtete in ihm die Erdenerfahrung des Gottes auf: Ich habe den Menschen zu sagen, nicht wie die Götter den Weg herunterbahnten vom Geist zur Erde, sondern wie die Menschen hinauffinden können den Weg von der Erde zum Geist. [1]

Wenn er so mit den Jüngern im Lande umherging, dann fühlte dieser oder jener manchmal, als ob er in ihm, in der eigenen Seele wäre, wenn er auch neben ihm ging. Mancher fühlte, wie wenn jene Wesenheit, die zu dem Christus Jesus gehörte, in der eigenen Seele wäre, und er fing dann an zu sprechen die Worte, die eigentlich der Christus Jesus selber nur sprechen konnte. Und da ging diese Schar herum und traf Leute, es wurde zu ihnen gesprochen und derjenige, der da sprach, war durchaus nicht immer Christus Jesus selber, sondern es sprach auch mancher der Jünger; denn er hatte alles gemeinsam mit den Jüngern, auch seine Weisheit. Ich muß gestehen, ich war in hohem Maße erstaunt, als ich gewahr wurde (in der Akasha-Chronik), daß zum Beispiel das Gespräch mit dem Sadduzäer, von dem das Markus-Evangelium erzählt, gar nicht von dem Christus aus dem Jesusleibe gesprochen wurde, sondern aus einem der Jünger; aber natürlich sprach es der Christus (aus ihm). Und auch diese Erscheinung war häufig, daß wenn Christus Jesus einmal seine Schar verließ – er trennte sich zuweilen von ihnen –, er doch unter ihnen war. Entweder wandelte er geistig mit ihnen, während er weit weg war, oder er war auch nur in seinem ätherischen Leibe bei ihnen. Sein Ätherleib wandelte auch mit ihnen im Lande umher, und man konnte oftmals nicht unterscheiden, ob er sozusagen den physischen Leib mithatte, oder ob es nur die Erscheinung des Ätherleibes war. [2]

Im ersten Jahr war der Christus nur lose verbunden mit dem Leibe des Jesus. Wo in den Evangelien erzählt wird, daß da oder dort der Herr seinen Jüngern erschien, da war der physische Leib an einem anderen Aufenthaltsort, während der Christus im Geistigen herumwanderte im Lande. Je mehr er sich in seinen Leib einlebte, desto mehr lebte er sich in das innerste Wesen seiner Schüler ein. Und mit einer solchen Gewalt lebte er sich in die Jünger ein, daß sich der Gesichtsausdruck des Jüngers, durch den der Christus sprach, so veränderte, daß, wer außen zuhörte aus dem Volke, dem gegenüber, der da sprach, das Gefühl hatte, dieser sei der Meister. Der andere aber, welcher der Christus war, fiel so in sich zusammen, daß er gleichsam wie gewöhnlich aussah. So sprach er bald durch diesen, bald durch jenen im Lande umher. Das war das Geheimnis seiner Wirksamkeit in der letzten Zeit der drei Jahre. [3]

Je mehr das Leben vorrückte, desto mehr war er gebunden an den Leib des Jesus von Nazareth, und ein tiefster Schmerz kam in dem letzten Jahre über ihn von dem Gebundensein an den dazu noch siech gewordenen Leib des Jesus von Nazareth. Aber doch kam es immer noch vor, daß Christus, der jetzt schon mit einer großen Schar umherzog, wiederum hinausging aus seinem Leibe. Da und dort wurde gesprochen, hier sprach dieser, dort jener aus der Apostelschar, und man konnte glauben, daß der, der da sprach, der Christus Jesus sei, oder daß es nicht der Christus Jesus sei: der Christus sprach durch sie alle, solange sie in inniger Gemeinschaft mit ihm herumzogen.

Man kann (in der Akasha-Chronik) ein Gespräch belauschen, wie die Pharisäer und jüdischen Schriftgelehrten miteinander sprachen und zueinander sagten: Zum Abschrecken für das Volk könnte man allerdings einen beliebigen aus dieser Schar herausgreifen und ihn töten; aber es könnte ebensogut ein falscher sein, denn alle sprechen sie gleich. Damit ist uns also nicht gedient, denn dann ist der wirkliche Christus Jesus vielleicht noch da. Wir müssen aber den wirklichen haben! – Nur die Jünger selber, diejenigen, die ihm schon nähergetreten waren, konnten ihn unterscheiden. [4]

Die Kräfte, durch die der Christus Jesus wirkte, waren Kräfte, die aus dem Kosmos durch die Anziehung seines Leibes herniederströmten und durch seinen Leib ausströmten und sich ergossen auf seine Jünger. Das fing jetzt für die Jünger an, daß sie durch ihre Empfänglichkeit fühlen konnten: Ja, dieser Christus Jesus vor uns ist eine Wesenheit, durch die uns, wie eine geistige Nahrung, zukommen die Kräfte des Kosmos. Die Jünger selber aber waren in einem zweifachen Bewußtseinszustande, weil sie noch nicht zum Höchsten entwickelte Menschen waren, sondern sich eben erst an dem Christus hinaufrankten zu einer höheren Entwickelung; sie selbst waren immer in einem zweifachen Bewußtseinszustande, der sich vergleichen läßt mit dem Wachen und dem Schlafen des Menschen. Daher kann man von den Jüngern sagen: Indem sie abwechselnd zwischen Schlafen und Wachen in die Möglichkeit versetzt waren, in dem einen und dem andern Zustand die magische Kraft des Christus auf sich wirken zu lassen, konnten sie dieselbe auf sich wirken lassen bei Tag, wenn er ihnen entgegentrat, aber seine Kraft wirkte auch im Schlafe, wenn sie aus dem physischen Leibe und dem Ätherleibe heraus waren. Während sonst der Mensch unbewußt ergossen ist in die Sternenwelt und nichts davon weiß, war dann bei ihnen die Christuskraft; da wurden sie ihrer ansichtig. Sie war es, von der sie wußten: sie gibt uns die Nahrung aus den Sternenwelten.

Aber noch einen anderen Bezug hatte dieser zweifache Bewußtseinszustand der Jünger. Wir müssen ja sozusagen in einem jeden Menschen, also auch in einem Jünger Jesu, dasjenige beachten, was der Mensch zunächst ist, und das, was er, wie eine Anlage für seine weitere Zukunft in den folgenden Inkarnationen in sich trägt. Würde dieses jetzt schon in Ihnen (allen) Befindliche hellsichtig werden, so würde es zunächst, als eine Art ersten hellseherischen Eindrucks, die allernächste Zukunft sehen. Was in der nächsten Zukunft geschieht, würde zu den ersten hellseherischen Erlebnissen gehören, wenn diese rein, echt und wahrhaft sind. – So war es vorzüglich für die Jünger. Dadurch, daß die Christuskraft auf sie gewirkt hatte, wurden sie im Schlafzustande immer zu gewissen Zeiten hellseherisch. Da sahen sie aber nicht, was jetzt geschah, sondern sie sahen, wessen in der Zukunft die Menschen teilhaftig werden sollen. Da tauchten sie gleichsam in das Meer des astralischen Sehens ein und sahen voraus, was in der Zukunft geschehen soll. [5]

So gab es für die Jünger zwei Zustände. In dem Tageszustand bringt uns der Christus aus den kosmischen Weiten die Kräfte der kosmischen Welten und teilt sie uns mit als geistige Nahrung. Er vermittelt das, was die Sonne an Kräften schicken kann aus den sieben Sternbildern des Tages. Da herunter kommt die Nahrung für den Tag. – Für den Nachtzustand war es so, daß die Jünger sich sagen konnten: Da nehmen wir wahr, wie durch die Christus-Kraft sozusagen die Nacht-Sonne, die Sonne, die unsichtbar ist während der Nacht, die durch die anderen fünf Sternbilder geht, in unsere Seele hineinsendet die Himmelsspeise.

So konnten also die Jünger in ihrer imaginativen Hellsichtigkeit empfinden: Wir sind mit der Christus-Kraft, mit der Sonnenkraft, verbunden. Sie schickt uns dasjenige zu, was für die Menschen der Jetztzeit – das heißt für die Menschen der vierten Kulturperiode – «das Richtige» ist. Und in dem anderen Bewußtseins-zustande schickt uns die Christus-Kraft dasjenige zu, was sie uns als Nachtsonne zusenden kann, als Kraft von den fünf nächtigen Sternbildern. Dieses aber gilt nun für die auf die damalige Zeit folgende, das heißt also für die fünfte Kulturperiode. Wie konnte man es ausdrücken?

Eine Fülle von Menschen wurde nach den alten Bezeichnungsweisen als ein «Tausend» bezeichnet, und man fügte, wenn man spezialisieren wollte, eine Zahl hinzu, die von dem wichtigsten Charakteristikon hergenommen wurde. Zum Beispiel die Menschen der vierten Kulturperiode bezeichnete man als das «vierte Tausend», und die, welche schon im Stile der fünften Kulturperiode lebten, als das «fünfte Tausend». Das sind einfach termini technici. Es werden also die Menschen der vierten Epoche – die Viertausend – genährt vom Himmel herunter durch die sieben Himmelsbrote, durch die sieben Sternbilder des Tages; und es werden die Menschen der fünften Epoche – die Fünftausend – genährt durch die fünf Himmelsbrote, durch die fünf Sternbilder der Nacht. Dabei wird immer auf die Scheidung hingedeutet, wo sich die Tages-Sternbilder mit den Nacht-Sternbildern berühren: auf die Fische, ja, von zwei Fischen wird sogar einmal gesagt, damit es besonders deutlich ist. Es wird damit hingedeutet auf einen wichtigen Mysterienvorgang: auf den magischen Verkehr des Christus mit seinen Jüngern. [6] In zwölf Gliedern zerfällt der Menschenleib. Wenn man nun einsammelt das, was übrig bleibt, nachdem man die Kraft des Christus-Leibes zu seiner Sättigung benutzt hat, so muß man es in zwölf Maßen einsammeln! «Da sammelten sie, und fülleten zwölf Körbe mit Brocken von den fünf Gerstenbroten, die überblieben denen, die gespeist worden.» Sie hatten nicht die Gerstenbrote gegessen, sie hatten die Kraft gegessen, die von dem Christus ausgegangen war. [7] Was in der Erde geschieht, das konnte Christus als Persönlichkeit ebenfalls ausführen, weil alle Kräfte der Erde ja auch in ihm vorhanden sein müssen, sobald die Erde sein Leib ist und von seinem Astralleib beseelt wird. Was tut die Erde mit ihren Kräften? Legt man ein Samenkorn in die Erde, so geht es auf und trägt Früchte. Dieselbe Kraft der Vermehrung, der Vervielfältigung wirkt auch in Christus, und sie wird angedeutet in der Speisung der Fünftausend. [8] Das wirkliche Hervorzaubern von einer ausgiebigen Menge Brot aus fünf, beziehungsweise sieben Broten wäre schwarze Magie. Was hier erzählt wird als zweimalige Brotvermehrung, im Geistigen haben es die Jünger gesehen. Ein hellseherischer Akt ist es. [9]

Der Christus Jesus sollte seine Jünger – das heißt die, welche dazu besonders geeignet waren – auch noch ganz besonders einweihen, so daß sie nicht nur imaginativ, gleichsam wie in astralischen Bildern die geistige Welt sehen konnten, sondern daß sie selber sehen, auch hören konnten, durch das Aufsteigen in das Devachan –, was in den geistigen Welten vorgeht. So daß sie diese Persönlichkeit, welche sie als der Christus Jesus auf dem physischen Plan sahen, nun durch ihr geistiges Hinaufragen oben aufsuchen konnten in den geistigen Welten. Sie sollten hellsichtig werden auch noch in höheren Gebieten als auf dem Astralplan. Das konnten nicht alle. Das konnten nur die, welche am empfänglichsten waren für die Kraft, welche aus dem Christus ausstrahlen konnte, und das waren die drei Jünger Petrus, Jakobus und Johannes. Daher erzählt uns das Matthäus-Evangelium, wie der Christus diese drei am meisten von ihm beeinflußbaren Jünger herausnimmt da, wo er sie über den astralischen Plan hinaufführen kann ins devachanische Gebiet, wo sie schauen konnten die geistigen Urbilder, einmal ihren Christus Jesus selbst und – damit sie die Verhältnisse sehen könnten, in denen er darinnen stand – auch derer, die zunächst im Verhältnisse standen zum Christus Jesus; des alten Verkündigers Elias, der ja auch reinkarniert der Vorläufer des Christus Jesus als Johannes der Täufer war; daß sie also den Elias sehen konnten – die Szene spielte sich ab nach der Enthauptung des Johannes, als der Johannes schon in die geistige Welt entrückt war –, daß sie aber auch noch schauen konnten den geistigen Vorläufer, Moses. Das konnte erst geschehen dann, als die drei auserlesenen Jünger hinaufgeführt wurden zum geistigen, nicht zum astralischen Schauen. Und daß sie tatsächlich in den Devachan hinaufstiegen, wird im Matthäus-Evangelium durch folgendes bekundet: Sie schauten nicht nur den Christus mit seiner Sonnen-Kraft – es heißt extra: «Und sein Angesicht leuchtet wie die Sonne» –, sondern es wird auch davon gesprochen, daß sie aufmerksam werden, wie die drei sich unterhalten (denn das Devachan ist tönend im Gegensatz zum tonlosen Astralplan). [10]

Zitate:

[1]  GA 148, Seite 91f   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[2]  GA 148, Seite 94f   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[3]  GA 148, Seite 321   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[4]  GA 148, Seite 95   (Ausgabe 1980, 342 Seiten)
[5]  GA 123, Seite 196ff   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[6]  GA 123, Seite 198f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)
[7]  GA 112, Seite 280   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[8]  GA 100, Seite 265   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[9]  GA 139, Seite 122f   (Ausgabe 1960, 212 Seiten)
[10]  GA 123, Seite 201f   (Ausgabe 1959, 264 Seiten)

Quellen:

GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)
GA 112:  Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evangelium (1909)
GA 123:  Das Matthäus-Evangelium (1910)
GA 139:  Das Markus-Evangelium (1912)
GA 148:  Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium (1913/1914)