Christus Leben
► Hochzeit zu Kana

Wenn wir lesen: «Am dritten Tage war eine Hochzeit zu Kana in Galiläa», so weiß jeder Eingeweihte, daß mit diesem «dritten Tage» etwas Besonderes gemeint ist. Der Schreiber des Johannes-Evangeliums weist hier darauf hin, daß es sich nicht nur um ein wirkliches Erlebnis handelt, sondern zu gleicher Zeit noch um eine große, gewaltige Prophetie. Diese Hochzeit drückt aus die große Menschheitshochzeit, die sich in der Einweihung zeigte am dritten Tage. Am ersten Tage zeigte sich, was sich abspielt beim Herübergehen von der dritten in die vierte Kulturepoche, am zweiten Tag, was sich abspielt beim Herübergehen von der vierten zur fünften Kulturepoche (Gegenwart), und am dritten Tage das, was geschieht, wenn die Menschheit von der fünften zur sechsten Kulturepoche hinübergehen wird. Und es mußte der Christus-Impuls warten bis zum dritten Zeitpunkt. Vorher ist der Zeitpunkt nicht da, wo er wirken kann. [1]

Man nennt in der okkulten Sprache diese Vereinigung mit der höheren Welt die Hochzeit der Seele, die mit den Mächten der höheren Welt geschlossen ist. Wenn man herausgetreten ist aus dem physischen Leib, dann steht der physische Leib einem gegenüber wie dem Kinde, wenn es Bewußtsein haben könnte, bei der Geburt gegenüberstehen würde die Mutter, aus der es herausgeboren ist. So steht der physische Leib einem gegenüber, und es kann ganz gut der astralische Leib zum physischen Leibe sagen: Dies ist meine Mutter. Wenn er seine Hochzeit gefeiert hat, dann kann er das sagen, dann blickt er zurück auf die früher vorhanden gewesene Vereinigung. Nach drei Tagen kann das geschehen. So ist der okkulte Vorgang für den Astralplan. Im Evangelium heißt es: «Und am dritten Tage ward eine Hochzeit zu Kana in Galiläa; und die Mutter Jesu war da.» Das ist der bildliche Ausdruck für das, was ich eben gesagt habe. [2]

Aus der Erde, die noch Wasser war, wird der Mensch herausgeboren, aber da ist er noch ganz mit der Gottheit verbunden. Alles, was ihn in die Materie hineingebracht hat, hat ihn verunreinigt. Diejenigen, die sich dieses alten Zusammenhanges mit dem Göttlichen erinnern sollten, wurden mit der Wassertaufe getauft. Der Christus Jesus sollte mit etwas anderem taufen. Er sollte die Menschen nicht auf die Vergangenheit weisen, sondern durch die Entwickelung der Geistigkeit in ihrem Inneren auf die Zukunft. Durch den «heiligen», durch den ungetrübten Geist sollte des Menschen Geistiges zusammenhängend werden mit der Gottheit. Die Wassertaufe war eine Erinnerungstaufe. Die Taufe aber mit dem «heiligen Geist» ist eine prophetische Taufe, die hinweist in die Zukunft. In viele Stücke zersplittert, in die Materie geworfen ist der Mensch durch das, was durch den Alkohol – das Symbol für Dionysos – der Menschheit gebracht worden ist. [3]

Christus brauchte Wasser, das eben aus den Quellen der Natur kam. Daher muß besonders gesagt werden, daß das Wasser soeben geschöpft worden ist. Jenes Wasser, das noch nicht die inneren Kräfte verloren hatte, die irgendein Element hat, solange es noch mit der Natur zusammenhängt, war für seinen Zweck allein geeignet. [4]

Wir müssen uns klar sein, daß es etwas Absolutes in den Formen der Wahrheit nicht gibt, sondern daß jedesmal das erkannt wird, was einer gewissen Epoche der Menschheit entspricht. Es mußte sozusagen der höchste Impuls heruntersteigen bis zu den Lebensgewohnheiten der damaligen Zeit. Denn er mußte das, was höchste Wahrheit ist, in die Worte und Verrichtungen kleiden, welche dem Verständnis der betreffenden Epoche angemessen waren. So mußte der Christus durch eine Art Dionysos- oder Weinopfer sagen, wie die Menschheit sich zur Gottheit erheben solle. Christus geht zu den Galiläern, die zusammengewürfelt sind aus allerlei Nationen, die nicht durch Blutsbande verknüpft sind, und tut da das erste Zeichen seiner Mission; und er schickt sich so weit in ihre Lebensgewohnheiten, daß er ihnen das Wasser in Wein verwandelt. Damit will der Christus eigentlich sagen: Ich will auch diejenigen Menschen zu einem geistigen Zusammenhange führen, die herabgestiegen sind bis zu der Stufe von Materialität, welche durch das Weintrinken symbolisiert wird. Und er will nicht nur für solche da sein, die durch das Symbol der Wassertaufe sich erheben können. Es ist sehr bedeutsam, daß wir geradezu darauf hingewiesen werden, daß hier sechs Reinigungskrüge stehen. Reinigung ist das, was durch die Taufe bewirkt wird. Also selbst in den symbolischen Krügen für das Reinigungsopfer nimmt der Christus Jesus das Zeichen vor, durch das er – der Zeitepoche entsprechend – auf seine Mission hinweist. So wird uns gerade etwas von der tiefsten Mission des Christus in der Hochzeit zu Kana in Galiläa ausgedrückt. Und da mußte er sagen: Es wird meine Zeit kommen in der Zukunft; jetzt aber ist sie noch nicht da. Was ich hier zu wirken habe, hängt zum Teil noch mit dem zusammen, was überwunden werden muß durch meine Mission. Die Mutter ist es daher, die ihn auffordert und sagt: «Sie haben nicht Wein.» Er aber sagt: Das, was ich jetzt zu vollbringen habe, hängt noch mit den alten Zeiten zusammen, mit «mir und dir»; denn meine eigentliche Zeit, wo der Wein zurückverwandelt wird in Wasser, ist noch nicht gekommen. Wie hätte es überhaupt einen Sinn, zu sagen: «Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?», wenn er dann doch das befolgt, was die Mutter gesagt hat?! Es hat nur dann einen Sinn, wenn wir darauf hingewiesen werden sollen, daß durch die Blutsverwandtschaft der gegenwärtige Zustand der Menschheit herbeigeführt worden ist. [5]

«Was er euch saget, das tut!» hatte die Mutter zu den Dienern gesagt. Christus brauchte Wasser, das eben aus den Quellen der Natur kam. Daher muß besonders gesagt werden, daß das Wasser soeben geschöpft worden ist. Jenes Wasser, das noch nicht die inneren Kräfte verloren hatte, die irgendein Element hat, solange es noch mit der Natur zusammenhängt, war für seinen Zweck allein geeignet. – Ein Wasser, das soeben frisch geschöpft ist, mußte genommen werden, weil ja der Christus die Wesenheit ist, die sich eben der Erde genähert hat, eben verwandt geworden ist mit den Kräften, die in der Erde selber wirken. Indem die lebendigen Kräfte des Wassers wiederum mit dem zusammenwirken, was da strömt «von mir zu dir», da kann das geschehen, was uns im Evangelium geschildert wird. Die Christuskraft hatte die Hochzeitsgäste dazu geeignet gemacht, daß sie auch das Wasser als Wein empfanden. [6]

Denken Sie sich den Seher der damaligen Zeit. Er erlebte als drittes Kapitel (der Einweihung, am dritten Tag), wie allmählich die Menschheit vorbereitet wird, zu empfangen den Geist oder das Geistselbst, Manas, im sechsten Kulturzeitraum. Und er erlebte das in einem astralen Vorgesicht. Er erlebte die Hochzeit zwischen der Menschheit und dem Geiste. Das ist ein wichtiges Erlebnis, das aber die Menschheit nur dadurch äußerlich zur Ausprägung bringen kann, daß der Christus in die Zeit, in die Geschichte eingetreten ist. Vorher hat die Menschheit nicht gelebt in einer solchen Brüderlichkeit, die durch den im Innern aufgegangenen Geist herbeigeführt wird, wo Friede ist zwischen Mensch und Mensch. Vorher gab es nur die Liebe, die materiell vorbereitet war durch die Blutsverwandtschaft. Diese Liebe entwickelt sich nach und nach zur geistigen Liebe, und diese geistige Liebe senkt sich herunter. Als Schlußerfolg des dritten Kapitels der Einweihung sagen wir daher: Die Menschheit feiert ihre Ehe mit dem Geistselbst oder Manas. Das kann erst eintreten, wenn die Zeit dafür gekommen ist, wenn die Zeit reif geworden ist für das volle Verwirklichen des Impulses des Christus. Solange sie nicht gekommen ist, so lange gilt noch das Verhältnis, das sich auf die Blutsverwandtschaft begründet; so lange ist die Liebe nicht geistig. [7]

So haben wir gesehen, daß nicht durch eine hohle Allegorie oder Symbolik, sondern aus der astralen Wirklichkeit heraus, die der Eingeweihte erlebt, diese Dinge erklärt werden müssen. [8]

Zitate:

[1]  GA 103, Seite 186   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[2]  GA 94, Seite 198   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[3]  GA 103, Seite 100f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[4]  GA 112, Seite 169   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[5]  GA 103, Seite 102f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[6]  GA 112, Seite 169f   (Ausgabe 1959, 292 Seiten)
[7]  GA 103, Seite 185f   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)
[8]  GA 103, Seite 187   (Ausgabe 1962, 224 Seiten)

Quellen:

GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 103:  Das Johannes-Evangelium (1908)
GA 112:  Das Johannes-Evangelium im Verhältnis zu den drei anderen Evangelien, besonders zu dem Lukas-Evangelium (1909)