Darwinismus

Daß der Mensch wußte, daß er früher seinen äußeren Leib noch nicht anders als tierähnlich gestalten konnte, daß er deshalb in der ägyptischen Erinnerung selbst seine Göttergestalten noch in Tierformen abgebildet hat, das tritt uns in den Weltanschauungen entgegen, die in materialistischer Weise den Menschen vom Tier abstammen lassen. Auch der Darwinismus ist nichts anderes als altes ägyptisches Erbgut in materialistischer Form. [1] Nicht aus äußeren Gründen ist entstanden dasjenige, was man heute Darwinismus nennt. Dieselben Seelen sind es, die in Ägypten die Bilder der tierischen Gestalten der Vorfahren des Menschen erhalten haben. Alle diese Anschauungen sind wieder erwacht, nur ist der Mensch noch tiefer herabgestiegen in die materielle Welt. Er erinnert sich daran (unbewußt), daß ihm gesagt worden ist: Unsere Vorfahren waren Tiergestalten – aber er erinnert sich nicht, daß das Götter waren. Das ist der psychologische Grund, weshalb der Darwinismus auftauchte. [2]

Unbewußt hat der Darwinismus geschildert, wie die Beweglichkeit der tierischen Formen besteht, wie in der Tat da geschaffen wird aus den Grundformen heraus. Aber nach der ganzen Anlage unserer Zeit hat man abgesehen davon, daß die Kräfte, welche diese Formen schaffen, aus dem Himmelsraum hereinwirken. [3]

Der Darwinismus betrachtet die physische Entwickelung von der physischen Seite her: äußere Impulse, Kampf ums Dasein, Selektion und so weiter, und stellt damit die absterbende Entwickelung dar, alles dasjenige, was man finden kann über das organische Leben, wenn man sich den Impulsen überläßt, die in früheren Zeiten groß geworden sind. Will man Darwin verstehen, so muß man nur synthetisch zusammenfassen alle Gesetze, die früher aufgefunden worden sind. Will man Goethe verstehen, muß man sich aufschwingen zu neuen und immer neuen Gesetzmäßigkeiten im Dasein. Beides ist notwendig. Der Fehler besteht nicht darin, daß es einen Darwinismus gibt, oder daß es einen Goetheanismus gibt, sondern darin, daß die Menschen dem einen oder dem anderen, und nicht dem einen und dem anderen anhängen wollen. [4]

Wenn der Darwinismus vom Kampfe ums Dasein spricht, berücksichtigt er aber nicht, daß auch das einer Fortentwickelung unterliegt, was bei ihm besiegt wird und zugrunde geht. Der Darwinist sieht nur die Wesen, die das Ziel erreichen, und die anderen, die zugrunde gehen. Diejenigen die zugrunde gehen, die sprühen aber das Geistige aus. Das, was scheinbar zugrunde geht, macht die Entwickelung im Geistigen durch. Das ist das Bedeutsame. (Vergleiche dazu beispielsweise: der physischen Überwindung der Griechen durch die Römer geht geistig parallel, ein Aufsaugen des Römertums durch die griechische Kultur). [5] Vom Westen her ist eingedrungen in das 19. Jahrhundert, das über die ganze Erde hin vom Westen abhängig geworden ist, das darwinistische Element in die Evolutionslehre. Das hat hineingebracht den Utilitätsstandpunkt, die Zweckmäßigkeitslehre. [6]

Es ist merkwürdig, wie die Menschen die Widersprüche nicht bemerken, in denen sie leben. Auf der einen Seite redet heute alles auf der Grundlage des Darwinismus von Entwickelung, aber von der Entwickelung des Menschen selber redet man wenig. Daß unsere Art, die Welt anzuschauen, nicht etwa geboren worden ist mit der Entstehung der Menschheit, sondern daß sie ein Entwickelungsprodukt ist, das wird man theoretisch wohl zugeben; allein, sobald es darauf ankommt, praktisch mit einer solchen Wahrheit zu leben, wird man sich heute nicht auf den Boden dieser Wahrheit stellen wollen. [7]

Zitate:

[1]  GA 105, Seite 188   (Ausgabe 1983, 208 Seiten)
[2]  GA 106, Seite 154   (Ausgabe 1978, 180 Seiten)
[3]  GA 136, Seite 166   (Ausgabe 1984, 246 Seiten)
[4]  GA 177, Seite 209   (Ausgabe 1977, 262 Seiten)
[5]  GA 155, Seite 55f   (Ausgabe 1982, 252 Seiten)
[6]  GA 191, Seite 257   (Ausgabe 1983, 296 Seiten)
[7]  GA 192, Seite 260   (Ausgabe 1964, 403 Seiten)

Quellen:

GA 105:  Welt, Erde und Mensch, deren Wesen und Entwickelung sowie ihre Spiegelung in dem Zusammenhang zwischen ägyptischem Mythos und gegenwärtiger Kultur (1908)
GA 106:  Ägyptische Mythen und Mysterien im Verhältnis zu den wirkenden Geisteskräften der Gegenwart (1908)
GA 136:  Die geistigen Wesenheiten in den Himmelskörpern und Naturreichen (1912)
GA 155:  Christus und die menschliche Seele. Über den Sinn des Lebens. Theosophische Moral. Anthroposophie und Christentum (1912/1914)
GA 177:  Die spirituellen Hintergründe der äußeren Welt. Der Sturz der Geister der Finsternis (1917)
GA 191:  Soziales Verständnis aus geisteswissenschaftlicher Erkenntnis (1919)
GA 192:  Geisteswissenschaftliche Behandlung sozialer und pädagogischer Fragen (1919)