Schulung esoterische
► Konzentration

Die nächsten Seelenübungen bestehen darin, daß man einen stark aktivierten inneren Willen aufwendet, um die Vorstellungen aus dem Bewußtsein wieder fortzuschaffen, wie man einen Willen aufgewendet hat, um solche Vorstellungen zur Kräftigung des Wesens ins Bewußtsein hineinzustellen und sich darauf zu konzentrieren. Wie gesagt es muß volle Besonnenheit herrschen wie beim Mathematiker. Denn es muß gesagt werden: Wir werden in einer gewissen Weise hingenommen mit unserem ganzen Seelenleben von der Vorstellung, die bald in den Mittelpunkt des Bewußtseins rückt. Und namentlich dann, wenn das Denken schon so lebendig geworden ist, daß wir nur diese Vorstellung selbst im Bewußtsein haben, und daß nicht nur solche Vorstellungen da sind, sondern daß auftritt wie in mächtigen Bildern in dem geschilderten Tableau das eigene innere Erleben – da wird man stark hingenommen von dem, was man in einem solchen bis zur Lebendigkeit gesteigerten Bilde vor der Seele hat. Es ist eine höhere Kraft notwendig, um solche Vorstellungen wieder fortzuschaffen aus dem Bewußtsein, als notwendig ist, um gewöhnliche Vorstellungen aus dem Bewußtsein wegzubringen. Man weiß ja übrigens, was es heißt, gewöhnliche Vorstellungen aus dem Bewußtsein wegzubringen. Man versuche sich das ehrlich zu gestehen. [1] (Eben-)so wie im sinnlichen Leben man auf irgend etwas hin- und wieder wegschauen kann, so muß man lernen, in der übersinnlichen Entwickelung sich auf einen Seeleninhalt scharf zu konzentrieren und ihn wiederum aus der Seele herauswerfen zu können. Das ist manchmal schon im gewöhnlichen Leben nicht leicht. Denken Sie, wie wenig der Mensch es in der Hand hat, seine Gedanken immer wieder wegzutreiben. Manchmal verfolgen Gedanken, namentlich wenn sie unangenehm sind, den Menschen tagelang. Es wird das aber noch viel schwieriger, wenn wir uns erst daran gewöhnt haben, uns auf den Gedanken zu konzentrieren. Ein Gedankeninhalt, auf den wir uns konzentriert haben, der beginnt uns zuletzt festzuhalten, und wir müssen alle Mühe aufwenden, ihn wieder wegzuschaffen. Wenn wir uns darin lange geübt haben, dann bringen wir uns dahin, diesen ganzen Rückblick auf das Leben bis zur Geburt hin, diesen ganzen Ätherleib, diesen Zeitleib, auch wegzuschaffen, herauszuwerfen aus unserem Bewußtsein. Wir müssen erst reif werden; durch Wegschaffen von meditierten Vorstellungen müssen wir uns die Kraft aneignen, diesen seelischen Koloß, diesen seelischen Riesen wegzuschaffen; der ganze furchtbare Haifisch unseres bisherigen Lebens zwischen unserem jetzigen Augenblick und der Geburt steht vor uns – den müssen wir wegschaffen. Schaffen wir den weg, dann tritt für uns etwas ein, was ich nennen möchte «wacheres Bewußtsein». Dann sind wir bloß wach, ohne daß in dem wachen Bewußtsein etwas darinnen ist. Aber das füllt sich jetzt. Geradeso wie einströmt in die Lunge, die Luft, deren sie bedürftig ist, so strömt jetzt in das leere Bewußtsein, das auf die Weise, wie ich es geschildert habe, entstanden ist, die wirkliche geistige Welt ein. Das ist die Inspiration. Da strömt jetzt etwas ein, was nicht etwa ein feinerer Stoff ist, was das Entgegengesetzte des Stoffes ist, das strömt jetzt in die vom Äther frei gewordene Menschlichkeit herein. Wenn ich durch die Methode, die ich ausgebildet habe, den Ätherleib weggeschafft habe, komme ich nicht in einen noch feineren Äther hinein, sondern in etwas, was dem Äther entgegengesetzt ist, wie die Schulden dem Vermögen. Und jetzt weiß ich erst aus Erfahrung, was Geist ist. Der Geist kommt durch Inspiration in einen herein, und das erste, was wir jetzt erleben, das ist dasjenige, was vor der Geburt beziehungsweise vor der Empfängnis mit unserer Seele und mit unserem Geiste in einer geistigen Welt war. Das ist das präexistente Leben unseres Seelisch-Geistigen. Vorher haben wir es im Äther geschaut bis zu unserer Geburt hin. Jetzt schauen wir über die Empfängnis hinaus in die geistig-seelische Welt, und kommen dazu, uns wahrzunehmen, wie wir waren, bevor wir heruntergestiegen sind aus geistigen Welten und einen physischen Leib durch die Vererbungslinie angenommen haben. Diese Dinge sind für die Initiationserkenntnis Erfahrungen, aber Erfahrungen, die erst erworben werden müssen, indem man sich so für sie vorbereitet, wie ich es angedeutet habe. Und so ist das erste, was uns wird, indem wir in die geistige Welt eintreten, die Wahrheit von der Präexistenz der Menschenseele beziehungsweise des Menschengeistes, und wir lernen jetzt das Ewige unmittelbar anschauen. Die Ewigkeit besteht aus Unsterblichkeit und Ungeborenheit, und die Ungeborenheit entdeckt die Initiationserkenntnis vor der Unsterblichkeit. [2]

Wenn der Mensch sich einfach den normalen äußeren Eindrücken überläßt, ist die natürliche Verbindung zwischen Nerv und Blutumlauf vorhanden, (denn) beim gewöhnlichen Leben, wie es im allgemeinen verfließt, geschieht der Vorgang so, daß eine Wirkung, die durch den Nerv sich fortpflanzt (beispielsweise eines Sinneseindruckes), in das Blut sich einschreibt wie in eine Tafel, und dadurch in das Werkzeug des Ich sich eingeschrieben hat. Wenn der Mensch aber auf diese Weise – durch solche Vorstellungen, die er, sagen wir, zu Sinnbildern macht, in scharfer innerer Konzentration der Seele übt – abgezogen wird von allen äußeren Eindrücken von dem, wie zunächst die Außenwelt auf unser Ich wirkt, durch die scharfe innere Konzentration in der Seele, dann hat er ja das in der Seele, was erst im Bewußtsein entsteht, was Inhalt des Bewußtseins ist und den Nerven vorzugsweise in Anspruch nimmt, und was die Nerventätigkeit zunächst von dem Zusammenhange mit der Bluttätigkeit trennt. Die Folge davon ist, daß durch eine solche innere Konzentration, die wirklich die Leitung zwischen Nerv und Blut unterbricht, wenn sie so stark ist, daß dadurch der Nerv in einer gewissen Weise befreit wird vom Zusammenhang mit dem Blutsystem, er daher auch befreit wird von dem, wofür das Blutsystem das äußere Werkzeug ist, das heißt also, befreit wird von den gewöhnlichen Erlebnissen des Ich. Es ist also rein durch Vorgänge innerer Konzentration möglich, sein Blutsystem von dem Nervensystem gleichsam abzutrennen und dadurch dasjenige, was sonst in das Ich bildlich gesprochen – hineingeflossen wäre, zum Zurücklaufen in das Nervensystem zu bringen. [3]

Das Eigentümliche ist, daß der Mensch, wenn er nun wirklich durch innere Seelenarbeit so etwas bewirkt, dann eine ganz andere Art des inneren Erlebens hat, daß er vor einem vollständig veränderten Bewußtseinshorizont steht, den man in einer gewissen Weise dadurch ausdrücken kann, daß man sagt: Wenn Nerv und Blut in einer entsprechenden Weise in Verbindung stehen, wie es im normalen Leben der Fall ist, so bezieht der Mensch die Eindrücke, die von seinem Innern kommen, und die, welche von der Außenwelt kommen, auf sein Ich; dann birgt das Ich die Kräfte, die sich hinerstrecken auf den ganzen Bewußtseinshorizont, und alles wird auf das Ich bezogen. Wenn der Mensch durch innere Konzentration sein Nervensystem abtrennt, also durch innere Seelenkräfte heraushebt aus seinem Blutsystem, so lebt er auch nicht in seinem gewöhnlichen Ich, dann kann er nicht zu dem, was er jetzt sein Selbst nennt, in demselben Sinne Ich sagen, wie er früher beim normalen Bewußtseinsleben Ich gesagt hat. Dann erscheint sich der Mensch so, wie wenn er einen Teil seiner Wesenheit ganz bewußt aus sich herausgehoben hätte, wie wenn etwas, was man sonst nicht sieht, was ein Übersinnliches ist und in unsere Nerven hereinwirkt, sich nicht auf unserer Bluttafel abdruckte, auf unser gewöhnliches Ich keinen Eindruck machte. Dadurch fühlt man sich hinweggehoben von dem ganzen Blutsystem, gleichsam herausgehoben aus dem Organismus, und man begegnet als Ersatz für das, was man im Blutsystem erlebt hat, einem anderen. Während früher die Nerventätigkeit in dem Blutsystem abgebildet wurde, wird sie jetzt in sich selbst zurückreflektiert; jetzt lebt man in etwas anderem, jetzt empfindet man sich in einem anderen Ich, in einem anderen Selbst, das früher höchstens nur geahnt werden konnte: Man fühlt das Hereinragen einer übersinnlichen Welt. [4]

Wenn man der Außenwelt gegenübersteht, fühlt man sich den Dingen und Wesenheiten der äußeren Welt gegenüber fremd, als ein Wesen neben ihnen oder außerhalb ihrer stehend. Anders ist das, wenn man auf die gekennzeichnete Art durch Losreißen seines Nervensystems in die geistige Welt hinaufsteigt, wenn man sich aus seinem Ich heraushebt. Da fühlt man dann nicht mehr: Da ist das fremde Wesen, das uns gegenübertritt, und hier sind wir –, sondern dann ist es so, wie wenn das andere Wesen in uns eindringen würde und wir uns mit ihm eins fühlten.

So darf man sagen: Der hellsichtige Mensch lernt in fortgeschrittener Beobachtung die geistige Welt kennen, jene geistige Welt, mit der ja der Mensch in Verbindung steht und die gewissermaßen durch unser Nervensystem uns zukommt, wenn auch zunächst im normalen Leben auf dem Umwege durch die Sinneseindrücke. Diese geistige Welt ist es also, von welcher der Mensch im normalen Bewußtsein zunächst nichts weiß; diese geistige Welt ist es, die sich dann doch eigentlich einschreibt in unsere Bluttafel, also in unser Ich. Wir dürfen nämlich sagen: Alledem, was uns äußerlich in der Sinneswelt umgibt, liegt eine geistige Welt zugrunde, so daß wir sie wie durch einen Schleier sehen, der eben durch die Sinneseindrücke gewoben wird. Im normalen Bewußtsein, über das sich der Ich-Horizont ausspannt, sehen wir diese geistige Welt nicht, die hinter diesem Schleier ist. In dem Augenblick aber, wo wir von dem Ich frei werden, erlöschen auch die gewöhnlichen Sinneseindrücke; die haben wir dann nicht, und wir leben uns dann hinauf in eine geistige Welt. Das ist dieselbe geistige Welt, die eigentlich hinter den Sinneseindrücken ist, mit der wir eins werden, wenn wir unser Nervensystem herausheben aus unserem gewöhnlichen Blutorganismus. [5]

Zitate:

[1]  GA 84, Seite 165f   (Ausgabe 1961, 291 Seiten)
[2]  GA 305, Seite 87ff   (Ausgabe 1979, 264 Seiten)
[3]  GA 128, Seite 43   (Ausgabe 1978, 186 Seiten)
[4]  GA 128, Seite 44f   (Ausgabe 1978, 186 Seiten)
[5]  GA 128, Seite 49   (Ausgabe 1978, 186 Seiten)

Quellen:

GA 84:  Was wollte das Goetheanum und was soll die Anthroposophie? (1923/1924)
GA 128:  Eine okkulte Physiologie (1911)
GA 305:  Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben (1922)