Geist

Bezeichnet die Geheimwissenschaft das innere Erleben als Seelisches, so benennt sie das Schöpferische als Geistiges. Der [physische Leib] nimmt durch Organe wahr; die Seele erlebt sich im Innern; der Geist schafft nach außen. [1]

Was sprechen wir denn dem Geiste eigentlich zu, wenn wir von Geist reden? Wir sprechen ihm dasjenige als Realität, als äußere Wirklichkeit zu, was wir sozusagen in uns selber in unserer Intelligenz erleben. Indem sie in uns gleichsam in ein zeitliches Dasein tritt, schöpferisch auftritt, bilden wir uns einen Begriff von Intelligenz, von vernünftigem Erleben, von vernunftgemäßem Schaffen, und schauen uns ringsherum das Weltall an. Wir müßten sehr kurzsichtig sein, wenn wir Intelligenz, alles was wir Geist nennen, nur uns selbst zuschreiben wollten. Wenn wir aber hinausschauen und sehen, daß die Dinge des Raumes und der Zeit sich so aussprechen, daß unsere Intelligenz die Gesetzmäßigkeit umfassen kann, dann sagen wir: Was in uns als Intelligenz lebt, das ist ausgebreitet in Raum und Zeit und wirkt dort in Raum und Zeit. Wenn wir uns umsehen im weiten, toten Naturreich, sprechen wir davon, daß der Geist in diesem weiten, toten Naturreich gleichsam im Stoffe erstarrt ist, und daß wir das, was in den Formen, in der gesetzmäßigen Wirksamkeit des Stoffes sich ausprägt, hereinlassen, auffangen können in unserer Intelligenz, und dadurch in unserer Intelligenz eine Art Spiegelung des die Welt durchwebenden und durchwirkenden Geistes haben. [2]

Alles Herausziehen von Geistigem aus den Dingen und Wesenheiten wäre die reine Phantasterei, wäre eine selbstgemachte Phantastik, wenn man nicht voraussetzen würde, daß allüberall, wohin wir blicken und woraus wir den Geist ziehen können, dieser Geist auch vorhanden ist. [3] Geist ist zunächst etwas für die gewöhnliche Wahrnehmung ganz Unbekanntes. [4] Der Geist ist Aktivität, ist immer Tätigkeit. Der Geist ist schöpferisch. Der Geist ist das absolut Produktive. Der Intellekt ist das passive Bild des Geistes. [5] Wenn wir hineinkommen in uns, kommen wir eigentlich erst zum Geist. [6] In dem Weltenäther lebt der Geist. [7]

Zitate:

[1]  GA 89, Seite 37   (Ausgabe 2001, 234 Seiten)
[2]  GA 60, Seite 73f   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[3]  GA 60, Seite 157   (Ausgabe 1983, 496 Seiten)
[4]  GA 305, Seite 27   (Ausgabe 1979, 264 Seiten)
[5]  GA 305, Seite 29   (Ausgabe 1979, 264 Seiten)
[6]  GA 224, Seite 109   (Ausgabe 1966, 232 Seiten)
[7]  GA 96, Seite 196   (Ausgabe 1974, 350 Seiten)

Quellen:

GA 60:  Antworten der Geisteswissenschaft auf die großen Fragen des Daseins (1910/1911)
GA 89:  Bewußtsein – Leben – Form. Grundprinzipien der geisteswissenschaftlichen Kosmologie (1903-1906)
GA 96:  Ursprungsimpulse der Geisteswissenschaft. Christliche Esoterik im Lichte neuer Geist-Erkenntnis (1906/1907)
GA 224:  Die menschliche Seele in ihrem Zusammenhang mit göttlich-geistigen Individualitäten.. Die Verinnerlichung der Jahresfeste (1923)
GA 305:  Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben (1922)