Schulung esoterische
► Meditation

Zunächst geht, wenn wir eben heute nur von der modernen, von der heute gültigen Initiationserkenntnis Mitteilungen empfangen wollen, diese Initiationserkenntnis vom Denken aus. Das Gedankenleben muß voll entwickelt sein, wenn man heute zur Initiationserkenntnis kommen will. Da kommen wir zu der großen, zu der, ich möchte sagen, für den Denker geradezu tragischen Frage: Wie steht es mit dem, was ich bei aller Erkenntnis anwende, mit dem Denken selber? Nun kann man nicht finden, wie es mit diesem Denken steht, auch wenn man noch so lange nachdenkt; denn da bleibt das Denken nur immer auf demselben Flecken stehen, da dreht man sich sozusagen nur immer um die Achse, die man sich schon gebildet hat. Man muß mit dem Denken etwas vollziehen: Meditation. Über die Meditation soll man nicht «mystisch» denken, aber man soll auch nicht leicht über sie denken. Die Meditation muß etwas Klares sein in unserem heutigen Sinne. Aber sie ist zugleich etwas, zu dem Geduld und innere Seelenenergie gehört. Und vor allen Dingen gehört etwas dazu, was niemand einem anderen Menschen geben kann: es gehört dazu, daß man sich selber etwas versprechen und es dann halten kann. Wenn der Mensch einmal beginnt, Meditationen zu machen, so vollzieht er damit die einzige wirklich völlig freie Handlung in diesem menschlichen Leben. Wenn wir uns aber vornehmen, abends und morgens eine Meditation zu machen, damit wir allmählich lernen, in die übersinnliche Welt hineinzuschauen, dann können wir das jeden Tag unterlassen. Nichts steht dem entgegen. Und die Erfahrung lehrt auch, daß die meisten, die mit großen Vorsätzen an das meditative Leben herangehen, es sehr bald wieder unterlassen. Es ist dieses Meditieren eine urfreie Handlung. Können wir uns trotzdem treu bleiben, dann ist das an sich eine ungeheure Kraft im Seelischen, dieses sich einfach treu bleiben können. In der Meditation handelt es sich darum, daß wir irgendeine Vorstellung oder einen Vorstellungskomplex in den Mittelpunkt unseres Bewußtseins rücken. Es kommt gar nicht darauf an, welches der Gehalt dieses Vorstellungskomplexes ist; aber er soll unmittelbar sein, er soll so sein, daß er keine Reminiszenzen aus der Erinnerung oder dergleichen darstellt. Daher ist es gut, wenn wir ihn nicht aus unserem Erinnerungsschatze heraufholen, sondern uns von einem anderen, der erfahren ist in solchen Dingen, die Meditation geben lassen, nicht, weil der auf uns irgendeine Suggestion ausüben will, sondern weil wir sicher sein können, daß dasjenige, was wir dann meditieren, etwas Neues für uns ist. Wir können ebensogut irgendein altes Werk, das wir ganz sicher noch nicht gelesen haben, nehmen, und uns einen Meditationssatz daraus suchen. Es handelt sich darum, daß wir nicht aus dem Unterbewußten und Unbewußten einen Satz heraufholen, der uns überwältigt. Das ist nicht überschaubar, weil sich alle möglichen Empfindungsreste und Gefühlsreste hineinmischen. Es handelt sich darum, daß es so überschaubar sein soll, wie ein Mathematiksatz überschaubar ist. Nehmen wir etwas ganz Einfaches, den Satz: Im Lichte lebt die Weisheit. – Das ist zunächst gar nicht darauf zu prüfen, ob es wahr ist. Es ist ein Bild. Aber es kommt nicht darauf an, daß wir irgendwie mit dem Inhalte als solchem uns anders beschäftigen, sondern daß wir ihn innerlich seelisch überschauen, daß wir darauf ruhen mit dem Bewußtsein. Wir werden es anfangs nur zu einem sehr kurzen Ruhen mit dem Bewußtsein auf einem solchen Inhalte bringen. Immer länger und länger wird die Zeit werden. Es kommt nun darauf an, daß wir den ganzen seelischen Menschen zusammennehmen, um all das, was in uns Denkkraft, Empfindungskraft ist, auf den einen Inhalt zu konzentrieren. Geradeso wie die Muskeln der Arme stark werden, wenn wir mit ihnen arbeiten, so verstärken sich die seelischen Kräfte dadurch, daß sie immer wieder und wieder auf einen Inhalt gerichtet werden. Möglichst sollte dieser Inhalt durch Monate, vielleicht durch Jahre derselbe bleiben. Denn die seelischen Kräfte müssen zur wirklichen übersinnlichen Forschung erst gestärkt, erkraftet werden. [1]

Wenn man in dieser Weise fortübt, dann kommt der große Tag, an dem man eine ganz bestimmte Beobachtung macht, daß man sich in einer geistig-seelischen Tätigkeit fühlt, welche völlig unabhängig von jeder Leibestätigkeit ist. Und das merkt man daran, daß man nunmehr in die Lage kommt, etwas im Kopfe selber in Vibration zu versetzen, das vorher ganz unbewußt geblieben ist. Man macht nämlich jetzt eine merkwürdige Entdeckung, worin der Unterschied des Schlafens vom Wachen besteht. Dieser Unterschied besteht nämlich darin, daß wenn man wacht, etwas in dem ganzen menschlichen Organismus vibriert, nur nicht im Haupte: da ist dasselbe, was sonst im übrigen menschlichen Organismus in Bewegung ist, in Ruhe. Der Ätherleib der ist im Wachen in innerlicher Bewegung, in einer regelmäßigen Bewegung im ganzen übrigen menschlichen Leib, nur nicht im Kopfe. Im Kopf ist der Ätherleib innerlich ruhig. Im Schlafe ist das anders. Das Schlafen beginnt damit – und dauert dann in der Art und Weise an –, daß der Ätherleib auch im Kopfe anfängt in Bewegung zu sein. So daß wir im Schlafe als ganzer Mensch, nach Kopf und übrigem Menschen, einen innerlich bewegten Ätherleib haben. Und wenn wir träumen, sagen wir, beim Aufwachen, dann ist es so, daß wir die letzten Bewegungen des Ätherleibes gerade im Aufwachen noch wahrnehmen. Die letzten Kopf-Ätherbewegungen nehmen wir beim Aufwachen noch wahr. Wer lange in der Weise meditiert, der kommt in die Lage, in den ruhigen Ätherleib des Kopfes allmählich Bilder hinein zu formen – die Imaginationen. Und diese Imaginationen, die unabhängig vom physischen Leibe im Ätherleib erlebt werden, sind der erste übersinnliche Eindruck, den wir haben können. Er bringt uns dann in die Lage, ganz abzusehen von unserem physischen Leibe, und unser Leben bis zu der Geburt hin in seinem Handeln, in seiner Bewegung wie in einem Bilde anzuschauen. Was oftmals von den Leuten beschrieben wird, die im Wasser untersinken, am Ertrinken sind: daß sie ihr Leben rückwärtsschauend in bewegten Bildern sehen, das kann hier systematisch ausgebildet werden, so daß man alle Ergebnisse unseres gegenwärtigen Erdenlebens darinnen sehen kann. Das erste, was die Initiationserkenntnis gibt, ist die Anschauung des eigenen seelischen Lebens. Das ist allerdings jetzt anders, als man es gewöhnlich vermutet. Gewöhnlich vermutet man in der Abstraktion dieses seelische Leben als etwas, das aus Vorstellungen gewoben ist. Wenn man es in seiner wahren Gestalt entdeckt, ist es etwas Schöpferisches, da ist es zugleich dasjenige, was in unserer Kindheit gewirkt hat, was unser Gehirn plastisch gebildet hat, was den übrigen Leib durchdringt und in ihm eine plastische, bildsame Tätigkeit bewirkt, indem es unser Wachen, sogar unsere Verdauungstätigkeit jeden Tag bewirkt. Wir sehen dieses innerlich Tätige im Organismus als den Ätherleib des Menschen. Das ist kein räumlicher Leib, das ist ein zeitlicher Leib. Wir haben einen physischen Raumesleib und einen Zeitleib, einen Ätherleib, der immer in Bewegung ist. Und es bekommt nur einen Sinn, von dem Ätherleib zu sprechen, wenn wir von diesem Zeitleib sprechen, den wir als Einheit überschauen bis zu unserer Geburt hin, von dem Augenblicke ab, wo wir in die Lage kommen, diese Entdeckung zu machen. Das ist das erste, was wir an übersinnlichen Anlagen in uns selbst entdecken können. [2]

Das ist ein wichtiges Erlebnis, wenn man dazu gekommen ist, die Erinnerungen gewissermaßen wie eine Art Niveau zu betrachten, bis zu dem man hinuntertaucht beim gewöhnlichen Bewußtsein, und von dem aus man die Erinnerungsvorstellungen heraufholt, und wenn man dann spürt, wie tiefer unten ein anderes Niveau liegt im Seelenleben, zu dem man jetzt hinuntergedrungen ist, und von dem man durch das erkraftete Denken nun Vorstellungen heraufschöpfen kann, die nicht dieselben sind, denen man sich zuerst hingegeben hat, sondern die nun ganz andere sind. Und während man durch die Erinnerung vorstellen kann das, was nicht mehr da ist, aber einmal da war im Menschenleben, so erfährt man jetzt, wie man von diesem tieferen Niveau aus, wenn man aus ihm heraufschöpft, zu Vorstellungen kommt über etwas, das man sonst im Leben niemals hat. Jetzt ist man durch dieses Erkenntnistor in die geistige Welt eingedrungen. Und die erste Erfahrung, die sich da ergibt, ist diese, daß man einen wirklichen tableauartigen Rückblick auf sein gesamtes bisher verbrachtes Erdenleben gewinnt. Man möchte sagen: Wie in einem einzigen Augenblicke – das ist etwas radikal gesprochen, aber es ist fast so – liegt, indem förmlich die Zeit in Raum verwandelt ist, das bisherige Erdenleben vor dem Bewußtsein ausgebreitet in mächtigen Bildern. Die in der gewöhnlichen Erinnerung doch passiv gebildeten Vorstellungen enthalten überhaupt mehr die Art und Weise, wie die Außenwelt an einen herangetreten ist. In diesem Tableau schaut man sich selber, wie man durch seine eigenen Temperamenteigenschaften, durch seinen Charakter, durch das, was in einem selber als Sehnsucht, als Liebe gelebt hat, sich einem andern Menschen genähert hat. Während einem die bloße Erinnerung dasjenige gibt, was von außen einem entgegengetragen wird, gibt einem dieses Erinnerungstableau mehr das, was man selbst beigetragen hat zu dem Erlebnis, was aus einem selber herausgekommen ist. Man sieht sich wirklich wie einen zweiten Menschen. Indem man dieses Erinnerungstableau hat (weiteres siehe: Lebenstableau), hat man nicht viel Eindruck von seinem physischen Raumesleib; aber man fühlt sich in alledem darinnen, was man zum Erlebnis gebracht hat, und man fühlt zu gleicher Zeit, wie alles, was man da zum Erlebnis gebracht hat, gewissermaßen eine ätherisch strömende Welt ist. Und man lernt zu gleicher Zeit erkennen mit dieser ätherisch strömenden Welt, welche in mächtigen Bildern wie in einem fortströmenden Flusse das eigene Leben enthält, wie diese ätherisch verlaufende Welt des eigenen Daseins zusammenhängt mit der allgemeinen ätherischen Welt. Wenn man als physischer Mensch mit seinen physischen Sinnen der Außenwelt gegenübersteht, so fühlt man sich selber innerhalb seiner Haut eingeschlossen. Man fühlt die anderen Dinge als äußere Dinge. Man fühlt einen strengen Kontrast zwischen Subjekt und Objekt, wenn ich mich philosophisch ausdrücken will. Das ist nicht der Fall, wenn man nun in ein verstärktes Denken, in die fluktuierende Welt, ich möchte sagen, des zweiten Menschen, des Zeitmenschen gegenüber dem physischen, leiblichen Raumes-menschen eintritt. Man kann wirklich von einem Zeitleib sprechen, denn man empfindet wie auf einmal dieses ganze bisher verbrachte Erdenleben, und man fühlt dieses bisher verbrachte Erdenleben sich bewegend in einer allgemeinen, ihm gleichen Welt. Man lernt jetzt erst erkennen, was eine ätherische Welt ist, und was man selber als zweiter Mensch, als zweites Menschenwesen in dieser ätherischen Welt ist. Aber damit hat man erst die erste Stufe des Übersinnlich-Geistigen beschritten. Man weiß gewissermaßen in unmittelbarer Anschauung nur deshalb, weil man sich selber fühlt als geist-seelisches Wesen innerhalb einer geist-seelischen Welt. Aber mehr weiß man zunächst noch nicht. [3]

Die Bewegungen des Ätherleibes schlagen überall an den physischen Leib an. Und durch dieses Anschlagen verwandeln sich die Lichtbewegungen des Ätherleibes in die Erinnerungsvorstellungen. Man sieht nicht die Bewegungen des Ätherleibes, sondern die durch das Anschlagen an den physischen Leib bewirkten Vorstellungen. Aber das sind die Erinnerungsvorstellungen. Würde man nun die Möglichkeit haben, den physischen Leib so zu bezwingen, daß man sich von dem physischen Leib unabhängig macht und damit auch den Ätherleib befreit – das kann durch gewisse Meditationsvorgänge bewirkt werden –, so könnte man es schon im Leben dahin bringen durch den physischen Leib nicht gestört zu werden, so daß man bei der Erinnerung nicht das schaut, was durch das Anschlagen des Ätherleibes an den physischen Leib entsteht, sondern daß man das Eigenschwingen, Eigenbewegen des Ätherleibes schaut. Man ist dann im äußeren Lichtäther und schaut die Bewegungen seines Lichtleibes. [4]

Wenn die Menschen durch Meditation, durch Konzentration, kurz, durch eine Verstärkung ihres seelisch-geistigen Erlebens ein wenig weitergekommen sein werden, so geht es über in ein seelisches Erleben, das ein waches Schlafen ist, in ein Darinnenleben in der geistigen Welt. Und die erste Erfahrung, die der Mensch macht, wenn er am Ausgangspunkt der Initiation ist, wird eine solche Erfahrung sein, die von den Schülern gewöhnlich zu wenig berücksichtigt wird, nämlich daß der Mensch Augenblicke erlebt, wo wie glitzernd-glimmend, wie traumhaft, die geistige Welt in sein Bewußtsein hereindringt – das weiß er eigentlich erst hinterher, wo er sich sagen muß: Jetzt hast du etwas von der geistigen Welt erlebt. Würde der Mensch nicht im Schlafe sein Bewußtsein verlieren, so würde er während der ganzen Zeit, vom Einschlafen bis zum Aufwachen, in dieser geistigen Welt sein. Wer die Anweisungen (zur geistigen Schulung) sorgfältig befolgt, der kommt verhältnismäßig bald darauf, daß er beim Aufwachen weiß: Du tauchst auf, wie wenn du mit deinem seelischen Erleben gewoben hättest in einer Welt von lauter Gedanken. Da ist es so, wie wenn du noch die letzten Fetzen dieses Erfahrens erhaschen würdest beim Aufwachen. Das kann einen großen Eindruck machen, trotzdem es sich sofort verliert und zumeist selbst schwierig ist, im Gedächtnisse festgehalten zu werden. Aber wichtig wäre es für den, der vorwärtskommen will, gerade solche Momente des Aufwachens zu erhaschen, denn da entsteht das Bewußtsein: Du warst, bevor du aufgewacht bist, in deinem astralischen Leibe in einer webenden objektiven Gedankenwelt darinnen, und indem du in deinen physischen Leib untergetaucht bist, da steigst du herauf, da glitzert es in der Seele, da stößt du an deine physische Leiblichkeit an, die dir zurückspiegelt das, was du die ganze Nacht durchlebt hast. – Dieses Bewußtsein kann entstehen und sollte beachtet werden, und es ist wichtig, daß es entsteht. Wenn man ein solches Bewußtsein hat, dann fängt man an zu wissen, warum es schwierig ist, sozusagen, die Gedanken, die man durchlebt während des Schlafes und auch während der Initiation, wirklich in die physische Welt, in das physische Denken hereinzubekommen; denn man lebt mit seinen Gedanken ganz anders außer dem Leibe als im Leibe. [5]

Dasjenige, was Denkkraft ist, kann nicht in sich selbst wahrgenommen werden. So wenig als das Auge sich selber sehen kann, kann die Denkkraft sich selber wahrnehmen; sie muß von irgend etwas zurückgespiegelt werden. In der initiierten Erkenntnis ist es während des Leibeslebens schon so, daß der Mensch nicht in der Spiegelung seines Leibes erkennt, sondern außerhalb seines Leibes. Es kommt dadurch zum Bewußtsein, daß die Spiegelung des Späteren bewirkt wird durch das Frühere. Der Initiierte nimmt wahr dadurch, daß sich seine Denkkraft, die er jetzt aussendet, spiegelt an demjenigen, was er früher gedacht hat. Das was er gestern gedacht hat, bleibt in der allgemeinen Weltenchronik, der Akasha-Chronik, eingeschrieben, und das, was heute seine Denkkraft entwickelt, spiegelt sich in dem gestern Gedachten. Daraus können Sie ersehen, daß das Bestreben eine Berechtigung haben muß, so stark wie möglich das gestern Gedachte zu machen, damit es wirklich richtig spiegeln kann. Und dies wird bewirkt durch die strenge Konzentration der Gedanken und durch Meditationen verschiedener Art. Da wird gleichsam der Gedanke, der sonst flüchtig bleibt, in dem Menschen so verdichtet, so verstärkt, daß der Mensch dann dazu kommen kann, daß sich die Denkkraft spiegelt an den vorher verstärkt gemachten, verdichteten Gedanken. [6]

Der Geistesschüler fängt an, mit seinen Gedanken umzugehen wie mit den Dingen im Raume. Und dann naht für ihn auch der Augenblick, in dem er das, was sich ihm in der Stille innerer Gedankenarbeit offenbart, als viel höher, wirklicher zu fühlen beginnt als die Dinge im Raume. Er erfährt, daß sich Leben in dieser Gedankenwelt ausspricht. Er sieht ein, daß sich in Gedanken nicht bloße Schattenbilder ausleben, sondern, daß durch sie verborgene Wesenheiten zu ihm sprechen. Vorher hat es nur durch sein Ohr zu ihm getönt; jetzt tönt es durch seine Seele. Eine innere Sprache – ein inneres Wort – hat sich ihm erschlossen. [7] (Weitere Meditationssätze siehe: Meditationstexte).

Das erste (also), was man lernen muß, um in die geistige Welt hineinzukommen, ist ein richtiges Denken. Wir müssen heute erst einmal darauf kommen, einzusehen, wie das ist, daß erstens ein ganz selbständiges Denken da sein muß. Da muß man mit vielem brechen, was heutige Erziehung ist, denn die heutige Erziehung ist eben unselbständiges Denken, vom Latein herrührendes Denken. Das zweite aber, das ist, daß man lernen muß, nicht bloß in dem gegenwärtigen Augenblick zu leben, sondern immer wiederum zurückgehen zu können in das Leben, das man bis in die Kindheit hinein geführt hat. Wenn Sie denken, so wie man es heute gelernt hat, da denken Sie mit Ihrem gegenwärtigen physischen Leib. Aber wenn Sie auf das zurückkommen, was Sie (beispielsweise) mit 12 Jahren waren, da können Sie nicht mit Ihrem damaligen physischen Leib denken, denn der ist nicht mehr da, da müssen Sie mit Ihrem Ätherkörper denken. Deshalb rufen Sie diesen Ätherleib auf, wenn Sie zurückdenken an etwas, was 12, 14 Jahre zurückliegt. Dadurch kommen Sie in diese innere Tätigkeit hinein. [8] So sind wir zunächst, wenn wir die erste Stufe des seelischen Übens durchgemacht haben, zu einer wahren Selbsterkenntnis unseres Erdenlebens gekommen. Denn eine solche Selbsterkenntnis ist da. In diesem Erinnerungstableau sieht man, was einen vorwärtsgebracht hat; dann sagt man sich (aber auch): Da ist etwas, was dich unvollkommen gemacht, zurückgebracht hat. – Man stellt sich mit Menschenwert und Menschenwürde in dieses Erinnerungstableau, und man erlangt durch die erst geweckte Erkenntnis eine Vorstellung desjenigen, was man gegenüber der äußeren Wirklichkeit und den sinnlichen Kräften eigentlich erst jetzt berechtigt ist, den «Äther» der Welt zu nennen. Der Äther der Welt, der nur im Zeitlichen lebt und der uns in gewissem Maße ein Stück gibt zu dem, was ich jetzt als die erste Gestalt des vom physischen losgelösten höheren Menschen geschildert habe. Aber man hat nicht viel erlangt mit diesem ersten Schritte. Will man mehr, so muß man eben unternehmen, diese Seelenübungen fortzusetzen.

Zitate:

[1]  GA 305, Seite 78ff   (Ausgabe 1979, 264 Seiten)
[2]  GA 305, Seite 81ff   (Ausgabe 1979, 264 Seiten)
[3]  GA 84, Seite 20uf   (Ausgabe 1961, 291 Seiten)
[4]  GA 165, Seite 120f   (Ausgabe 1981, 240 Seiten)
[5]  GA 156, Seite 156f   (Ausgabe 1967, 183 Seiten)
[6]  GA 161, Seite 256ff   (Ausgabe 1980, 292 Seiten)
[7]  GA 10, Seite 38   (Ausgabe 1961, 232 Seiten)
[8]  GA 350, Seite 152f   (Ausgabe 1962, 314 Seiten)

Quellen:

GA 10:  Wie erlangt man Erkenntnisse der höheren Welten? (1904/1905)
GA 84:  Was wollte das Goetheanum und was soll die Anthroposophie? (1923/1924)
GA 156:  Okkultes Lesen und okkultes Hören (1914)
GA 161:  Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915)
GA 165:  Die geistige Vereinigung der Menschheit durch den Christus-Impuls (1915/1916)
GA 305:  Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst. Spirituelle Werte in Erziehung und sozialem Leben (1922)
GA 350:  Rhythmen im Kosmos und im Menschenwesen. Wie kommt man zum Schauen der geistigen Welt? (1923)