Marxismus

Die Weltanschauung des Karl Marx ist eine rein ahrimanische. Ihr Geheimnis beruht darauf, daß nur anerkannt wird das materiell im Erdenwesen Geschehene, daß ignoriert wird das Hinaufragen der Geistigkeit des Menschen in die übersinnlichen Welten, und daß dadurch, durch diese Ignorierung, der Mensch den ahrimanischen Mächten verfällt. Denn sobald der Mensch sein Bewußtsein ausschließt von den Welten, in die er hinaufragt, verfällt er den ahrimanischen oder luziferischen, in diesem Falle den ahrimanischen Mächten. Der Marxismus wird weiterwirken. Das, was zunächst bloß Wissen sein sollte, wird Geschehen werden, wird tatsächlich Wirklichkeit werden. [1] Der Gedanke, daß der Gedanke nichts wert ist, das ist ja marxistische Theorie. Aber (trotzdem) ein Gedanke ist es, der eigentlich die gegenwärtige sozialistische Empfindungsweise hervorgerufen hat. Diese sozialistische Empfindungsweise, die gar nichts von der Impulsivität des Gedankens wissen will, ruht auf der Impulsivität von Gedanken. Die einzige wirklich wissenschaftliche Bewegung als politische, soziale Bewegung, ist die moderne Arbeiterbewegung. Sie ist daher behaftet mit allen Fehlern, mit allen Aussichtslosigkeiten gerade der neuzeitlichen Wissenschaft. Denken Sie sich diesen kolossalen Widerspruch, der so hereingestellt worden ist in das moderne Leben: Der Gedanke, daß der Gedanke (als Ideologie) nichts wert sei, der hat als Gedanke am allermeisten gewirkt in den letzten sechzig bis siebzig Jahren. [2]

Man kommt darauf, daß direkt von dem Jesuiten Franz Suarez (1548–1617) abstammt ungeheuer vieles von dem, was man heute historischen Materialismus nennt, Marxismus, sozialdemokratische Weltauffassung. [3] Im mate­rialistischen Zeitalter und bei der ganzen Erziehung des modernen Proletariers, der nur an den Mechanismus des Lebens herankommt und nicht an die Psyche und an den Geist, wurde dieses Geistesleben in der Anschauung des Proletariers ganz selbstverständlich zu der materialistischen Geschichtsauffassung. Das Wesentliche des proletarischen Marxismus als Weltanschauung ist der Unglaube an den Menschen. Dieser Unglaube an den Menschen hatte in den Zeiten der Urweisheit der Menschheit seine Berechtigung, denn da waren es göttliche Kräfte, die in dem menschlichen Inneren saßen und den Menschen führten. Die Menschen wußten sich auf dasjenige verwiesen, was sie unbewußt aus Seelentiefen heraus als die Offenbarungen der Götter als Richtkräfte für das Leben erkennen konnten. Da war es der Unglaube an den Menschen und der Glaube an die Götter. Als herausgebunden war aus dem alten theokratisch-kirchlichen Element das staatlich-administrative, das beamtlich-militärische Element, da bestand noch immer dieser Unglaube an den Menschen. Denn da entstand der Glaube, der Mensch als solcher kann doch nicht die Geschicke leiten, das muß der Staat tun. Der Staat wurde zum Götzen, zum Fetisch. Und das führte den Menschen, der nun in das Staatssystem eingespannt war, zum Unglauben an den Menschen, zum Glauben an den äußeren Fetisch. Natürlich, sobald der Gott herunterkommt, wird er immer mehr und mehr zum Fetisch. Der proletarische Marxismus ist die dritte und letzte Stufe des Unglaubens an den Menschen. Denn der Proletarier sagt sich in seiner materialistischen Geschichtsphilosophie: Nicht der Mensch ist es, der die Geschicke leitet, sondern «die Produktionskräfte» sind es, die ihn leiten. Wir stehen als Menschen ohnmächtig da mit unserer Ideologie. So, wie die Produktionsprozesse verlaufen, so ist der geschichtliche Gang. Und was die Menschen innerhalb dieser Produktionskräfte sind, ist nur das Ergebnis der Produktionskräfte selbst. Unglaube an den Menschen und wirklicher Glaube an den handgreiflichen Fetisch. Es ist kein prinzipieller Unterschied, ob der auf andere Weise in die Dekadenz gekommene afrikanische Wilde einen äußeren Holzklotz anbetet, zum Fetisch macht, oder ob der europäische Proletarier die Produktionsmittel und Produktionsprozesse als dasjenige ansieht, was die Geschichte dirigiert. Da ist logisch prinzipiell gar kein Unterschied. Es ist die letzte Phase des Unglaubens an den Menschen, die Phase der wirtschaftlich abergläubischen Denkweise. [4]

Unter den Sozialisten selbst gibt es eine große Anzahl, die sich einfach so auf Karl Marx berufen, daß sie sagen, sie seien Marxisten. Nun, der eine behauptet, er stünde ganz auf orthodox-marxistischem Standpunkt, der andere behauptet, er vertrete einen fortgeschrittenen Marxismus und so weiter. Aber alles geht auf Marx zurück. Nun liegt ja ein Ausspruch von Karl Marx selbst vor, der auf gewisse Seiten dieser Sache recht tief blicken läßt. Karl Marx betonte einmal, als er über den Marxismus selber sprach, daß er, Karl Marx, jedenfalls kein Marxist sei. [5]

Rudolf Steiner war durchaus in der Lage, das Lebenswerk von Karl Marx als individuelle geistige Leistung zu würdigen («Wahrhaftig, ich bewundere Karl Marx wegen seiner Gedankenschärfe, wegen seines umfassenden historischen Blickes, wegen seines großartigen umfassenden Gefühles für die proletarischen Impulse der neueren Zeit, wegen seiner gewaltigen kritischen Einsicht in den Selbstzersetzungsprozess des modernen Kapitalismus und wegen seiner vielen genialen Eigenschaften.» [6] ); zugleich stand für Steiner fest, dass der materialistische Marxismus als okkupierendes Gedankensystem eine verhängnisvolle Wirkung für das Bewusstsein des Einzelnen und die Sozialordnung der Gesellschaft haben würde. [7]

Zitate:

[1]  GA 184, Seite 69   (Ausgabe 1968, 334 Seiten)
[2]  GA 188, Seite 182f   (Ausgabe 1982, 262 Seiten)
[3]  GA 169, Seite 164   (Ausgabe 1963, 182 Seiten)
[4]  GA 338, Seite 190ff   (Ausgabe 1986, 336 Seiten)
[5]  GA 189, Seite 56   (Ausgabe 1980, 184 Seiten)
[6]  GA 330, Seite 45   (Ausgabe 1983, 440 Seiten)
[7]  Se, Seite 36f   (Ausgabe 2007, 0 Seiten)

Quellen:

GA 169:  Weltwesen und Ichheit (1916)
GA 184:  Die Polarität von Dauer und Entwickelung im Menschenleben. Die kosmische Vorgeschichte der Menschheit (1918)
GA 188:  Der Goetheanismus, ein Umwandlungsimpuls und Auferstehungsgedanke. Menschenwissenschaft und Sozialwissenschaft (1919)
GA 189:  Die soziale Frage als Bewußtseinsfrage (1919)
GA 330:  Neugestaltung des sozialen Organismus (1919)
GA 338:  Wie wirkt man für den Impuls der Dreigliederung des sozialen Organismus?. Zwei Schulungskurse für Redner und aktive Vertreter des Dreigliederungsgedankens (1921)
Se:  Peter Selg: Die Arbeit des Einzelnen und der Geist der Gemeinschaft. Rudolf Steiner und das "Soziale Hauptgesetz" (2007)