Atavismus

Ein Arbeiten des Unterbewußtseins kann auch eintreten wie ein altes Erbstück eines ursprünglichen, eines primitiven menschlichen Bewußtseinszustandes, wie ein Atavismus. Da treten diejenigen Dinge auf, die wir als Visionen bezeichnen, diese würden entsprechen den schulgerecht ausgearbeiteten Imaginationen. Es treten auf Ahnungen, die wären primitive Inspirationen. [1]

Das alte hellseherische Bewußtsein ist jetzt das Unterbewußtsein geworden. [2] Von diesen ganz anderen Seelenzuständen wissen allerdings gewisse Bruderschaften der neueren Zeit, allein sie halten – was in der Gegenwart nicht mehr geschehen sollte – diese Dinge noch unter Schloß und Riegel. Es ist (allerdings) von einem gewissen Grade an etwas Gefährliches, von diesen Dingen zu reden. Aber bis zu einem gewissen Grade soll nicht nur, sondern muß heute über diese Dinge gesprochen werden, weil die Kenntnis alter Bewußtseinszustände der Menschheit eben orientierend ist für dasjenige, was sich als Neues entwickeln soll. Haben wir in uns die Gedanken von dem, was einmal da war, so kann uns das dienen, um die notwendigen, allerdings ganz andersartigen neueren Entwickelungszustände zu fördern. [3]

Bei okkulten Vereinigungen mystischen oder maurerischen Charakters des Westens sehen wir überall, wie eine gewisse Abneigung besteht, aus den unmittelbaren, gegenwärtigen Eigenschaften der Menschen heraus in die geistigen Welten aufzusteigen, und viel mehr die Neigung, die normalen Eigenschaften der Menschheit der Gegenwart dazu zu verwenden, sie mehr in den Dienst der sinnenfälligen Utilität, der Nützlichkeit zu stellen. Dagegen tritt das Bestreben auf, das Geistige, das man nicht unmittelbar suchen will, auf andere Weise zu befriedigen. Das heißt man kommt dazu, das Geistige da aufzugreifen, wo es noch vorhanden ist in alter atavistischer Form, es da hervorzuholen. Immer reger wird der Trieb werden, zu dem, was man auf medialem Wege für die Nützlichkeit erringt, durch allerlei okkulte Verbrüderungen auch das andere hinzustellen, was man «uralte Weisheit» nennt, die einstmals atavistisch in die Menschheit eingezogen ist, oder was gewisse, auf früherer Entwickelungsstufe zurückgebliebene Völker sich bewahrt haben aus früheren Zeiten. [4]

Zitate:

[1]  GA 143, Seite 101   (Ausgabe 1970, 248 Seiten)
[2]  GA 129, Seite 111   (Ausgabe 1960, 254 Seiten)
[3]  GA 180, Seite 154f   (Ausgabe 1980, 351 Seiten)
[4]  GA 171, Seite 267   (Ausgabe 1964, 376 Seiten)

Quellen:

GA 129:  Weltenwunder, Seelenprüfungen und Geistesoffenbarungen (1911)
GA 143:  Erfahrungen des Übersinnlichen. Die drei Wege der Seele zu Christus. (1912)
GA 171:  Innere Entwicklungsimpulse der Menschheit. Goethe und die Krisis des neunzehnten Jahrhunderts (1916)
GA 180:  Mysterienwahrheiten und Weihnachtsimpulse. Alte Mythen und ihre Bedeutung (1917/1918)