Devachan
► 3. Region – der Luftkreis

Man gelangt zur dritten Stufe des Devachan, wenn man sein Gedankenleben von jeder Verbindung mit der physischen Welt löst; wenn man sich im Gedankenleben erfühlen kann ohne Gedankeninhalt. Nachdem man die Kontinente und die Flüsse des Devachan gesehen hat, das heißt die Astralseele der Dinge und die Lebensströmungen, nimmt man die Luft, die devachanische Atmosphäre wahr. Sie ist ganz verschieden von der unsrigen. Ihre Substanz ist lebendig, tönend, voller Empfindung, als ob sie fühlte. Sie antwortet auf jede unserer Gesten, unserer Handlungen, unserer Gedanken durch Schwingungen, Lichterscheinungen, Töne. Alles was auf der Erde geschieht, wirkt sich hier aus in Form von Farbe, Licht und Ton. Sei es, daß man hier während des Schlafes lebt, sei es nach dem Tode immer kann man dort das Echo von dem, was auf der Erde geschieht, verfolgen. Man kann zum Beispiel eine (irdische) Schlacht beobachten: man sieht nicht die Schlacht selbst, noch ihr Hinundherschwanken, vielmehr äußern sich Kämpfe und Leidenschaften als Blitz und Donner.

So trennt uns der Devachan nicht von der Erde, aber er zeigt sie uns wie von außen. Man empfindet nicht mehr den Schmerz und die Freude als etwas, was sich in uns abspielt. Man betrachtet sie objektiv wie ein Schauspiel. Es ist eine neue Lehrzeit für Mitgefühl und Erbarmen. Der Devachan ist eine Schule, wo man lernt, die Leiden und Freuden dieser Welt von einem höheren Gesichtspunkt aus zu betrachten; wo man alle Kräfte aufbietet, um die Leiden in Freude, die Stürze in neue Aufschwünge, den Tod in Auferstehung zu verwandeln. Das hat nichts zu tun mit passiver Kontemplation und einem mehr oder weniger egoistischen Himmelsglück. Es handelt sich um einen lebendigen Himmel, wo der unbegrenzte Wunsch nach Sympathie und Tätigkeit, der in der menschlichen Seele veranlagt ist, nach unbegrenzten Wirkungsfeldern und unendlichen Ausblicken drängt. [1]

Alles, was in den Seelen der beiden anderen Welten vorgeht, hat hier sein geistiges Gegenstück. Alle Empfindungen, Gefühle, Instinkte, Leidenschaften und so weiter sind hier auf geistige Art noch einmal vorhanden. Die atmosphärischen Vorgänge in diesem Luftkreise entsprechen den Leiden und Freuden der Geschöpfe in den anderen Welten. Wie ein leises Wehen erscheint hier das Sehnen einer Menschenseele; wie ein stürmischer Luftzug ein leidenschaftlicher Ausbruch. Wer über das hier in Betracht Kommende sich Vorstellungen bilden kann, der dringt tief ein in das Seufzen einer jeglichen Kreatur, wenn er seine Aufmerksamkeit darauf richtet. [2]

Hier finden wir die Urbilder des seelischen Daseins selbst. Hier sind die Urbilder aller Begierden und Instinkte, aller Empfindungen und Gefühle und aller Leidenschaften, von der niedersten Leidenschaft bis hinauf zu dem höchsten Pathos. Für alles das gibt es rein geistige Urbilder, und die sind in der dritten Region des Devachan. Ebenso wie alles Leben in der zweiten Region, bildet in der dritten Region alles Empfinden, Fühlen, alles Leiden und so weiter eine große Einheit. Da sind die Instinkte des einen Wesens nicht getrennt von den Instinkten, die ein anderes Wesen hat. Da ist das «Das bist du» schon durchgeführt. Wir können nicht mehr – wie in den beschränkten Verhältnissen des Sinnendaseins – zwischen meinem Gefühl und deinem Gefühl unterscheiden. Das fremde Weh ist ebenso wie das unsrige. Wir vernehmen das «Seufzen der Kreatur». Wir nehmen wahr jede Lust und Unlust, ob es unsere ist oder ob es fremde ist. Was wir in unserer Verkörperung an Selbstlosigkeit entfalten, an Wohlwollen gegenüber unseren Mitmenschen, das ist die Erinnerung an diese dritte Region des Devachan; das bringen wir mit aus dieser dritten Region. Philanthropen, die Genies der menschlichen Wohltätigkeit, bilden ihre Fähigkeiten dort aus; sie machen ein langes Leben in der dritten Region des Devachan durch. [3]

Wenn Sie soweit vorgeschritten sind, daß Sie sich den Einblick in diese Devachanwelt errungen haben, dann können diese hinwogenden Erscheinungen von Ihnen gesehen und gehört werden, und das also Gehörte ist die Sphärenharmonie. [4] Es ist sozusagen die luftförmige, vollständig den Raum des Devachan durchdringende Empfindungswelt, was hier wahrgenommen wird; das nimmt sich so aus, daß man das all-eine Empfinden der ganzen Erde wahrzunehmen vermag. Es dringt aber von außen dieses Empfinden an uns heran, wie der Wind oder der Sturm, wie Blitz und Donner in der physischen Atmosphäre. Da gibt es nicht mehr unser eigenes Fühlen und Empfinden. Diese eigenen Gefühle hat der Mensch da abgestreift. Da tritt an ihn heran das, was alle anderen fühlen. Er fühlt sich eins mit dem was andere fühlen. Der Einblick in diese Welt gibt ein ganz anderes Verständnis für dasjenige, was überhaupt Wirklichkeit ist. Von dem nun erlebt der Mensch auch etwas zwischen dem Tode und einer neuen Geburt. [5]

Zitate:

[1]  GA 94, Seite 81f   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[2]  GA 9, Seite 126   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[3]  GA 88, Seite 125f   (Ausgabe 1999, 256 Seiten)
[4]  GA 100, Seite 53   (Ausgabe 1981, 276 Seiten)
[5]  GA 53, Seite 152f   (Ausgabe 1981, 508 Seiten)

Quellen:

GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)
GA 53:  Ursprung und Ziel des Menschen. Grundbegriffe der Geisteswissenschaft (1904/1905)
GA 88:  Über die astrale Welt und das Devachan (1903-1904)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 100:  Menschheitsentwickelung und Christus-Erkenntnis. Theosophie und Rosenkreuzertum – Das Johannes-Evangelium (1907)