Sympathie und Antipathie

Gerade so wie alles, was im Menschen sich abspielt als Gedanken, auf den Astralplan hinweist, so weist alles, was verknüpft ist mit Sympathie und Antipathie, hin auf das, was wir das untere Devachan nennen. In uns, vorzugsweise in unserer Brust spielen sich Vorgänge ab der Himmelswelt oder des Devachan als Gefühle der Sympathie und Antipathie für das Schöne und das Häßliche, das Gute und Schlechte oder Böse, so daß wir mit dem, was wir nennen können unsere Empfindungen gegenüber der moralisch-ästhetischen Welt, die Abschattungen des unteren Devachan, der Himmelswelt, in unserer Seele tragen. [1]

Wenn Sie bei den Psychologen nachsehen, welchen Inhalt sie dem Willen verleihen, dann werden Sie immer finden: solcher Inhalt rührt vom Vorstellen her. Für sich selber hat der Wille zunächst einen eigentlichen Inhalt nicht. Was ist er aber eigentlich? Er ist nichts anderes, als schon der Keim in uns für das, was nach dem Tode in uns geistig-seelische Realität sein wird. Wir haben uns also vorzustellen: Vorstellung auf der einen Seite, die wir als Bild aufzufassen haben vom vorgeburtlichen Leben; Willen auf der anderen Seite, den wir als Keim aufzufassen haben für späteres. Der Keim ist etwas Überreales, ein Bild ist etwas Unterreales; ein Keim wird später erst zu einem Realen, trägt also der Anlage nach das spätere Reale in sich, so daß der Wille in der Tat sehr geistiger Natur ist. Nun haben Sie in einer gewissen Weise das menschliche Seelenleben in zwei Gebiete zerteilt: in das bildhafte Vorstellen und in den keimhaften Willen und dazwischen liegt eine Grenze, diese ist das ganze Ausleben des physischen Menschen selbst, der das Vorgeburtliche zurückwirft, dadurch die Bilder der Vorstellung erzeugt, und der den Willen nicht sich ausleben läßt und ihn bloß Keim sein läßt. Durch welche Kräfte, so müssen wir fragen, geschieht denn das eigentlich? Wir werden, weil wir nicht mehr in der geistigen Welt bleiben können, herunterversetzt in die physische Welt. Wir entwickeln, indem wir in diese herunterversetzt werden, gegen alles, was geistig ist, Antipathie, so daß wir die geistige vorgeburtliche Realität zurückstrahlen in einer uns unbewußten Antipathie. Wir tragen die Kraft der Antipathie in uns und verwandeln durch sie das vorgeburtliche Element in ein bloßes Vorstellungsbild. Und mit demjenigen, was als Willensrealität nach dem Tode hinausstrahlt zu unserem Dasein, verbinden wir uns in Sympathie. Dieser zwei, der Sympathie und der Antipathie, werden wir uns nicht unmittelbar bewußt, aber sie leben in uns unbewußt und sie bedeuten unser Fühlen, das fortwährend aus einem Rhythmus, aus einem Wechselspiel zwischen Sympathie und Antipathie sich zusammensetzt. [2]

Sie haben das Lebendige vom Vorgeburtlichen fortwährend in sich, nur haben Sie die Kraft in sich, es zurückzustrahlen. Die begegnet Ihrer Antipathie. Wenn Sie nun jetzt vorstellen, so begegnet jedes solche Vorstellen der Antipathie, und wird die Antipathie genügend stark, so entsteht das Erinnerungsbild, das Gedächtnis. Wenn Sie diese ganze Prozedur durchgemacht haben, wenn Sie bildhaft vorgestellt haben, dies zurückgeworfen haben im Gedächtnis und das Bildhafte festhalten, dann entsteht der Begriff. Jetzt nehmen wir die andere Seite, die des Wollens, was Keimhaftes, Nachtodliches in uns ist. Das Wollen lebt in uns, weil wir mit ihm Sympathie haben. Ebenso wie das Vorstellen auf Antipathie beruht, so beruht das Wollen auf Sympathie. Wird nun die Sympathie genügend stark, dann entsteht aus Sympathie die Phantasie. Wie der Begriff aus dem Gedächtnis, so geht aus der Phantasie die Imagination hervor, welche die sinnlichen Anschauungen liefert. Die gehen aus dem Willen hervor. [3]

Es ist der große Irrtum, dem sich die Menschen hingeben, daß sie in der Psychologie erzählen: Wir schauen die Dinge an, dann abstrahieren wir und bekommen so die Vorstellung. Das ist nicht der Fall. Daß wir zum Beispiel die Kreide als weiß empfinden, das ist hervorgegangen aus der Anwendung des Willens, der über die Sympathie und Phantasie zur Imagination wird. Wenn wir uns dagegen einen Begriff bilden, so hat dieser einen ganz anderen Ursprung, denn der Begriff geht aus dem Gedächtnis hervor. Damit habe ich Ihnen das Seelische geschildert. Sie können unmöglich das Menschenwesen erfassen, wenn Sie nicht den Unterschied ergreifen zwischen dem sympathischen und antipathischen Element im Menschen. Diese, das sympathische und das antipathische Element, kommen zum Ausdruck an sich in der Seelenwelt nach dem Tode; dort herrscht unverhüllt Sympathie und Antipathie.

Das seelisch Vorgeburtliche wirkt durch Antipathie, Gedächtnis und Begriff herein in den menschlichen Leib und schafft sich die Nerven. Und ebenso wirkt Wollen, Sympathie, Phantasie und Imagination in gewisser Beziehung wieder aus dem Menschen heraus. Das ist an das Keimhafte gebunden, das muß im Keimhaften bleiben, darf daher eigentlich nie zu einem wirklichen Abschluß kommen, sondern muß im Entstehen schon wieder vergehen. Nun wird im Menschen fortwährend etwas gebildet, das immer die Tendenz hat, geistig zu werden. Aber weil man es in großer, allerdings in egoistischer Liebe, im Leibe festhalten will, kann es nie geistig werden; es zerrinnt in seiner Leiblichkeit. Wir haben etwas in uns, was materiell ist, aber aus dem materiellen Zustand fortwährend in einen geistigen Zustand übergehen will. Wir lassen es nicht geistig werden; daher vernichten wir es in dem Moment, wo es geistig werden will – es ist das Blut, das Gegenteil der Nerven. Daher haben wir immerwährend in uns: Bildung des Blutes – Vernichtung des Blutes. [4]

Zitate:

[1]  GA 130, Seite 86f   (Ausgabe 1962, 354 Seiten)
[2]  GA 293, Seite 33ff   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[3]  GA 293, Seite 36f   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)
[4]  GA 293, Seite 37f   (Ausgabe 1980, 216 Seiten)

Quellen:

GA 130:  Das esoterische Christentum und die geistige Führung der Menschheit (1911/1912)
GA 293:  Allgemeine Menschenkunde als Grundlage der Pädagogik (1919)