Christus Leben
► Christus vor seinen Richtern

Da stand vor der Menschheit, vor der das alles hingestellt war, der Mensch in seiner Gestalt, wie sie die göttlich-geistigen Mächte dem Menschen gegeben haben. So stand er da, aber veredelt, durchgeistigt durch den dreijährigen Aufenthalt des Christus in dem Jesus von Nazareth. So stand er da vor den Mitmenschen. Die Menschen hatten sich in bezug auf ihr Verständnis nur das errungen, was aus Verstehen und Erkennen geworden war durch den jahrtausende-langen Einfluß von Luzifer und Ahriman. Da aber stand der Mensch, der während der drei Jahre aus sich herausgetrieben hatte die luziferischen und die ahrimanischen Einflüsse. Da stand wiederhergestellt vor den anderen Menschen, was der Mensch war, bevor Luzifer und Ahriman gekommen sind. Erst durch den Impuls des kosmischen Christus war der Mensch wieder so, wie er, aus der geistigen Welt ausgehend, in die physische Welt versetzt worden war. Da stand der Geist der Menschheit, der Menschensohn, vor jenen, die damals in Jerusalem die Richter, die Henker waren; aber so stand er da, wie er werden konnte, wenn alles, was ihn heruntergebracht hatte, wieder herausgetrieben war aus der menschlichen Natur. Da stand der Mensch, als das Mysterium von Golgatha sich vollzog, im Bilde vor seinen Mitmenschen, vor dem die anderen Menschen hätten stehen sollen und anbetend sagen: Da bin ich selbst in meiner wahren Wesenheit, in meinem höchsten Ideal, da bin ich in der Gestalt, die ich aus mir machen soll durch das allerheißeste Streben, das nur aus meiner Seele herauskommen kann. Da stehe ich vor dem, was allein verehrungswürdig und anbetungswürdig an mir selbst ist, da stehe ich vor dem Göttlichen in mir, vor dem die Apostel, wenn sie Selbsterkenntnis hätten üben können, sich hätten sagen müssen: Es gibt im ganzen weiten Umkreise nichts an Bestand und Größe, was sich vergleichen läßt mit dem, was da vor uns ist im Menschensohn. Dies Selbsterkennen hätte die Menschheit in jenem historischen Moment haben sollen. Und was tat die Menschheit? Sie spie an den Menschensohn, geißelte ihn, führte ihn hinaus zur Kreuzigungsstätte. Das ist der dramatische Wendepunkt zwischen dem, was hätte sein sollen, zwischen der Anerkennung dessen, daß hier etwas stand, mit dem sich nichts in aller Welt vergleichen läßt, und dem, was uns nun dargestellt wird. Geschildert wird der Mensch, der sich selber, statt sich zu erkennen, in den Staub tritt, der sich selber tötet, weil er sich nicht erkennt, und der nur durch diese kosmische Lektion den Impuls empfangen kann, nach und nach seine Wesenheit in der weiteren Perspektive der Erdentwickelung sich zu erringen. Von diesem In-den-Staub-Treten der eigenen Wesenheit ging dann dasjenige aus, was als Phantom geschildert worden ist. Denn dadurch, daß der Mensch seine eigene Wesenheit in den Staub trat, verwandelte sich das, was das äußere Ebenbild der Gottheit war, in das Phantom, das sich vermehrt und in der weiteren Entwickelung der Menschheit vermehrt in die Seelen dringen kann. [1]

Zitate:

[1]  GA 139, Seite 194ff   (Ausgabe 1960, 212 Seiten)

Quellen:

GA 139:  Das Markus-Evangelium (1912)