(Es muß aber auch noch ganz allgemein gesagt werden, daß nur dann), wenn man wirklich in Geduld alles vorgleicht und zusammenhält, was gesagt worden ist im Laufe der Zeit, so wird man finden, daß nirgends ein Stück ist in unserem Okkultismus, das sich nicht mit den anderen zu einem wohlabgerundeten Ganzen geschlossen in sich zusammenfügt. [1] Die große Geduld und Entsagung der Erkenntnis, die müssen wir erst lernen. Zu einem Urteil muß man heranreifen. Es ist die Welt in jedem Punkte selbst unendlich. Und man muß die Bescheidenheit haben, zu sagen, daß alles gewissermaßen nur halb wahr ist. [2] Indem man das Material verarbeitet, das in den (Vortrags-) Zyklen geboten ist, schreitet man weiter von einem äußerlichen Aufnehmen zu einem innerlichen Verarbeiten. Dieses innerliche Verarbeiten hat einen hohen Wert für das wirkliche Vorwärtskommen. Es werden durch solche Zusammenstellungen (verschiedener Vorträge) wirklich innere Evolutionen durchgemacht. Es werden die Einzelnen weiterkommen, wenn solche fruchtbaren Zusammenstellungen gemacht werden. [3] Es handelt sich darum, daß geradeso, wie für das einfache Seelengemüt aufgenommen werden können die überall in den Vorträgen, in den Zyklen zerstreuten Bemerkungen, die den Menschen tragen können, auch überall die einzelnen Winke aufgefasst werden, die zum notwendigen Fortschritte in den einzelnen Wissenschaften führen müssen. [4]
In der Beurteilung dieser Dinge, die von der Geisteswissenschaft mitgeteilt werden, wird ja am häufigsten der Fehler gemacht, daß dieLeute urteilen, die, sagen wir, gerade ein paar Ausführungen über eine Sache gehört haben und nicht die Geduld besitzen, wirklich alles, was gesagt werden kann, von den verschiedensten Gesichtspunkten aus auf sich wirken zu lassen. [5] Die Druckschriften und die Zyklen sind nicht eigentlich so gelesen worden, wie sie gelesen werden könnten, so daß man auf alles das käme, was gemeint und gesagt ist, mehr oder weniger sogar handgreiflich gesagt ist. [6]
Ich habe ganz bewußt angestrebt, nicht eine «populäre» Darstellung zu geben, sondern eine solche, die notwendig macht, mit rechter Gedankenanstrengung in den Inhalt hineinzukommen. Ich habe damit meinen Büchern einen solchen Charakter aufgeprägt, daß deren Lesen selbst schon der Anfang der Geistesschulung ist. Denn die ruhige, besonnene Gedankenanstrengung, die dieses Lesen notwendig macht, verstärkt die Seelenkräfte und macht sie dadurch fähig, der geistigen Welt nahe zu kommen. [7]
Meinen Schauungen in der geistigen Welt hat man immer wieder entgegengehalten, sie seien veränderte Wiedergaben dessen, was im Laufe älterer Zeit an Vorstellungen der Menschen über die Geist-Welt hervorgetreten ist. Man sagte, ich hätte mancherlei gelesen, es ins Unterbewußte aufgenommen und dann in dem Glauben, es entspringe aus dem eigenen Schauen, zur Darstellung gebracht. Aus gnostischen Lehren, aus orientalischen Weisheitsdichtungen und so weiter soll ich meine Darstellungen gewonnen haben. Meine Erkenntnisse des Geistigen, dessen bin ich mir voll bewußt, sind Ergebnisse eigenen Schauens. Ich hatte jederzeit bei allen Einzelheiten und bei den großen Übersichten mich streng geprüft, ob ich jeden Schritt im schauenden Weiterschreiten so mache, daß voll-besonnenes Bewußtsein diese Schritte begleite. Wie der Mathematiker von Gedanke zu Gedanke schreitet, ohne daß Unbewußtes, Autosuggestion und so weiter eine Rolle spielen, so – sagte ich mir – muß geistiges Schauen von objektiver Imagination zu objektiver Imagination schreiten, ohne daß etwas anderes in der Seele lebt als der geistige Inhalt klar besonnenen Bewußtseins.
So hatte ich die Ergebnisse meines Schauens vor mir. Sie waren zunächst «Anschauungen», die ohne Namen lebten. Sollte ich sie mitteilen, so bedurfte es der Wortbezeichnungen. Ich suchte dann später nach solchen in älteren Darstellungen des Geistigen, um das noch Wortlose in Worten ausdrücken zu können. Ich gebrauchte diese Wortbezeichnungen frei, so daß wohl kaum eine derselben in meinem Gebrauche zusammenfällt mit dem, was sie dort war, wo ich sie fand. Ich suchte aber nach solcher Möglichkeit, mich auszudrücken, stets erst, nachdem mir der Inhalt im eigenen Schauen aufgegangen war. Vorher Gelesenes wußte ich beim eigenen forschenden Schauen durch die Bewußtseinsverfassung, die ich eben geschildert habe, auszuschalten. [8]
Und wenn wir nun die geistigen Welten selber betreten und ein wenig dieses Leben in den geistigen Welten erfahren, dann treten uns da ganz andere Verhältnisse entgegen als hier im physischen Leben der Erde. Deshalb ist es auch so außerordentlich schwierig, in Menschenworten und Menschengedanken hereinzuholen diese Verhältnisse der geistigen Welten. Und es klingt manchmal so paradox, wenn man versucht, sich konkret auszusprechen über die Verhältnisse in den geistigen Welten. [9] Ich sagte sogar (beispielsweise), ich muß mich trivial ausdrücken, wenn ich von diesen zwei Thronen (Sonnen-Thron und Thron des Luzifer) sprechen will –, (denn) von diesen erhabenen Verhältnissen kann man nur immer mehr oder weniger bildlich sprechen; aber wer sich immer mehr zu einem Verstehen aufschwingt, der wird begreifen, daß die Worte, die auf der Erde geprägt werden, nicht ausreichen, und daß man, um sich verständlich zu machen, schon zum Bilde greifen muß. [10] Wenn der Geistesforscher seine Erlebnisse zum Ausdruck bringen will, so ist er genötigt, das in einer übersinnlichen Sphäre Erlebte durch die Mittel des sinnlichen Vorstellens darzustellen. Sein Erleben ist dann nicht aufzufassen, wie wenn es gleich wäre seiner Ausdrucksmittel, sondern so, daß er sich dieser Ausdrucksmittel nur bedient wie der Worte einer ihm notwendigen Sprache. Man muß den Inhalt seines Erlebens nicht in den Ausdrucksmitteln, das heißt, in den versinnlichenden Vorstellungen suchen, sondern in der Art, wie er sich dieser Ausdrucksmittel bedient. [11]
Die unbefangene Logik wird im Prinzip immer entscheiden können: wenn das wahr ist, was der Geistesforscher sagt, dann ist der Welt- und Lebensverlauf, so wie diese sich sinnenfällig abspielen, verständlich. Als was man die Erlebnisse des Geistesforschers zunächst ansieht, darauf kommt es nicht an. Man kann in ihnen Hypothesen, regulative Prinzipien – im Sinne der Kantschen Philosophie – sehen. Man wende sie nur an auf die sinnenfällige Welt, und man wird schon sehen, wie diese in ihrem Verlauf alles bestätigt, was vom Geistesforscher behauptet wird. – Dies gilt natürlich nicht anders als im Prinzip; im einzelnen können selbstverständlich die Behauptungen der sogenannten Geistesforscher die größten Irrtümer enthalten. [12]
Worte für die sinnliche Welt (bestimmt) müssen wir umprägen, wenn wir sie für die übersinnliche Welt anwenden wollen, und (deshalb) ist es leicht, sie dann in anderem Sinne zu deuten. [13] Ich habe ja öfter erwähnt, daß unsere Sprache für die physische Welt bereitet ist, und daß wir gewissermaßen unser Verhältnis zu den Worten verinnerlichen müssen, wenn wir die Worte fähig machen wollen, dasjenige auszudrücken, was (beispielsweise) jenseits des Todes ist. [14]
Doch fühlbar wurde dem Verfasser an zahlreichen Stellen, wie spröde sich die Mittel der ihm zugänglichen Darstellung erweisen gegenüber dem, was die übersinnliche Forschung zeigt. So konnte kaum mehr als ein Weg gezeigt werden, um zu Vorstellungen zu gelangen, welche in dem Buche (Geheimwissenschaft GA 13) für Saturn-, Sonnen-, Mondenentwickelung gegeben werden. Es weichen die Erlebnisse in bezug auf solche Dinge so sehr von allen Erlebnissen auf dem Sinnesgebiete ab, daß die Darstellung ein fortwährendes Ringen nach einem nur einigermaßen genügend scheinenden Ausdruck notwendig macht. Wer auf den hier gemachten Versuch der Darstellung einzugehen willens ist, wird vielleicht bemerken, daß manches, was dem trockenen Worte zu sagen unmöglich ist, durch die Art der Schilderung erstrebt wird. [15]
Gewisse Dinge mußten natürlich in den ersten Jahren mit einer starken Reserve von mir dargestellt werden, einfach aus dem Grunde, weil Jahre notwendig waren, um gewisse Dinge genau nachzuprüfen, und weil ich von Anfang an mir vorgesetzt hatte, nichts anderes zu veröffentlichen und im wesentlichen auch nichts anderes zu sagen, als wofür ich in der Weise einstehen konnte, daß ich es nachgeprüft hatte. [16]
Die Methode der Geisteswissenschaft muß so sein, daß man von den verschiedensten Seiten her zusammenträgt, was Aufklärung über die geistige Welt bringen kann. Wenn auch erst nach Jahren etwas hinzugebracht wird zu dem, war vor Jahren gesagt worden ist, so brauchen sich die Dinge darum nicht zu widersprechen. So gilt das, was hier in früheren Jahren vorgebracht worden ist, nach Jahren noch, auch wenn es nun durch das, was wir jetzt hinzubringen können, von neuen Gesichtspunkten aus neu beleuchtet werden kann. [17]
(Über mögliche Beobachtungsirrtümer lesen wir): Es ist aber besser, wenn jeder genau das schildert, was gerade er zu sagen hat. Auf diesem Gebiet kann nur Heil kommen, wenn die Aussagen der einzelnen Beobachter aneinander abgewogen, und gegenseitig durcheinander ergänzt werden. Mit dem bloßen Nachbeten der theosophischen Dogmen kommen wir nicht weiter. Allerdings muß sich der einzelne seiner großen Verantwortlichkeit bezüglich seiner Angaben bewußt sein. Andererseits muß beachtet werden, daß auf diesen Höhen der Beobachtung Irrtümer im einzelnen durchaus möglich sind; ja sie sind hier gewiß viel wahrscheinlicher als bei wissenschaftlicher Beobachtung der sinnlichen Welt. Der Schreiber (und der Sprecher) dieser Ausführungen bittet daher alle diejenigen um die entsprechende Nachsicht, die selbst etwas auf diesem Felde zu sagen haben. [18]
[1] | GA 140, Seite 47 | (Ausgabe 1980, 374 Seiten) |
[2] | GA 98, Seite 146 | (Ausgabe 1983, 272 Seiten) |
[3] | GA 161, Seite 21f | (Ausgabe 1980, 292 Seiten) |
[4] | GA 326, Seite 148 | (Ausgabe 1977, 196 Seiten) |
[5] | GA 140, Seite 83 | (Ausgabe 1980, 374 Seiten) |
[6] | GA 147, Seite 151 | (Ausgabe 1969, 168 Seiten) |
[7] | GA 13, Seite 10f | (Ausgabe 1962, 444 Seiten) |
[8] | GA 13, Seite 11ff | (Ausgabe 1962, 444 Seiten) |
[9] | GA 140, Seite 339 | (Ausgabe 1980, 374 Seiten) |
[10] | GA 141, Seite 49f | (Ausgabe 1983, 200 Seiten) |
[11] | GA 35, Seite 127f | (Ausgabe 1965, 484 Seiten) |
[12] | GA 35, Seite 129 | (Ausgabe 1965, 484 Seiten) |
[13] | GA 148, Seite 316 | (Ausgabe 1980, 342 Seiten) |
[14] | GA 161, Seite 123 | (Ausgabe 1980, 292 Seiten) |
[15] | GA 13, Seite 21 | (Ausgabe 1962, 444 Seiten) |
[16] | GA 254, Seite 125 | (Ausgabe 1969, 279 Seiten) |
[17] | GA 141, Seite 189 | (Ausgabe 1983, 200 Seiten) |
[18] | GA 34, Seite 136 | (Ausgabe 1960, 627 Seiten) |
GA 13: | Die Geheimwissenschaft im Umriß (1910) |
GA 34: | Lucifer – Gnosis. Grundlegende Aufsätze zur Anthroposophie und Berichte aus den Zeitschriften «Luzifer» und «Lucifer – Gnosis» 1903 – 1908 (1903-1908) |
GA 35: | Philosophie und Anthroposophie (1904-1923) |
GA 98: | Natur- und Geistwesen – ihr Wirken in unserer sichtbaren Welt (1907/1908) |
GA 140: | Okkulte Untersuchungen über das Leben zwischen Tod und neuer Geburt. Die lebendige Wechselwirkung zwischen Lebenden und Toten (1912/1913) |
GA 141: | Das Leben zwischen dem Tode und der neuen Geburt im Verhältnis zu den kosmischen Tatsachen (1912/1913) |
GA 147: | Die Geheimnisse der Schwelle (1913) |
GA 148: | Aus der Akasha-Forschung. Das Fünfte Evangelium (1913/1914) |
GA 161: | Wege der geistigen Erkenntnis und der Erneuerung künstlerischer Weltanschauung (1915) |
GA 254: | Die okkulte Bewegung im neunzehnten Jahrhundert und ihre Beziehung zur Weltkultur. Bedeutsames aus dem äußeren Geistesleben um die Mitte des neunzehnten Jahrhunderts (1915) |
GA 326: | Der Entstehungsmoment der Naturwissenschaft in der Weltgeschichte und ihre seitherige Entwickelung (1922/1923) |