Schilderung von Teilen der übersinnlichen Welt
► Das „Sozialleben“ in der Welt des Geistes

Während man in der ersten Region des Geisterlandes mit den Seelen zusammen ist, mit denen man im vorangegangenen physischen Leben durch die nächsten Bande der physischen Welt zusammengehangen hat, tritt man in der zweiten Region des Devachan in den Bereich aller derjenigen, mit denen man in einem weiteren Sinne sich eins fühlte: durch eine gemeinsame Verehrung, durch gemeinsames Bekenntnis und so weiter. Betont muß werden, daß die geistigen Erlebnisse der vorangegangenen Regionen während der folgenden bestehen bleiben. Auch liegen die Regionen des Geisterlandes nicht wie Abteilungen auseinander; sie durchdringen sich, und der Mensch erlebt sich in einer neuen Region nicht deswegen, weil er sie in irgendeiner Form äußerlich «betreten» hat, sondern weil er in sich die inneren Fähigkeiten erlangt hat, das wahrzunehmen, innerhalb dessen er vorher unwahrnehmend war. Die dritte Region enthält die Urbilder der seelischen Welt. Alles, was in dieser Welt lebt, ist hier als lebendige Gedankenwesenheit vorhanden. Man findet da die Urbilder der Begierden, der Wünsche, der Gefühle und so weiter. Aber hier in der Geisterwelt haftet dem Seelischen nichts von Eigensucht an. Ebenso wie alles Leben in der zweiten Region, bildet in dieser dritten alles Begehren, Wünschen, alle Lust und Unlust eine Einheit. Das Begehren, der Wunsch des andern unterscheiden sich nicht von meinem Begehren und Wünschen. Die Empfindungen und Gefühle aller Wesen sind eine gemeinsame Welt, die alles übrige einschließt und umgibt, wie der physische Luftkreis die Erde umgibt. Diese Region ist gleichsam die Atmosphäre des Geisterlandes. Es wird hier alles Früchte tragen, was der Mensch im irdischen Leben im Dienste der Gemeinsamkeit, in selbstloser Hingabe an seine Mitmenschen geleistet hat. Denn durch diesen Dienst, durch diese Hingabe hat er in einem Abglanz der dritten Region des Geisterlandes gelebt. Die großen Wohltäter des Menschengeschlechtes, die hingebungsvollen Naturen, diejenigen, welche die großen Dienste in den Gemeinschaften leisten, haben ihre Fähigkeit hierzu in dieser Region erlangt, nachdem sie sich in früheren Lebensläufen die Anwartschaft zu einer besonderen Verwandtschaft mit ihr erworben haben. [1]

Es ist ersichtlich, daß die beschriebenen drei Regionen des Geisterlandes in einem gewissen Verhältnis stehen zu den unter ihnen stehenden Welten, zu der physischen und der seelischen Welt. Denn sie enthalten die Urbilder, die lebendigen Gedankenwesen, die in diesen Welten körperliches oder seelisches Dasein annehmen. Die vierte Region erst ist das «reine Geisterland». Aber auch diese ist es nicht im vollen Sinne des Wortes. Sie unterscheidet sich von den drei unteren Regionen dadurch, daß in diesen die Urbilder jener physischen und seelischen Verhältnisse angetroffen werden, die der Mensch in der physischen und seelischen Welt vorfindet, bevor er selbst in diese Welten eingreift. Die Verhältnisse des alltäglichen Lebens knüpfen sich an die Dinge und Wesen, die der Mensch in der Welt vorfindet, aber durch ihn sind in der Welt die Schöpfungen der Künste und Wissenschaften, der Technik, des Staates und so weiter, kurz alles das, was er als originale Werke seines Geistes der Welt einverleibt. Zu alledem wären, ohne sein Zutun, keine physischen Abbilder in der Welt vorhanden. Die Urbilder nun zu diesen rein menschlichen Schöpfungen finden sich in der vierten Region des Geisterlandes. – Was der Mensch an wissenschaftlichen Ergebnissen, an künstlerischen Ideen und Gestalten, an Gedanken der Technik während des irdischen Lebens ausbildet, trägt in dieser vierten Region seine Früchte. Aus dieser Region saugen daher Künstler, Gelehrte, große Erfinder während ihres Aufenthaltes im Geisterland ihre Impulse und steigern hier ihr Genie, um bei einer Wiederverkörperung in verstärktem Maße zur Fortentwickelung der menschlichen Kultur beitragen zu können. – Man soll sich nicht vorstellen, daß diese vierte Region nur für besonders hervorragende Menschen eine Bedeutung habe. Sie hat eine solche für alle Menschen. Alles, was den Menschen im physischen Leben über die Sphäre des alltäglichen Lebens, Wünschens und Wollens hinaus beschäftigt, hat seinen Urquell in dieser Region. Ginge der Mensch in der Zeit zwischen dem Tode und einer neuen Geburt durch sie nicht hindurch, so würde er in einem weiteren Leben keine Interessen haben, welche über den engen Kreis der persönlichen Lebensführung hinaus zum Allgemein-Menschlichen führen. – Es ist oben gesagt worden, daß auch diese Region nicht im vollen Sinne das reine Geisterland genannt werden kann. Das ist deshalb der Fall, weil der Zustand, in dem die Menschen die Kulturentwickelung auf der Erde verlassen haben, in ihr geistiges Dasein hineinspielt. Sie können im Geisterland nur die Früchte dessen genießen, was nach ihrer Begabung und nach dem Entwickelungsgrade des Volkes, Staates und so weiter, in die sie hineingeboren waren, ihnen zu leisten möglich war. [2]

Zitate:

[1]  GA 9, Seite 137f   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)
[2]  GA 9, Seite 138ff   (Ausgabe 1961, 214 Seiten)

Quellen:

GA 9:  Theosophie. Einführung in übersinnliche Welterkenntnis und Menschenbestimmung (1904)