Wenn wir nach den alten Theokratien zurückblicken, da finden wir, daß derjenige, der herrscht, von den Göttern in den Mysterien dazu seinen Auftrag erhalten hat. Die letzte Dependenz (davon) ist der abendländische Herrscher – alles, was geblieben ist, ist Krone und Krönungsmantel. Das sind die äußeren Insignien, die nun später mehr Orden wurden. Den Titeln merkt man manchmal noch an, wenn man solche Dinge versteht, wie sie zurückgehen auf die Mysterienzeit. Aber alles ist veräußerlicht. Kaum weniger veräußerlicht ist dasjenige, was durch unsere Gymnasien und Universitäten wallt als Geisteskultur, als letzter Nachklang der göttlichen Botschaften der Mysterien. [1]
Die Mysterien des Lichtes oder die Mysterien des Geistes sind durchaus vorhistorische Erscheinungen. Die Menschen in den alten Zeiten hatten ein träumerisches Hellsehen, durch das sich ihnen die Geheimnisse des Weltenalls enthüllten. Aber dieses Hellsehen war in absteigender Entwickelung. Aus dieser weiten Masse der Erdenbevölkerung stand von verschiedenen Zentren her, hauptsächlich aber von einem Zentrum in Asien, gewissermaßen eine besondere Art von Menschen auf mit besonderen Fähigkeiten. Diese Menschen hatten außer dem atavistischen Hellsehen, das ihnen in gewisser Beziehung noch geblieben war – es stieg noch aus ihrem inneren Seelenleben traumhaftes Erfassen der Geheimnisse der Welt auf –, außer diesem traumhaften Erfassen der Welt hatten sie aber noch dasjenige – und zwar als die ersten Menschen der Menschheitsentwickelung –, was wir die Denkkraft nennen. Die Inder sahen diejenige Kaste, die sie als die Brahmanen-Kaste bezeichneten, als die Nachkommen dieser Menschen an, die mit dem atavistischen Hellsehen die Denkkraft verbanden. Und diejenigen Mysterien, die man die Mysterien des Geistes oder namentlich die Mysterien des Lichtes nennt, wurden begründet von solchen Menschen, die das atavistische Hellsehen mit dem ersten Aufflammen der Intelligenz, dem inneren Lichte des Menschen verbanden. Und eine Dependenz desjenigen, was dazumal als ein erleuchtender Funke in die Menschheit kam, ist unsere Geistesbildung. [2]
Die Mysterienpriester der Mysterien des Lichtes waren zu gleicher Zeit die ökonomischen, die wirtschaftlichen Verwalter ihrer Gebiete. Sie wirtschafteten nach den Regeln der Mysterien. Sie bauten die Häuser, sie bauten die Kanäle, sie bauten die Brücken, sie sorgten für das Bebauen des Bodens und so weiter. Das war in der Urzeit eine Kultur durchaus aus dem Geistesleben heraus. Aber diese Kultur verabstrahierte. [3]
Alles was auf der Erde entsteht, läßt Reste zurück. Die Mysterien des Lichtes sind in der heutigen orientalischen Kultur, im orientalischen Geistesleben weniger filtriert als im Abendlande, aber doch durchaus nicht mehr in der Gestalt, in der sie damals waren in der Zeit, die ich geschildert habe. Doch kann man, wenn man das studiert, was die Hindus heute noch haben, was die orientalischen Buddhisten haben, viel eher den Nachklang desjenigen vernehmen, wovon wir selber unser Geistesleben haben, nur ist es auf einer anderen Altersstufe in Asien stehengeblieben. Aber wir (im Westen) sind unproduktiv, wir sind in hohem Grade unproduktiv. Als sich im Abendlande die Kunde vor dem Mysterium von Golgatha verbreitet hat – woher nahmen nun die griechischen, die lateinischen Gelehrten die Begriffe, um das Mysterium von Golgatha zu begreifen? Sie nahmen sie aus der orientalischen Weisheit. Das Abendland hat das Christentum nicht hervorgebracht, es ist aus dem Orient entnommen. Und ein anderes (Beispiel): Als man die geistige Kultur in englisch sprechenden Gegenden recht unfruchtbar fühlte und nach einer Befruchtung des Geisteslebens seufzte, da gingen die Theosophen zu den unterworfenen Indern und suchten dort ihre Quelle für ihre neuzeitliche Theosophie. [4]
[1] | GA 194, Seite 223 | (Ausgabe 1983, 254 Seiten) |
[2] | GA 194, Seite 220f | (Ausgabe 1983, 254 Seiten) |
[3] | GA 194, Seite 222f | (Ausgabe 1983, 254 Seiten) |
[4] | GA 194, Seite 224f | (Ausgabe 1983, 254 Seiten) |
GA 194: | Die Sendung Michaels. Die Offenbarung der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens (1919) |