Urs Schwendener - Vita und Motivation

Dornach, den 28. Februar 2009

Lieber Kurt,

Du hast mich einmal gefragt: Wie bist du denn auf die Idee, dieses 14 bändigen Werkes gekommen. Auf meine skeptische Reaktion gegen Biographisches hin, hast Du auch noch nachgedoppelt: Sogar alle Leser haben das Recht, das zu wissen! Da blieb mir dann halt nichts anderes mehr übrig als in meine Vergangenheit abzutauchen auf der Suche nach allen Vorgängen und Erlebnissen, die am Schluß zu diesem Opus geführt haben.

Da ich es immer mit der Wahrheit gehalten haben und das als einen absoluten Wert betrachte, muß ich gewisse Sachverhalte relativ weitläufig darstellen, weil sie sonst in einer kürzeren Form notwendigerweise verfälscht werden. Einen weiteren Faktor müssen wir auch noch berücksichtigen, daß die geistige Welt bei allen diesen Dingen tüchtig mitgemischt hat. An zwei Beispielen kann Dir das ganz anschaulich werden.

Ein junger Mann sieht an einem Wandervogeltreffen ein weibliches Wesen, das als Gast von auswärts da war, und er denkt: Das ist meine Frau! Kurz darauf, schon mit 21 Jahren waren sie verheiratet. Der Eheschluß fand auch sinnigerweise statt zwischen einer Generalprobe und der Premiere einer Operette mit dem Titel: „Land des Lächelns“…

Ein junger elegant gekleideter Berliner Herr, der in Bern einige Monate als Chemigraph arbeitete, um das Geld zu verdienen zur Überfahrt in die USA, wohin er auswandern wollte, sieht, auf einem seiner letzten Sonnntagsausflüge in die Berge, auf dem Jungfraujoch eine stattliche Bernerin mit einer üppigen Haarpracht. Der junge Herr denkt sofort: „Diesen Löwen bändige ich mir.“ Dieser Name Löwe, nicht Löwin, ist dieser Person – meiner Schwiegermutter – bis ans Lebensende geblieben.

Nach Rudolf Steiner sind Verbindungen, die so auf optischem Wege und mit Schnellzündung vor sich gehen, der Wirkung der Archai zu verdanken, unter Umgehung der beiden eigentlich dazu zuständigen unteren Hierarchien. (Man kann diese Bemerkungen im Zusammenhang mit dem Leben Garibaldis finden.)

Aus diesen beiden Verbindungen sind dann einige Jahre später von den zwei, von den Ärzten für unfruchtbar erklärten Frauen, überraschenderweise je ein einziges Kind geboren worden. Ein solcher Inkarnationsvorgang geschieht ausnahmsweise über die Aura der Väter in die künftige Mutter hinein.

Diese zwei Kinder, ein Knabe von 8-9 Jahren und ein Mädchen von 10-11 Jahren lernten sich im Tram auf dem Schulweg kennen und der Knabe dachte sofort ─ ganz in den obigen Familien-Traditionen: „Ah, herrlich, endlich einmal ein vernünftiges Mädchen…“

Man kann schon sagen: Die geistige Welt hat organisiert und gewirkt. Aber da auch die physische Welt nicht müssig war, wurde der künftige Lexikograf am 28. Februar 1939 früh morgens im Spital in St. Gallen geboren. Die Geburt stand unter der Leitung einer Frauenärztin namens Dr. Imboden.

18 Jahre später studierte er beim Sohn dieser Ärztin: Max Imboden, Ordinarius für öffentliches Recht an der juristischen Fakultät der Universität Basel. Und hier sind wir nun direkt auf die Hauptwurzel gestossen. Dieser Professor war in seinem Herzen mehr Philosoph als Jurist, was auch dadurch gut illustriert wird, daß er mit C.G. Jung eng befreundet war. Der Schreibende war gut bekannt mit ihm und sogar befreundet wiederum mit dessem Sohn Peter Imboden, der später Physikprofessor an der ETH wurde und die schweizer Seen belüftet und regeneriert hat. Aber das alles spielt hier eigentlich nur eine indirekte Rolle.

Um Dir das zu erklären, müssen wir einen Ausflug in das schweizerische Recht unternehmen. Die Schweiz besteht neben dem Bund aus 26 Kantonen, jeder mit einem autonomen öffentlichen Recht, dazu gibt es auch noch öffentlich-rechtliche Zweckverbände, öffentliche Genossenschaften, Gemeindeverbände und so weiter und so fort. Das ganze öffentliche Recht besteht aus Einzel­vorschriften und Unmengen von Verordnungen und keinerlei allgemeine gesamt­schweizerische Normen. Max Imboden hat es nun unternommen, aus der Masse von Entscheidungen des Bundesgerichtes allgemeine Normen heraus­zu­destillieren, mit denen man arbeiten kann, wie mit einem allgemeinen Teil eines Gesetzbuches. Dieses Werk hat Furore gemacht und wurde nach dem Tode Imbodens von seinem Schüler René Rhinow, dem späteren Ständeratspräsidenten, weitergeführt.

An diesem Werk Imbodens habe ich erlebt und gesehen: So etwas kann gemacht werden und wichtiger noch: es wurde gemacht.

Als ich dann von der eher bleichen Muse „Justitia“ mehr zu den anderen, farbigeren Musen hinübergezogen wurde und mein weiteres Leben dort verbrachte, war das gemeinsame Merkmal aller meiner Tätigkeiten:

Daher kann ich wirklich, ohne irgendwie zu übertreiben, sagen: Das Schickal hat mich für groß dimensionierte und komplexe Projekte gründlich trainiert.

An einem guten Beispiel kann ich Dir das vorführen: Für eine grosse Fotoausstellung vom bekannten Basler Architekten Werner Blaser über Chinesische Architektur, sollten schwarz-weiße chinesische Strichornamente auf etwa 15 Meter lange Wände angebracht werden. Dazu verlegte ich mein bewohnbares Auto in den Hof des Museums und arbeitete nachts, elegant in der Luft schwebend auf einer Leiter in etwa 4 Meter Höhe. Zuerst zeichnete ich das Muster mit Spannschnur und Winkel auf die Wand. Anstatt das dann auszumalen benutzte ich schwarzes Selbstklebeband. Man kann so etwas auch nur nachts machen, wenn man die nötige Ruhe hat für so eine, trotz ihrer Grösse, sehr pingeligen Arbeit. Jede Unexaktheit sieht man nämlich sofort, auch auf Distanz.

Alles, was wir bisher betrachtet haben sind ja eigentlich nur Vorbereitungen und Vor­bedingungen. Um zur Hauptsache vorzudringen muß ich – um die Sache etwas genießbarer zu machen – den großen, alten Weisen Heraklit bemühen, der herausgefunden hatte: „Der Streit ist der Vater aller Dinge!“ Und genau ebenso war es auch hier!

Es gab sehr viele Auseinandersetzungen zwischen meinem Vater und mir. Er konnte es einfach nicht begreifen, daß ich Erfolge hatte bei allen Kirchen und in öffentlichen Institutionen, dagegen alle Aktivitäten im Zusammenhang mit Anthroposophen und ihren Institutionen über kurz oder lang gescheitert sind. Ich mußte hierzu sehr viele Vorwürfe anhören. Als mir die Sache zu bunt wurde, erklärte ich ihm einmal deutlich, aber freundlich, es wäre eigentlich besser den Mund nicht so voll zu nehmen, denn wenn man nämlich seine, des Vaters, Beziehung zu Anthroposophie, etwas unter die Lupe nimmt, so mußte man feststellen: “Um ein neues Auto zu kaufen, blätterst du Tausendernoten auf den Tisch, ohne mit der Wimper zu zucken – hingegen die ganze Geamt­ausgabe der Werke Rudolf Steiners war dir bisher zu teuer! – hier siehst du dein reales Verhältnis zur Anthroposophie! Am nächsten Morgen schon hat er alle fehlenden Bände bestellt, mit dem trockenen Kommentar: „Er verspüre Erleichterung!“

So kam es denn, daß kistenweise Bücher aufkreuzten. Als ich die ganze Bescherung sah, war meine unmittelbare innere Reaktion: Eine solche Masse von Büchern kann unmöglich von jemandem, der auch noch studiert beispielsweise, oder einen Beruf hat, durchgelesen werden. Jedes anthroposophische Wissen ist daher dazu verurteilt, Fragment zu bleiben. Um ein Ganzes zu werden, sollte es möglich sein dieses Wissen zu verdichten, zum Beispiel auf einen großen Lexikonband von über 1000 Seiten und zweispaltig gedruckt und damit war eigentlich die Idee geboren! – Allerdings noch in viel zu kleinen Kleidern!

Eine Frage, die ich zu allererst abklären mußte: «kann man eine solche Arbeit mit dem Computer machen?» konnte ich sehr gut selber beurteilen, denn meine Frau mußte von Amtes wegen an einem langdauernden Computerkurs teilnehmen. Und von ihr habe ich erfahren, daß alle die Inhalte im Computer so in einer Art von logischem Baum mit Ästen abgelegt und bearbeitet werden müssen. Bei der geplanten Arbeit kann aber ein solcher Baum und seine Logik und die exakte Terminologie davon erst während der Arbeit entstehen. Das Verfahren mit handgeschriebenen Texten hat auch den großen Vorteil, neben der sehr guten Übersicht, daß man sich durch den ganzen Körper mit einem Inhalt verbindet, der dann dadurch viel besser im Gedächtnis verankert wird. Daher habe ich bei dieser zweiten Version hier– volumenmäßig auf das Doppelte angewachsen ─ wo es nicht mehr notwendig gewesen wäre, wieder auf dieses handschriftliche Verfahren zurückgegriffen.

Öfter wurde ich gefragt, ob ich keine Ermüdungs­erscheinungen oder Tief­punkte erlebt habe. Ich mußte das immer verneinen und gab jeweils zur Antwort: die noch ungeborenen Leser und Studenten haben mir vermutlich von ihren Kräften geschickt!

Zum Abschluß muß ich Dir noch sagen, auch im Namen meiner verstorbenen Frau: Trotz aller schlechten Erfahrungen, die wir dabei mit unserem Umfeld gemacht haben, würden wir die Arbeit sofort wieder machen, aber diesmal bereits mit Begeisterung starten. Meine Frau bezeichnete wiederholentlich ihre Mitarbeit bei den Korrekturen als den schönsten und reichsten Teil ihres Lebens.

Lieber Kurt, ich hoffe Dir mit diesen Angaben gedient zu haben. Ich habe kein Blatt vor den Mund genommen, aber auch keine Blätter parfümiert

Dein Urs