Merkur der Alchimisten

Das Wort Merkur bedeutet (für den Alchimisten) gar nicht das äußere Metall (wie heute), sondern gewisse Vorgänge, die im menschlichen Organismus drinnen vorkommen. Es ist menschliche Innenerkenntnis. Es ergab sich da zwar auch ein Aspekt für das äußere Mineral, aber vor allen Dingen waren mit diesen Vorgängen (der Alchimie) innere Vorgänge der menschlichen Natur gemeint. Daher muß derjenige, der die Literatur vor dem 15. Jahrhundert liest, mit ganz anderem Sinn lesen als der, der nachher(ige Literatur) liest. [1] Es ist so ungeheuer kindisch, wenn heute die Menschen anfangen, Beschreibungen zu geben von dem, was man sich noch im Mittelalter als Merkur vorgestellt hat! Es steht da doch immer wieder im Hintergrunde, daß mit Merkur auch im Mittelalter so etwas Ähnliches wie das Quecksilber gemeint sein könnte oder überhaupt irgendein einzelnes Metall. Es ist ja gar nicht so. Merkur ist jedes Metall, insofern dieses Metall unter dem Einfluß des ganzen Kosmos steht. Jedes Metall, wirkte nur der Kosmos, würde (tropfig wie) Quecksilber. Als die ganze Erde noch unter dem Einfluß des sphärisch-kugeligen Kosmos stand, waren alle Metalle Merkur. Sie sind über die merkuriale Gestalt hinausgegangen, sie kristallisieren heute in anderen Gestalten. Nur das eigentliche, im heutigen Sinne eigentliche Quecksilber ist auf jener Stufe stehengeblieben. Die mittelalterlichen Alchimisten haben gesagt: Kupfer, Zinn, Eisen, Blei sind die guten Metalle, die mit der Vorsehung fortgeschritten sind; Quecksilber ist der Luzifer unter den Metallen, denn es ist auf einer früheren Stufe der Gestaltung stehengeblieben. [2] In der äußeren Natur können Sie zwei einander entgegengesetzte Zustände statuieren, das salzartig Wirkende und das phosphorisch Wirkende. Zwischen beiden steht drinnen das merkurial Wirkende. So wie das Zirkulationswesen (beim Menschen) vermittelnd steht zwischen dem Stoffwechsel und der Nerven-Sinnestätigkeit, so steht vermittelnd in der äußeren Natur alles dasjenige, was weder im starken Maße sich hingibt wie das Salzartige noch auch in starkem Maße Imponderabilien in sich verinnerlicht, sondern was, ich möchte sagen, die Waage hält zwischen diesen beiden Tätigkeiten, indem es sich in der Tropfenform ausleben will. Auf das kommt es an beim Merkurialen, nicht darauf, daß man die Substanz, die man heute als Quecksilber bezeichnet, als das Merkuriale anspricht. [3]

Derjenige, welcher eine wirkliche Anschauung des vierdimensionalen Raumes sich erwerben will, muß ganz bestimmte Anschauungsübungen machen. Er bildet sich zunächst eine ganz klare, vertiefte Anschauung vom Wasser. Eine solche Anschauung ist nicht so ohne weiteres zu bekommen, man muß sich sehr genau in die Natur des Wassers vertiefen; man muß sozusagen hineinkriechen in das Wasser. Das zweite ist, daß man sich eine Anschauung von der Natur des Lichtes verschafft; das Licht ist etwas, was der Mensch zwar kennt, aber nur so, daß er es von außen empfängt; durch das Meditieren kann er das innere Gegenbild des Lichtes bekommen, wissen, woher Licht entsteht, und daher selbst Licht hervorbringen (Genaueres siehe: Astrallicht). Das kann derjenige, der reine Begriffe wirklich meditativ auf seine Seele wirken läßt, der ein sinnlichkeitsfreies Denken hat. Dann geht ihm die ganze Umwelt als flutendes Licht auf, und nun muß er gleichsam chemisch die Vorstellung, die er sich vom Wasser gebildet hat, mit der des Lichtes verbinden. Dieses von Licht ganz durchdrungene Wasser ist ein Körper, der von den Alchemisten «Merkurius» genannt wurde. Das alchemistische Merkur ist aber nicht das gewöhnliche Quecksilber. Erst muß man in sich die Fähigkeit erwecken, aus dem Begriff des Lichtes Merkurius zu erzeugen. Merkurius, lichtdurchdrungene Wasserkraft ist dasjenige, in dessen Besitz man sich dann versetzt. Das ist das eine Element der astralen Welt. Das zweite entsteht dadurch, daß Sie sich ebenso eine anschauliche Vorstellung von der Luft machen, dann die Kraft der Luft durch einen geistigen Vorgang heraussaugen, sie mit dem Gefühl in sich verbinden, und Sie entzünden so den Begriff «Wärme», «Feuer», dann bekommen Sie «Feuerluft». Also das eine Element wird herausgesogen, das andere wird von Ihnen selbst erzeugt. Dieses: Luft und Feuer nannten die Alchemisten «Schwefel, Sulfur, leuchtende Feuerluft. Im wäßrigen Elemente, da haben Sie in Wahrheit jene Materie, von der es heißt, «und der Geist Gottes schwebte über den Wassern». [4] (Siehe auch: Tropfenform – Merkuriales der alten Medizin).

Zitate:

[1]  GA 194, Seite 137   (Ausgabe 1983, 254 Seiten)
[2]  GA 232, Seite 186f   (Ausgabe 1974, 222 Seiten)
[3]  GA 312, Seite 107   (Ausgabe 1976, 392 Seiten)
[4]  GA 266/2, Seite 137   (Ausgabe 0, 0 Seiten)

Quellen:

GA 194:  Die Sendung Michaels. Die Offenbarung der eigentlichen Geheimnisse des Menschenwesens (1919)
GA 232:  Mysteriengestaltungen (1923)
GA 266/2:  Aus den Inhalten der esoterischen Stunden. Band II (1910-1912)
GA 312:  Geisteswissenschaft und Medizin (1920)