Lüge

Die hauptsächlichen Schäden unserer Zeit von der Neigung der Menschen zur Unwahrheit kommen. Diese verbreitete Neigung der Menschen zur Unwahrheit, das ist dasjenige, was eigentlich allen Schäden unserer Zeit zugrunde liegt. [1]

Die Lüge auf dem physischen Plan wird zur Zerstörung auf dem Astralplan. Die Lüge ist ein Mord auf dem Astralplan. Dieses Phänomen ist der Ursprung der schwarzen Magie. Das Gebot auf dem physischen Plan: Töte nicht! – läßt sich daher für den Astralplan übersetzen: Lüge nicht! – Auf dem physischen Plan ist die Lüge nur ein Wort, eine Vorstellung, eine Illusion. Sie kann viel Unheil anrichten, aber sie zerstört nichts. Auf dem Astralplan sind alle Gefühle, alle Gedanken sichtbare Gebilde, lebendige Kräfte. Auf dem Astralplan führt die Lüge einen Zusammenstoß zwischen der falschen und der wahren Form herbei; sie töten sich gegenseitig. [2]

Von dem Momente des Hellsehens an sehen Sie alles von sich ausströmen, wo Sie überhaupt anfangen, Ihr inneres Leben in Licht umzusetzen. Der Mensch muß auch ertragen können, was er da sieht, und dazu gehört eine Charakterstärke, von der sich die wenigsten einen Begriff machen. So zum Beispiel, wenn Sie, ohne Hellseher zu sein, lügen, ist es schon schlimm, wenn Sie aber als Hellseher lügen, und Sie sehen, wie die Lüge sichtbar wird und was sie bedeutet auf dem astralen Plan, dann verstehen Sie, warum es heißt, die Lüge sei dort ein Mord. Nehmen Sie (nun) an, Sie haben ein Ereignis gesehen, haben sich davon eine Vorstellung gebildet, und erzählen etwas, was nicht stimmt, das heißt, etwas Erlogenes. Da geht vom Gegenstande die richtige und von Ihnen die falsche Ausströmung aus und dieser Zusammenstoß ist eine furchtbare Explosion; und jedesmal, wenn Sie dies tun, heften Sie sich ein grauenhaftes Wesen an Ihr Karma, das Sie nicht wieder loswerden, bis Sie gutgemacht haben, was Sie gelogen haben. [3]

Aber schon wenn der Mensch in jenem feineren Sinne, zum Beispiel aus Konvention, aus allerlei Gesellschafts- oder Parteirücksichten dieses oder jenes an der Wahrheit färbt, haben wir es im geisteswissenschaftlichen Sinne überall mit einem Lügen zu tun. Vielfach ist das ganze Leben des Menschen wenn auch nicht von Lügen, so doch von lügenhaft gefärbten Manifestationen durchtränkt. Ja schon Unwahrhaftiges in den Lebensverhältnissen hat für den menschlichen physischen Leib Wirkungen. Hellseherisch können wir folgendes erleben: Wenn der Mensch, sagen wir, eine Lüge begangen hat am Tage, so bleibt die Wirkung dieser Lüge innerhalb des physischen Leibes vorhanden und ist für das hellseherische Wahrnehmen zu sehen, während der Mensch schläft. Nehmen wir nun an, der Mensch sei überhaupt ein lügnerischer Mensch, er häufe die Lügen an. Dann hat er viele solcher Wirkungen in seinem physischen Leib. Das alles verhärtet sich in einer gewissen Weise in der Nacht, und dann geschieht etwas sehr Bedeutungsvolles. Diese Einschlüsse, diese Verhärtungen im physischen Leibe vertragen sich sehr schlecht mit jenen Wesenheiten, die in der Nacht vom physischen Leibe Besitz ergreifen müssen, die also von anderen Welten aus diejenigen Funktionen am physischen Leibe ausüben, die bei Tage astralischer Leib und Ich ausüben. Die Folge davon ist, daß im Verlaufe des Lebens durch einen solchen, man möchte sagen, von Lügen durchseuchten Leib Teile von jenen Wesenheiten abgeschnürt werden, die sich da während der Nacht in dem Menschen niederlassen. Diese Abschnürungsprozesse führen dazu, daß, wenn der Mensch stirbt, sein physischer Leib nicht nur diejenigen Wege nimmt, die er im regelmäßigen Verlaufe des Werdens nehmen würde; sondern daß gewisse Wesenheiten übrig bleiben. Solche auf diesem Umwege abgeschnürte Wesenheiten schwirren nun auch in unserer Welt herum. Sie gehören zu derjenigen Klasse von Wesenheiten, die wir die Phantome nennen. [4]

Die Lüge, die Unwahrheit ist etwas, was unfruchtbar und unwirksam ist. Das hat nur eine einzige Wirkung: es fällt mit dem stärksten Anprall auf den Verbreiter der Unwahrheit selbst zurück. [5] Bei der Lügenhaftigkeit ist es so, daß sie, und auch jede einzelne Lüge, sich im Ätherleibe ausdrückt. Der Ätherleib verliert an Lebenskraft und Lebensenergie, wenn der Mensch verlogen ist. Das kann man sogar äußerlich konstatieren. Bei Menschen, die viel lügen, sind zum Beispiel Wunden unter sonst gleichen Bedingungen schwerer zu heilen als bei wahrhaften Menschen. Die Lebenskräfte werden untergraben durch die Lügenhaftigkeit, so daß nicht so viel Lebenskraft von dem Ätherleib abgegeben werden kann, wie es zu einer Heilung notwendig ist. [6]

Die Menschen wissen nicht in ihrem oberen Bewußtsein, wie stark die Tendenz ist, die Unwahrheit zu sagen. [7] Die Lüge wandelt sich im Leben sehr häufig und zeigt sich in anderer Maske. Lügenhaftigkeit kann dazu führen, daß wir uns ihrer schämen. Aber wir rotten sie nicht leicht mit der Wurzel aus, sie wandelt sich sehr häufig in eine gewisse Oberflächlichkeit gegenüber der Wahrheit. Umgewandelte Lügenhaftigkeit erzeugt im späteren Leben ein scheues Wesen. Wer in seiner Jugend lügenhaft war, getraut sich im Alter nicht, den Leuten in die Augen zu schauen. Was so als moralische Schwäche in einer Inkarnation auftritt, wirkt organisierend in der nächsten Inkarnation. [8]

In der nächsten Inkarnation wirkt diese Eigenschaft sich als Architekt des Leibes aus. Da kann das Kind überhaupt kein rechtes Verhältnis zu seiner Umgebung gewinnen, es ist schwachsinnig. Da müssen wir uns denken, daß wir die Menschen sind, die von einem solchen Menschen oft belogen worden sind, und wir sollten dasjenige, was uns als Schlimmes zugekommen ist, mit dem Besten vergelten. Man muß versuchen, einem solchen Menschen recht viel von dem beizubringen, was Wahrheiten des geistigen Lebens sind, dann werden wir sehen, wie er aufblüht. [9] Menschen gegenüber, mit denen wir karmisch zusammengeführt werden, von denen wir wissen, sie finden kein Verhältnis zu uns, weil sie scheu uns gegenüber sind, daß wir uns (deshalb) bemühen, recht wahrhaftig ihnen gegenüber zu sein. Dann werden wir sehen, wie diese Menschen wiederum aufblühen unter unserer Offenherzigkeit. [10]

Der Neid ist nun eine Eigenschaft, in der die luziferische Macht im Menschen sich ausdrückt. Der Neid ist eine recht üble Eigenschaft, die Menschen haben auch deshalb eine Antipathie dagegen. Der Mensch versucht den Neid von sich loszubekommen. Es sucht der Mensch, wenn er den Neid in sich erst einmal erkannt hat, den Kampf gegen Luzifer als den Urheber des Neides zu führen. Luzifer übergibt nun die Sache einfach dem Ahriman, und der trübt das menschliche Urteil. Wo Luzifer bekämpft wird im Astralleibe, da kommt es sehr leicht vor, daß Ahriman sich einschleicht in den Ätherleib: dann entsteht die Trübung des Urteils über einen anderen Menschen, und sie ist eine Lüge. Lügen aber ist eine ahrimanische Eigenschaft. Der Mensch hat auch gegen die Lüge eine Antipathie und sucht sie zu bekämpfen. Bei der Lüge tritt nun der andere Fall ein, daß, wenn sie bekämpft wird, Ahriman dem Luzifer das Regiment abgibt, – und da schleicht sich in den Astralleib des Menschen eine Eigenschaft ein, die als sehr, sehr starker Egoismus auftritt. Das ist dann zurückgehaltene Lügenhaftigkeit. [11]

Zitate:

[1]  GA 255b, Seite 66   (Ausgabe 2003, 622 Seiten)
[2]  GA 94, Seite 64   (Ausgabe 1979, 312 Seiten)
[3]  GA 98, Seite 25   (Ausgabe 1983, 272 Seiten)
[4]  GA 102, Seite 206f   (Ausgabe 1974, 238 Seiten)
[5]  GA 124, Seite 27   (Ausgabe 1963, 254 Seiten)
[6]  GA 125, Seite 209   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[7]  GA 170, Seite 214   (Ausgabe 1964, 276 Seiten)
[8]  GA 125, Seite 195f   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[9]  GA 125, Seite 197f   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[10]  GA 125, Seite 220   (Ausgabe 1973, 278 Seiten)
[11]  Bei 45, Seite 4f   (Ausgabe 1974, 0 Seiten)

Quellen:

Bei 45:  Beiträge zur Rudolf Steiner Gesamtausgabe. Heft 45 (1974)
GA 94:  Kosmogonie. Populärer Okkultismus. Das Johannes-Evangelium. Die Theosophie an Hand des Johannes-Evangeliums (1906)
GA 98:  Natur- und Geistwesen – ihr Wirken in unserer sichtbaren Welt (1907/1908)
GA 102:  Das Hereinwirken geistiger Wesenheiten in den Menschen (1908)
GA 124:  Exkurse in das Gebiet des Markus-Evangeliums (1910/1911)
GA 125:  Wege und Ziele des geistigen Menschen. Lebensfragen im Lichte der Geisteswissenschaft (1910)
GA 170:  Das Rätsel des Menschen. Die geistigen Hintergründe der menschlichen Geschichte (1916)
GA 255b:  Die Anthroposophie und ihre Gegner (1919-1921)